Beitragsseiten

Die Fälle des Stromes Clyde

Durch eine der reizendsten Gegenden Schottlands reisten wir weiter nach Lanark, um die berühmten Wasserfälle des Clyde zu sehen. Am Abhange hoher, zum Teil mit Wald bekleideter Felsen wand unser Weg sich hin; wir blickten hinab auf ein fruchtbar angebautes Tal, durchschlängelt vom schönen Strome Clyde; Gehölze, Äcker, Landsitze, Dörfer wechselten höchst anmutig.

An einer Stelle, wo dichtes Gehölz uns den Anblick des laut brausenden Stromes verbarg, stiegen wir aus und gingen einen sehr steilen und schlüpfrigen Flußpfad hinab bis an das Ufer des Stroms. Ganz in Schaum verwandelt stürzt er hier laut brausend von einer beträchtlichen Höhe hinab, über große Felsstücke, und windet sich dann zürnend und schäumend weiter durch das liebliche Tal. Die hohen, malerischen Felsen, bekränzt mit schönem Gesträuche und hohen Bäumen, von welchen wieder leichtere Efeukränze hinflattern in der vom donnernden Fall ewig bewegten Luft, die große Wassermasse, die hier herunterstürzt, der Kontrast des Schaumes, weißer als Schnee, mit dem dunklen, im ewigen Tau stets frischen Grün, die Millionen Tropfen, die wie Diamanten im Abendstrahle blitzten, alles entzückte uns und hielt uns lange fest. Wasserfälle soll man aber nicht malen, weder mit dem Pinsel noch mit der Feder; die Wahrheit dieser Bemerkung fühlt man am lebhaftesten, wenn man den Versuch wagt.

Ziemlich spät langten wie in Lanark an. Den folgenden Morgen setzten wir unsere Reise fort nach Douglasmill, zu den beiden anderen größeren Fällen des Stroms.

Die Gegend zwischen Lanark und Douglasmill gehört zu den schönsten im unteren Schottland. Eine Meile ging es über Berg und Tal durch frisches, dichtes Gehölz hin; nun erstiegen wir mühsam einen ziemlich hohen Berg, höhere Felsen drohten über ihm gen Himmel. Als wir oben waren, erschreckte uns die fürchterlich schönste Ansicht, die wir jemals sahen: jeder Blick hinab war schwindelerregend, und doch war's unmöglich, nicht immer hinzusehen. Hart am Rande eines tiefen steilen Abgrunds fuhr unser Wagen, keine Handbreit Raum zwischen uns und dem schrecklichsten Untergange. Ein Fehltritt der Pferde, der kleinste Unfall am Wagen wäre unvermeidlicher Tod gewesen; es war unmöglich, den Wagen halten zu lassen, unmöglich an der Felsenwand, an welcher wir hinfuhren, auszusteigen; dennoch vergaßen wir alle Gefahr bei dem Anblicke des wunderschönen Tales, das uns viele Klafter tief im Glanze der Morgensonne entgegenschimmerte, durchströmt vom Clyde, der zögernd zwischen den blühenden Gärten und fruchtbaren Feldern sich fortwand.

Eine kleine Stadt liegt mitten im Tale, nicht weit davon drei oder vier große ansehnliche Gebäude mit schönen Gärten. Es sind Baumwollspinnereien, deren Maschinen hier wie in Perth vom Wasser getrieben werden. Wir sahen die Räder behend sich drehen, die kleinen Fälle, welche durch diese veranlaßt werden, blitzten wie flüssiges Silber; aber wir hörten nicht ihr Geräusch, es war zu tief unter uns.

Jetzt senkte sich der Weg den Berg hinunter; dichtes Gehölz empfing uns wieder in seine Schatten, laut hörten wir den Strom donnern, und bald hielten wir vor einem Garten stille. Wir traten hinein, erstiegen einen kleinen Hügel, und vor uns stürzte der Strom, weit wasserreicher und majestätischer als gestern, über wilde hohe Felsen; noch einige Schritte weiter hinauf, und wir sahen ihn abermals über noch höhere Felsen, in noch tiefere Abgründe gewaltig herabbrausen. Er fällt von einer so steilen Höhe, daß er einen Bogen bildet; wer es wagen will auf dem schlüpfrigen Boden, kann zwischen dem Felsen und der großen Wassermasse hingehen. Unten in dieser kristallenen Grotte ist man wie im Nixenreiche; es muß ein betäubendes Gefühl sein, dazustehen und dieses ungeheure Toben und Wogen über seinem Haupte, vor seinen Augen zu haben, ja von allen Seiten davon umgeben zu sein; aber selten nur wagt jemand sich hinab, der bloße Anblick des Wagestücks schreckt zurück.

Als wir den Garten verließen, fuhren wir an einem schönen Landhause vorbei, zu welchem er zu gehören scheint; wir wünschten dem Besitzer desselben Sinn für sein Glück.

Nichts hinderte uns, des Gesehenen im Nachgenuß uns zu erfreuen, denn öde und traurig war die Gegend bis Douglasmill, einem kleinen, elenden Neste; ebenso bis Elvanfoot, einem noch elenderen Winkel, und immer so weiter, bis wir gegen Abend in dem artigen Städtchen Moffat ankamen. Hier fanden wir eine freundliche Wirtin in einem sehr guten Gasthofe und ruhten aus von den Freuden und Leiden des vergangenen Tages.

Moffat ist ein kleiner, von den Schotten häufig besuchter Badeort; die hiesigen Heilquellen werden für sehr wirksam gehalten, nur konnten wir nicht erfahren, für welche Gattung von Übeln sie eigentlich gebraucht werden. Für die Langeweile wohl nicht, wie so manche andere Bäder. Die Lage des Ortes ist angenehm, und das Städtchen selbst sieht sehr freundlich aus; aber wir bemerkten keine Anstalten zu den hergebrachten Badelustbarkeiten, weder zu Assembleen, noch zu Bällen, noch zu Schauspielen, und schlossen daraus, daß wohl nur Kranke herkommen, denn für körperlich Gesunde scheint nicht gesorgt zu sein.

Über Lockerbie kamen wir den folgenden Tag nach Gretna Green, einem kleinen Dorfe, dem letzten auf der schottischen Grenze. Unbedeutend, wie es aussieht, ist es dennoch ein Ort von großer Wichtigkeit. Hunderte bereuen es lebenslang, sich einmal unbesonnen hingewagt zu haben. Gretna Green ist der Schrecken aller Eltern, Vormünder, Onkel und Tanten in England, die reiche oder schöne Mädchen zu hüten haben; der Trost und die Hoffnung aller Misses, die in Pensionen sich Kopf und Herz mit Romanlektüre anfüllen, der Hafen, nach welchem alle Glücksritter zusteuern, die besonders aus Irland mit leerem Beutel und vakanten Herzen nach Bristol, Bath, auch wohl nach London kommen, um mit Hilfe des kleinen blinden Gottes und seines oft noch blinderen Bruders endlich ein solides Glück zu machen.

In Gretna Green wohnt nämlich der alte berühmte Hufschmied, der die unauflöslichsten Ketten schmiedet. Er ist dort Friedensrichter, und dies Amt macht ihn zu einer sehr wichtigen Person. Denn in Schottland braucht es zu einer ganz legalen Trauung keines Aufgebots, keiner Einwilligung der Eltern, keines Priesters. Das liebende Paar geht zum ersten besten Friedensrichter, versichert, es sei frei und ledig, auch nicht in verbotenem Grade verwandt, und wird von ihm ohne weitere Umstände getraut. Diese Trauung ist so gültig und vor allen britischen Tribunalen so unauflöslich, al wäre sie von dem ersten Bischof im Lande vollzogen. Wer also in England, wo andere Gesetze gelten, ein von irgend einem widerwärtigen Argus bewachtes Liebchen hat, der nimmt die erste Gelegenheit wahr, packt es in eine Chaise, mit vier raschen Pferden bespannt, und galoppiert damit fort, nach Gretna Green, dem nächsten schottischen Grenzorte, wo oben erwähnter Hufschmied Tag und Nacht bereit ist, sein Amt um ein Billiges zu verwalten.

Im Gasthofe, wo wir abstiegen, wollte die Wirtin nicht gern von diesen Dingen sprechen, kaum, daß sie uns das Haus des Hufschmieds von weitem zeigte; gern hätte sie alles abgeleugnet, aber Mauern und Fenstern sprachen von diesem Geheimnisse in ihrem Hause. Alles ist mit Inschriften und Namenszügen glücklicher Paare angefüllt, die ihrem wonnevollen Herzen Luft machten und leblosen Gegenständen ihre süßen, freudigen Gefühle anvertrauten.

Dem Hufschmiede war gar nicht Rede abzugewinnen; er sah wohl, bei uns war nichts zu verdienen; von anderen Einwohnern aber hörten wir, daß Gretna Green ein gar gut besuchter Ort ist, und oft mehrere Paare in einem Tag anlangen.

Auffallend war uns, die erste Tagesreise hinter Gretna Green auf englischem Boden, daß man uns nirgends anhielt, um Wegegeld zu fordern; alle Schlagbäume flogen gleich auf, und die Zöllner kamen sehr gefällig in die Gasthöfe, wo wir Pferde wechselten, das Geld zu holen. Alles scheint in dieser Gegend stillschweigend vereinigt, den Flüchtlingen [Fußnote: England hatte nach der Revolution in Frankreich viele Flüchtlinge aufgenommen] hilfreiche Hand zu leisten.

 

Reiseberichte