Beitragsseiten

Salisbury und Stonehenge

Wir fuhren nun über eine unabsehbare Ebene. Armseliges Heidekraut sproß kümmerlich hier und da, nirgends ein Gegenstand, auf dem das Auge nur Momente haften könnte; die Lüneburger Heide ist ein Paradies dagegen.

Es war die berüchtigte Ebene von Salisbury, auf der wir uns jetzt befanden, ein ungeheurer Kirchhof, besät mit uralten Gräbern längst entschlafener Helden, deren Namen im Strome der Zeit untergingen. Wogen gleich, kaum noch sichtbar, erheben sich diese großen, abgerundeten Hügel nur wenig über die graue, düstere Fläche, und bloß an einigen entdeckt man die Spur eines sie einst umgebenden Grabens. Der blaue Himmel wölbt sich lautlos darüber hin, kein Vogel singt in dieser Einöde, denn nirgends steht ein Strauch, auf dem er sich niederlassen könnte.

Wir rollten schnell vorwärts und merkten doch kaum, daß wir weiterkamen. Kein Gegenstand bezeichnete unseren Weg; die Stelle, die wir verließen, glich ganz genau der, auf welcher wir am nächsten Momente anlangten. Da sahen wir es am Horizonte aufsteigen wie Geistergestalten; grau, formlos, allem, was wir bis jetzt erblickt hatten, unvergleichbar, stand es da in einem Zauberkreise; wir kamen näher und näher, noch immer wußten wir nicht, was wir sahen; jetzt hielt unser Wagen, und wir standen vor Stonhenge [Fußnote: das bedeutendste Denkmal aus dem Megalithikum Europas. Ursprung und Bedeutung konnten bis heute nicht eindeutig bestimmt werden; sicher ist nur, daß die Steine, man schätzt die Anlage auf 4000 Jahre, in Verbindung zur Sonnenbeobachtung und Zeitmessung standen.], dem ältesten Monumente der Vorzeit in England, vielleicht in ganz Europa.

Unförmige, riesengroße Steine, sichtbar von Menschenhänden aufgestellt, erheben sich in ungeheuren Massen auf einer mäßigen, nur ganz allmählich emporsteigenden Anhöhe. Hohen Säulen gleich, stehen sie in einem der großen tempelähnlichen Kreise, immer zwei und zwei näher aneinander, welche dann ein großer, ähnlicher Stein, wie ein Querbalken oder Gesims auf ihrer Spitze ruhend, miteinander verbindet. Einige der Säulen sowohl als der Querbalken sind umgesunken, dennoch bleibt die vollkommen runde Form des Ganzen deutlich. An den umgefallenen Steinen nimmt man noch wahr, wie sie befestigt waren; denn an jeder der Säulen ist oben eine Art Spitze oder Knopf ausgehauen, freilich sehr roh und in ungeheuren Verhältnissen, und die quer darauf liegenden Steine haben zwei runde Vertiefungen an beiden Enden, welche genau auf jene Knöpfe passen. So bildete und verband sie die rohe, arme Kunst jener Zeiten fest und dauerhaft genug, um Jahrtausenden zu trotzen. Auch die Säulen tragen Spuren des Meißels, sie sind viereckig, aber, ohne alle Idee einer Verzierung, ganz roh behauen, an Höhe und Stärke einander nicht gleich, aber alle von erstaunenswürdiger Größe und Schwere.

Schon vor tausend Jahren standen sie wie jetzt, und jede Spur ihrer ersten Bestimmung, ihres Entstehens, war schon damals verschwunden. Jetzt hält man dies wunderbare Gebäude für die Überreste eines alten Druidentempels. Hier ward das Feuer angebetet und die wohltätige Sonne. Man hat beim Nachgraben unter diesen Steinen Spuren verbrannter Opfer gefunden, vielleicht bluteten sogar hier Menschen unter dem Opferstahle ihrer verblendeten Brüder.

Mitten in dem großen Kreise dieses alten Tempels entdeckte man Überbleibsel einer kleineren Abteilung, von niedrigeren Steinen gebildet; einige derselben stehen noch; in ihrer Mitte liegt ein großer, platter Stein, wahrscheinlich der Altar, und diese Abteilung war das nur von Priestern betretene innere Heiligtum. Dieser Altarstein ist von einem der ungeheuren herabgestürzten Quersteine des äußeren Kreises in drei Stücke zerschmettert. Seitwärts, außer dem Kreise, liegt ein zweiter, dem Altarsteine ähnlicher Stein von ungeheurer Größe.

Ungefähr dreißig Schritte vom großen Kreise stehen noch ein paar der säulenartigen Steine aufgestellt, aber auch wohl dreißig Schritte voneinander entfernt. Vielleicht bildeten sie hier einen noch größeren Kreis, der jenen engeren einschloß, eine Art Vorhalle des heiligen Tempels; denn gewiß ist das gigantische Werk, das wir anstaunten, nur ein kleiner Überrest von dem, was es Ungeheures war in seiner Vollendung.

Wie diese gewaltigen Felsenmassen hergebracht wurden, welche fast übermenschlichen Kräfte sie aufrichteten, ist undenkbar; doch fast ebenso unbegreiflich, wie sie zerstört wurden. Vielleicht stürzte ein Erdbeben sie um, es öffnete sich die Erde und begrub zum Teil wieder in ihrem Schoße die ihr entrissenen Felsstücke, welche sonst den ganzen Kreis bilden halfen und jetzt verschwunden sind, ohne daß es doch glaublich scheint, man habe sie zu anderem Gebrauche fortgeführt. Welch ungeheure Kraft wäre auch erforderlich gewesen zum Transport dieser Riesenmassen!

Was das Wunderbare noch mehr erhöht, die Steine bestehen aus einer Art Granit, wie er mehr als dreißig englische Meilen in der Runde nicht anzutreffen ist. Wie war es möglich, sie durch unwegsame Wälder, über Sumpf und Moor, Berg und Tal herzubringen? Wahrlich, wenn man sie sieht, man fühlt sich sehr geneigt, der Tradition des Volks Glauben beizumessen, welche sie für das Werk einer früheren Riesenwelt hält, der mächtige Geister zu Hilfe kamen. Der Eindruck, den der Anblick des Ganzen macht, läßt sich nicht beschreiben. Ein stilles Grauen ergriff uns in dieser öden Wildnis beim Anschauen eines Werks, dessen Urheber wir uns nicht deutlich zu denken vermochten und das vor uns stand wie die Erscheinung aus einer anderen Welt. Wir hatten Zeit, uns diesem Eindrucke zu überlassen; denn öde und traurig ging unser Weg über die große Ebene hin, die sich immer gleich blieb, bis wir spät abends die alte Stadt Winchester erreichten.

Von Winchester aus hatten wir sehr böse Wege; denn durch unsere Kreuz- und Querzüge waren wir von der großen, gebahnten Straße abgekommen und mußten sie nun durch fast unfahrbare Land- und Nebenwege wieder zu erreichen suchen. Oft stiegen wir aus und gingen die steilen Hügel, über welche unser Wagen mühsam hinrasselte, zu Fuß hinab; reiche, weit ausgebreitete Aussichten entschädigten uns zuweilen für unsere Mühe.

Endlich erreichten wir das Städtchen Chichester. Wir fanden den ganzen Ort in einer Art von freudigem Tumult, als sollte es ein Pferderennen geben. Alle Fenster waren mit geputzten Frauen und Mädchen besetzt, die Straße voller Leute, Erwartung auf allen Gesichtern. Das Regiment des damaligen Prinzen von Wales, welches hier in Garnison liegt, paradierte im festlichen Schmucke, in zwei langen Reihen aufmarschiert, dem Gasthofe gegenüber. In letzterem hatte niemand Zeit; Herr und Frau und Aufwärter liefen mit den Köpfen gegeneinander. Nichts Kleines konnte all diesen Aufruhr veranlassen. Mrs. Fitzherbert [Fußnote: seit 1785 heimliche Gattin des Prinzen von Wales, des nachmaligen Georgs IV. Nach dem königlichen Ehegesetz von 1772 jedoch illegal, da der König die Erlaubnis nicht gegeben hatte. Die Verbindung überdauerte auch die Eheschließung des Prinzen mit Caroline von Braunschweig (1795) und ging erst zur Zeit Johannas in die Brüche.], die Freundin des Prinzen von Wales, war es; sie wurde auf ihrem Wege nach Brighton in Chichester erwartet. Nach zwei Stunden erschien sie, ließ, ohne auszusteigen oder sich umzusehen, die Pferde wechseln und rollte davon. Die große Begebenheit war vorüber, die Soldaten marschierten ab, und alles beruhigte sich nach und nach. Wir gingen ebenfalls weiter nach Arundel.

Der Herzog von Norfolk besitzt dort ein altes Schloß; es wurde eben durch ein neues Hauptgebäude und einen daran stoßenden Flügel ergänzt und vergrößert; alles war voll Lärm, Staub und Unordnung, wie es gewöhnlich beim Bauen ist. Der Anblick des alten Schlosses wäre überall ehrwürdig und imposant, nur hier, auf einem nicht sehr geräumigen Hofplatze, neben dem neuen, ganz modernen Gebäuden, verliert es unendlich. Einige mit Efeu bewachsene alte Mauern bewiesen, daß das Schloß von Arundel weit größer und beträchtlicher gewesen sein müsse als jetzt. Der noch übrige Teil des Gebäudes mit runden Türmen und einem schönen Portal steht wie verwundert da neben der neuen, dicht dabei entstehenden Schöpfung. Schwerlich wird eines durch das andere gewinnen; isoliert, unterm Schutze alter Bäume, wären diese heiligen Überreste vergangener Größe zu dem Schönsten zu rechnen, was England in dieser Art aufzuweisen hat, so reich es auch an Denkmälern der Vorzeit ist.

Wir waren diesen Tag bestimmt, in den Gasthöfen alles in Bewegung und Unruhe zu finden. In dem zu Arundel hielten die Volontärs, von denen wir schon früher sprachen, im Saale neben dem uns angewiesenen Zimmer ein großes Bankett. Das Gebäude bebte vom Jubel der Helden bei jedem ausgebrachten Toast; im Nebenzimmer machten die Oboisten des Regiments eine Musik, welche Tote hätte erwecken können; die Aufwärter hatten alle Hände voll Bouteillen und Korkzieher; die Pfropfen knallten, Waldhörner und Trompeten schmetterten, die Janitscharentrommel drohte die Grundfesten des Hauses zu erschüttern, zu alledem der Jubelruf der vom Geiste ergriffenen Freiwilligen und die Anstalten, die wir zu einem Ball machen sahen. Das war zu viel, es trieb uns hinaus. Ganz gegen die Sitte des Landes reisten wir mit sinkender Nacht ab. Hart am Ufer des Meeres fuhren wir hin; ein sanfter Wind kräuselte kaum dessen vom Monde versilberte Fläche, die Wellen spielten und flüsterten und blinkten geheimnisvoll und leise; so kamen wir glücklich nach Brighton.

 

Reiseberichte