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Reise von Plymouth nach Teneriffa


Wir segelten aus dem Sund von Plymouth den 4. Oktober 1815 gegen zehn Uhr des Morgens. Wir behielten günstigen Wind, aber die See ging von den vergangenen Stürmen noch hoch. Das Land blieb uns den Tag über im Angesicht. Wie ich am andern Morgen auf das Verdeck stieg und nach dem Kap Lizard rückblicken wollte, war es schon untergetaucht, und nichts war zu sehen als Himmel und Wellen. Die Heimat lag hinter uns, vor uns die Hoffnung.

Zu Anfang dieser Fahrt, und etwa bis zum 14. Oktober, litt ich an der Seekrankheit so anhaltend und schwer wie noch nicht zuvor. Ich erhielt jedoch meine Munterkeit und suchte mich zu beschäftigen. Ich las mit Martin Petrowitsch dänisch einen Aufzug von »Hakon Jarl« und ohne Hülfe weiter. Ich verdanke Oehlenschlägern manche Freuden und manchen Trost. »Correggio« hat mich immer bewegt, und Hakon Jarl, der abtrünnige Christ, der einzige gläubige Heide, der mir aus unsern Büchern lebendig entgegengetreten ist, hat mir immer Ehrfurcht eingeflößt.

Wir folgten mit meist günstigem Wind der großen Fahrstraße, die aus dem Kanal südwärts nach dem Mittelländischen Meer oder, dem Eingange desselben vorüber, nach beiden Indien führt. Selten verging ein Tag, ohne daß wir verschiedene Segel gesehen hätten, und vom Lande, dessen äußerste Vorsprünge uns beiläufig 300 Seemeilen im Osten blieben, kamen bei Nordwestwind und klarem Himmel häufige Boten zu uns herüber. Am 9. setzte sich eine kleine Lerche auf unser Schiff nieder, wo sie drei Tage lang der Gastfreundschaft genoß, die wir ihr gern angedeihen ließen; und drei Landvögel umflatterten uns an verschiedenen Tagen. Nirgends ist mir der Atlantische Ozean breit vorgekommen; ich habe mich immer auf einer vielbefahrenen Straße gefühlt, deren Ufer ich nicht zu sehen brauchte, um sie gleichsam zu spüren. Fast zu enge dünkten mir hingegen die bisher befahrenen Meere zu sein, deren Küstenfeuer man bei Nacht, wie die Laternen in einer Stadt, selten aus den Augen verliert und wo man andere Schiffe umzusegeln oder selbst umgesegelt zu werden befürchten muß. Das große, das ehrfurchtgebietende Schauspiel bot uns der Himmel in seinen Veränderungen dar. Hinter uns senkte sich der Polarstern; und der Große Bär, noch beim Homer άμμορος ωκεανοιο, unteilhaftig der Salzflut, tauchte seine Sterne nacheinander ins Meer; vor uns aber erhob sich der Vater des Lichtes und des Lebens.

Am 13. Oktober und den folgenden Tagen hatten wir in 39° 27' nördlicher Breite fast fünf Tage lang vollkommene Windstille. Das Meer ebnete sich zu einem glatten Spiegel, schlaff hingen die Segel von den Rahen, und keine Bewegung war zu spüren. Merkwürdig, daß auch dann Strömungen des Wassers unmerklich mit dem Schiffe spielten, das seine Richtung gegen die Sonne veränderte, so daß man auf dem Verdecke seinen eigenen Schlagschatten zu seinen Füßen kreisen und bald zu der einen, bald zu der andern Seite des Körpers fallen sah. So auch veränderte ein ausgesetztes Boot seine Lage gegen das Schiff und ward bald ihm näher gebracht, bald weiter von ihm entführt. Soll meine Phantasie ein Bild erschaffen, gräßlicher als der Sturm, der Schiffbruch, der Brand eines Schiffes zur See, so bannt sie auf hoher See ein Schiff in eine Windstille, die keine Hoffnung, daß sie aufhören werde, zuläßt.

Die Windstille übrigens ruft zu einer neuen Tätigkeit den Naturforscher auf, der bei günstigem Winde müßig, den Blick nur vorwärts gerichtet, von der Küste träumt, auf welcher er zunächst landen soll. Die Sonne lockt die niedren Tiere des Meeres an die Oberfläche des Wassers, und er kann dieser reizendsten Rätsel der Natur leicht habhaft werden. Wir konnten sonst nur bei einem Laufe von höchstens zwei Knoten (das ist zwei Meilen die Stunde) mit dem Köscher von Flaggentuch, an einer Stange befestigt, vom Verdecke des Schiffes ähnliche Tiere zu fischen hoffen.

Hier beschäftigten mich und Eschscholtz besonders die Salpen, und hier war es, wo wir an diesen durchsichtigen Weichtieren des hohen Meeres die uns wichtig dünkende Entdeckung machten, daß bei denselben eine und dieselbe Art sich in abwechselnden Generationen unter zwei sehr wesentlich verschiedenen Formen darstellt; daß nämlich eine einzeln, frei schwimmende Salpa anders gestaltete, fast polypenartig aneinander gekettete Junge lebendig gebiert, deren jedes in der zusammen aufgewachsenen Republik wiederum einzeln, frei schwimmende Tiere zur Welt setzt, in denen die Form der vorvorigen Generation wiederkehrt. Es ist, als gebäre die Raupe den Schmetterling und der Schmetterling hinwiederum die Raupe. [Fußnote]

Ich habe mit meinem treuen Eschscholtz immer gemeinsam studiert, beobachtet und gesammelt. Wir haben in vollkommener Eintracht nie das Mein und Dein gekannt; es mochte sich einer nur an der eigenen Entdeckung freuen, wann er den andern zum Zeugen, zum Teilnehmer gerufen hatte. – Warum muß ich's sagen? Mit dem Leutnant Wormskiold war es nicht so. Er hatte eine eifersüchtelnde Nebenbuhlerschaft, die leider unter den Gelehrten nicht unerhört ist, dem Verhältnis, das ich ihm angeboten hatte und das ich mit Eschscholtz eingegangen war, vorgezogen. Daß er mich für einen Naturphilosophen hielt, die bei ihm nicht gut angeschrieben waren, mochte ihn von mir entfernt haben; er mochte auch glauben, zu sehr im Vorteil zu sein, um sich nicht aus einer Gemeinschaft zurückzuziehen, worin er mehr eingebracht als eingeerntet hätte. Ich lächle jetzt über den tiefen Kummer, über die Verzweiflung, in die ich darüber geriet und wovon die Briefe zeugen, die ich aus Teneriffa, Brasilien und Chile schrieb. Ich bot alles auf, mich selbst und andere zu überzeugen, daß ich bei dem, was ich für ein Mißverhältnis erkannte, außer aller Schuld sei. Jetzt kann ich, ein alter Mann, nach abgekühlter Leidenschaft und wiederholt eingesehenen Akten, Richter sein über mich selbst und sprechen: ich war wirklich außer Schuld. Es tröstete mich in der Folge noch nicht, daß nicht sowohl mit mir als mit dem Maler Choris Wormskiold in Mißhelligkeiten lebte, wie sie leicht das Seeleben veranlassen kann und die sich nur nach dem Charakter und der Eigentümlichkeit der Menschen gestalten. Ich erinnere mich, daß in Sicht des Staatenlandes ich hinüber zu den traurigen, nackten Felsen schaute und fast begehren mochte, daß mich vom Schiffe aus das kleine Boot nach jener winterlichen Öde hinübertrage und dort aussetze, mich von der marternden Gegenwart zu befreien.

Übrigens hatte der Leutnant Wormskiold in Plymouth geäußert, er würde vielleicht schon in Teneriffa die Expedition verlassen. Auf der Überfahrt von Teneriffa nach Santa Catharina erklärte er, in Brasilien sein Schicksal von dem unsrigen trennen zu wollen. Daselbst angelangt – das Land kühlt die zur See erhitzte Galle ab –, riet ich ihm freundschaftlich, dieses reichste Feld der Forschung zu seiner Ernte zu erwählen, und stellte, um ihm die Ausführung zu erleichtern, meine Barschaft zu seiner Verfügung. Er war nun anderen Sinnes. Er wollte in Chile bleiben; aber dem widersetzte sich die Lichtscheue der Spanier und stellte seinem Entschlusse unüberwindliche Hindernisse entgegen. Er trennte sich erst in Kamtschatka von uns.

Diese Zeilen sind mir zu schreiben so schwer wie eine Beichte aufs Herz gefallen, und ich werde auf den Gegenstand nicht wieder zurückkommen, den ich einmal nicht unerwähnt lassen konnte. Es ist etwas gar Eigentümliches um das Leben auf einem Schiffe. Habt ihr bei Jean Paul die Biographie der mit dem Rücken aneinandergewachsenen Zwillingsbrüder gelesen? Das ist etwas Ähnliches, nichts Gleiches. – Das äußere Leben ist einförmig und leer wie die Spiegelfläche des Wassers und die Bläue des Himmels, die darüber ruht; keine Geschichte, kein Ereignis, keine Zeitung; selbst die sich immer gleiche Mahlzeit, die, zweimal wiederkehrend, den Tag einteilt, kehrt mehr zum Verdrusse als zum Genusse zurück. Es gibt kein Mittel, sich abzusondern, kein Mittel, einander zu vermeiden, kein Mittel, einen Mißklang auszugleichen. Bietet uns einmal der Freund anstatt des guten Morgens, den wir zu hören gewohnt sind, einen guten Tag, grübeln wir der Neuerung nach und bebrüten düster unsern Kummer; denn ihn darüber zur Rede zu setzen ist auf dem Schiffe nicht Raum. Abwechselnd ergibt sich einer oder der andere der Melancholie. Auch das Verhältnis zu dem Kapitän ist ein ganz besonderes, dem sich nichts auf dem festen Lande vergleichen läßt. Das russische Sprichwort sagt: »Gott ist hoch, und der Kaiser ist fern.« Unumschränkter als der Kaiser ist an seinem Bord der Mann, der immer gegenwärtige, an den man auch gleichsam mit dem Rücken angewachsen ist, dem man nicht ausweichen, den man nicht vermeiden kann. Herr von Kotzebue war liebenswürdig und liebenswert. Unter vielen Eigenschaften, die an ihm zu loben waren, stand obenan seine gewissenhafte Rechtlichkeit. Aber die zu seinem Herrscheramte erforderliche Kraft mußte er sich mit dem Kopfe machen; er hatte keine Charakterstärke; und auch er hatte seine Stimmungen. Er litt an Unterleibsbeschwerden, und wir spürten ungesagt auf dem Schiffe, wie es um seine Verdauung stand. Bei dem gerügten Mangel, besonders in der späteren Zeit der Reise, wo seine Kränklichkeit zunahm, mochte er leicht von dem, der ohne Arg grade vor sich schritt und fest auftrat, sich gefährdet glauben. Auf der Fahrt durch den Atlantischen Ozean hatte er die Vorurteile abgestreift, die er gegen mich gefaßt haben mochte, und ich kam für seinen Günstling zu gelten. Ich hing ihm aber auch an mit fast schwärmerischer Liebe. – Später wandte er sich von mir ab, und auf mir lastete seine Ungnade.

Ich hatte mit Hülfe von Login Andrewitsch Russisch zu lernen angefangen; erst lässig unter dem schönen Himmel der Wendekreise, dann mit ernsterem Fleiße, als wir dem Norden zusteuerten. Ich hatte es so weit gebracht, mehrere Kapitel im Sarytschew zu lesen, aber ich ließ mit gutem Bedacht von dem Beginnen ab und lernte mich glücklich schätzen, daß die Sprache eine Art Schranke sei, die zwischen mir und der nächsten Umgebung sich zog. Ich habe auch nicht leicht etwas so schnell und vollständig verlernt als mein Russisch. Es hat ganze Zeiten gegeben, wo ich während des Essens – ich nahm zufälligerweise bei Tafel den mittleren Sitz ein – stumm und starr, den Blick fest auf mein Spiegelbild geheftet, gehüllt in meine Sprachunwissenheit, die Brocken in mich hineinwürgte, allein wie im Mutterleib.

Ich kehre zu dem Zeitpunkt zurück, von welchem ich abgeschweift. Wir steuerten bei schwachen wechselnden Winden langsam der Mittagssonne zu, und wiederkehrende Windstillen verzögerten noch unsere Fahrt. Mit den Gestirnen des nächtlichen Himmels hatte sich das Klima verändert, und Bewußtsein des Daseins gab uns nicht mehr wie in unserm Norden physischer Schmerz, sondern Atmen war zum Genusse geworden. In tieferem Blau prangten Meer und Himmel, ein helleres Licht umfloß uns; wir genossen einer gleichmäßigen, wohltätigen Wärme. Auf dem Verdeck, angeweht von der Seeluft, wird die Hitze nie lästig, die wohl in der verschlossenen Kajüte drückend werden kann. Wir hatten die Kleider abgelegt, die daheim, wenn einmal der Sommer schöne, warme Tage hat, uns unleidlicher werden als selbst die feindliche Kälte der Winterluft. Eine leichte Jacke nebst Pantalons, ein Strohhut auf dem Kopfe, leichte Schuhe an den Füßen, keine Strümpfe, keine Halsbinde: das ist allgemein die angemessene Tracht, worin in der heißen Zone alle Europäer die Wohltaten des Himmels entgegennehmen; nur die Engländer nicht, denen überall die Londoner Sitte als erstes Naturgesetz gilt. Während der Mittagshitze ward ein Zelt ausgespannt, und wir schliefen die Nacht unter dem freien Himmel auf dem Verdeck. Nichts ist der Schönheit solcher Nächte zu vergleichen, wenn, leise geschaukelt und von dem Zuge des Windes gekühlt, man durch das schwankende Tauwerk zu dem lichtfunkelnden gestirnten Himmel hinaufschaut. Später ward uns Passagieren dieser Genuß entzogen, indem den Steuerleuten verboten ward, uns das zur Einrichtung unsers Lagers erforderliche alte Segeltuch verabfolgen zu lassen.

Ich werde zu den Schönheiten dieses Himmels ein Schauspiel rechnen, welches man wenigstens in der wärmeren Zone, wo man mehr im Freien lebt, unausgesetzter zu betrachten aufgefodert wird und welches sich auch da in reicherer Pracht zu entfalten pflegt. Ich meine das Leuchten des Meeres. Dieses Phänomen verliert nie seinen anziehenden Reiz, und nach dreijähriger Fahrt blickt man in die leuchtende Furche des Kieles mit gleicher Lust wie am ersten Tage. Das gewöhnliche Meerleuchten, wie von Alexander von Humboldt (»Reise«, Band I) und von mir beobachtet, rührt bekanntlich von Punkten her, die im Wasser erst durch Anstoß oder Erschütterung leuchtend werden und aus organischen, unbelebten Stoffen zu bestehen scheinen. Das Schiff, das die Flut durchfurcht, entzündet um sich her unter dem Wasser diesen Lichtstaub, der sonst die Wellen nur dann zu erhellen pflegt, wenn sie sich schäumend überschlagen. Außer diesem Lichtschauspiele hatten wir hier noch ein anderes. Es schien im Wasser gleichsam von einem sich in einiger Tiefe entzündenden Lichte zu blitzen, und dieser Schein hatte manchmal einige Dauer. Es schien uns dieses Leuchten von Tieren (Quallen) herzurühren, bei denen eine organische Lichtentwickelung sich annehmen läßt.

Wir hatten am 23. Oktober Windstille in 30° 36' nördlicher Breite, 15° 20' westlicher Länge (über 300 Meilen fern von der afrikanischen Küste). Die Trümmer eines Heuschreckenzuges bedeckten das Meer um uns her. Drei Tage lang begleiteten uns diese Trümmer. Wir hatten am 25. mittags Ansicht der Salvages, kreuzten den 26. in ihrer Nähe und sahen am 27. den Pic de Teyde in einer Entfernung von beiläufig 100 Meilen schon unter einem sehr hohen Winkel sich uns enthüllen. Der Wind erhob sich während der Nacht und führte uns unserm Ziele zu.

Ich hatte mir während dieser Fahrt den Schnurrbart wachsen lassen, wie ich ihn früher in Berlin getragen. Wie wir uns dem Landungsplatze näherten, ersuchte mich der Kapitän, ihn abzuschneiden. Ich mußte das Opfer bringen und Haare lassen.

Am 28. mittags um elf Uhr ließen wir auf der Reede von Santa Cruz die Anker fallen.

Der Zweck, wofür in Teneriffa angelegt wurde, war, Erfrischungen und hauptsächlich Wein an Bord zu nehmen, da wir bis jetzt nur Wasser getrunken hatten. Zu dem Geschäfte sollten drei Tage hinreichen, und es ward uns freigestellt, diese auf eine Exkursion ins Innere der Insel zu verwenden.

Von Gelehrten besucht und beschrieben worden ist Teneriffa wie kein anderer Punkt der Welt. Alexander von Humboldt ist auf dieser Insel gewesen, und Leopold von Buch und Christian Smith, die nicht mehr hier anzutreffen uns schmerzlich war, hatten eben bei einem verlängerten Aufenthalte die ganze Kette der Kanarischen Inseln zum Gegenstande ihrer Untersuchungen gemacht. Wir hatten nur an uns selber Erfahrungen zu machen und unsern durstenden Blick an den Lebensformen der tropischen Natur zu weiden.

Man möchte erwarten, daß auf Reisende, die aus einer nordischen Natur unmittelbar in eine südliche versetzt werden, der unvermittelte Gegensatz mit gleichsam märchenhaftem Reiz einwirken müsse. Dem ist aber nicht also. Die Reihe der im Norden empfangenen Eindrücke liegt völlig abgeschlossen hinter uns; eine neue Reihe anderer Eindrücke beginnt, die, von jener ganz abgesondert, durch nichts mit ihr in Verbindung gesetzt wird. Die Zwischenglieder, welche beide Endglieder zu einer Kette, beide Gruppen zu einem Bilde vereinigen würden, fehlen eben zu einem Gesamteindruck. – Wenn wir nach unserm Winter die Bäume langsam zögernd knospen gesehen und sie auf einmal nach einem warmen Regen Blüten entfalten und Blätter, und der Frühling erscheint in seiner Pracht – dann schwelgen wir in dem Märchen, das die Natur uns erzählt. Wenn wir in unsern Alpen von der Region der Saaten durch die der Laub- und Nadelwälder und die der Triften zu den Schneegipfeln hinan- und von diesen wiederum in die fruchtbaren Täler herabsteigen, haben die Verwandlungen, die wir schauen, für uns einen Reiz, dessen der Gegensatz der verschiedenen Naturen entbehrt, welchen uns das Schiff entgegenführt. Aber die Veränderung des gestirnten Himmels und der Temperatur während der Fahrt schließt sich jenen Beispielen an. Ich füge erläuternd eine andere Beobachtung hinzu: Wir können auf einem hohen Standpunkt schwindlig werden, wenn unser Blick an der Mauer des Turmes oder an Zwischengegenständen in die Tiefe unter uns hinabgleitet; der Luftschiffer aber mag auf die Erde unterwärts blicken, er ist dem Schwindel nicht ausgesetzt.

Aus den Gärten der kleinen Stadt Santa Cruz erheben nur ein paar Dattelpalmen ihre Häupter und wenige Bananenstauden ihre breiten Blätter über die weißgetünchten Mauern. Die Gegend ist öde, die hohen zackigen Felsen der Küste nach Osten zu sind nackt und nur spärlich mit der gigantischen, blassen, kaktusartigen kanarischen Wolfsmilch besetzt. Auf ihren Gipfeln ruhten die Wolken. Man sah auf dem Wege von Laguna her etliche Dromedare herabtreiben.

Ich hatte die erste Gelegenheit benutzt, um ans Land zu fahren. Der gelehrte Mineralog Escolar, dessen Bekanntschaft ich machte, übernahm es lieb- und hülfreich, mir einen Führer für den andern Morgen zu besorgen. Den 29. Oktober früh trat ich mit Eschscholtz die Wanderung an. Wir wollten den gebannten Weg nach Laguna vermeiden; Señor Nicolas, unser Bote, führte uns irr in den östlichen, felsigen, öden Tälern. Um wenige zerstreut liegende Ansiedelungen sah man den Drachenbaum und die amerikanische Agave und Cactus opuntia. – Die mehrsten bezeichnenden Formen der tropischen Natur waren dem Menschen hörige, ausländische Gewächse. Wir kamen nach drei Uhr zu Laguna an. Es begann zu regnen. Wir speisten Weintrauben und besuchten den gelehrten Dr. Savignon, der uns ein Empfehlungsschreiben an Herrn Cologan in Oratava gab: »No quierendo privar a la casa de Cologan de su antiguo privilegio de proteger los sablos viageros« etc. (»Nicht wollend das Haus Cologan seines alten Vorrechtes berauben, die weisen oder gelehrten Reisenden zu beschützen« usw.). Wir fanden ein Unterkommen zu Nacht und Weintrauben zur Speise bei einer sehr gesprächigen und lustigen alten Frau. Gasthäuser gibt es auf der Insel nur zwei, zu Santa Cruz und zu Oratava. Am Morgen des 30. strömte der Regen. Wir schlugen den Weg nach Oratava ein. Er führt über Matanza und Vittoria, zwei Namen, die, auf den Karten der spanischen Kolonien oft wiederkehrend, das Schicksal der eingebornen Völker bezeichnen: Sieg und Gemetzel. Man gelangt erst bei Vittoria in die Weingärten, die der Stolz und der Reichtum der Insel sind. Die Aussicht über das Gebürge und die Küste, den Pik und das Meer, ist ausnehmend schön, zumal, wie sie sich uns darbot, im Spiele der Wolken und der Abendsonne. Die Wolken bildeten sich unten am Gestade und zogen von Zeit zu Zeit an dem Abhang des Gebürges den Höhen zu. Auch der Gipfel des Piks erschien, bedeckt von frisch gefallenem Schnee, durch die Nebel. Ich sah aber diesem Berge seine Höhe nicht an; der Eindruck entsprach nicht der Erwartung. Wohl hat sich mir in unsern Schweizer Alpen die Schneelinie als Maßstab der Höhen eingeprägt, und wo dieser nicht anwendbar ist, bin ich ohne Urteil.

Wir hatten uns verspätet und hätten in Oratava nur Stunden der Nacht zubringen können; wir fanden es angemessen, nicht weiterzugehen. Ich rauchte, votum solvens, eine Pfeife unter einem Palmbaume, schnitt mir zum Andenken ein Blatt desselben ab und gebrauchte die Rippe als Wanderstab; wir suchten ein Unterkommen für die Nacht. Wir mußten bis Matanza zurückgehen, wo wir in einer Hütte Weintrauben fanden und als Lager die nackte Erde. Um animalische Nahrung nicht ganz zu entbehren, hatten wir selber in verschiedenen Häusern Hühnereier aufgekauft.

Wir kehrten am 31. bei anhaltendem Regen über Laguna, wo wir noch einen Garten besuchten, nach Santa Cruz zurück. Zuvorkommend traten uns hier verschiedene unterrichtete Bürger entgegen und luden uns ein, Gärten, Naturaliensammlungen, Guanchen-Mumien zu sehen; unsere Zeit war aber abgelaufen.

Auf unserer Wanderung schien uns im allgemeinen das Volk äußerst arm und häßlich, dabei heiteren Gemüts und von großer Neugierde. Die spanische Würde, die sich in den Sprachformen dartut, trat uns hier achtunggebietend zum erstenmal unter Lumpen entgegen. »Euer Gnaden« ist bekanntlich auch unter dem niedrigen Volk die bräuchliche Anrede.

Zuerst auf Teneriffa, wie später überall im ganzen Umkreis der Erde, haben sich die Wißbegierigen, mit denen ich als ein Wißbegieriger in nähere Berührung kam, Mühe gegeben, den russischen Nationalcharakter an mir, dem Russen, der aber doch nur ein Deutscher und als Deutscher eigentlich gar ein geborener Franzos, ein Champenois, war, zu studieren.

 

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