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Das grüne Zimmer.

„Gott sei Dank, der Tag war überstanden!“ murmelte der Commerzienrath leise vor sich hin, als er mit dem Sitzkissen in der einen und seinem Regenschirm und Rock in der andern Hand, von der Mamsell gefolgt, die den Reisesack und das Licht trug, die Treppe hinaufstieg, zu dem „grünen Zimmer“; „nun die Nacht gut geschlafen, und der Mensch kann seine Reise morgen mit frischen Kräften fortsetzen. -- Ach, ist dies das grüne Zimmer?“ unterbrach er sich, als seine Führerin eine Art kleiner Bodenkammer aufstieß und ihn bat näherzutreten, „hm, das ist sehr einfach.“

„Ja, wir sind freilich ein wenig hier mit Raum beschränkt, Herr Mahlhuber“, sagte die Mamsell, und der Commerzienrath drehte sich rasch und fast erschrocken nach ihr um. In dem Augenblick fiel ihm aber das Fremdenbuch ein und er nickte zustimmend mit dem Kopfe, als die Mamsell fortfuhr das Zimmer zu entschuldigen und nun das Bett dagegen zu loben, in dem Herr Mahlhuber schlafen würde wie in Abraham’s Schoos.

Mit einem etwas dunkeln Begriffe, wie das eigentlich sein würde, legte er seine Sachen ab, öffnete das kleine Fenster, das aufs Dach hinaussah, und schloß es gleich wieder, hob die schwere Federbettdecke auf und legte sie mit einem prüfenden, etwas mistrauischen Blicke zurück und sah dann das Licht an, das die Mamsell auf den Tisch gestellt hatte, sich dann nach der Thür zurückziehend, wo sie auf irgendeinen Befehl oder vielleicht auf ein Lob für das vortrefflich eingerichtete Lager zu warten schien. Dem Commerzienrath war es aber nur um Ruhe zu thun, und er fing an sich den Rock aufzuknöpfen, während er über die Schulter weg einen Blick nach der Wirthin warf, ob dieser das Zeichen noch nicht deutlich genug sei.

„Nun, Herr Mahlhuber, ist Alles in Ordnung?“ sagte diese endlich, nicht im Stande den Platz ohne eine beifällige Anerkennung zu verlassen, „ist es zu Ihrer Zufriedenheit?“

„Vollkommen; schlafen Sie recht wohl!“ sagte der Commerzienrath.

„Wünsche angenehme Ruhe!“ sagte die Mamsell, „und wenn Sie mit dem Lichte fertig sind, möchte ich Sie freundlichst gebeten haben, es nur dort an die Thür zu stellen, ich hole es mir später. -- So, lassen Sie sich etwas Angenehmes träumen“, setzte sie mit ihrem verbindlichsten Lächeln hinzu und verschwand dann, von einem leise gebrummten Danke des Gastes begleitet, wie sie gekommen.

„Das grüne Zimmer“, brummte dieser weiter, als er sich allein sah und kopfschüttelnd einen Blick in dem kleinen Raum umherwarf, dessen Grenzen an drei Seiten die weiße Kalkwand und an der vierten, wo das Bett stand, ein schräg niederlaufender Verschlag von ungehobelten Brettern bildete, „_grüne_ Zimmer? es ist kein grüner Faden im ganzen Nest. Und ausgekehrt haben sie hier seit voriger Woche nicht -- unter dem Bette Stroh, und da in der Ecke ein Paar alte Stiefeln. -- Hm, hm, Dorothee hat doch am Ende Recht, und Doctor Mittelweile wäre am besten selber auf Reisen gegangen. Lieber Gott, ich, ein ruhiger friedliebender Mensch, was habe ich heute nicht schon Alles erlebt und gethan und -- ertragen -- hm, hm. Nun es ist jetzt wenigstens Abend und eine ruhige Nacht gebe uns der liebe Gott.“

Damit sich die Nachtmütze über die Ohren ziehend -- denn er hatte sich während des Selbstgespräches vollständig entkleidet --, hob er eben das rechte Bein, in das etwas hohe Bett zu steigen als er an das Licht, und den ihm gewordenen Auftrag dachte, es dicht an die Thür zu stellen. Eine Lichtschere lag überdies nicht auf dem Teller und der Commerzienrath haßte nichts so sehr als den Qualm einer Lichtschnuppe. So das Bein wieder zurückziehend, nahm er das Licht und trug es, sorgsam vorher jedoch noch einmal in seine Pantoffeln schlüpfend, sich nicht zu erkälten, zu dem bezeichneten Platze, setzte es dort nieder und stieg dann, tief und dankbar aufseufzend, in das sehr weiche, aber etwas voluminöse Bett, sich die Decke bis unter das Kinn ziehend, den Augenblick zu erwarten, wo die Mamsell das Licht abholen würde; vorher war er nicht im Stande einzuschlafen.

Eine Minute nach der andern verging aber und die Mamsell kam nicht; durch die Thürspalte zog es auch ein wenig und das Licht flackerte hin und her, daß der Talg in großen Streifen niederfloß. Es konnte doch kein Unglück damit geschehen?

„Hm, das ist ärgerlich“, murmelte er, sich im Bette aufrichtend, den Platz besser übersehen zu können, und dann, als er fand, daß das Licht vollkommen freistand, wieder zurücksinkend, doch am Ende einzuschlafen trotz der brennenden Talgkerze; aber es ging nicht, es war eine positive Unmöglichkeit und darauf zu warten, daß das Endchen Licht von selber niederbrennen sollte? -- das hätte wol noch eine volle halbe Stunde und länger dauern können. Eine Viertelstunde wenigstens hatte er jetzt schon in peinlicher, immer wachsender Ungeduld auf das Abholen desselben gewartet.

Der Zustand wurde ihm endlich unerträglich und er beschloß aufzustehen und das schon jetzt qualmende Licht auszulöschen, er konnte es ja umdrehen und ärgerte sich, daß er das nicht schon lange gethan. In Gedanken vollbrachte er diese Operation jetzt auch fünf oder sechs mal hintereinander und drehte dabei selbst unwillkürlich die rechte Hand; aber das Licht blieb freilich stehen und flackerte weiter. Mit einem verzweifelten Entschlusse warf er endlich die Decke von sich, fuhr mit beiden Beinen aus dem Bette und in seine Pantoffeln und machte ein paar Schritte dem Lichte zu, als er plötzlich erschrocken stehen blieb und horchte, denn es war ihm genau so gewesen, als ob er draußen etwas gehört hätte auf dem Gange. -- Wenn die Mamsell jetzt gerade hereingekommen wäre und ihn in dem Aufzuge gesehen hätte! Er wollte im ersten Schrecke wirklich wieder ins Bett zurückziehen, aber -- es war auch nicht das Mindeste weiter zu hören; er blieb noch ein paar Secunden lauschend stehen -- keine Maus; -- doch, unter seinem eigenen Bette raschelte etwas im Stroh und er blickte schnell dorthin, das konnte eine Maus gewesen sein; im Hemde durfte er jedoch nicht länger stehenbleiben, und jetzt rasch und entschlossen zu dem Lichte hinschreitend, bog er sich eben nieder und streckte die Hand aus es zu ergreifen, als die Thür geöffnet wurde und die Mamsell in derselben Absicht auf der Schwelle erschien.

„Jesus Maria!“ rief sie, als ob sie einen Geist gesehen, als sie die keineswegs empfangsmäßige Gestalt vor sich erblickte, und der Commerzienrath fuhr mit einem ebenso verblüfften „Bitte tausend mal um Entschuldigung!“ in demselben Moment rückwärts nach seiner Lagerstätte zurück, als die erschreckte Mamsell die Thür wieder ins Schloß warf und also spurlos verschwand.

Als der Commerzienrath den Kopf endlich wieder unter der schützend über sich gezogenen Decke vorstreckte, brannte das Licht, von beiden Theilen im Stiche gelassen, noch immer ruhig fort und an ein zweites Aufstehen war jetzt gar nicht zu denken, denn das schreckliche Frauenzimmer konnte in gleicher Absicht noch immer hinter der Thür stehen, wieder denselben unglücklichen Moment zu wählen sie zu öffnen. Es mußte niederbrennen, und mit einer verzweifelten Art von Ueberwindung schloß er endlich die Augen in der festen Absicht einzuschlafen, ob das grüne Zimmer erleuchtet sei oder nicht. Trotzdem war er es nicht im Stande und mochte etwa eine halbe Stunde so zwischen Wachen und Schlafen gelegen haben, als der leergebrannte Docht endlich umfiel, noch einmal hell aufflackerte und dann verlöschte.

„Gott sei Dank!“ stöhnte der Commerzienrath in einem halben Bewußtsein seiner Lage und drehte sich jetzt entschieden auf die rechte Seite, das Versäumte seiner so leichtsinnig geopferten Nachtruhe nachzuholen, als er das Rascheln wieder unter dem Bette hörte, aber diesmal weit stärker als vorher und zugleich ein leises Winseln, als ob eine junge Katze oder etwas Derartiges darunterläge.

„Na, das hat mir noch gefehlt“, brummte der gepeinigte Gast leise und ingrimmig vor sich hin, „was ist jetzt wieder los?“ -- Er horchte eine Weile, aber das Geräusch ließ nach und er fing eben erst an wieder in Schlaf zu kommen, als es von neuem und stärker begann.

„Heiliger Gott im Himmel!“ sagte der geplagte Commerzienrath, gewaltsam einen Fluch zurückhaltend, „ist das nicht um selbst den gesundesten Christenmenschen zur Verzweiflung zu bringen, und dabei soll ich meine gelbe Hypertrophie verlieren?“

Das Rascheln und Winseln wurde jetzt stärker und es blieb dem im Bette Liegenden bald kein Zweifel mehr, daß irgendein junger Hund sich gerade unter der Bettstelle in dem dort befindlichen Stroh sein Lager gemacht und nun durch Flöhe oder böse Träume gepeinigt werde. An Selberschlafen war aber unter solchen Umständen gar nicht zu denken, nach irgendeiner Bedienung zu rufen blieb ebenfalls ganz außer der Frage, und der Commerzienrath entschloß sich endlich, wie das Rascheln und Winseln immer stärker wurde, noch einmal aufzustehen und den kleinen Störenfried zu fassen und aus der Thür zu werfen. Ein Ueberfall des Lichtes wegen war nicht mehr zu fürchten.

Vorsichtig nach den Pantoffeln fühlend, die er rasch wieder anzog, kauerte sich jetzt der würdige Mann, den Kopf etwas nach rückwärts gezwängt, weil er ihn gegen die Bettstelle pressen mußte, vor seinem Lager nieder, mit der Hand in dem Stroh nach dem Gegenstande seines Grimmes zu suchen. Es dauerte gar nicht lange, so griff er einen jungen Hund, der sich winselnd auf den Rücken legte, als er die Berührung fühlte, erwischte ihn beim Felle und trug ihn, sich schwerfällig damit am Bette aufrichtend, der Thür zu. Ueber den Leuchter stolpernd, an den er nicht mehr gedacht, fand er aber doch zuletzt die Klinke, öffnete sie und warf den jungen winselnden Köter mit einem zwar leise gemurmelten, aber desto herzlicher gemeinten Fluche ins Freie.

„So“, sagte er dann, als er die Thür wieder sorgfältig geschlossen und sich zum Bette zurückfühlte, „so, nun hat der Skandal auch ein Ende und ich werde doch einmal wenigstens zur Ruhe kommen. -- O meine Leber!“

Und wieder unter seine Decke fahrend suchte er sich den leidenden Theil so bequem zu legen als möglich und brachte dann seine rechte Hand an den Kopf, dort die ihm noch so schwere Sorgen bereitende Narbe seiner Balggeschwulst solange zu drücken bis sie ihm wehthat, und sich dann mit dem Gedanken zu quälen, daß daraus jedenfalls einmal ein Krebsschaden entstehen müsse, der ihn langsam in sein Grab hinunterfräße. Schon manche liebe lange Nacht hatte er auf ähnliche Art im Schlafe gestöhnt und auch jetzt gewann die Müdigkeit eben wieder die Oberhand und sandte ihm schon in ungewissen schwankenden Traumbildern die Erlebnisse des vergangenen Tages. Aber diese kamen nicht in der erlebten Reihenfolge, sondern begannen mit dem letzten, denn er hörte deutlich wieder das Winseln und Rascheln von vorher und wollte sich eben selbst im Traume mit dem Bewußtsein trösten, daß es eben nur ein Traum sei, als das Geräusch stärker und lebendiger wurde und er sich endlich, ordentlich in die Höhe fahrend, wieder im Bette aufrichtete, um darauf zu horchen.

„Jesus Maria Joseph!“ rief er fast unwillkürlich als er zu der ganz unzweifelhaften Gewißheit einer ganz neuen Störung gelangte, „da ist beim Himmel noch so eine Bestie darunter, und ich habe doch vorher ringsumher gefühlt. Na, an die Nacht will ich denken; wenn ich aber je zurück nach Gidelsbach komme, werde ich mir ein Vergnügen daraus machen, dem verdammten Doctor dieselbe Tour und ein Nachtquartier in dem Nest hier -- wie hieß es gleich? -- zu empfehlen. Der soll mir wiederkommen!“

Betrachtungen nutzten aber hier durchaus nichts; der junge Hund ließ sich weder weg noch zur Ruhe philosophiren, und nach mehrmaligen vergeblichen Versuchen, trotz der „Giftkröte“ wiedereinzuschlafen, mußte der unglückliche Reisende, wenn er nicht die ganze Nacht solchen Experimenten opfern wollte, zum dritten male heraus aus dem Bette, den Störenfried zu entfernen. Wieder erwischte er ihn hinten im Nacken, trug ihn an die Thür, die er noch fest eingeklinkt fand, öffnete sie, warf ihn hinaus, schloß sie wieder und ging zum vierten male heute zu Bette, der so nöthigen Ruhe zu pflegen.

Es war umsonst, und kaum hatte er lange genug gelegen, sich nicht mehr um das nun einmal Geschehene zu ärgern, als das Winseln von neuem begann. Wieder sträubte er sich gegen die Macht der Umstände, er mußte noch einmal aus dem Bette, den dritten Hund hinauszuwerfen und selbst nach seinem Regenschirm tappte er jetzt umher, unter dem Bette, ehe er sich nun wieder hinlegte, umherzufühlen, ob nicht etwa noch solch eine kleine entsetzliche Bestie darunter versteckt sei, die nur auf den Augenblick seines Einschlafens mit boshafter Sicherheit warte. Er konnte nirgends mehr etwas entdecken; Stroh lag noch überall, aber kein Hund, und den Schirm an das Bett lehnend, wie in Vorahnung eines neuen Unheils, hatte er sich eben umgedreht und auf seine Lagerstätte gesetzt, die Beine dann heraufzuziehen unter die Decke, als ein neues Rascheln, dem bald darauf das unselige Winseln folgte, ihm in Verzweiflung die Jagd aufs neue beginnen machte. Wohl suchte er jetzt seine Schwefelhölzchen vor, dem Reste dieser unseligen Nachtlärmer auf die Spur zu kommen, er fand sie, aber er hatte kein Licht mehr daran zu entzünden und fürchtete sich auch in dem vielen zerstreuten Stroh umherzuleuchten. Wie leicht konnte da Feuer entstehen, und das war Alles was ihm noch gefehlt. Mit dem Stocke stieß er jetzt in alle Winkel und Ecken, unter dem Bette nach jeder Richtung hin, unter die Commode, an deren scharfer Kante er sich das Schienbein beschädigte, und unter den Kleiderschrank, gegen den er mit dem Knie so heftig anrannte, daß er gegründete Ursache zu haben glaubte, den Schwamm zu befürchten.

„Vier junge Hunde!“ murmelte er dabei leise vor sich hin, „wo nur die Alte steckt, oder ob sich die am Ende auch noch meldet? -- Vier solche kleine malitiöse Töhlen. Und wenn sie sich nur wenigstens gleich alle auf einmal gemeldet hätten, dann könnte ich jetzt wenigstens schon eine Stunde schlafen. Außerdem werde ich mir wol hier den Tod an den Hals holen mit meiner dünnen Kleidung und dicken Leber; -- wenn ich nur den Doctor hier hätte!“ setzte er mit einer Art Ingrimm hinzu, als er sein Lager wieder suchte und sich laut aufseufzend zurück auf das Kissen warf.

Armer Commerzienrath -- deine Ruhe sollte nur von entsetzlich kurzer Dauer sein, denn noch war er nicht einmal in seine Lieblingsstelle gerückt, als das jetzt förmlich unheimlich werdende Winseln von neuem begann. Wie von einer Natter gestochen sprang er im Bette empor. Fast unwillkürlich suchte auch die Hand nach seinen Pistolen, die er gewohnt war über seinem Bette zu wissen, wenn ihm die Erinnerung daran auch einen Stich durchs Herz gab, suchte nach dem Klingelzuge, Hülfe herbeizuholen gegen solche Qual. Weder das Eine noch das Andere war zu fühlen; nichts als die kahle schräge Wand, und eiskalt lief es ihm bei dem Gedanken über den Rücken, daß er es doch am Ende hier mit etwas Uebernatürlichem zu thun haben könne in dem fremden alten Gebäude. Aber die jungen Hunde waren doch von Fleisch und Bein gewesen, hatte er nicht das warme weiche Fell in seiner Hand gefühlt bei ihnen allen? Und wo kam jetzt der neue Zuwachs her? Welchen Winkel im Zimmer mußte er übersehen haben, und blieb es nicht räthselhaft, daß sie sich nur immer solange stillhielten, bis er eben wieder im Bette lag?

Er wollte es jetzt durchsetzen und die kleine Kröte winseln lassen solange es ihr beliebte, wickelte sich demzufolge entschlossen in seine Decke, aber -- er war nicht im Stande es durchzuführen. Der feine winselnde Ton drang ihm durch Mark und Bein und er mußte zuletzt wieder heraus, sie den andern nachzuschicken -- um wieder und wieder dasselbe Spiel zu erneuern. Wie der unerschöpfliche Hut eines Taschenspielers, der Bouquets und Karten, Perücken, Eier und Taschentücher ausspeit in ununterbrochener Reihe, so lieferte das lockere Bettstroh junge Hunde, und der Commerzienrath -- denn man gewöhnt sich ja an Alles --, der es zuletzt anfing ganz in der Ordnung zu finden, daß er sich die Nacht damit beschäftige junge Hunde aus der Thür zu werfen, tröstete sich beim neunten mit dem Gedanken, daß er noch nie gehört habe, wie eine Hündin mehr als neun Junge gehabt, und beruhigte sich beim zehnten damit, daß er zugab, sie könnten von zwei Hündinnen herrühren. Halb im Schlafe, denn er wurde nach und nach müde von der ungewohnten Arbeit, stand er auf, wenn er die furchtbaren Laute hörte, griff unters Bett, zerrte die immer stärker winselnde Bestie bei den Ohren vor und setzte sie in einem schon kaum mehr bewußten Zustande an die Luft, bis sich die andere meldete.

Erst mit dämmerndem Morgen sollte er Ruhe finden; der halbe Hausknecht von gestern Abend kam schwerfällig die Treppe heraufgeschlurrt, gerade als der Commerzienrath den siebzehnten aus der Thür schleuderte.

„Da“, schrie er dabei, „habt Ihr noch einen und der nächste, der mir nun noch in die Kammer kommt, den werf ich aus dem Fenster, so wahr wie ich Hieronymus heiße. Ist das hier ein Gasthaus für anständige Reisende, wo die Kammer von Hunden wimmelt?“ Und die Thür zuschlagend, daß die Fenster klirrten, warf er sich wieder ins Bett und hörte nur noch wie der Hausknecht den kleinen Köter aufgriff und streichelte und liebkoste und dann langsam mit ihm den Gang zurücktappte, wie er gekommen.

Weiter vernahm er nichts; seine Müdigkeit gewann endlich die Oberhand und er sank in einen festen fast krankhaften Schlaf, aus dem ihn der Hausknecht später, zu der gegebenen Stunde, kaum wieder herausrütteln konnte.

„Da ist schon wieder einer!“ sagte er noch im Traume, der ihn auch selbst die wenigen Stunden hindurch verfolgt haben mußte. „Satansbestie, kleine, wenn ich dich jetzt nicht --“

„Papelt der irre?“ sagte der Hausknecht ruhig, seine Operation ihn munter zu bekommen an ihm wiederholend, „he holla -- der Kaffee ist auf’m Tisch und die Post wird gar nicht mehr solange bleiben.“

„Wer ist auf dem Tische?“ fragte der Commerzienrath, plötzlich munter werdend und sich wie aus einem Pistol geschossen in seinem Bette aufrichtend. „Heilige Mutter Gottes!“ setzte er dann stöhnend hinzu, als ihm die Erlebnisse der letzten Nacht wieder in der Erinnerung auftauchten, „bin ich nicht am ganzen Leibe wie gerädert und zerschlagen. Und deshalb habe ich die Post weiterziehen lassen, hier eine ordentliche Nachtruhe zu halten, und nun -- aber der Mamsell will ich meine Meinung sagen -- wo ist die Mamsell?“

Der Mann aber, an den er die Frage zu richten gedachte, hatte sich, nachdem er seine Pflicht erfüllt und den curiosen Reisenden geweckt, dessen Kleider gereinigt auf dem Stuhle lagen, dessen Stiefel blank und blitzend vor dem Bette standen, wieder zu seinen andern Geschäften zurückgezogen, und dem Commerzienrath Mahlhuber blieb nichts übrig, als seinen Grimm noch auf kurze Zeit zu verbeißen und sich vor allen Dingen in die Kleider zu werfen. Himmel, wenn er den Postwagen versäumte und am Ende gezwungen gewesen wäre, noch eine Nacht in diesem Hause, in dieser entsetzlichen „grünen Stube“ zuzubringen. Aber er hatte noch Zeit genug, und den dienstbaren Geist, der in Erwartung eines Trinkgeldes heute Morgen sehr flink bei der Hand war, wieder heraufrufend, ließ er ihm das Gepäck hinunter ins Packzimmer tragen, damit es gewogen und weiterbefördert werden konnte.

Den Leuten unten aber, und besonders der Mamsell, wollte er einmal tüchtig seine Meinung sagen über eine solche Behandlung -- er hatte sich den Rock schon bis oben hinauf zugeknöpft, recht entschlossen und determinirt auszusehen, und ging wirklich ein paar mal in seinem kleinen Zimmer mit schnellen Schritten auf und ab, die Zornesworte sich zu wiederholen, die er gegen sie auszuschleudern gedachte. War das eine Behandlung für einen anständigen Mann, den Commerzienrath aus dem Spiele zu lassen? war es nicht niederträchtig einem Kranken den so nöthigen Schlaf förmlich abzustehlen, indem man nicht etwa Hunde zu ihm ins Zimmer that, nein, ihn förmlich in eine ganze Sammlung von kleinen nichtswürdigen winselnden heulenden Kröten hineinsperrte, als wenn man es darauf abgesehen habe ihn zugrunde zu richten? „Sie -- Mamsell, Sie“, wollte er sagen und sie dabei mit einem durchbohrenden Blicke ansehen, „wie dürfen Sie sich unterstehen --“

„Der Kaffee ist fertig“, meldete der Hausknecht wieder, den Kopf über der Treppe zeigend, „und wenn Sie nicht gleich kommen, können Sie keinen mehr trinken.“

Keinen Kaffee trinken -- der ganze Tag wäre ihm verloren gewesen, und rasch seine Reisemütze aufgreifend, stieg er mit schnellen entschlossenen Schritten, die aber vorsichtiger wurden, als er die etwas steile Treppe erreichte, hinunter.

Die Mamsell stand unten an der Treppe, und mit ihrem freundlichen Lächeln und einem verschämten Blicke die Augen niederschlagend -- sie dachte wahrscheinlich des Moments, in dem sie einander gestern Abend zum letzten male gesehen -- sagte verbindlich:

„Wünsche herzlich wohl geruht zu haben und wollen Sie jetzt nicht gefälligst nähertreten und Ihren Kaffee einnehmen?“

Wohl geruht zu haben -- nun auch noch Hohn zu alledem! -- Wohl zu ruhen zwischen siebzehn Hunden, ohne die Alte, das war zu arg, und jetzt sollte sie es bekommen. „Liebe Mamsell“, sagte der Commerzienrath mit einer Stimme, der sich aber Rührung über das erlittene Unrecht beimischte, und die deshalb viel weicher klang als es überhaupt in seiner Absicht gelegen, „liebe Mamsell, ich möchte Sie sehr bitten --“

„Ach, verehrtester Herr Mahlhuber“, unterbrach ihn aber die Mamsell rasch und fast ärgerlich, „Sie haben ja gar nicht um Entschuldigung zu bitten -- ich war ja eigentlich Schuld daran.“

„Um Entschuldigung bitten?“ fragte der Commerzienrath, dem in dem wärmern Zimmer die Brille angelaufen war, indem er den Kopf niederbog, über die Gläser wegzusehen, „um Entschuldigung bitten --“

„Ich glaubte Sie hätten sich lange zur Ruhe begeben -- und wagte deshalb --“

„Ruh’ begeben?“ wiederholte der Commerzienrath und bog sich immer mehr herunter, den Ausdruck in der Wirthin Gesicht zu sehen, „glauben Sie, verehrteste Mamsell, daß man sich überhaupt zur Ruh’ begeben kann, wenn man das ganze Zimmer voll Hunde hat?“

„Voll Hunde, Herr Mahlhuber? -- Aber ich bitte Sie um Gotteswillen, wie so denn voll Hunde?“

„Wenn man berechtigt ist“, sagte der Commerzienrath seinen Grimm jetzt an dem mehr zugänglichen Kaffee auszulassen, indem er zum Tisch trat, sich eine Tasse einschenkte und während des folgenden Gesprächs trank, „fast anderthalb Dutzend mit dem Beiwort «voll» zu belegen, so kann ich verantworten, was ich behaupte; wollen Sie so freundlich sein und mir meine Rechnung geben?“

„Anderthalb Dutzend Hunde? -- aber bester Herr Mahlhuber -- bitte -- 2 Gulden 15 Kreuzer macht das Ganze -- anderthalb Dutzend Hunde? -- wir haben nur einen einzigen kleinen jungen Pudel im Hause, den der Herr Postmeister vorige Woche erst mit von Bamberg gebracht hat.“

„Einen einzigen?“ rief Herr Mahlhuber entrüstet, indem er das Geld für sein Abendessen und Nachtquartier auf den Tisch legte, „nennen Sie das einen einzigen? -- siebzehn, sage ich Ihnen, siebzehn habe ich in dieser einen unglückseligen Nacht mit eigenen Händen unter meinem Bette vorgeholt und aus der Thür geworfen, und -- die Alte ist vielleicht noch oben.“

„Siebzehn Hunde?“ rief die Mamsell, das Geld erst überzählend und einsteckend und dann die Hände über dem Kopfe zusammenschlagend, „siebzehn junge Hunde?“

Der Commerzienrath nickte durch die Tasse Kaffee durch, die er gerade an den Lippen hielt.

„Aber wir haben nur einen einzigen im Hause, der allerdings immer da oben liegt und den ich gestern ganz vergessen hatte.“

„Wollen Sie mir meine fünf Sinne und die schlaflose Nacht abstreiten?“ rief der Reisende.

„Ach du mein Himmel!“ rief die Mamsell, der jetzt plötzlich ein Licht über das Ganze aufzugehen schien, „da ist die kleine Kröte immer wieder durch das eingeschnittene Loch ins Zimmer gekommen.“

„Was für ein Loch?“ rief der Commerzienrath erschrocken.

„Was der Herr Postmeister hat oben in die Wand schneiden lassen, damit das kleine Thier die Stube nicht verunreinigen soll, wenn die Thür verschlossen wäre.“

„Und Sie haben nur einen Hund?“

„Nur einen einzigen in der Welt.“

„Und da hätt’ ich die kleine infernalische Bestie siebzehn verschiedene male zur Thür hinausgeworfen und jedesmal hinter ihr abgeschlossen, während sie zu dem verdammten Loche wieder hereinkam?“

Die Mamsell wollte etwas darauf erwidern, als in dem Augenblick die heranpolternde Post und das fröhliche Blasen des Postillons sie abrief. Froh vielleicht, einem so unangenehmen Gespräch enthoben zu sein, sprang sie rasch hinaus, nach den neuen Passagieren zu sehen, ob sie vielleicht etwas verlangten, und der Commerzienrath hatte ebenfalls keinen Augenblick Zeit mehr zu verlieren, seine Passage und Ueberfracht zu bezahlen und einzusteigen.

Wie er gerade von dem Hausknecht gefolgt, der seine Utensilien trug, aus der Thür treten wollte, saß der kleine Pudel ihm mitten im Wege und kratzte sich mit dem nur zu gut gekannten Winseln den wolligen Pelz. Der Commerzienrath hob auch in der That schon den Fuß, die kleine Bestie wenigstens in etwas für die schlaflose Nacht auszuzahlen, aber seine angeborene Gutmüthigkeit siegte; tief aufseufzend umging er den sich wenig oder gar nicht um ihn bekümmernden Pudel, der seine Beschäftigung ruhig fortsetzte, und bestieg, ohne auch nur einen Blick zurückzuwerfen, den Postwagen.

 

Reiseromane