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Leeds

Den folgenden Morgen setzten wir unsere Reise fort nach Leeds in Yorkshire. Traurig war die erste Hälfte des Weges, wieder mußten wir steile, himmelhohe Felsen erklimmen. Wie sehr irrt der Bewohner des festen Landes, der sich gewöhnlich ganz England als ein schönes, fruchtbares, einem Garten ähnliches Land denkt. Öde, unangebaut, ohne Spur freudiger Vegetation war die Gegend umher; hier müssen, wie auf den westfälischen Steppen, durch die wir früher gekommen, die Jahreszeiten ebenso unmerkbar für die Bewohner hinschwinden: denn keine bringt ihnen Gaben, womit sie glücklichere Erdstriche erfreuen. Kein Baum, kein Kornfeld, keine ländlichen Gärten, aber überall Blei- und Kohlenminen, Steinbrüche, Schmelzöfen, Ziegelfabriken, unterbrochen von großen, einzeln liegenden Baumwollspinnereien und anderen Manufakturgebäuden.

Die Luft war schwarz und dick vom Kohlendampfe; überall sahen wir den Armen arbeiten, um den Reichen noch reicher zu machen, während jener selbst nur kümmerlich sein armes Leben dabei fristet. Ein Gemälde menschlichen Fleißes, doch nicht von der erfreulichen Seite. Wie erheiternd ist doch der Anblick des rüstigen Landmanns, der im Schweiße seines Angesichts der Erde sein Brot abgewinnt, indem er sie schmückt! Wie traurig sieht dagegen der bleiche, schmutzige Bewohner der Minen aus, der wie ein Maulwurf in ihr Inneres sich hinein wühlen muß, um nur wenige Jahre elend zu leben! Ein beängstigendes Gefühl des Mitleids drängte sich uns unwillkürlich auf bei diesem Schauspiele, das wir bis jetzt nur zu oft und zu lange gehabt hatten.

Bei Wakefield war die Gegend freundlicher und ländlicher; wir dachten des guten Vikars, der uns allen aus Goldsmiths [Fußnote: Oliver (1728- 74) "The Vicar of Wakefield", 1766] gemütlicher Dichtung bekannt ist, aber vergebens suchten wir hier sein Dörfchen, sein wirtliches Dach. Wakefield ist ein Städtchen voll Fabriken.

Gegen Abend erreichten wir Leeds, eine ziemlich große Stadt, welche hauptsächlich aus Tuchmanufakturen besteht. Unser Eintritt war von einer höchst traurigen, herzzerreißenden Szene begleitet. Wir bemerkten mit Erstaunen, daß der Wegegeldeinnehmer am Schlagbaum, dicht vor der Stadt, heftig weinte; neben ihm stand seine Frau mit der Gebärde trostloser Verzweiflung; zwei ganz kleine Mädchen blickten stumm und verwundert auf Vater und Mutter. "Gute Leute, was fehlt euch?" fragten wir mitleidig. "Unser einziger Sohn ist eben ertrunken", antwortete der Mann mit halb erstickter Stimme. Nun machte das verzweifelnde Mutterherz sich Luft, mit Händeringen rief sie: "Ach, er war der schönste Knabe im Ort, vierzehn Jahre alt, immer gehorsam und fleißig; heute um vier Uhr kam er mit gutem Zeugnis fröhlich aus der Schule, und nun--." Wir fuhren mit schwerem Herzen und nassen Augen weiter; denn wer von uns konnte es wagen, hier trösten zu wollen?

Wunderbar ist's, daß in England nicht unendlich viel Kinder verunglücken; nirgends scheint der alte fromme Glaube, daß jedes seinen eigenen Engel habe, der es beschützt, einheimischer als hier; denn nirgends werden sie mehr ohne sichtbare Aufsicht sich selbst überlassen. In den Städten und Dörfern, auf den volkreichsten Straßen kriechen kleine, kaum zweijährige Säuglinge in den Fahrwegen umher, größere Kinder laufen ohne Furcht im Gewühle zwischen Rädern und Pferden durch, und der Reisende sitzt ängstlich im pfeilschnell rollenden Wagen und zürnt über die unachtsamen Mütter.

Die Tuchfabrikanten machen den größten Teil der Einwohner von Leeds aus; sie haben hier eine eigene Halle, in welcher jedem sein bestimmter, mit seinem Namen bezeichnete Platz angewiesen ist, auf welchem er an Markttagen seine Waren zur Schau legt und feil hält. Diese Halle, ein großes, ganz bedecktes Gebäude, schließt einen geräumigen Hof von allen vier Seiten ein und ist einer Börse nicht unähnlich.

Man macht sehr hübsche Teppiche in Leeds, sie werden auf gewöhnlichen Webstühlen gearbeitet. Es war lustig zu sehen, wie schnell die schönen Blumen und Muster in reicher Farbenpracht vor unseren Augen entstanden. Bei den breiten Fußdecken für die Zimmer arbeiten immer zwei Personen an einem Webstuhle; bei den schmalen zu Treppen und Vorplätzen nur einer.Man macht sehr hübsche Teppiche in Leeds, sie werden auf gewöhnlichen Webstühlen gearbeitet. Es war lustig zu sehen, wie schnell die schönen Blumen und Muster in reicher Farbenpracht vor unseren Augen entstanden. Bei den breiten Fußdecken für die Zimmer arbeiten immer zwei Personen an einem Webstuhle; bei den schmalen zu Treppen und Vorplätzen nur einer.

 

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