Beitragsseiten

Ein Tag in London

Wer spät zu Bette geht, steht spät auf, das ist in der Regel; daher hat die goldene Morgensonne nirgends weniger Verehrer als in London, wo doch sonst das Gold nicht zu gering geachtet wird. Vor neun bis zehn Uhr wird's nicht Tag. Anständig gekleidet, versammelt sich dann die Familie in dem zum Frühstück bestimmten Zimmer, die Herren in Stiefeln und Überröcken, die Damen unbeschreiblich reizend gekleidet, schneeweiß verhüllt bis ans Kinn, mit zierlichen Häubchen. Das Negligé ist der Triumph der Engländerinnen; mit der geschmackvollen Einfachheit vereinigt es die höchste Eleganz; der volle Anzug hingegen fällt of steif und überladen aus.

Nichts Einladenderes gibt's in der Welt als ein englisches Familienfrühstück, auch wird die dabei hingebrachte Stunde durchaus für die angenehmste des ganzen Tages gehalten, und man verlängert sie gern. Auf dem hellpolierten, stählernen Roste lodert die stille Flamme des Steinkohlenfeuers, selbst im Sommer, wenn das Wetter feucht ist. Das elegante Teegeräte steht in zierlicher Ordnung auf dem schneeweiß bedeckten Tische, daneben frische, ungesalzene, in Wasser schwimmende Butter, das weißeste Brot von der Welt, Zwieback, hartgekochte Eier, auch wohl, nach schottischer Sitte, Honig und Marmelade von Pomeranzen. Hotrolls, heiße Rollen, eine Art warmer, mit Butter bestrichener Semmeln, und Toasts, Brotschnitten, welche, von beiden Seiten mit Butter bestrichen, langsam am Feuer rösten, dürfen nie fehlen; letztere stehen in einem dazu verfertigten silbernen Gestell im Kamin, der Teekessel braust und siedet gesellig daneben.

Mit allem diesem wäre aber dennoch das Frühstück ohne die neuesten Zeitungsblätter sehr unvollständig, sie sind ein Hauptstück dabei. Ein selten vermißtes Stück des deutschen Frühstücks, die Tabakspfeife, ist, zum Lobe der Londoner sei's gesagt, bei ihnen ganz verbannt; dies schmutzige Vergnügen wird der letzten Klasse des Volks überlassen; höchst ergötzt sich noch zuweilen ein alter, ausgedienter Seemann oder ein kaum halbzivilisierter Landjunker in seinen einsamen vier Pfählen daran.

Die Dame des Hauses bereitet den Tee, zwar viel umständlicher, aber auch viel besser als wir. Die Tassen werden erst sorgfältig mit heißem Wasser ausgewärmt, der Tee abgemessen, das heiße Wasser nach gewissen Regeln darauf gegossen, und um für alle diese Mühe den gehörigen Ruhm zu ernten, wird der Reihe nach gefragt: ob der Tee nach jedes Wunsch geraten sei? Alles geschieht langsam und mit einer feierlichen Ruhe, welche die Engländer gern ihren Mahlzeiten geben: denn sie mögen dabei keine anderen Gedanken aufkommen lassen, außer den des gegenwärtigen Genusses. Nur die Zeitungsblätter machen beim Frühstück hiervon eine Ausnahme, und die Herren und Damen beschäftigen sich eifrig damit: denn nicht nur politische Neuigkeiten werden darin aufgetischt, auch Theater- und Familiennachrichten, und vor allem die neuesten Stadtgeschichten, frohe und traurige, erbauliche und skandalöse, wahre, halbwahre und ganz erdichtete. Alles wird gelesen, alles wird besprochen. Daß bei solchen Fällen das Gespräch seltener stockt, als sonst wohl geschieht, ist natürlich.

Nach dem Frühstück begeben sich die Männer an ihr Geschäft, ins Comptoir, oder wohin ihr Beruf sie treibt. So viel möglich wird den Vormittag über alle Arbeit abgetan, und trotz des späten Anfangs ist er lang genug dazu, da niemand vor fünf bis sechs Uhr zu Mittag speist. Nach Tische feiert jeder gern, wenn ihn nicht gerade ein hartes Schicksal zur Arbeit zwingt.

Viele Herren besuchen bald nach dem Frühstück ihr gewohntes Kaffeehaus, wo sie einen großen Teil ihrer Geschäfte abtun, eine Menge Briefe aus der Stadt und andere Bestellungen harren dort schon ihrer; dorthin verlegen sie auch gewöhnlich ihre Zusammenkünfte mit Freunde, um über wichtige Dinge sich mündlich zu besprechen und Verabredungen zu treffen. Die Wirtin des Hauses nimmt auf ihrem erhöhten Sitz unten am Eingange alles an und bestellt es mit pünktlicher Treue an ihre Kunden, die sie alle persönlich kennt, weil sie es fast nie verfehlen, sich zur nämlichen Stunde einzustellen.

Diese Gewohnheit, sich täglich an einem bestimmten Orte finden zu lassen, ist in dieser ungeheuren Stadt von großem Nutzen; eine Menge unnützer Gänge und viel sonst verlorene Zeit werden dadurch erspart. Obendrein gewinnt der häusliche Friede dabei, denn nächst der fleckenlosen Reinheit des eigenen Anzugs liegt einer Engländerin nichts so sehr am Herzen, als die ihres Hauses, ihrer Treppen, ihrer Fußteppiche, und wie sehr ist für alles dies dadurch gesorgt, daß so manches außer dem Hause gemacht wird, was sonst in demselben Unordnung oder doch wenigstens Unruhe erregen müßte!

Die Ladies gehen nun auch an ihr Geschäft. Sie greifen zu den Morgenhüten, denn jede Tageszeit hat ihr eigenes Kostüm, und selbst im Wagen würde es auffallend erscheinen, wenn sich eine Dame in den Vormittagsstunden ohne Hut wollte sehen lassen. Wäre sie auch in siebenfache Schleier gehüllt, alles würde sie anstarren, gleich etwas nie Gesehenes. Wollte sie es vollends wagen, ohne Hut, selbst nur wenige Schritte zu Fuß über die Straße zu gehen, sie wäre ganz verloren; unbarmherzig würde sie der Pöbel verfolgen, als hätte sie die größte Unanständigkeit begangen.

Wohlversehen also mit großen Hüten, mit Halstüchern, Shawls, wandern wir nun aus, denn die Mode will, daß man sich in den heißen Stunden des Tages am sorgfältigsten verhüllt. Visiten haben wir nicht viel zu machen, der Kreis unserer eigentlichen Bekannten ist klein, man schränkt sich zum näheren Umgange auf wenige Häuser ein, wie in allen großen Städten. Das Visitenwesen wird in London überdies fast immer mit Karten abgemacht. Indessen, einen Wochenbesuch haben wir doch abzustatten, denn diese sind hier, wie überall, unerläßlich; nur werden sie später als bei uns angenommen.

Wir finden die Dame in dem glänzenden Schlafzimmer. Vor allem prunkt das große Bett. Die Kissen, die Decken sind mit Spitzen und feiner Näharbeit verziert, mit grüner Seide gefütterte Draperie vom thronartigen Baldachin herab, so daß man die schönen Säulen von Mahagoni- oder anderem, noch kostbarerem Holze frei erblickt. Das Negligé der Dame ist über und über mit den teuersten Spitzen geschmückt und bekräuselt; alles ist fein und erlesen, alles zeigt Reichtum.

Den Hauptgegenstand des Gesprächs gewährt die auf einem Seitentisch ausgestellte Garderobe des neuen Ankömmlings. Er selbst ist nicht sichtbar, sondern in der Kinderstube mit seiner Amme, denn das Selbststillen der vornehmeren Mütter ist in England nicht so allgemein wie in Deutschland.

Es gibt hier bedeutende Läden, wo nichts anderes verkauft wird als Kinderzeug, und zwar zu sehr hohen Preisen. Alle Waren dieser Läden prunken dann in dem Wochenzimmer verschwenderisch aufgehäuft. Selbst ein großes Nadelkissen in der Mitte ist nicht zu vergessen, auf welchem man mit Stecknadeln von allen Größen künstliche Muster steckt, die einer schönen, reichen Silberstickerei gleichen. Wahrscheinlich werden diese Dinge selten oder nie gebraucht, denn sie sind ihrer Natur nach zu zart und vergänglich, sie dienen nur zum Prunke.

Sind wir mit dem Besehen und Bewundern endlich fertig, so wandern wir weiter a Shopping, dies heißt: wir kehren in zwanzig Läden ein, lassen uns tausend Dinge zeigen, an welchen uns nichts liegt, kehren alles Unterste zu oberst und gehen vielleicht am Ende davon, ohne etwas gekauft zu haben. Die Geduld, mit der die Kaufleute sich dieses Unwesen gefallen lassen, kann nicht genug bewundert werden; keinem fällt es ein, nur eine verdrießliche Miene darüber zu zeigen. Sehr vornehme Damen fahren a Shopping. Ohne sich aus dem Wagen zu bemühen, lassen sie sich den halben Laden in die Kutsche bringen, zur großen Beschwerde der Kaufleute sowohl als der Vorübergehenden auf dem Trottoir. Man erzählt, daß ein Trupp Matrosen, dem eine solche mit offenem Schlag dastehende Equipage den Weg versperrte, ohne Umstände einer nach dem anderen hindurchspazierte, indem sie der darin sitzenden Dame höflich guten Morgen boten.

Die mannigfaltigen Ausstellungen von Kunstwerken sowohl als von Naturseltenheiten bieten uns angenehme Ruhepunkte, wenn wir es endlich müde sind, die Kaufleute in Bewegung zu setzen.

Die Promenade im St. James Park könnte auch eine Abwechslung gewähren; doch wird sie im Ganzen weniger besucht, so reizend sie auch ist. Zwar fehlt es nie an Spaziergängern darin, aber nur bei sehr seltenen Gelegenheiten findet man sie so bevölkert, wie es die Terrassen der Tuilerien alle Tage sind. Es gibt der müßigen Männer weit weniger in London als in Paris. Die englischen Damen gehen nicht so viel aus als die Pariserinnen, und wenn sie es tun, so ziehen sie eine Shopping party allen anderen Promenaden vor.

Die Kuchenläden, deren wir früher gedachten, liegen, gleich anderen, frei und offen unten an der Straße; daher können Damen recht anständig allein dort einkehren. Nur in dem berühmtesten aller Etablissements, bei Mr. Birch, in der Nähe der Börse, geht dies wohl nicht an; hier kann man sich nicht ohne männliche Begleitung blicken lassen.

Das nicht sehr geräumige Frühstückszimmer befindet sich hinten im Hause, am Ende eines langen Ganges. Kein Strahl des Tageslichts wird darin geduldet, Wachskerzen erleuchten es, und wenn die Sonne draußen noch so hell schiene; die übrige Einrichtung des Zimmers ist anständig, ohne sich besonders auszuzeichnen. Immer findet man Gesellschaften von Herren und Damen darin, die gewöhnlich schweigend ihre Schildkrötensuppe und ein paar warme kleine Pastetchen verzehren. Weiter wird in diesem Hause nichts zubereitet; aber die Pastetchen sollen die besten in der ganzen Welt sein, und nun vollends die Schildkrötensuppe, darüber geht nichts. Nirgends weiß man sie so zu bereiten wie hier, so behaupten die Londoner. Uns aber kam die Gelassenheit, mit welcher die Herren und Damen das von Madeirawein und Cayennepfeffer glühende, uns Zunge und Gaumen verbrennende Gemengsel genossen, weit bewundernswerter vor als die Suppe selbst.

Der vorige Besitzer dieses Hauses, Mr. Horton, brachte indessen bloß mit diesen Pastetchen und der Suppe in nicht gar langer Zeit ein Vermögen von hunderttausend Pfund Sterling zusammen, und sein letzter Nachfolger, Mr. Birch, ist auf gutem Wege, es ihm nachzutun. Dennoch sind die Preise in diesem Hause sehr billig und wie überall ein für allemal festgesetzt. Was jeder verzehrt, ist eine Kleinigkeit, aber die Menge der Verzehrenden gibt eine ungeheure Einnahme.

Gegen fünf Uhr wird es Zeit, nach Hause und an die nötige Toilette vor Tische zu denken. Heute sind wir zu einem Dinner geladen, aber wenn wir auch ganz en famille den Tag zu Hause zubrächten, so wäre es doch höchst unschicklich und bei gesunden Tagen unerhört, im Morgenkleide zu bleiben. Selbst die Männer ziehen den Börsen-Rock aus und mit ihm alle Gedanken an Geschäfte, um in einem eleganteren Anzuge zu erscheinen.

Schön und etwas steif geputzt fahren wir nun um halb sieben zum Mittagessen. Gastfrei sind die Londoner eben nicht, sie scheuen nicht sowohl die große Teuerung aller Dinge als vielmehr die hier von allen geselligen Zusammenkünften durchaus unzertrennliche Etikette, welche einen solchen Tag für die ohnehin Ruhe liebende Hausfrau zu einer schweren Last macht. Daher werden gewöhnlich solche Dinners nur durch äußere Anlässe herbeigeführt, wie etwa die Gegenwart von Fremden, denen man die Ehre antun zu müssen glaubt. Sonst führt der Londoner seinen Freund lieber in eine Taverne, als daß er ihn bei sich aufnimmt, dort tête a tête, oder in einem größeren, doch immer geschlossenen Zirkel tun sie sich bei Wein, Politik und lustigen Gesprächen gütlich. Zu Hause ängstigt sie die Gegenwart der Frauen, denen man zwar die größte Hochachtung im Äußeren aufweist, aber ihnen auch, wie allen Respektspersonen, eben deshalb gern so viel möglich aus dem Wege geht.

Doch wieder zu unserem Dinner. In dem Besuchszimmer finden wir die Gesellschaft versammelt; es faßt höchstens zwölf bis vierzehn Personen. Nach den herkömmlichen Begrüßungsformeln nehmen die Damen zu beiden Seiten des Kamins in Lehnstühlen Platz, die Herren wärmen sich am Feuer, und nicht immer auf die schicklichste Weise. Schläfrig, einsilbig, langsam wankt die Konversation zwischen Leben und Sterben, bis endlich der willkommene Ruf ins Speisezimmer ertönt. Dies liegt oft eine Treppe höher oder niedriger als das Besuchszimmer, weil, wie wir schon früher bemerkten, die Wohnungen, selbst sehr reicher Leute, nichts weniger als geräumig und bequem sind.

Die Tafel steht fertig serviert da, bis auf die Gläser. Servietten gibt es jetzt an den englischen Tafeln, seit die Engländer so viel reisen, wenigstens, wenn man ein Dinner gibt. Vor weniger Zeit fand man sie nur in Häusern, welche auf fremde Sitten Anspruch machten. Das Tischtuch hing damals und hängt auch noch wohl jetzt, wenn man en famille speist, bis auf den Erdboden herab, und jedermann nahm es beim Niedersitzen auf's Knie und handhabte es wie bei uns die Serviette. Die Dame vom Hause thront in einem Lehnstuhl am oberen Ende der Tafel, ihr Gemahl sitzt ihr gegenüber unten am Tisch, die Gäste nehmen auf gewöhnlichen Stühlen zu beiden Seiten Platz, so viel möglichst in bunter Reihe, nach der Ordnung, die ihnen vom Herrn des Hauses vorgeschrieben wird. Alle Gerichte, welche zum ersten Gange gehören, stehen auf der Tafel.

Die englische Kochkunst hat auch in Deutschland ihre Verehrer; wir gehören nicht dazu, uns graute vor dem blutigen Fleisch, vor den ohne alles Salz zubereiteten Fischen, vor dem in Wasser halb gar gekochten Gemüse, den Hasen und Rebhühnern, die, wie alle anderen Braten, ungespickt, ohne alle Butter, bloß in ihrer eigenen Brühe zubereitet werden.

Die Dame serviert die reichlich mit Cayennepfeffer gewürzte, übrigens ziemlich dünne Suppe, nachdem sie jeden Tischgenossen namentlich gefragt hat: ober er welche verlange? Des Fragens von Seiten der Wirte und des Antwortens von Seiten der Gäste ist an einem englischen Tische kein Ende. Eine große Verlegenheit für den fremden Gast, der, wenn er auch der englischen Sprache sonst ziemlich mächtig ist, dennoch unmöglich alle diese technischen Ausdrücke wissen kann. Er muß Rede und Antwort von jeder Schüssel geben, ob er davon verlangt, ob viel oder wenig, mit Brühe oder ohne Brühe, welchen Teil vom Geflügel, vom Fisch, ob er es gern stärker oder weniger gebraten hat, eine Frage, die besonders oft die Fremden in Verlegenheit setzt; man sag: much done or little done, wörtlich übersetzt heißt das: viel getan oder wenig getan.

Diese Fragen ertönen von allen Seiten des Tisches zugleich, denn ein paar Hausfreunde helfen dem Herrn und der Frau vom Hause im Vorlegen der Schüsseln. Alle werden nach der Suppe zugleich serviert, nicht nach der Reihe wie in Deutschland. Sie bestehen aus einem großen Seefisch, einem Lachs, Kabeljau, Steinbutt oder dergleichen, der, beim Kochen gesalzen, vortrefflich wäre, so aber dem Fremden fast ungenießbar bleibt, aus Puddingen, Gemüsen, Tarts und allen Gattungen von Fleisch und Geflügel, ohne Salz, Butter oder andere fremde Zutat in eigener Brühe gedämpft, geröstet, gebraten oder gekocht, nur der Pfeffer ist nicht daran gespart. Hat man über eine solche Schüssel einen dünnen, trockenen Butterteig gelegt, so beehrt man sie mit dem Titel einer Pastete.

Die halbrohen Gemüse müssen ganz grün und frisch aussehen, erst bei Tafel tut jeder auf seinem Teller nach Belieben geschmolzene Butter daran. Kartoffeln fehlen bei keiner Mahlzeit, sie sind vortrefflich, bloß in Wasserdampf gekocht. Die Puddings aller Art wären auch sehr gut, nur sind sie oft zu fett, fast nur aus Ochsenmark und dergleichen zusammengesetzt. Die Tarts, der Triumph der englischen Kochkunst, bestehen aus halbreifem Obst, in Wasser gekocht und mit einem Deckel von trockenem Teige versehen. Die Pickels, welche den Braten begleiten, eigentlich alle Arten Gemüse, Mais, unreife Walnüsse, kleine Zwiebeln und dergleichen, mit starkem Essig und vielem Gewürze eingemacht, sind vortrefflich.

Mit diesen sowie mit der Soja- und anderen pikanten Saucen, die hier im Großen fabriziert und verkauft werden, treibt London einen großen Handel durch die halbe Welt. Diese Saucen, Senf, Öl und Essig stehen in zierlichen Plattmenagen zum Gebrauch der Gäste da, sowie auch immer für zwei Personen ein Salzfaß.

Der Salat wird von der Dame vom Hause über Tische mit vieler Umständlichkeit bereitet und klein geschnitten; er besteht aus einer sehr zarten, saftigen Art Lattich, dessen Blätter schmal, aber wohl eine halbe Elle lang sind; außer England sahen wir sie nirgends, dafür aber ist auch unser Kopfsalat dort unbekannt. Unermüdet bieten die Vorlegenden alle diese Dinge den Gästen an; dafür müssen diese wieder alles pflichtschuldigst loben und versichern, sie hätten in ihrem Leben kein besser Kalb- oder Hammelfleisch gesehen, und es wäre auch alles ganz vortrefflich zubereitet.

Das Zeremoniell beim Trinken ist, besonders den fremden Damen, noch beschwerlicher und versetzt uns oft in wahre Not. Da sitzen wir betäubt und ängstlich von alledem wunderlichen Wesen; plötzlich erhebt der Herr vom Hause seine Stimme und bittet eine Dame, und aus Höflichkeit die Fremde zuerst, um die Erlaubnis, ein Glas Wein mit ihr zu trinken, und zugleich zu bestimmen, ob sie weißen Lissaboner oder roten Portwein vorziehe? Denn die französischen Weine sowie der Rheinwein kommen erst zum Nachtisch. Verlegen trifft man die Wahl, und mit lauter Stimme wird nun dem Bedienten befohlen, zwei Gläser Wein von der bestimmten Sorte zu bringen. Zierlich sich gegeneinander verneigend, sprechen die beiden handelnden Personen wie im Chor: "Sir, Ihre gute Gesundheit! Madam, Ihre gute Gesundheit!" trinken die Gläser aus und geben sie weg. Nach einer kleinen Weile tönt dieselbe Aufforderung von einer anderen Stimme, dieselbe Zeremonie wird wiederholt und immer wiederholt, bis jeder Herr mit jeder Dame und jede Dame mit jedem Herrn wenigstens einmal die Reihe gemacht hat. Keine kleine Aufgabe für die, welche des starken Weins ungewohnt sind. Abschlagen darf man es niemandem, das wäre beleidigend; obendrein muß man noch mit dem ersten Glase den Wunsch für die Gesundheit jeder einzelnen Person an der Tafel wenigstens durch ein Kopfnicken andeuten und auch genau acht geben, ob jemand der anderen Gäste uns diese Ehre erzeigt. Es wäre die höchste Unschicklichkeit, wenn eine Dame unaufgefordert trinken wollte, sie muß warten, wäre sie auch noch so durstig, doch bleibt die Aufforderung selten lange aus. Auch die Herren müssen sich zu jedem Glas einen Gehilfen einladen, ein Dritter hat aber die Erlaubnis, sich mit anzuschließen, wenn er vorher geziemend darum anhält.

So hat man denn mit Antworten auf die Einladung zum Essen und Trinken, mit Gesundheittrinken, und mit Achtgeben, ob niemand die unsere trinkt, vollauf zu tun. Kein interessantes Tischgespräch kann aufkommen, es wird sogar für unschicklich gehalten, wenn jemand den Versuch macht, eines aufzubringen; der Herr des Hauses fährt gleich mit der Bemerkung dazwischen: "Sir, Sie verlieren Ihr Mittagessen, nach Tische wollen wir das abhandeln." Die Damen sprechen ohnehin nur das Notwendigste aus lauter Bescheidenheit. Die Fremden können sich nicht genug vor zu großer Lebhaftigkeit des Gesprächs hüten; es gehört hier gar nicht viel dazu, um für ungeheuer dreist, monstrous bold, zu gelten.

Ist der erste beschwerliche Akt des Essens überstanden, so wird der Tisch geleert, die Brotkrumen sorgfältig vom Tischtuch abgekehrt, und es erscheinen verschiedene Arten von Käse, Butter, Radieschen und wieder Salat. Letzterer wird ohne alle Zubereitung bloß mit Salz zum Käse gegessen.

Dieser Zwischenakt dauert nicht lange, er macht einem zweiten Platz. Jeder Gast bekommt nun ein kleines, schön geschliffenes Kristallbecken voll Wasser zum Spülen der Zähne und zum Händewaschen und eine kleine Serviette; man verfährt damit, als wäre man für sich allein zu Hause. Die ganze so beschäftigte Gesellschaft erinnerte uns oft an einen Kreis Tritonen, wie man sie Wasser speiend um Fontänen sitzen sieht. Die Damen ermangeln nicht, große Zierlichkeit im Abziehen der Ringe und Benetzen der Fingerspitzen anzubringen; die Herren gehen schon etwas dreister zu Werke.

Nach dieser Reinigungszeremonie ändert sich die ganze Dekoration. Das Tischtuch, mit allem was darauf stand, verschwindet, und der schöne, hellpolierte Tisch von Mahagoniholz glänzt uns entgegen. Jetzt werden Flaschen und Gläser vor den Herrn des Hauses hingestellt, das Obst wird aufgetragen, und jeder Gast erhält ein kleines Couvert zum Dessert, ein Glas und ein kleines rotgewürfeltes oder ganz rotes, viereckig zusammengelegtes Tuch. Letzteres aber darf man nicht entfalten, man benutzt es nur, das Glas darauf zu stellen. Das Obst wird nicht herumgereicht, sondern wie vorher die anderen Gerichte vorgelegt und mit vielen Fragen ausgeboten. Es ist im Ganzen schlecht, sauer und halbreif. Haselnüsse, die Lieblingsfrucht der Engländer, welche sie Jahr für Jahr knacken, fehlen nie dabei, süße Konfitüren und Bonbons sind wenig im Gebrauch.

Jetzt fangen die Flaschen an, die Hauptrolle zu spielen; jeder schiebt sie seinem Nachbar zu, nachdem er sich etwas eingeschenkt hat, viel oder wenig, wie man will, nur leer darf das Glas nicht bleiben, und bei jedem Toast muß das Eingeschenkte ausgetrunken werden. Den Damen sieht man indessen durch die Finger, wenn sie bloß ein wenig nippen. Der Wirt bringt nur einige Toasts aus, er läßt seine Freunde leben, die sich denn wieder durch ein Gegenkompliment an ihm und der Dame vom Hause revanchieren; die königliche Familie wird nie bei dieser Gelegenheit vergessen. Einige der Gäste geben Sentiments zum besten, das heißt, kurze Sätze, die zuweilen auf die Damen Bezug haben, zum Beispiel: merit to win a heart and sense to keep it, Verdienst, ein Herz zu gewinnen, und Verstand, um es zu behalten. Alle diese Gesundheiten werden beim Trinken mit lauter Stimme von jedem wiederholt.

Diese Gesundheiten, Ermunterungen zum Trinken, Ermahnungen, die Flasche weiterzuschieben, sind alles, was man jetzt hört. Bald nachdem man dem König die gebührende Ehre erzeigt hat, erhebt sich die Dame des Hauses aus ihrem Lehnsessel; mit einer kleinen Verbeugung gibt sie den übrigen Damen das Signal, alle erheben sich und trippeln sittsamlich hinter ihrer Führerin zur Tür hinaus. Sogar wenn Mann und Frau tête à tête allein essen, geht Madame fort und läßt den Eheherrn allein hinter der Flasche. Ob er dann auch Toasts ausbringt, ist uns nicht bekannt.

Jetzt, da die Frauen fort sind, wird es den Herren leichter um's Herz, aller Zwang ist nun verbannt, sie bleiben unter sich allein, bei Wein, Politik und manchem derbem Spaß, den sie während unserer Gegenwart mühsam zurückhalten mußten. Ihr lautes Sprechen und Lachen verkündet dem ganzen Hause, daß ihnen gar wohl zu Mute sei. Wir aber, wir Armen, was wird aus uns? Da sitzen wir wieder am Kamin und sehen uns an und gähnen mit geschlossenem Munde. Nicht einmal Kaffee gibt es, um uns einigermaßen munter zu erhalten, Handarbeit in Gesellschaft wäre auch unerhört, der gegenseitige Anzug ist leider zu bald durchgemustert. In der trostlosesten Stimmung sitzen wir hier und sind allesamt des Lebens herzlich müde. Wie gern schliefen wir ein! Aber das schickt sich nicht.

Endlich ist eine Stunde so jämmerlich hingeschlichen. Wir haben vom Wetter gesprochen, vom Theater; das ist hier aber kein so gangbarer Artikel als in anderen Orten, denn man geht viel seltener hin. Die Fremde ist zehnmal gefragt worden, wie ihr London gefällt, und sie hat zehnmal pflichtschuldigst geantwortet: ganz ausnehmend wohl; da macht dann endlich die Frau vom Hause dem Jammer dadurch ein Ende, daß sie die Herren zum Tee bitten läßt.

Man sagt, die schnellere oder langsamere Befolgung dieses Winks sei das sicherste Zeichen, wer im Hause herrsche, ob der Mann oder die Frau. Indessen, wenn sie auch zögern, sie kommen doch, die Herren, ein wenig heiter, ein wenig redselig; aber, zu ihrer Ehre sei es gesagt, betrunken haben wir bei solchen Gelegenheiten keinen gesehen.

Die Dame macht jetzt den Tee sehr umständlich. Die Fragen, wie man ihn findet, wie man ihn wünscht, ob süß, ob mit viel Milch oder wenig, werden auch hier nicht unterlassen. In einigen Häusern wird er draußen serviert und vom Bedienten herumgereicht; doch dies sind Ausnahmen von der Regel; die englischen Ladies lassen sich ungern den Platz am Teetisch nehmen, den sie so ehrenvoll behaupten. Neben dem Tee wird auch sehr schlechter, dünner Kaffee geboten.

Die Konversation geht nun ein klein wenig rascher, indessen die Herren haben sich bei der Bouteille rein ausgesprochen, die Damen sind müde und sprechen überhaupt wenig, es wird selten ein munteres, erfreuliches Gespräch daraus. Nach dem Tee fährt man nach Hause, denn für's Theater ist's zu spät, oder man bleibt zum Spiel, je nachdem man eingeladen ist.

Whist ist das einzige übliche Spiel in Gesellschaft; von unserer Art zu spielen weicht man darin ab, daß man nur Partie Simple oder Double zählt, kein Tripel oder Quadrupel. Auf diese Weise kann man höchstens sieben Points in einem Tobber verlieren, deren man immer drei spielt, nie mehr, noch weniger. Die Karten sind sehr teuer und groß, aber ungeschickt. Dies ist wohl das einzige Fabrikat, in welchem die Engländer anderen Nationen nachstehen. Kartengeld ist nicht gebräuchlich, ebensowenig Trinkgeld an die Bedienten.

Daß die Engländer sehr gut, sehr ernst und schweigend dies ihr Nationalspiel spielen, ist bekannt, nicht aber, daß keineswegs die Spielenden, sondern der Herr des Hauses zu bestimmen hat, wie hoch seine Gäste spielen sollen. Dieser Taxe muß man sich ohne Widerrede unterwerfen, wenn man nicht beleidigen will. Einige bestimmen aus Ostentation ein sehr hohes Spiel, andere, die vernünftiger sind, tun das Gegenteil. Dem Fremden ist zu raten, daß er sich vorher nach der Sitte des Hauses erkundige, ehe er zum Spiel geht, sonst kann er in unangenehme Verlegenheit geraten.

Nach dem Spiele setzt man sich noch zu einem kalten Abendessen von Austern, Hummer, Tarts und dergleichen; dies wir sehr schnell abgetan. Froh, das Vergnügen des Tages überstanden zu haben, fährt man spät nach Mitternacht durch die noch immer von Menschen wimmelnden Straßen nach Hause. Alle Läden sind noch offen und erleuchtet, die Straßenlaternen brennen ohnehin immer, bis die Sonne wieder scheint.

Es gibt noch eine Art geselliger Zusammenkünfte, welche die erste Klasse des Mittelstandes, von der wir hier sprechen, dem vornehmeren, aus den ersten Familien des Reichs bestehenden Zirkel abgelernt hat. Sie heißen Routs, gleichbedeutend mit unseren Assembleen in Deutschland. Mit dem Wort Assembly verbindet man in England immer die Idee einer auf Unterzeichnung gegründeten Zusammenkunft an einem öffentlichen Orte.

Die Frau vom Hause macht die Honneurs dieser Routs und ladet dazu ein. Schon mehrere Tage vorher werden allen Bekannten Karten zugeschickt, und zwar ungefähr dreimal so vielen Personen, als das Lokal gemächlich fassen kann. Es versteht sich von selbst, daß man zu einem solchen Feste eine bessere Wohnung als die gewöhnlichen haben muß, die doch wenigstens eine Art von Folgereihe mehrerer Zimmer enthält.

Um zehn Uhr, oft noch viel später, fängt man an, sich zu versammeln, drängt sich durch, um die Wirtin zu begrüßen, die gewöhnlich unfern der ersten Tür im Zimmer Posto gefaßt hat, und nimmt dann Platz an einem der vielen Spieltische, die dicht zusammengedrängt den ganzen Raum erfüllen. Tee und andere Erfrischungen werden herumgereicht, solange die Bedienten durchkommen können. Wird es zuletzt so voll, daß niemand mehr atmen kann, daß vor allgemeinem Geräusch kein Wort mehr zu verstehen ist, daß es an Stühlen und Raum fehlt, welche zu stellen, ja, daß die zuletzt Kommenden auf Treppen und Vorplätzen stehen bleiben müssen, so hat das Vergnügen seinen Höhepunkt erreicht.

Um zwei, drei Uhr gegen Morgen entwickelt sich der Menschenknäuel langsam, wie er anschwoll. Man fährt nach Hause und hat einen deliziösen Abend im großen Stil hingebracht. Die Dame vom Hause zieht sich in ihr Zimmer zurück, zwar betäubt vom Lärm, wie zerschlagen an allen Gliedern von dem ewigen Stehen und allen Begrüßungsformeln, aber doch mit dem stolzen Bewußtsein, die höchste Glorie des geselligen Lebens erreicht zu haben.

 

Reiseberichte