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Nordfahrt von Kamtschatka aus in die Bering-Straße


Sankt-Laurenz-Insel. Kotzebues-Sund. Sankt-Laurenz-Bucht im Lande der Tschuktschi. Unalaschka

»Zur Erforschung einer nordöstlichen Durchfahrt« sind Worte, die die »Entdeckungsreise von Otto von Kotzebue in die Südsee und nach der Berings-Straße« an der Stirne trägt. Nun aber segeln wir nach Norden, der Berings-Straße zu, und es dünkt mich an der Zeit zu sein, euch, die ihr mir bis jetzt auf gut Glück gefolgt seid, ohne zu wissen, wohin die Reise ging und was sie beabsichtigte, nachträglich über den Hauptzweck derselben und den Plan, nach welchem er verfolgt werden sollte, die Aufklärungen zu geben, die ich selber nur nach und nach erhalten hatte. Die Sommerkampagne 1816 sollte einer bloßen Rekognoszierung gewidmet sein. Ein Hafen, ein sicherer Ankerplatz für das Schiff, sollte in Norton-Sound oder, noch besser, im Norden der Straße aufgefunden werden, von wo aus mit Baidaren und Aleuten [Fußnote], diesen Amphibien dieser Meere, den eigentlichen Zweck der Expedition anzugreifen der zweiten Sommerkampagne vorbehalten bliebe. Früh sollten wir dann in Unalaschka eintreffen, wo unsere Ausrüstung für das nächste Jahr von den Beamten der Russisch-Amerikanischen Kompanie beschafft werden sollte: Baidaren, Mannschaft, Mundvorrat für dieselbe und Dolmetscher, welche die Sprachen der nördlichen Eskimos verstünden. Diese Dolmetscher würden von Kodiak bezogen werden müssen, wohin von Unalaschka aus einen Boten auf dreisitziger Baidare die Küsten der Inseln und des festen Landes entlang zu senden je später im Jahre, desto fahrvoller und unzuverlässiger sei. Deshalb durften wir uns jetzt nicht verspäten. Die Zeit des nordischen Winters sollten wir dann in Sommerlanden verbringen, teils der Mannschaft die erforderliche Erholung gönnen, teils anderwärtigen geographischen Untersuchungen obliegen, dann im Frühjahr 1817, nach Unalaschka zurückkehrend, daselbst, was für unsre Nordfahrt vorbereitet worden, uns aneignen und, sobald das nordische Meer sich der Schiffahrt eröffnete, den »Rurik« in den vorbestimmten Hafen fahren, sichern und zurücklassen und mit Baidaren und Aleuten zur Erforschung einer nordöstlichen Durchfahrt so weit nach Norden und Osten zu Wasser oder zu Lande vordringen, als es uns ein gutes Glück gestattete. – Wenn die vorgerückte Jahreszeit oder die sonstigen Umstände unserer Unternehmung ein Ziel gesetzt, sollten wir die Rückfahrt über Kamtschatka antreten und auf der Heimkehr noch die fahrvolle Torres-Straße untersuchen. Wahrlich, es war zweckmäßig, zu Entdeckungen im Eismeer die Söhne des Nordens und ihre Fahrzeuge zu gebrauchen. Nur mißlich war es, die ganze Hoffnung des Gedeihens auf den einzigen Wurf nur einer Kampagne zu setzen, die ein ungünstiges Jahr vereiteln konnte. Aber mit Beharrlichkeit möchten am füglichsten von Unalaschka aus durch Aleuten und wenige rüstige, abgehärtete Seemänner, welche nur die erforderlichen Ortsbestimmungen vorzunehmen befähigt wären, die letzten Fragen zu lösen sein, welche die Geographie dieser Meer- und Küstenstriche noch darbietet.

Die Sommerkampagne 1816, deren Ergebnis in der Karte vorliegt, die Herr von Kotzebue von dem nach ihm benannten Sunde mitteilt, hat, was von ihr erwartet werden konnte, auf das befriedigendste geleistet. Der Kotzebues-Sund, ein tiefer Meerbusen, der im Norden der Straße unter dem Polarkreise in die amerikanische Küste eindringt und dessen Hintergrund beiläufig einen Grad nördlicher und unter gleicher Länge liegt als der Hintergrund von Norton-Sound, bietet den Schiffen im Schutze der Chamisso-Insel den sichersten Ankerplatz und den vortrefflichsten Hafen dar. Herr von Kotzebue hat im Jahre 1817 darauf verzichtet, Vorteil von seiner Entdeckung zu ziehen, um weiteren Entdeckungen in das Eismeer entgegenzusehen. Was der Romanzowschen Expedition aufgegeben war, ist seither von den Engländern verfolgt worden, und Kapitän Beechey mit dem »Blossom« hat in den Jahren 1826 und 1827 von diesem selben Hafen aus einen Teil der amerikanischen Küste im Eismeer aufgenommen.

Ich kehre zu unserer Nordfahrt zurück. Ihr Zweck war die Geographie. Wir haben zwar mit den Eingebornen, den Bewohnern der Sankt-Laurenz-Insel, den Eskimos der amerikanischen Küste, den Tschuktschi der asiatischen, häufig verkehrt; doch haben wir mit und unter ihnen nicht gelebt. Die Karte und der Bericht von Herrn von Kotzebue, das Zeichenbuch des Malers, das er in seinem »Voyage pittoresque« offenhält, werden belehrender sein als mein dürftiges Tagebuch. Übrigens, was ich über diese Völker mongolischer Rasse zu sagen gewußt, habe ich am Schlusse des Aufsatzes, den ich den Nordlanden in meinen »Bemerkungen und Ansichten« gewidmet habe, in wenige Worte zusammengedrängt.

Am 17. Juli 1816 liefen wir aus der Bucht von Awatscha aus und hatten am 20. Ansicht von der Berings-Insel, deren westliches Ende sich mit sanften Hügeln und ruhigen Linien zum Meere senkt. Sie erschien uns im schönen Grün der Alpentriften; nur stellenweise lag Schnee.

Von der Berings-Insel richteten wir mit günstigem Winde unsern Kurs nach der Westspitze der Sankt-Laurenz-Insel. Wir waren in den dichtesten Nebel gehüllt; er zerteilte sich am 26. auf einen Augenblick; ein Berggipfel ward sichtbar; der Vorhang zog sich wieder zu. Wir lavierten in der gefährlichen Nähe des nicht gesehenen Landes.

An diesem Tage war die Erscheinung einer Ratte auf dem Verdeck ein besorgniserregendes Ereignis. Ratten sind auf einem Schiffe gar verderbliche Gäste, und ihrer Vermehrung ist nicht zu steuern. Wir hatten bis jetzt keine Ratten auf dem »Rurik« gehabt; war diese in Kamtschatka an unsern Bord gekommen, konnten auch mehrere schon in den untern Schiffsraum eingedrungen sein. Eine Rattenjagd ward auf dem Verdeck als ein sehr ernstes Geschäft angestellt, und drei Stück wurden erlegt. Es ist von da an keine mehr verspürt worden.

Am 27. steuerten wir auf das Land zu, das uns im heitersten Sonnenschein erschien, sowie wir in seiner Nähe aus der Nebeldecke des Meeres heraustreten. Zwei Boote wurden zu einer Landung ausgerüstet. Indem wir nach dem Ufer ruderten, begegneten wir einer Baidare mit zehn Eingebornen. Wir verkehrten mit ihnen, nicht ohne wechselseitig auf unserer Hut zu sein. »Tabak! Tabak!« war ihr lautes Begehren. Sie erhielten von uns das köstliche Kraut, folgten unsern Booten freundlich, fröhlich, vorsichtig und leisteten uns beim Landen in der Nähe ihrer Zelte hülfreiche Hand. Die hier am Strande aufgerichteten Zelte von Robben- und Walroßhäuten schienen Sommerwohnungen zu sein und die festen Wohnsitze der Menschen hinter dem Vorgebürge im Westen zu liegen. Von daher kam auch eine zweite Baidare herbei. Unser verständiger Aleut, der eine längere Zeit auf der amerikanischen Halbinsel Alaska zugebracht, fand die hiesige Völkerschaft den Sitten und der Sprache nach mit der dortigen verwandt und diente zu einem halben Dolmetscher. Während der Kapitän, der in ein Zelt geladen worden, den Umarmungen und Bestreichungen sowie der Bewirtung der freundlichen tranigen Leute, die er mit Tabak und Messern beschenkte, ausgesetzt blieb, bestieg ich allein und unbefährdet das felsige Hochufer und botanisierte. Selten hat mich eine Herborisation freudiger und wunderlichen angeregt. Es war die heimische Flora, die Flora der Hochalpen unserer Schweiz zunächst der Schneegrenze, mit dem ganzen Reichtum, mit der ganzen Fülle und Pracht ihrer dem Boden angedrückten Zwergpflanzen, denen sich nur wenige eigentümliche harmonisch und verwandt zugesellten. Ich fand auf der Höhe der Insel unter dem zertrümmerten Gesteine, das den Boden ausmacht, einen Menschenschädel, den ich, unter meinen Pflanzen sorgfältig verborgen, mitnahm. Ich habe das Glück gehabt, die reiche Schädelsammlung des Berliner Anatomischen Museums mit dreien, nicht leicht zu beschaffenden Exemplaren zu beschenken: diesem von der Sankt-Laurenz-Insel, einem Aleuten aus einem alten Grabmal auf Unalaschka und einem Eskimo aus den Gräbern der Bucht der Guten Hoffnung in Kotzebues-Sund. Von den dreien war nur der letztere schadhaft. Nur unter kriegerischen Völkern, die, wie die Nukahiwer, Menschenschädel ihren Siegestrophäen beizählen, können solche ein Gegenstand des Handels sein. Die mehrsten Menschen, wie auch unsere Nordländer, bestatten ihre Toten und halten die Gräber heilig. Der Reisende und Sammler kann nur durch einen seltenen glücklichen Zufall zu dem Besitze von Schädeln gelangen, die für die Geschichte der Menschenrassen von der höchsten Wichtigkeit sind.

Wir erreichten gegen zwei Uhr nachmittags das Schiff und verbrachten, in den tiefen Nebel wieder untergetaucht, noch den 28. und den Vormittag des 29. in der Nähe der Insel, um deren westliches Ende wir unsern Kurs nahmen. Am Abend des 28. hob sich die Nebeldecke, das Land ward sichtbar, und wir erhielten auf drei Baidaren einen zahlreichen Besuch der Eingebornen, in deren Führer der Kapitän seinen freundlichen Wirt vom vorigen Tage erkannte. Nach vorgegangener Umarmung und Reiben der Nasen aneinander wurden Geschenke und Gegengeschenke gewechselt, und ein lebhafter Tauschhandel begann. In kurzer Zeit waren wir alle und unsere Matrosen reichlich mit Kamlaiken versehen. Die Kamlaika ist das gegen Regen und Übergießen der Wellen schützende Oberkleid dieser Nordländer, ein Hemde mit Haube oder Kapuze, aus der feinen Darmhaut verschiedener Robben und Seetiere verfertigt; die Streifen, ring- oder spiralförmig, wasserdicht mit einem Faden von Flechsen von Seetieren aneinandergenäht; die Nähte zuweilen mit Federn von Seevögeln oder anderem verziert. Die gröbste Kamlaika muß für die geübteste Nähterin die Arbeit von mehreren, von vielen Tagen sein – sie wurden ohne Unterschied für wenige Blätter Tabak, soviel wie etwa ein Raucher in einem Vormittag aufrauchen könnte, freudig hingegeben.

Die sonderbare Sitte des Tabakrauchens, deren Ursprung zweifelhaft bleibt, ist aus Amerika zu uns herübergekommen, wo sie erst seit beiläufig anderthalb Jahrhunderten Anerkennung zu finden beginnt. Von uns verbreitet, ist sie unversehens zu der allgemeinsten Sitte der Menschen geworden. Gegen zwei, die von Brot sich ernähren, könnte man fünf zählen, welche diesem magischen Rauche Trost und Lust des Lebens verdanken. Alle Völker der Welt haben sich gleich begierig erwiesen, diesen Brauch sich anzueignen; die zierlichen, reinlichen Lotophagen der Südsee und die schmutzigen Ichthyophagen des Eismeeres. Wer den ihm einwohnenden Zauber nicht ahnet, möge den Eskimo seinen kleinen steinernen Pfeifenkopf mit dem kostbaren Kraut anfüllen sehen, das er sparsam halb mit Holzspänen vermischt hat; möge sehen, wie er ihn behutsam anzündet, begierig dann mit zugemachten Augen und langem, tiefem Zuge den Rauch in die Lungen einatmet und wieder gegen den Himmel ausbläst, während aller Augen auf ihm haften und der nächste schon die Hand ausstreckt, das Instrument zu empfangen, um auch einen Freudenzug auf gleiche Weise daraus zu schöpfen. Der Tabak ist bei uns hauptsächlich und in manchen Ländern Europas ausschließlich Genuß des gemeinen Volkes. – Ich habe immer nur mit Wehmut sehen können, daß grade der kleine Anteil von Glückseligkeit, welchen die dürftigere Klasse vor den begünstigteren vorausnimmt, mit der drückendsten Steuer belastet werde, und empörend ist es mir vorgekommen, daß, wie zum Beispiel in Frankreich, für das schwer erpreßte Geld die schlechteste Ware geliefert werde, die nur gedacht werden kann.

Wir hatten am 29. Ansicht vom Nordkap der Insel, einer steilen Felsklippe, an welcher sich eine Niederung anschließt, worauf Jurten der Eingebornen gleich Maulwurfshaufen erschienen, von den Hängeböden umstellt, auf denen, was aus dem Bereich der Hunde gehalten werden soll, verwahrt wird. Es stießen sogleich drei Baidaren vom Lande ab, jegliche mit beiläufig zehn Insulanern bemannt, die, bevor sie an das Schiff heranruderten, religiöse Bräuche vollbrachten. Sie sangen eine Zeitlang eine langsame Melodie; dann opferte einer aus ihrer Mitte einen schwarzen Hund, den er emporhielt, mit einem Messerstich schlachtete und in das Meer warf. Sie näherten sich erst nach dieser feierlichen Handlung, und etliche stiegen auf das Verdeck.

Am 30. erhellte sich das Wetter; wir sahen am Morgen die Kings-Insel; bald darauf das Kap Wales, die Gwozdews-Inseln – welche vier vereinzelt stehende Felsensäulen in der Mitte der Straße sind – und selbst die asiatische Küste. Cook hatte nur drei der vorerwähnten Felsen gesehen; der vierte, die Ratmanow-Insel von Kotzebue, ist eine neue Entdeckung von diesem. Wir fuhren durch die Straße, auf der amerikanischen Seite in einer Entfernung von beiläufig drei Meilen vom Ufer, nachmittag gegen die zweite Stunde.

Ich habe hier eine Frage zu beantworten, die in den Gedanken der Wissenschaft den unaufhaltsamen Fortschritt der Zeit und der Geschichte bezeichnet. – Ihr Starren, die ihr die Bewegung leugnet und unterschlagen wollt, seht, ihr selber, ihr schreitet vor. Eröffnet ihr nicht das Herz Europas nach allen Richtungen der Dampfschiffahrt, den Eisenbahnen, den telegraphischen Linien und verleihet dem sonst kriechenden Gedanken Flügel? Das ist der Geist der Zeit, der, mächtiger als ihr selbst, euch ergreift. – Gauß aus Göttingen zuerst fragte mich im Herbst 1828 zu Berlin, und die Frage ist seither wiederholt an mich gerichtet worden: ob es möglich sein werde oder nicht, die geodätischen Arbeiten und die Triangulierung von der asiatischen nach der amerikanischen Küste über die Straße hinaus fortzusetzen. Diese Frage muß ich einfach bejahend beantworten. Beide Pfeiler des Wassertores sind hohe Berge, die in Sicht voneinander liegen, steil vom Meer ansteigend auf der asiatischen Seite und auf der amerikanischen den Fuß von einer angeschlemmten Niederung umsäumt. Auf der asiatischen Seite hat das Meer die größere Tiefe und der Strom, der von Süden in die Straße mit einer Schnelligkeit von zwei bis drei Knoten hineinsetzt, die größere Gewalt. Wir sahen nur auf der asiatischen Seite häufige Walfische und unzählbare Herden von Walrossen. Die Berghäupter mögen wohl die Nebeldecke überragen, die im Sommer über dem Meere zu ruhen pflegt; aber es wird auch Tage geben, wie der 30. Juli 1816 einer war.

Als die Niederung der amerikanischen Küste sich über unsern Gesichtskreis zu erheben begann, schien ein Zauberer sie mit seinem Stabe berührt zu haben. Stark bewohnt, ist sie von Jurten übersäet, die von Gerüsten und Hängeböden umringt sind, deren Pfeiler, Walfischknochen oder angeschlemmte Baumstämme, die Böden, die sie tragen, überragen. Diese Gerüste nun erschienen zuerst am Horizonte im Spiele der Kimming (Mirage) durch ihr Spiegelbild verlängert und verändert. Wir hatten die Ansicht von einer unzählbaren Flotte, von einem Walde von Masten.

Wir verfolgten jenseit der Straße die Küste nach Ostnordost in möglichstes Nähe des Landes in fünf bis sieben Faden Tiefe. Das Land war bis auf wenige Punkte auf den Höhen des Innern frei von Schnee und begrünt. Wir ließen am Morgen des 31. die Anker vor einem Punkte fallen, wo das niedre Ufer sich außer Sicht verlor, als sei da die Mündung eines Flusses oder der Eingang eines Meerarmes. Wir landeten unserm Ankerplatz gegenüber und befanden uns auf einer schmalen, flachen Insel, die, wie die Barre eines Flusses, einen breiten, durch die Niedrung sich ergießenden Wasserstrom halb absperrte: die Sarytschews-Insel und die Schischmarew-Bucht von Kotzebues Karte. Die Tiefe in der Mitte der breiteren Nordwesteinfahrt betrug acht Faden, und der Strom setzte bei steigender Flut landeinwärts.

Auf der Insel Sarytschew umringten uns alle Täuschungen der Kimming. Ich sah eine Wasserfläche vor mir, in der sich ein niedriger Hügel spiegelte, welcher sich längs des jenseitigen Ufers hinzog. Ich ging auf dieses Wasser zu; es verschwand vor mir, und ich erreichte trocknen Fußes den Hügel. Wie ich ungefähr den halben Weg dahin zurückgelegt, war ich für Eschscholtz, der da zurückgeblieben war, von wo ich ausgegangen, bis auf den Kopf in die spiegelnde Luftschicht untergetaucht, und er hätte mich, so verkürzt, eher für einen Hund als für einen Menschen angesehen. Weiter vorschreitend dem Hügel zu, tauchte ich mehr und mehr aus derselben Schicht hervor, und ich erschien ihm, verlängert durch mein Spiegelbild, länger und länger, riesig, schmächtig.

Das Phänomen des Mirage zeigt sich übrigens auch auf den weiten Ebenen unserer Torfmoore, zum Beispiel bei Linum, wo ich es selbst beobachtet habe. Man sieht es in vertikaler Richtung und kann die Bedingungen, unter welchen es entsteht, an weiten, sonnenbeschienenen Mauerflächen (zum Beispiel an den Ringmauern Berlins außerhalb der Stadt nach Süden und Westen) am bequemsten studieren, wenn man allmählich das Auge bis dicht an die Mauer nähert. – Wenn sich das Land über den Horizont erhebt, wie sich der Seemann auszudrücken pflegt, ist die Linie, die für den Horizont gehalten wird, der näher dem Auge liegende Rand einer von der untern Schicht der Luft gebildeten Spiegelfläche; eine Linie, die wirklich tiefer als der sichtbare Horizont liegt. Ich glaube, daß diese Täuschung in manchen Fällen auf astronomische Beobachtungen Einfluß haben und in dieselben einen Irrtum von fünf und vielleicht mehreren Minuten bringen kann. – So müßte man dann den Mirage nebst der Deviation der Deklination der am Bord beobachteten Magnetnadel zu den Ursachen rechnen, die in den Polargegenden der Genauigkeit der astronomischen Beobachtungen und Küstenaufnahmen entgegenstehen. Die Deviation (vergleiche Flinders, Roß, Scoresby usw.) war schon zur Zeit unserer Reise zur Sprache gekommen. Ich glaube nicht, daß Herr von Kotzebue in dieser Hinsicht den Mirage oder die Deviation beachtet hat.

Wir waren bei Jurten gelandet, welche die Menschen verlassen hatten. Nur etliche Hunde waren zurückgeblieben. Wir benutzten die Gelegenheit, die festen Winterwohnsitze dieser Menschen kennenzulernen. Herr von Kotzebue hat, I, Seite 152, eine dieser Jurten beschrieben. Plan und Aufriß würden belehrender gewesen sein.

Eine Kammer von zehn Fuß ins Gevierte, die Wände sechs Fuß hoch, die Decke gewölbt, im Scheitelpunkt ein mit einer Blase verschlossenes viereckiges Fenster. Das Gebäude von Balken aufgeführt, die nach dem Innern abgeflacht. Der Tür gegenüber eine anderthalb Fuß erhöhte Pritsche als Schlafstelle, das Dritteil des Raumes einnehmend. Längs der Wände verschiedene leiterähnliche Hängeböden zur Aufstellung von Gerätschaften. Die Türe, eine runde Öffnung von anderthalb Fuß Durchmesser, in der Mitte der einen Wand. Maulwurfsgängen ähnliche, mit Holz belegte Stollen, die nur in einigen Teilen zum Aufrechtstehen erhöht sind, ziehen sich zwischen der innern Kammertür und dem äußeren Eingange, der, drei Fuß hoch und viereckig, sich zwischen zwei Erdwällen nach Südosten eröffnet. Aus dem Hauptgange führt ein Nebenzweig zu einer Grube, worin der Wintervorrat, fußgroße Speckstücke, verwahrt wird; dabei Siebe mit langem Stiele, um den Speck herauszuholen. Hauptgebäude und Zugänge von außen mit Erde überdeckt.

Während unsers Aufenthaltes auf der Insel fuhr eine Baidare der Eingeborenen unter Segel aus dem Meere zu dem Südwesteingange in die Bucht und kam uns landeinwärts im Osten aus dem Gesichte. Zwei Männer, jeder auf einsitziger Baidare, kamen vom festen Lande, uns zu beobachten, waren aber nicht heranzulocken.

Die einsitzige Baidare ist diesen Völkern, was dem Kosaken sein Pferd ist. Dieses Werkzeug ist eine schmale, lange, nach vorn lang zugespitzte Schwimmblase von Robbenhäuten, die auf ein leichtes hölzernes Geripp gespannt sind. In der Mitte ist eine runde Öffnung; der Mann sitzt mit ausgestreckten Füßen darin und ragt mit dem Körper daraus hervor. Er ist mit dem Schwimmwerkzeuge durch einen Schlauch von Kamlaikastoff verbunden, der, von gleicher Weite als die Öffnung, dieselbe umsäumt und den er um den eigenen Leib unter den Armen festschnürt. Sein leichtes Ruder in der Hand, seine Waffen vor sich, das Gleichgewicht wie ein Reiter haltend, fliegt er pfeilschnell über die bewegliche Fläche dahin. – Dieses bei verschiedenen Völkerschaften nur wenig verschieden gestaltete Werkzeug ist aus Reisebeschreibungen und Abbildungen genug bekannt, und es haben sich uns in den Hauptstädten Europas Eskimos damit gezeigt. – Die große Baidare hingegen, das Frauenboot, ist dem schweren Fuhrwerk zu vergleichen, das dem Zuge der Nomaden folgt.

Als wir gegen Abend wieder an das Schiff fuhren, ruderten uns drei Baidaren der Eingebornen nach, jede mit zehn Mann bemannt. Sie banden mit dem einen Boote an, welches zurückgeblieben war und worauf der Kapitän, der Leutnant Schischmarew und nur vier Matrosen sich befanden. Die Eskimos, welche das Feuergewehr nicht zu kennen schienen, nahmen eine drohende Stellung an, enthielten sich jedoch der Feindseligkeiten und folgten dem Boote bis an das Schiff, auf welches zu kommen sie sich nicht bereden ließen.

Wir folgten der immer niedern Küste in unveränderter Richtung, bis wir am 1. August gegen Mittag uns am Eingang eines weiten Meerbusens befanden. Das Land, dem wir folgten, verlor sich im Osten, und ein hohes Vorgebürge zeigte sich fern im Norden. Der Wind verließ uns; wir warfen die Anker; der Strom setzte stark in die Öffnung hinein. Die Ansicht der Dinge war vielversprechend. Wir konnten am Eingang eines Kanales sein, der das Land im Norden als eine Insel von dem Kontinente trennte und die fragliche Durchfahrt darböte. Um wenigstens einen Hügel zu besteigen und das Land von einem höheren Standpunkte zu erkunden, ließ Herr von Kotzebue ans Land fahren. Hier, auf dem Kap Espenberg seiner Karte, besuchten uns die Eingebornen in großer Anzahl. Sie zeigten sich, wie es wackern Männern geziemt, zum Kriege gerüstet, aber zum Frieden bereit. Ich glaube, daß es hier war, wo, bevor wir ihrer ansichtig geworden, ich, allein und ohne Waffen auf meine eigene Hand botanisierend, unversehens auf einen Trupp von beiläufig zwanzig Mann stieß. Da sie keinen Grund hatten, gegen mich, den einzelnen, auf ihrer Hut zu sein, nahten wir uns gleich als Freunde. Ich hatte als hier gültige Münze dreikantige Nadeln mit, wie man sie in Kopenhagen, dem Bedürfnisse dieses selben Menschenstammes angemessen, für den Handel mit Grönland vorfindet. – Das Öhr ist eine unnütze Zugabe; zum Gebrauche wird es abgebrochen und der Faden von Tierflechse an den Stahl angeklebt. – Ich zog meine Nadelbüchse heraus und beschenkte die Fremden, die sich in einen Halbkreis stellten, vom rechten Flügel anfangend, der Reihe nach jeden mit zwei Nadeln. Eine wertvolle Gabe. Ich bemerkte stillschweigend, daß einer der ersten, nachdem er das ihm Zugedachte empfangen, weiter unten in das Glied trat, wo ihm die andern Platz machten. Wie ich an ihn zum zweiten Male kam und er mir zum zweiten Male die Hand entgegenstreckte, gab ich ihm darein anstatt der erwarteten Nadeln unerwartet und aus aller Kraft einen recht schallenden Klaps. Ich hatte mich nicht verrechnet: alles lachte mit mir auf das lärmendste; und wann man zusammen gelacht hat, kann man getrost Hand in Hand gehen.

Mehrere Baidaren folgten uns an das Schiff, und da ward gehandelt und gescherzt. Den Handel scheinen sie wohl zu verstehen. Sie erhielten von uns Tabak und minder geschätzte Kleinigkeiten, Messer, Spiegel usw.; aber lange Messer, welche sie für ihre kostbaren Pelzwerke haben wollten, hatten wir ihnen nicht anzubieten. Wir erhandelten von ihnen elfenbeinerne Arbeiten, Tier- und Menschengestalten, verschiedene Werkzeuge, Zieraten usw.

Der Wind erhob sich gegen Abend aus Süden, und wir segelten nach Osten in die Straße hinein. Am Morgen des 2. hatten wir noch im Norden hohes Land, im Süden eine niedrige Küste und vor uns im Osten ein offenes Meer. Erst am Abend stiegen einzelne Landpunkte am Horizont herauf und vereinigten sich und zogen eine Kette zwischen beiden Küsten. Nur eine Stelle schien der Hoffnung noch Raum zu geben. Das Wetter ward uns ungünstig; wir fuhren erst am 3. August durch einen Kanal zwischen einem schmalen Vorgebürge des Landes im Norden und einer Insel und warfen an gesicherter Stelle die Anker. Die Ufer um uns waren Urgebürge; die Aussicht nur im Norden noch frei. Diese Stelle zu untersuchen, ward am 4. eine Exkursion mit Barkasse und Baidare unternommen, und bald schloß sich um uns eine Bucht, die nach Norden und Osten in angeschlemmtes Land eindringt; die Ufer abstürzig von beiläufig achtzig Fuß Höhe, die Rücken sanft wellenfaltig zu einer unabsehbaren nackten, torfbenarbten Ebene sich dehnend. Wir bivouakierten die Nacht unter der Baidare und kehrten am 5. bei ungünstigem Wetter zu dem Schiffe zurück. Die Hoffnung blieb noch, die Mündung eines Flusses zu entdecken. Am 7. ward eine zweite Exkursion nach der Bucht im Norden unternommen; am 8. schlug uns ein Sturm nach unserm Bivouak wieder zurück. An diesem Tage entdeckte Eschscholtz, der, während wir anderen weiterzudringen versuchten, westwärts längs des Ufers dem Urgebürge und dem Ankerplatze zu zurückging, die sogenannten Eisberge, denen die mit dem Norden und dem Reisen im Norden nicht Vertrauten fast zuviel Aufmerksamkeit geschenkt zu haben scheinen. Ich habe Beechey über dieses Eisufer sorgfältig gelesen und geprüft und kann doch nicht anders, als einfach bei der Ansicht beharren, die ich in meinen »Bemerkungen und Ansichten« ausgesprochen habe. Entweder war in den Jahren von 1816 bis 1826 die Zerstörung des Eisklintes schnell fortgeschritten und hatte die Grenze von der Eisformation und dem Sande erreicht, oder ihre Wirkung hatte die Verhältnisse, die uns noch deutlich waren, bemäntelt. Die ruhige Lagerung in waagerechten Schichten, die an der Eiswand deutlich zu erkennen war, läßt meines Erachtens die Vorstellung von Beechey nicht aufkommen. – Die Zeugnisse scheinen mir darüber übereinstimmend, daß in Asien und Amerika unter hohen Breiten das angeschlemmte Land nirgends im Sommer auftaut; daß, wo es untersucht worden, dasselbe bis zu einer großen Tiefe fest gefroren befunden worden ist und daß stellenweise das Eis, oft Überreste urweltlicher Tiere führend, als Gebirgsart und als ein Glied der angeschlemmten Formation vorkommt, mit vegetabilischer Erde überdeckt und gleich anderem Grunde begrünt. (Ausfluß der Lena und des Mackenzie River, Kotzebue-Sund.) Wo aber die Erde den alten Kern zutage zeigt, da mögen andere Temperaturverhältnisse stattfinden und unter gleichen Breiten mit der Eisformation Quellen anzutreffen sein.

Ich zweifle nicht, daß die Mammutzähne, die wir hier sammelten, aus dem Eise herrühren; die Wahrheit ist aber, daß die, welche uns in die Hände fielen, bereits von den Eingeborenen, auf deren Landungs- und Bivouakplatze wir selber bivouakierten, aufgelesen, geprüft und verworfen worden waren. Ist es aber das Eis, welches die Überbleibsel urzeitlicher Tiere führt, so möchte es älteren Ursprungs sein als der Sand, in dem ich nur Rentiergeweihe und häufiges Treibholz angetroffen habe, dem völlig gleich, das noch jetzt an den Strand ausgeworfen wird. Daß dieses Eisufer sich zwischen dem Urgebürge und dem Sande erstreckt, ist auch nicht zu übersehen.

Ich hatte mehrere Bruchstücke fossilen Elfenbeines gesammelt und sorgfältig beiseite gelegt: – damit wurde in der Nacht das Bivouakfeuer unterhalten. Ich mußte froh sein, nachträglich noch den Hauer, den Molarzahn und das Bruchstück zu finden, die ich dem Berliner Mineralogischen Museum verehrt habe. Schildwacht habe ich dabei stehen und selber die Last bis in das Boot tragen müssen. Jede Hülfe und selbst ein schützendes Wort wurde mir verweigert. Der Hauzahn, der mir einerseits zu dick und andererseits zu wenig gekrümmt schien, um dem Mammut anzugehören, ist doch von Cuvier in seinem großen Werke auf meine Zeichnung und Beschreibung hin dieser Art zugeschrieben worden.

Die Bucht, worin wir waren, erhielt den Namen Eschscholtz; die Insel, in deren Schutz der »Rurik« vor Anker lag, den meinen. (Sie ist in meinen »Bemerkungen und Ansichten« ungenannt.) Sowohl auf der sandigen Landzunge, auf welcher wir bivouakierten, als auf der urfelsigen Insel war die Variation der Magnetnadel durchaus unregelmäßig.

Auf Exkursionen wie diese hatte meine Sekundenuhr von Schunigk zu Berlin die Ehre, Chronometerdienst zu tun; selbst ihrer nicht bedürftig, hatte ich sie dem Kapitän zum Gebrauch ganz überlassen. Nach zweitägigem Bivouak, wobei uns das englische Patentfleisch (frisches Fleisch und Brühe in Blechkasten eingefüllt, die ohne leeren Raum zugelötet sind) sehr guten Dienst geleistet hatte, kehrten wir am dritten Tage, am 9. August morgens, zu dem Schiffe zurück. Während unserer Abwesenheit hatten uns die Eingeborenen auf zwei Baidaren einen Besuch zugedacht, der aber nach dem Befehl des Kapitäns nicht angenommen worden war. Der Hintergrund von Kotzebues-Sund ist unbewohnt, und man findet an dessen Ufern nur Landungs- und Bivouakplätze der Eingeborenen. Ein solcher findet sich zum Beispiel auf der Chamissos-Insel und ein anderer bei den Eisbergen der Eschscholtz-Bucht; diesen besuchen sie vielleicht hauptsächlich nur, um Elfenbein zu sammeln.

Es regnete am 10. August; nachmittags klärte sich das Wetter auf, und wir gingen unter Segel. Es blieb uns ein Teil der südlichen Küste zu untersuchen. Wir warfen die Anker, als es dunkelte, und wurden von Eingeborenen besucht. Wir nahten uns am 11. einem hohen Vorgebürge – das Kap »Betrug« der Karte –; von welchem aus etliche Baidaren an uns ruderten. Zwischen diesem Vorgebürge und dem nördlich von ihm liegenden Kap Espenberg fand sich die niedrige Küste von einer weiten Bucht ausgerandet. Die Tiefe des Wassers nahm ab; wir warfen die Anker und trafen sogleich Anstalten, ans Land zu fahren. Dort ließ sich die Mündung eines Flusses erwarten. – Es war schon spät am Nachmittag; ein dichter Nebel überfiel uns und zwang uns, an das Schiff zurückzukehren. Wir bewerkstelligten am 12. früh die beabsichtigte Landung, aber die stark abnehmende Tiefe des Wassers erlaubte uns nur, auf einem sehr entfernten Punkte, beiläufig sechs Meilen vom Schiffe, anzufahren. Ein Kanal, der sich durch die Niederung schlängelt, ins Meer mündet und in welchen der Strom landeinwärts hineinzusetzen scheint, beschäftigte den Kapitän. Ich fand ihn, wie ich von einer botanischen Exkursion zurückkehrte, mit einem Eingeborenen, von dem er einige Auskunft über die Richtung und Beschaffenheit jenes Stromes zu erhalten sich bemühte. Dieser Mann, der mit seiner Familie allein sein Zelt hier aufgeschlagen hatte, war mit seinem Knaben, kampffertig, den Pfeil auf dem Bogen, dem Kapitän entgegengetreten, als sich dieser mit vier Mann Begleitung gezeigt. Er hatte sich entschlossen, mutig und klug benommen, wie einem tapfern Mann gegen Fremde geziemt, die ihm an Kraft überlegen sind und deren Gesinnung er verdächtigen muß. Der Kapitän, indem er seine Begleiter entfernte und allein und ohne Waffen auf ihn zuging, hatte den Mann beschwichtigt, und Geschenke hatten den Frieden besiegelt. Der Eskimo hatte ihn gastlich unter seinem Zelte aufgenommen, wo er sein Weib und zwei Kinder hatte; doch schien ihm nicht heimlich bei den zudringlichen Fremden zu werden. Ich maßte mir auch hier mein altes Dolmetscheramt an; ich stellte mich pantomimisch, als ruderte ich den Strom landeinwärts, und fragte den Freund mit Blick und Hand: wohin? und wann? Er faßte sogleich die Frage und beantwortete sie sehr verständig: »Während neun Sonnen rudern, während neun Nächte schlafen, Land zur Rechten, Land zur Linken; – dann freier Horizont, freies Meer, kein Land in Sicht.« – Ein Blick auf die Karte berechtigt zu der Vermutung, daß dieser Kanal, mit dem sich der Strom der Schischmarew-Bucht vereinigen mag, nach dem Norton-Sound führen kann.

Sobald es unserm Freunde gelang, von uns abzukommen, brach er sein Zelt ab und zog mit seiner Familie an das entgegengesetzte Ufer. Wir aber richteten uns für die Nacht ein, am Fuß eines Hügels zu bivouakieren, der mit Grabmälern der Eingeborenen gekrönt war. Die Toten liegen über der Erde, mit Treibholz überdeckt und vor den Raubtieren geschätzt; etliche Pfosten ragen umher, an denen Ruder und andere Zeichen hangen. Unsere habsüchtige Neugierde hat diese Grabmäler durchwühlt; die Schädel sind daraus entwendet worden. Was der Naturforscher sammelte, wollte der Maler, wollte jeder auch für sich sammeln. Alle Gerätschaften, welche die Hinterbliebenen ihren Toten mitgegeben, sind gesucht und aufgelesen worden; endlich sind unsere Matrosen, um das Feuer unseres Bivouak zu unterhalten, dahin nach Holz gegangen und haben die Monumente zerstört. – Es wurde zu spät bemerkt, was besser unterblieben wäre. Ich klage uns darob nicht an; wahrlich, wir waren alle des menschenfreundlichsten Sinnes, und ich glaube nicht, daß Europäer sich gegen fremde Völker, gegen »Wilde« (Herr von Kotzebue nennt auch die Eskimos »Wilde«) musterhafter betragen können, als wir allerorten getan; namentlich unsere Matrosen verdienen in vollem Maße das Lob, das ihnen der Kapitän auch gibt. – Aber hätte dieses Volk um die geschändeten Gräber seiner Toten zu den Waffen gegriffen: wer mochte da die Schuld des vergossenen Blutes tragen?

Die Ankunft einer zahlreichen Schar Amerikaner, die von der Gegend des Kap Betruges auf acht Baidaren anlangten und ihr Bivouak uns gegenüber aufschlugen, beunruhigte uns während der Nacht. Ihre Übermacht gebot Vorsicht; wir hatten Wachen ausgestellt und die Gewehre geladen. Wir nahmen gegen sie die Stellung an, in der sich kurz zuvor einer von ihnen gegen uns gezeigt hatte. Einem lästigen Besuch auszuweichen, ließ der Kapitän noch bei Nacht das Bivouak abbrechen und zu den Rudern greifen. Aber es war die Zeit der Ebbe, und das Meer brandete über Untiefen, die wir bei hoher Flut nicht bemerkt hatten. Der Kapitän scheint unsere Lage für sehr mißlich gehalten zu haben. »Ich sah keinen Ausweg, dem Tode zu entrinnen«, das sind seine Worte. Ich war freilich auf der Baidare, die nur geringerer Gefahr ausgesetzt gewesen sein mag. Indes setzte der anbrechende Tag unserer Verlegenheit ein Ziel, und wir erreichten, nicht ohne große Anstrengung von seiten der Matrosen, wohlbehalten das Schiff.

Wir lichteten am 13. August die Anker, nachdem wir noch den Besuch von zwei Baidaren der Eingebornen empfangen. Wir näherten uns dem hohen Vorgebirge, das auf der Nordseite den Eingang des Sundes begrenzt. Eine wohlbewohnte Niederung liegt vor dem Hochlande und vereinigt die Bergmassen, die von der See her als Inseln erscheinen mögen.

Der Hauptzweck unserer Sommerkampagne war befriedigend erreicht, und wir setzten hier unsern Entdeckungen ein Ziel. In die Nebel wieder eintauchend, durchkreuzten wir das nördlich der Straße belegene Meerbecken zu der asiatischen Küste hinüber, längs welcher wir hinausfahren wollten, um dann in die Sankt-Laurenz-Bucht im Lande der Tschuktschi einzulaufen. Wir hätten vielleicht die Zeit, die wir in der Sankt-Laurenz-Bucht verbracht, auf eine Rekognoszierung nach Norden anwenden können und sollen, welche Rekognoszierung bei günstigen Umständen erfolgreicher ausfallen konnte als bei ungünstigern die beabsichtigte zweite Kampagne.

Der Südwind blies fortwährend und verzögerte unsere Fahrt; die Tiefe des Wassers nahm zu, die Temperatur nahm ab, und auch das Meer ward in der Nähe der winterlichen asiatischen Küste kälter gefunden. Wir lavierten in der Nacht vom 18. zum 19. gegen Wind und Strom, um zwischen dem Ostkap und der Insel Ratmanow durch die Straße zu kommen; und am Morgen, als wir die Höhe der Sankt-Laurenz-Bucht erreicht zu haben meinten, waren wir noch am Ostkap und nicht vorgeschritten (dreißig Faden ist die größte Wassertiefe, die auf der Karte verzeichnet ist). Da ein Lichtblick durch die Nebel uns das Vorgebürge erblicken ließ, steuerten wir dahin, warfen gegen Mittag die Anker in dessen Nähe und fuhren sogleich in zwei Booten an das Land. Die Tschuktschi empfingen uns am Strande wie einen Staatsbesuch, freundschaftlich, aber mit einer Feierlichkeit, die uns alle Freiheit raubte. Sie ließen uns auf ausgebreitete Felle sitzen, aber luden uns in ihre Wohnungen nicht ein, die weiter zurück auf dem Hügel waren. Nach empfangenen Geschenken folgten uns ihrer etliche, und darunter die zwei Vornehmern, an das Schiff. Diese, bevor sie an Bord stiegen, schenkten dem Kapitän jeder einen Fuchspelz und kamen dann furchtlos mit ihrem Gefolge herauf. Herr von Kotzebue, der sie in seine Kajüte zog, wo ein großer Spiegel sich befand, bemerkt bei dieser Gelegenheit, »daß die nordischen Völker den Spiegel fürchten, die südlichen hingegen sich mit Wohlgefallen darin betrachten«.

Wir benutzten einen Hauch des Nordost, der sich am Nachmittag spüren ließ, um sogleich unter Segel zu gehen. Walrosse, die wir am vorigen Tage einzeln gesehen, bedeckten, wie wir das Ostkap umfuhren, in unzählbaren Herden das Meer und erfüllten die Luft mit ihrem Gebrüll; zahlreiche Walfische spielten umher und spritzten hohe Wasserstrahlen in die Höhe. Wir steuerten bei Regen und Nebel nach der Sankt-Laurenz-Bucht. Am 20. mittags, als wir eben vor dem Eingange derselben waren, klärte das Wetter sich auf, und wir ließen um drei Uhr die Anker hinter der kleinen sandigen Insel fallen, die den Hafen bildet.

Vom nächsten Ufer, auf welchem die Zelte der Tschuktschi den Rücken eines Hügels einnahmen, stießen zwei Baidaren ab, in deren jeder zehn Mann saßen. Sie näherten sich uns mit Gesang, hielten sich aber in einigem Abstande vom Schiffe, bis sie herbeigerufen wurden und dann ohne Furcht das Verdeck bestiegen. Wir trafen Anstalt, selber ans Land zu fahren, und unsere Gäste, mit unserer Freigebigkeit zufrieden, folgten uns. Sie ruderten auf ihren leichten Fahrzeugen viel schneller als unsere Boote und belustigten sich, unsere Matrosen vergeblich mit ihnen wetteifern zu sehen.

Moorgrund und Schneefelder in der Tiefe; wenige seltene Pflanzen, die den alpinischen Charakter im höchsten Maße tragen. Die Hügel und Abhänge zertrümmertes Gestein, worüber Felsenwände und Zinnen sich nackt und kahl erheben, schneebedeckt, wo nur der Schnee liegen kann. – Starres Winterland.


Tschuktschen vor ihren Wohnungen

Es waren zwölf der Zelte von Tierhäuten, groß und geräumig, wie wir noch keine gesehen. Ein alter Mann hatte Auctorität über die Völkerschaft. Er empfing aufs ehrenvollste den Gast, dessen Erscheinung ihm jedoch bedrohlich scheinen mochte. Die Tschuktschi sind in ihren Bergen ein unabhängiges Volk und nicht geknechtet. Sie anerkennen die Oberherrschaft Rußlands nur insofern, daß sie den Tribut auf den Marktplätzen bezahlen, wo sie zu wechselseitigem Vorteil mit den Russen handeln. Einer der aus Kamtschatka mitgenommenen Matrosen, der etwas Kariakisch sprach, machte sich hier notdürftig verständlich. Der Kapitän teilte Geschenke aus und weigerte sich, welche anzunehmen, was diesen Leuten seltsam bedünkte. Er wollte nur frisch Wasser und – etliche Rentiere. Rentiere wurden versprochen, aber sie aus dem Innern zu holen würde ein paar Tage Zeit kosten. Man schied zufrieden auseinander.

Ich kann einen Zug nicht unterschlagen, der mir zu dem Bilde dieser Nordländer bezeichnend zu gehören scheint und aus dem namentlich der Gegensatz hervorgeht, in welchem sie zu den anmutsvollen Polynesiern stehen. Einer der Wortführer bei der vorerwähnten wichtigen Konferenz, während er vor dem Kapitän stehend mit ihm sprach, spreizte, unbeschadet der Ehrfurcht, die Beine auseinander und schlug unter seiner Parka sein Wasser ab.

Alle Anstalten waren getroffen, um am andern Tage eine Fahrt in Booten nach dem Hintergrunde der Bucht zu unternehmen. Das Wetter war am 21. ungünstig, und die Partie ward ausgesetzt. Die Tschuktschi aus Nuniago in der Metschigmenskischen Bucht (wo einst Cook gelandet) kamen auf sechs Baidaren, uns zu besuchen. Sie ruderten singend um das Schiff, an dessen Bord sie dann zutraulich stiegen. Sie stifteten Freundschaft mit den Matrosen, und ein Glas Branntwein erhöhte ihre Fröhlichkeit. Sie bezogen Bivouak am Strande, wo wir sie am Nachmittag besuchten und ihren Tänzen zusahen, die für uns wenig Reiz hatten.

Wir vollführten am 22. und 23. August mit Barkasse und Baidare die beabsichtigte Exkursion, deren Ergebnis in die Karte von Herrn von Kotzebue niedergelegt ist. Das Innere der Bucht ist unbewohnt. Am Ufer, wo wir am ersten Tage Mittagsrast hielten, erhielten wir etliche Wasservögel und zwei frisch getötete Robben von tschuktschischen Jägern, die anfangs die Flucht vor uns ergreifen wollten, aber durch unsere Geschenke uns zu Freunden wurden. Die Vögel versorgten unsern Tisch; die Robben ließen wir liegen, um sie am andern Tage an Bord zu nehmen. Da sie aber während der Nacht, wahrscheinlich von Füchsen, angefressen worden, verschmähten wir sie ganz. Im Hintergrunde der Bucht, wo wir unser Bivouak aufschlugen, hatte sich die Ansicht des Landes und der Vegetation nicht verändert. Die Weiden erhoben sich kaum etliche Zoll über den Boden. Die Felsen um uns waren von weißem, kristallinischem Marmor. Es fror Eis während der Nacht.

Gegen Mittag am Schiff angelangt, ward uns die Nachricht, daß unsere Rentiere angekommen. Wir fuhren ans Land, sie in Empfang zu nehmen. Etliche waren geschlachtet, die andern ließen wir vor unsern Augen schlachten. Das Renfleisch ist wirklich eine ganz vorzügliche Speise; aber wie köstlich schmeckt es nicht, wenn man eine lange Zeit hindurch zur Abwechslung vom alten Salzfleisch nur tranige Wasservögel oder ähnliches gekostet hat! Ich vergaß unsere Robben, die des Bisses eines Fuchses halber verworfen zu haben mir eine vorurteilsvolle, sträfliche Verschwendung geschienen hatte. Die Tschuktschi zerlegten in diesen Tagen einen Walfisch auf der sandigen Insel; sie boten uns Speckstücke an, aber wir begnügten uns mit unserm Renfleische.

Am Abend besuchten uns noch neue Ankömmlinge. Auf einer der Baidaren befand sich ein Knabe, dessen possenhaftes Mienenspiel mit etlichen Tabaksblättern belohnt wurde. Ermutigt durch den Erfolg, war er an Affenstreichen unerschöpflich, die er mit ursprünglicher Lustigkeit aufzuführen nicht ermüdete, immer neuen Lohn begehrend und einerntend. Das Lachen ist auch unter diesem Himmel, wie Rabelais treffend sagt, das Eigentümliche des Menschen, wenn nämlich der Mensch noch unabhängig seiner angebornen Freiheit sich erfreut. Wir werden bald auf Unalaschka die nächsten Verwandten dieser fröhlichen Nordländer antreffen, die das Lachen gänzlich verlernt haben. Ich habe sehr verschiedene Zustände der Gesellschaft kennengelernt und unter verschiedenen Gestaltungen derselben gelebt; ich habe Nachbarvölker gleiches Stammes gesehen, von denen diese frei und jene hörig genannt werden konnten: ich habe nimmer den Despotismus zu loben einen Grund gefunden. Freilich bedingt ein Freibrief, ein Blatt Papier, noch nicht allein die Freiheit und ihren Preis, und das Schwierigste, was ich weiß, ist der Übergang von der anerzogenen Hörigkeit zu dem Genuß der Selbständigkeit und Freiheit.

Wir wollten am 25. August unter Segel gehen; ungünstige Winde, Windstillen und Stürme hielten uns bis zum 29. im Hafen. Es ereignete sich am 28., daß einer der hier bivouakierenden Fremden Gewalt gegen einen unserer Matrosen brauchte und ihm mit gezücktem Messer eine Schere entriß. Einer der ansässigen Tschuktschi sprang schnell hinzu und ergriff den Täter, den, als die Sache zur Sprache kam, sein Chef bereits bestraft hatte. Er wurde dem Kapitän gezeigt, wie er büßend in engem Kreise unablässig in gleicher Richtung gleich einem Manegepferd laufen mußte; und der Vorfall hatte keine anderen Folgen, als uns zu zeigen, daß unter diesem Volke eine gute Polizei gehandhabt werde.

Wir liefen am 29. August 1816 frühmorgens aus der Sankt-Laurenz-Bucht aus und erduldeten am selben Abend einen sehr heftigen Sturm. Wir richteten unsern Lauf nach der Ostseite der Sankt-Laurenz-Insel, die der Kapitän aufnehmen wollte. Die Nebel vereitelten seine Absicht, und wir segelten am 31. vorüber, ohne Ansicht vom Lande zu haben. Untiefen machen die Fahrt auf der amerikanischen Seite dieses Meerbeckens gefährlich. – Wir steuerten nun nach Unalaschka. Am 2. September hatten wir den in diesen Meerstrichen seltenen Anblick der aufgehenden Sonne. Am 3. kam ein kleiner Landvogel (eine Fringilla) auf das Schiff, und ein Wasservogel (ein Colymbus) lieferte sich uns in die Hände und ließ sich greifen. Nachmittags ward vom Mastkorb die Insel Sankt Paul fern im Westen gesehen, und wir fuhren am Morgen des 4. an Sankt George vorüber, die uns ebenfalls im Westen blieb. Uns erfreute unerwartet an diesem Tage der Anblick eines Schiffes. Wir holten es ein und sprachen mit ihm. Es war ein Scunner der Russisch-Amerikanischen Kompanie, der Pelzwerke von Sankt Paul und Sankt George geholt hatte und nach Sitcha bestimmt war. Wir machten den Weg zusammen nach Unalaschka. Die Nacht war stürmisch und dunkel, und dabei leuchtete das Meer, wie ich es kaum schöner zwischen den Wendezirkeln gesehen. An den vom Kamm der Wellen bespritzten Segeln hafteten die Lichtfunken. Am Morgen des 5. waren wir in Nebel gehüllt und das andere Schiff nicht mehr zu sehen. Wir wußten uns in der Nähe des Landes und konnten es nicht sehen und konnten uns auf unsere Schiffrechnung nicht verlassen. Nachmittags wallte der Schleier auf einen Augenblick auf; wir sahen ein hohes Land, und sogleich war es wieder verschwunden. Wir lavierten die Nacht hindurch.

Am Morgen des 6. Septembers hatten wir ein herrliches Schauspiel. Ein dunkler Himmel überhing das Meer, die hohen zerrissenen, schneebedeckten Zinnen von Unalaschka prangten, von der Sonne beschienen, in roter Glut. Wir mußten den ganzen Tag im Angesichte des Landes gegen den widrigen Wind ankämpfen. Unendliche Flüge von Wasservögeln, die niedrig über dem Wasserspiegel schwebten, glichen von fern niedrigen schwimmenden Inseln. Zahlreiche Walfische spielten um unser Schiff und spritzten in allen Richtungen des Gesichtskreises hohe Wasserstrahlen in die Luft.

Diese Walfische rufen mir ins Gedächtnis, was ich einst von einem genialen Naturforscher ins Gespräch werfen hörte. Der nächste Schritt, der getan werden muß, der viel näher liegt und viel weiter führen wird als die Dampfmaschine mit dem Dampfschiffe, diesem ersten warmblütigen Tiere, das aus den Händen der Menschen hervorgegangen ist – der nächste Schritt ist, den Walfisch zu zähmen. Worin liegt denn die Aufgabe? Ihn das Untertauchen verlernen zu lassen! Habt ihr je einen Flug wilder Gänse ziehen sehen; und ein altes Weib gesehen, mit einer Gerte in der zitternden Hand ein halb Tausend dieser Hochsegler der Lüfte auf einem Brachfeld treiben und regieren? Ihr habt es gesehen und euch über das Wunder nicht entsetzt; was stutzt ihr denn bei dem Vorschlag, den Walfisch zu zähmen? Erziehet Junge in einem Fjord, ziehet ihnen einen von Schwimmblasen getragenen Stachelgurt unter die Brustflossen, stellt Versuche an! Wahrlich, beide Meere zu vereinigen und die Entfernung zwischen Archangel und Sankt Peter und Paul auf acht bis vierzehn Tage Zeit zu verringern ist wohl des Versuchens wert. – Ob übrigens der Walfisch ziehen oder tragen soll, ob und wie man ihn anspannt oder belastet, wie man ihn zäumt oder sonst regiert und wer der Kornak des Wasserelefanten sein soll, das alles findet sich von selbst.

Am 7. September 1816 brachte uns ein günstiger, aber schwacher Wind in den Eingang der Bucht, woselbst er uns zwischen den hohen Bergen der Insel plötzlich gebrach, so daß wir uns in einer ziemlich hülflosen Lage befanden, da dort kein Anker den Grund findet. Aber der Agent der Kompanie, Herr Kriukow, kam uns mit fünf zwanzigruderigen Baidaren entgegen und bugsierte uns in den Hafen. Wir ließen um ein Uhr die Anker vor Illiuliuk, der Hauptansiedelung, fallen. Das Dampfbad war vorsorglich für uns geheizt.

Herr Kriukow, verpflichtet durch den Befehl der Direktoren der Kompanie in Sankt Petersburg, die Forderungen des Herrn von Kotzebue zu erfüllen, war in allem gegen ihn von einer unterwürfigen Zuvorkommenheit. Von den wenigen Rindern, die auf der Insel sind, wurde sogleich eines für uns geschlachtet, und unsere Mannschaft ward mit frischem Fleische, Kartoffeln und Rüben versorgt, dem einzigen Gemüse, das hier gebaut wird.

Die Forderungen des Herrn von Kotzebue bestanden in folgendem: eine Baidare von vierundzwanzig Rudern, zwei einsitzige und zwei dreisitzige Baidaren verfertigen zu lassen; fünfzehn gesunde, starke Aleuten mit ihrer ganzen Ammunition für das nächste Frühjahr bereitzuhalten; Kamlaikas von Seelöwenhälsen für die sämtliche Mannschaft bis zu derselben Zeit zu beschaffen und sogleich einen Boten nach Kodiak abzufertigen, um dort durch den Agenten der Amerikanischen Kompanie einen Dolmetscher zu erhalten, der die an der nördlicheren Küste Amerikas gesprochene Sprache verstünde und übersetzen könnte. Die gefahrvolle Sendung zu übernehmen, fanden sich drei entschlossene Aleuten bereit.

Die dreisitzige Baidare ist nach dem Muster der einsitzigen gebaut, nur verhältnismäßig länger und mit drei Sitzlöchern versehen. Darin läßt sich ein Europäer, der in Aleutentracht mit Kamlaika und Augenschirm (gegen das Bespritzen der Wellen) den mittleren Sitz einnimmt, von zwei Aleuten fahren. Ich selber habe mich an einem schönen Sonntagsmorgen im Hafen von Portsmouth zur unendlichen Lust der Engländer auf die Weise in einer solchen Baidare fahren lassen.

Am 8. September morgens lief der »Tschirik«, der Scunner, den wir zur See gesehen, in den Hafen ein. Ein Preuße aus der Gegend von Danzig, Herr Binzemann, war Kapitän desselben.

Ein Preuße, der Kapitän eines zwischen Unalaschka und Sitcha fahrenden Scunners der Russisch-Amerikanischen Kompanie geworden ist, hat in der weiten Welt wohl manches erduldet und erlebt, wovon einer nichts träumt, der in seinem Leben nicht weiter gekommen als etwa von den unteren Bänken der Schule bis auf das Katheder. Herr Binzemann hatte nur ein Bein; das andere war ihm auf einem Schiffe, das er kommandierte, durch das Platzen einer Kanone zerschmettert worden. Er, der als Kapitän auch Schiffsarzt an seinem Borde war, ließ sich das nur noch an einigem Fleische hängende Glied von einem Matrosen mit dem Messer abkappen und verband sich dann den Stummel mit einem Pflaster von – spanischen Fliegen!! Diese improvisierte Kurmethode eines ohne Unterbindung der Arterien amputierten Gliedes ward durch den besten Erfolg gekrönt, und die Heilung ließ nichts zu wünschen übrig. Ich habe diese Geschichte hier aufzuzeichnen mich nicht erwehren können, weil dieselbe nebst den Berichten, die uns Mariner von den chirurgischen Operationen der Tonga-Insulaner mitteilt, die Ehrfurcht, die ich für die Chirurgie als den sehenden Teil der Heilkunde von jeher gehegt, zu erschüttern beigetragen hat.

Es ist uns ein längerer Aufenthalt auf dieser traurigen Insel verhängt. Nach einem flüchtigen Blick auf das Elend der geknechteten, verarmten Aleuten und auf ihre selbst unterdrückten Unterdrücker, die hiesigen Russen, verbrachte ich die Tage auf den Höhen schweifend, welche die Ansiedelung bekränzen, und ließ die anziehenden Gaben der Flora mich von den Menschen ablenken. Eschscholtz herborisierte seinerseits. Wir hatten erprobt, es sei besser, uns auf dem Lande zu trennen, da wir uns ohnehin auf dem Schiffe genugsam hatten.

Am 10. war das Fest des Kaisers, und ich borge zu dessen Beschreibung die Worte des Herrn von Kotzebue, I, Seite 167.

»Den 11. September. Zur Feier des Namenstages des Kaisers gab Herr Kriukow gestern der ganzen Equipage am Lande ein Mittagsmahl, und nachmittags begaben wir uns in eine große unterirdische Wohnung, wo eine Menge Aleuten zum Tanz versammelt waren. Ich glaube gewiß, daß ihre Spiele und Tänze in früherer Zeit, als sie noch im Besitz ihrer Freiheit waren, anders gewesen sind als jetzt, wo die Sklaverei sie beinahe zu Tieren herabgewürdigt hat und wo dieses Schauspiel weder erfreulich noch belustigend ist. Das Orchester bestand aus drei Aleuten mit Tamburins, womit sie eine einfache, traurige, nur drei Töne enthaltende Melodie begleiteten. Es erschien immer nur eine Tänzerin, welche ohne allen Ausdruck ein paar Sprünge machte und dann unter den Zuschauern verschwand. Der Anblick dieser Menschen, welche mit traurigen Gebärden vor mir herumspringen mußten, peinigte mich, und meine Matrosen, welche sich ebenfalls gedrückt fühlten, stimmten, um sich zu erheitern, ein fröhliches Lied an, wobei sich zwei von ihnen in die Mitte des Kreises stellten und einen Nationaltanz aufführten. Dieser rasche Übergang erfreute uns alle, und selbst in den Augen der Aleuten, welche bis jetzt mit gebückten Häuptern dagestanden, blitzte ein Strahl der Freude. Ein Diener der Amerikanischen Kompanie (Promischlenoi), welcher als rüstiger Jüngling sein russisches Vaterland verlassen und in dieser Gegend alt und grau geworden war, stürzte jetzt plötzlich zur Türe herein und rief mit gefalteten, zum Himmel erhobenen Händen: ›Das sind Russen, das sind Russen! O teures, geliebtes Vaterland!‹ Auf seinem ehrwürdigen Gesichte lag in diesem Augenblick der Ausdruck eines seligen Gefühles; Freudentränen benetzten seine bleichen, eingefallenen Wangen, und er verbarg sich, um seiner Wehmut sich zu überlassen. Der Auftritt erschütterte mich; ich versetzte mich lebhaft in die Lage des Alten, dem seine im Vaterlande glücklich verlebte Jugend jetzt in schmerzlicher Erinnerung vor die Seele trat. In der Hoffnung, im Schoße seiner Familie ein sorgenfreies Alter genießen zu können, war er hergekommen und mußte nun wie viele andere in dieser Wüste sein Leben enden.«

Die Russisch-Amerikanische Handelskompanie weiß durch Geldvorschüsse, die sie denen leistet, welche unternehmenden Geistes sich unter solchem Verhältnisse ihrem Dienste widmen, sie unter ihrem Joche zu erhalten. Dafür ist gesorgt, daß sie die Schuld zu tilgen nimmer vermögend werden, und, wie Friedrich vor seinem Militär gesagt haben soll: »Aus der Hölle gibt es keine Erlösung.«

Wir hatten Wasser eingenommen, die Arbeiten waren vollendet, und alles war am 13. September 1816 bereit, am andern Morgen mit Tagesanbruch die Anker zu lichten. Die Nacht brach ein, und Eschscholtz, der in die Berge botanisieren gegangen war, blieb aus und kam an das Schiff nicht zurück. Ich werde, sollte ich auch der Gefahr mich aussetzen, albern zu erscheinen, von der einzigen Begebenheit Meldung tun, wobei ich auf der ganzen Reise in Gefahr geschwebt zu haben mir bewußt bin. Kein Mensch hat Notiz davon genommen, kein Mensch hat es mir gedankt, und hier ist zum ersten Male die Rede davon. Der Kapitän beorderte mich mit etlichen Matrosen und Aleuten, den Doktor im Gebürge zu suchen, wo er sich beim Botanisieren verirrt haben mußte. Ich begehrte, daß uns ein paar Pistolen mitgegeben würden, um Signalschüsse machen zu können; es ward aber nicht beliebt. Ich führte meine Leute zu dem Absturz hin, der in den Bergkessel hinaufführte, den ich durchsuchen wollte. Die Matrosen meinten, man könne da nicht hinaufklettern. Als ich aber, der ich diesen Paß gut kannte, oben war, folgten mir alle, und wir erreichten von der innern Seite auf sanfterem Abhange die Felsenzinnen, deren Kamm ich verfolgen wollte. Da erscholl vom »Rurik« ein Kanonenschuß, der uns zurückrief. Ich überließ es nun meinen Aleuten, uns den richtigsten Weg von der Höhe, die wir erreicht hatten, zum Strande zu führen. Ich ward zu einer Schlucht geführt, die, vom schmelzenden Schneewasser eingerissen, von dem höchsten Felsenkamme, worauf wir standen, steil, fast senkrecht zum Meere abfiel. Ich nahm, wie sich's gebührt, die Vorhut, und einzeln, wie auf einer Leiter, folgten mir die andern nach; daß Steine rollten, war nicht zu vermeiden; wie in pechfinsterer Nacht ich und meine Leute, wir alle mit heiler Haut hinuntergekommen sind, habe ich später nicht begreifen können, wann ich zu dieser Schlucht hinaufgeschaut habe. Als ich mit den Matrosen am Bord anlangte, war der Doktor schon lange da, ich konnte ruhig zu Bette gehen; ich schlief noch, als wir den 14. September 1816 schon unter Segel waren.

 

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