Friedrich Gerstäcker - Nach Amerika! Zweiter Band

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Friedrich Gerstäcker
1837 reiste Friedrich Gerstäcker erstmals in die USA und arbeitete in verschiedenen Berufen (als Heizer, Matrose, Jäger, Farmer, Koch, Silberschmied, Holzfäller, Schokoladenerzeuger, Hotelier). Da ihm das städtische Leben nicht zusagte, führte er das aufregende Leben eines Jägers. Seine Tagebuchaufzeichnungen aus Amerika schickte er seiner Mutter, die sie an Bekannte weitergab. Erste Auszüge daraus sollen in Robert Hellers Zeitschrift Rosen erschienen sein, sind allerdings bis heute nicht nachweisbar. Nach sechs abenteuerlichen Jahren, in denen er von Kanada bis Texas und von Arkansas bis Louisiana den Subkontinent durchwandert hatte, kehrte er voller Tatendrang 1843 nach Deutschland zurück. Er ließ sich in Dresden nieder, fertigte Übersetzungen bekannter Autoren aus dem Englischen an und veröffentlichte seine ersten schriftstellerischen Arbeiten in verschiedenen Zeitschriften. Die Regulatoren in Arkansas und Die Flußpiraten des Mississippi begründeten seinen schriftstellerischen Erfolg, Gerstäcker konnte seinen Lebensunterhalt künftig als Freier Schriftsteller sehr gut bestreiten.

 

Friedrich Gerstäcker - Nach Amerika! Zweiter Band

 

Friedrich Gerstäcker (* 10. Mai 1816 in Hamburg; † 31. Mai 1872 in Braunschweig) war ein deutscher Schriftsteller. Er ist vor allem durch seine Bücher über Nordamerika bekannt; seine Bestseller waren Die Regulatoren von Arkansas (1846) und Die Flußpiraten des Mississippi (1847). Er gehört zu den bedeutendsten Vertretern der deutschen ethnographischen Abenteuerliteratur. Auch nach über hundert Jahren erscheinen zu Recht immer wieder neue Ausgaben seiner bekannten Romane.

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Nach Amerika! Ein Volksbuch

Zweiter Band von Friedrich Gerstäcker. Illustrirt von Carl Reinhardt. Leipzig, Hermann Costenoble, Verlagsbuchhandlung Berlin, Rudolph Gaertner, Amelang’sche Sort-Buchhandlung

1855

 

 

INHALT DES ZWEITEN BANDES.

  1. Die Seestadt.
  2. Der Weserkahn.
  3. Das Schiff.
  4. In See.
  5. Die Passagiere.
  6. Leben an Bord.
  7. Leben an Bord.
  8. Die Entdeckung.
  9. Land.

 


Capitel 1.

DIE SEESTADT.

Am 29. August Abends zehn Uhr rasselten zwei Droschken durch die engen, noch ziemlich belebten Straßen Bremens, und hielten, dicht hintereinander, vor dem offenen Thorweg des »Hannoverschen Hauses« aus dem ein paar geschäftige Kellner sprangen, die Neuangekommenen in Empfang zu nehmen.

»Um wie viel Uhr fährt morgen früh die Haidschnucke ab?« frug ein ältlicher Herr, der in einen weiten Mantel gewickelt hastig aus dem ersten Wagen stieg, indeß aus dem anderen ein paar Damenhüte schauten, als ob sie noch unschlüssig wären hier auszusteigen oder weiter zu fahren.

»Haidschnucke?« sagte der Oberkellner etwas verblüfft den Fremden und dann den ebenfalls herzugekommenen Hausknecht anschauend — »Haidschnucke?«

»Weet ick nich« erwiederte dieser, kurz angebunden, und fing an, ohne weiter zu fragen die verschiedenen, vorn auf dem Bock aufgehäuften Koffer und Hutschachteln von diesem herunter zu ziehen.

»Das Schiff Haidschnucke, Capitain Siebelt, nach New-Orleans bestimmt,« erklärte der Fremde — ein alter Bekannter von uns, Professor Lobenstein — dem Kellner indeß; »der Abgang war auf morgen früh bestimmt, und ich wollte schon gestern hier sein, bin aber um einen Tag aufgehalten worden.«

»Ach Sie meinen ein Seeschiff,« sagte der Kellner beruhigend, »da brauchen Sie keine Angst zu haben; die gehen selten so pünktlich — befehlen Sie zwei oder drei Zimmer?«

»Ja selten so pünktlich,« wiederholte der Professor ungeduldig — »darauf kann ich mich nicht einlassen — He! — Sie da — wo laufen Sie denn mit den Sachen hin? lassen Sie mir das erst Alles einmal auf der Hausflur stehn, bis Sie weiteren Bescheid bekommen. Wo wohnt denn wohl der Rheder der Haidschnucke?«

»Der Rheder der Haidschnucke?« wandte sich der Oberkellner wieder fragend an den Hausknecht — »wer hat denn die Haidschnucke eigentlich?«

»Weet ick nich« sagte der Hausknecht wieder wie vorher kurz angebunden.

»Ferdinand Hessburg« kam ihm der Professor hierbei zu Hülfe, »die Firma heißt, glaub’ ich, Hessburg und Sohn.«

»Ach ich weiß schon« erwiederte der zweite Kellner jetzt — das Geschäft ist in der Seemannsstraße, aber Hessburgs wohnen am Wall.«

»Kann ich Jemand bekommen der mich dorthin begleitet?« frug der Professor.

»Es ist zehn Uhr vorbei« sagte der zweite Kellner, achselzuckend.

»Ich _muß_ Jemanden aus dem Geschäft noch diesen Abend sprechen« beharrte aber der Professor in der einmal gefaßten Furcht, daß er die Abfahrt des Schiffs versäume, »können Sie nur Jemand von hier mitgeben, so mögen meine Damen so lange in das Gastzimmer gehn und sich ein wenig restauriren. Ist es dann nöthig, so nehmen wir nachher Extrapost und fahren nach Bremer Hafen hinaus.«

Die Damen waren indeß ausgestiegen, und die verschiedenen Collis in dem Gastzimmer, an dessen Abendtafel es ziemlich lebhaft herging, neben dem Ofen aufgethürmt worden zu augenblicklicher Weiterbeförderung, falls diese nöthig werden sollte, bereit zu sein. Der Professor Lobenstein aber ging raschen Schrittes, mit dem einsylbigen Hausknecht als Führer, die Straßen entlang, dem bezeichneten Stadtviertel zu, bis Jahn, wie der Hausknecht hieß, vor einem sehr eleganten Hause Halt machte und dort auch, ohne weiter ein Wort zu sagen, mit solcher Gewalt an dem Messinggriff der Klingel riß, daß das ganze Haus von dem so plötzlich geweckten Geläute wiederschallte.

»Aber um Gottes Willen« rief der etwas rücksichtsvolle Fremde erschreckt.

»Dat sollen se woll ’hört hebben« meinte aber Jahn ruhig und schob seine Hände, wie vollständig mit sich zufrieden in die Taschen, während drinnen im Haus ängstlich bestürzte Stimmen laut wurden, und Leute hin und wieder liefen. Oben in der ersten Etage öffnete sich aber auch gleich darauf ein Fenster, und eine ziemlich ärgerliche Baßstimme frug herunter wer da wäre, und wo es brenne?

»Ich bitte tausendmal um Entschuldigung« sagte aber der Professor, unwillkürlich in der Dunkelheit seinen Hut abnehmend, »mein Führer hier hat so entsetzlich an der Klingel gerissen.«

»Zu wem wollen Sie?« frug der Baß oben, die Entschuldigung unten kurz abschneidend — »hier wohnt kein Doktor.«

»Habe ich das Vergnügen mit Herrn Hessburg zu sprechen?« frug aber der Professor zurück.

»Mein Name ist Hessburg,« sagte der Baß.

»Dann sind Sie wohl so freundlich mir zu sagen, um welche Tageszeit die Haidschnucke morgen segelt« sagte der Professor, froh endlich an den rechten Mann gekommen zu sein, »und ob ich noch zur rechten Zeit komme, wenn ich jetzt Extrapost nehme und die Nacht durch nach Bremerhafen fahre — ich habe mich um einen Tag verspätigt und möchte das Schiff nicht versäumen.«

»Extrapost nehmen?« frug die Stimme oben erstaunt; »morgen früh um sechs und Mittags um elf geht ja ein Dampfboot nach Bremerhafen, warum wollen Sie denn nicht mit dem fahren?«

»Aber komme ich dann noch zur rechten Zeit?«

Die Stimme oben murmelte etwas, das der Professor unten nicht verstehen konnte — »sind Sie ein Passagier der Haidschnucke?« sagte es dann wieder lauter.

»Aufzuwarten — Professor Lobenstein aus Heilingen.«

»Ah — bitte um Entschuldigung Herr Professor, daß ich Sie habe so lange da unten stehen lassen. Marie machen Sie einmal unten die Thüre auf.«

»Bitte, bitte« rief aber der Professor — »ich will Sie keineswegs mitten in der Nacht belästigen — also komme ich noch früh genug wenn ich morgen um sechs Uhr mit dem ersten Boot abfahre?«

»Die Haidschnucke wird wohl kaum vor Abend in See gehn — der Wind ist noch nicht ganz günstig« sagte der Baß oben — »wenn Sie um 11 Uhr fahren haben Sie vollkommen Zeit — das Schiff liegt vor Brake und wird morgen früh noch einige verspätete Fracht an Bord nehmen.«

»Vor Brake?« wiederholte der Professor, mit der Geographie der Weser noch nicht so weit bekannt.

»Der Hafen diesseit Bremerhafen« sagte der Baß — »die Leute auf dem Dampfboot kennen den Ort und das Schiff —«

»Ich bin Ihnen sehr verbunden —«

»Bitte Herr Professor — Sie werden entschuldigen —«

»Bitte sehr — ich habe um Entschuldigung zu bitten —, Sie in so später Nachtzeit noch gestört und belästigt zu haben.«

»Oh — war mir sehr angenehm Ihre werthe Be —« das übrige verschwamm in einem dumpfen, unverständlichen Murmeln, unter dem sich das Fenster oben langsam wieder schloß, und der Professor bedeutete seinen Führer, ihn so rasch als möglich, zu dem Hotel zurückzubringen.

Lobensteins hatten dort indessen, so gut das in dem ziemlich besetzten Speisesaal eben gehen wollte, einen der Ecktische in Besitz und Platz daran genommen, und sich Thee und Butterbrod geben lassen, auf eine mögliche Nachtfahrt mit Extrapost wenigstens in etwas vorbereitet zu sein. Die beiden jüngsten Kinder, Carl und Gretchen mußten dabei im Schlaf in die Stube getragen und konnten kaum munter erhalten werden, noch etwas zu sich nehmen, und legten sich dann mit den Köpfchen, Carl auf den Tisch und Gretchen in Mutters Schooß — weiter zu schlafen.

Der Aufenthalt in dem großen, heißen Saale, mit den vielen Menschen, dem lauten Reden und Lachen und dem fast undurchdringlichen Tabacksqualm, die ganze fremde Umgebung dazu mit dem unbestimmten Gefühl das Schiff, mit dem ihre sämmtlichen Sachen befördert worden, am Ende gar schon versäumt zu haben, auch das übernächtige einer späten Fahrt, auf der mit bleierner, peinlicher Schwere der kaum überstandene Abschied aus der Heimath lag, das Alles vereinigte sich sie niederzudrücken und ernst und traurig zu stimmen, und das einfache Abendbrod wurde still und schweigend verzehrt. Jedes war mit seinen eigenen Gedanken viel zu sehr beschäftigt sich dem Andern mitzutheilen.

Nur Eduard, Professor Lobensteins ältester Sohn, der einzige vielleicht von der ganzen Familie, der sich wirklich auf die Reise freute und gern das regelmäßige, ihm entsetzlich langweilig vorkommende Schulwesen verlassen hatte, einem anderen, freieren Lebensberuf zu folgen, gab sich in dem Reiz der Neuheit, der die Jugend über so Manches hinwegsetzt, den fremdartigen Eindrücken selbst mit einigem Behagen hin. Die Rücklehne seines Stuhles gegen die Wand lehnend, überschaute er die bunten, sich vor ihm wie auf einem aus der Erde heraufbeschworenen Theater bewegenden Gruppen, und lauschte den sich fast sämmtlich um Amerika und die Reise drehenden Gesprächen der ihm nächsten Gäste und Fremden, bis sein Blick endlich auf einen kleinen Mann fiel, der ihnen gerade gegenüber und das Gesicht ihnen zugewendet, seinen Platz genommen hatte, und sie auf das aufmerksamste zu betrachten schien.

Der Fremde saß verkehrt auf seinem Stuhl, die Arme auf die Lehne desselben und sein Kinn wieder auf diese stützend, und schien sich in der That von der übrigen Gesellschaft ganz zurückgezogen oder abgewandt zu haben, und die neuangekommene Familie auf das Genauste zu betrachten.

Es schien übrigens, wie er _so_ da saß, ein kleines schmächtiges Männchen von vielleicht vierzig bis vierundvierzig Jahren, mit grauer runder Mütze und schwarzem vorn fast spitz zulaufendem Schild, grauem Frack, grauer Hose, grauer Weste, grauem Halstuch und grauen Zeugstiefeln, in der linken Hand, lang zusammengefaltet, ein paar graue Zwirnhandschuh. Die kleinen lebhaften Augen funkelten dabei scharf und forschend unter dem spitzen ziemlich tief niedergezogenen Mützenschilde vor, und hafteten so lang und so forschend erst auf dem jungen Mann, dann auf der Mutter und auf den Töchtern, bis er Eduards Auge ebenfalls auf sich zog und dann, als ob er fühle daß sein Betragen vielleicht auffällig wäre, sich weiter mit seinem Stuhl zurückzog und sich mehr seitwärts setzte. Seine Blicke schweiften aber dennoch fortwährend, und wie fast unwillkürlich, nach dem Tische hinüber, an welchem die fremden Damen saßen, und hafteten dann hauptsächlich — Eduard, als er erst einmal aufmerksam wurde, konnte das deutlich erkennen — auf seiner Mutter.

Die Frau Professorin war jedoch viel zu sehr mit ihren Kindern und der Sorge um ihr Gepäck beschäftigt, den kleinen grauen Mann auch nur zu bemerken, viel weniger denn zu finden daß sie selber von ihm so scharf beobachtet wurden, bis sie Eduard endlich darauf aufmerksam machte und sie frug, ob sie den Fremden vielleicht schon früher einmal gesehen habe. So wie sie aber zu dem hinüber sah, stand er, wie verlegen, von seinem Sitze auf, zog die Mütze vorn womöglich noch weiter herunter, steckte dann beide Hände hinten in seine Fracktaschen, und verließ, leise vor sich hin pfeifend, das Zimmer.

»Sie, Kellner!« rief aber jetzt Eduard, den der Mann an zu interessiren fing, einem der um sie beschäftigten aber ebenfalls ziemlich schläfrig aussehenden Kellner zu — »kennen Sie den Herrn der da eben hinausging?«

»Eben hinausging?« sagte der Kellner, einen faulen Blick nach der Thür werfend — »ich habe nicht darauf geachtet.«

»Der mit der grauen Mütze und dem grauen Rock.«

»Ach — die Nachtigall?« sagte der Kellner, und ein breites, etwas dummes Lächeln zog ihn den Mund fast von einem Ohre bis zum andern.

»Die Nachtigall?« wiederholte Eduard etwas verdutzt.

»Nun Sie meinen doch den kleinen grauen Mann mit dem spitzen Mützenschilde?« lachte der Kellner.

»Ja wohl, denselben.«

»Nun ja, das ist ein sonderbarer Kautz, der schon acht Tage bei uns wohnt. Er heißt Schultze und will mit der Haidschnucke nach Amerika.«

»Mit der Haidschnucke? — mit der wollen ja auch wir fort« — rief Eduard rasch — »also segelt sie noch nicht morgen in aller Früh?«

»Ich glaube nicht« sagte der Kellner, »sonst wäre die Nachtigall doch schon längst nach Bremerhafen hinauf — auf wann war sie denn angezeigt?«

»Auf morgen früh — bestimmt.«

»Ah da haben Sie noch Zeit genug,« gähnte der Kellner — »_unter_ acht Tagen gehn Sie dann gewiß noch nicht in See.«

»_Acht_ Tage?« rief Eduard erschreckt — »das wäre eine schöne Geschichte wenn wir hier noch acht Tage im Wirthshaus liegen sollten.«

»Lieber Gott« meinte der Kellner, eine Parthie abgegessener Teller von einem der Nachbartische aufnehmend und damit fortgehend — »die Auswanderer liegen hier manchmal vier und sechs Wochen, ehe ihr Schiff segelt.«

»Das wären traurige Aussichten« sagte Anna, die nicht weit von Eduard saß, und des Kellners Bemerkung gehört hatte — »da hätten wir uns freilich die letzten Tage in Heilingen nicht so entsetzlich abzuhetzen brauchen.«

»Was weiß der Kellner davon« tröstete sie aber Eduard; »apropos, der kleine graue Mann, der uns da gerade gegenübersaß und Mutter immer so anstarrte, geht auch mit der Haidschnucke nach New-Orleans?«

»Um Verzeihung,« fiel hier ein anderer Fremder, der an einem benachbarten Tisch saß, ein, sich im Stuhl etwas zurückbiegend — »habe ich recht gehört und gehen Sie wirklich mit der Haidschnucke nach New-Orleans?«

»Allerdings« erwiederte ihm Eduard — »wir haben unsere Passage auf dem Schiff genommen.«

»Ah, das ist mir doch ungemein angenehm« erwiederte der Fremde sich rasch vollständig gegen die Damen herumdrehend; »da bin ich so frei mich Ihnen als künftigen Reisegefährten gehorsamst vorzustellen.«

Die Damen verbeugten sich leicht gegen den sich selber Einführenden, und Frau Professor Lobenstein wollte ihn eben fragen ob er etwas Bestimmtes über die Abfahrt des Schiffes wisse, er ließ sie aber gar nicht zu Worte kommen, und fuhr rasch, seinen Stuhl jetzt vollständig zu ihrem Tische rückend, fort:

»Ist mir doch wirklich sehr angenehm; wunderbares Zusammentreffen das, ebenfalls, eh? — wie sich die Leute doch so auf der Welt finden; kommen hier in _einem_ Gasthaus, an _einem_ Tisch zusammen und sind, unbewußt, im Begriff eine so ungeheure Reise mit einander zu machen und die Gefahren des Oceans zu theilen. Liegt ungeheuer viel Poesie in dem Gedanken.«

Der gesprächige Fremde machte hier zum ersten Mal eine Pause, indem er seine ziemlich geleerte Weinflasche und sein Glas von dem Tisch an dem er vorher gesessen, herüber nahm, und vor sich hinstellte, und sein Glas dabei wieder füllte und mit einer Verbeugung gegen die Damen trank.

Es war ein Mann ziemlich hoch in den Dreißigen, sehr sorgfältig angezogen, mit einem großen Siegelring an dem Zeigefinger der rechten und drei oder vier anderen Ringen an dem kleinen Finger der linken Hand. Er trug sein Haar dabei _à la malconte_, vollkommen kurz abgeschnitten, und wie es schien dem Bart zu Liebe, dem er desto volleres und unbeschränkteres Wachsthum gestattete. Die Tuchnadel, die seine schwarzseidene, kunstgerecht gefaltete Cravatte zusammenhielt, war ein kleiner goldener Bacchus auf einem Faß, der einen, wahrscheinlich unächten Diamant als Glas in die Höhe hielt und sein ziemlich starkes Uhrgehänge bestand aus einer Unmasse kleiner goldener oder vergoldeter Werkzeuge, Hammer, Korkzieher, Pistolen, Flaschen, Musikinstrumente &c. &c. Sein Gesicht machte dabei gerade keinen angenehmen Eindruck; die Stirn war sehr niedrig und etwas zurückgehend, mit einer ziemlich tiefen Falte queer darüber hinziehend, und die kleinen blauen Augen flogen unruhig umher, während er sprach, indeß der Zug um den Mund eine merkwürdig stark ausgeprägte Zuversichtlichkeit, wie vielleicht auch Eigenliebe verrieth; dennoch ließ sich ein gutmüthiger Ausdruck darin nicht verkennen, und das ganze Gesicht war entschuldigt, sobald man erfuhr, daß es einem Weinreisenden gehörte.

»Und können Sie uns vielleicht genau die Abfahrt des Schiffs sagen?« frug die Frau Professorin endlich, die erste mögliche Pause benutzend; »es hieß daß es schon morgen früh in See gehen sollte.«

»Wind und Wetter _permitting_ wie die Engländer sagen« lächelte der Weinreisende, sehr zufrieden dadurch zugleich seine nautischen wie auch sonstigen Kenntnisse der englischen Sprache gezeigt zu haben.

»Was heißt das?« sagte die Frau Professorin, etwas verlegen.

»Ah, daß ein Schiff nicht segeln kann, wenn der Wind nicht günstig ist,« lächelte der Weinreisende nach den beiden jungen Damen hinüber. »Uebrigens wird die Haidschnucke keineswegs vor morgen Abend in See gehn« setzte er beruhigend hinzu; »ich bin mit dem Capitain sehr eng befreundet — wir haben schon manche Flasche zusammen ausgestochen, und er hat mich versichert daß er morgen Abend um sechs Uhr, mit eintretender Ebbe, seinen Anker lichten und seine Segel spannen würde. Sie wissen wohl, gnädige Frau — »Segel gespannt und den Anker gelichtet,« wie wir Seeleute singen.«

»Also vor morgen _Abend_ nicht? oh das ist mir _sehr_ lieb« sagte die Frau beruhigt; »dann brauchen wir auch nicht die Nacht durchzureisen und ich kann die Kinder zu Bett bringen, sobald der Vater zurückkommt. Sie wissen es doch ganz gewiß?«

»_Parole d’honneur_!« sagte der Weinreisende, sich, mit der rechten Hand und den Siegelring auf dem Herzen, verbeugend. »Uebrigens« fuhr er lebhafter fort, »wird, nach Goethe, wie bekannt, durch zweier Zeugen Mund, überall die Wahrheit kund, und hier an dem Tisch sitzt noch ein Reisegefährte von uns, der ebenfalls seine Passage auf der Haidschnucke genommen hat und erst wahrscheinlich morgen früh um elf Uhr mit dem zweiten Dampfboot nach Brake fahren wird, an Bord zu gehn — Herr Mehlmeier, dürfte ich Sie bitten sich einen Augenblick hierherüber zu bemühen und — Sie erlauben mir doch daß ich ihnen Herrn Mehlmeier vorstellen darf?«

»Wird uns sehr angenehm sein« sagte die Frau Professorin etwas verlegen; es war ihr eben _nicht_ angenehm, in der Abwesenheit ihres Mannes mit so vielen fremden Menschen hier zu verkehren.

Herr Mehlmeier, der indessen still und regungslos, und ohne auch nur den Kopf nach jemand Anderem umzuwenden, vor seinem wieder und wieder gefüllten Glas Bier gesessen hatte, war bei dem Ruf seines Namens aufgesprungen, als ob ihn was mit einer Stecknadel an irgend einem empfindlichen Theil gestochen hätte. Es war eine große, fast übermäßig starke Gestalt, die des Herrn Mehlmeier, mit einem vollen runden gutmüthigen Gesicht, sehr breiten Schultern und stattlichem, etwas bauchigem Körper, Marie aber sowohl wie Eduard, und selbst Anna konnten sich kaum eines Lächelns erwehren, als er den Mund öffnete, und mit einer ganz feinen weichen, fast weiblichen Stimme ausrief:

»Was befehlen Sie Herr Steinert?«

»Ach lieber Herr Mehlmeier,« rief aber Herr Steinert — »ich wollte mir vor allen Dingen die Freiheit nehmen, Sie den Damen hier, die wir so glücklich sind künftige Reisegefährtinnen von uns zu nennen, nach aller Form vorzustellen — Herr Christian Mehlmeier von Schmalkalden — und — aber ich weiß wahrhaftig Ihren eigenen Namen noch nicht, meine Damen —«

»Die Familie des Professor Lobenstein aus Heilingen« nahm hier Eduard das Wort, der sich jetzt besonders für den dicken Mann mit der feinen Stimme interessirte.

»Professor Lobenstein?« rief Herr Steinert, rasch nach dem jungen Mann herumfahrend — »Familie des Professor Lobenstein — _corpo di Bacho!_ da sind wir ja alte Bekannte — habe das Vergnügen schon früher gehabt mit Ihrem Herrn Vater in einer sehr angenehmen Geschäftsverbindung zu stehn — ich machte in Weinen für das Haus Schwartz und Pelzer in Frankfurt am Main — und der Herr Professor machten ebenfalls die Reise mit.«

»Wir erwarten ihn jeden Augenblick« sagte die Frau Professorin, sich dabei ungeduldig nach der Thüre umsehend, denn die Bekanntschaft des Herrn Steinert, der mit seiner lauten Stimme schon die Aufmerksamkeit sämmtlicher übrigen Gäste auf sie gezogen hatte, fing an ihr drückend zu werden.

»Er ist eben fortgegangen sich über die genaue Abfahrt des Schiffes Gewißheit zu holen,« ergänzte Eduard.

»Ah ja, unser Schiff« rief Herr Steinert, sich plötzlich wieder der Sache erinnernd, wegen der er Herrn Mehlmeier eigentlich herbeigerufen. »Sie haben ja selber heute mit den Rhedern gesprochen, nicht wahr lieber Mehlmeier?«

»Ja wohl« sagte der dicke Mann mit seiner feinsten Stimmlage, während er dabei stark mit dem Kopf schüttelte.

»Dann ist also keine Gefahr daß wir das Schiff versäumen, wenn wir bis morgen früh hier bleiben?« frug die Frau Professorin. Herr Mehlmeier nickte ihr aber sehr bedenklich zu und sie frug rasch — »Sie glauben doch?«

»Bitte um Verzeihung — Gott bewahre« sagte der dicke Mann erschreckt. — Das Gespräch wurde aber hier durch den Professor selber unterbrochen, der in diesem Augenblick den Saal betrat und noch unter der Thür zwei Zimmer für sich und die Seinen mit den nöthigen Betten, bestellte. Der Oberkellner war ihm darin aber schon zuvorgekommen, und trotzdem daß Herr Steinert jetzt mehre Anläufe nahm ein Gespräch mit Professor Lobenstein anzuknüpfen, und sich ihm als alten Bekannten vorzustellen, hatte dieser doch zu wenig Zeit sich, außer einigen höflich gewechselten Worten, mit ihm näher einzulassen. Die Frauen waren müde und erschöpft, und das Gepäck mußte nach oben geschafft werden, wo der Professor selber seinen Thee trinken wollte; so jede weitere Unterhaltung auf den nächsten Morgen verschiebend, empfahlen sich die Neugekommenen, und verschwanden gleich darauf mit den voranleuchtenden Kellnern in den Gängen der ersten Etage.

 

In dem Gastzimmer des Hannöverschen Hauses begann aber jetzt erst, trotz der späten Stunde, ein reges geselliges Leben. Viele der Passagiere der Haidschnucke, wie noch mehrer anderer Schiffe deren Abreise theils auf morgen, theils auf die nächsten Tage angekündigt worden, hatten sich hier zusammengefunden und feierten unter Lachen und Singen, mit Bier oder Champagner, und lustigen fröhlichen Plänen für »da drüben,« den »letzten Tag in der Heimath« wie sie’s nannten.

»_Den letzten Tag in der Heimath_« — wie leicht, wie lustig sie das sprachen, und wie laut und fröhlich die Gläser dazu klirrten, und die Stimmen einfielen in den donnernden rauschenden Chor ihrer heimischen Lieder. Den letzten Tag in der Heimath; und für wie Viele war es der _letzte_ Tag — wie Wenige von allen denen, die jetzt jauchzend das neue fremde Leben begrüßten, und die Erinnerung in Strömen Weins verschwemmten, sollten die Heimath wirklich wiedersehn, nach der doch alle Fasern ihres Herzens zurück sich sehnten viele Jahre lang. »Der letzte Tag in der Heimath« oh es denkt sich leicht, mit all den wundertollen Bildern, die unsere Phantasie sich aufgebaut, gewissermaßen schon in Sicht — in Arms Bereich. Mit dem alten Leben abgeschlossen hinter sich, voll Ungeduld dem Augenblick entgegensehend wo sie das neue beginnen dürfen und können, ist ihnen das Vaterland nur noch das letzte Sprungbret, von dem aus sie mit keckem fröhlichem Satz einer neuen Welt in die Arme fliegen, und sie _feiern_ den Tag und die Stunde, vor deren Nahen sie Jahre lang gebebt — oh daß sie nie den Tag beweinen müßten.

Die Fröhlichkeit der Auswanderer ist aber in solchen Fällen auch selten eine ruhige, meist eine wilde, ausgelassene, wie das auch wohl kaum anders der Fall sein kann; sie _wollen_ nicht zurückdenken an das was hinter ihnen liegt, und das Nöthigste was sie dabei zu thun haben, ist die Gedanken zu betäuben, die ihnen oft dennoch ins Hirn steigen, sie mögen sie eben haben wollen oder nicht.

Eine Menge der jungen Leute waren an dem Abend noch einmal im Theater gewesen, in der fremden Stadt irgend ein altes bekanntes Stück aufführen zu sehen, und saßen jetzt bei ihrem Abendessen und Wein, und sprachen und stritten sich über die Aufführung, als ob sie nur eben deretwegen allein nach Bremen gekommen wären. Dort in der Ecke rechneten ein paar, die wahrscheinlich gemeinsame Casse mit einander hatten, und jetzt ihre gehabten und zu habenden Auslagen wohl durchsahen; die meisten aber lachten und plauderten mit einander und tranken und sangen noch, heimische Weine und Lieder bis spät in die Nacht hinein.

Ganz still und geräuschlos war indessen ein alter polnischer Jude in seiner Nationaltracht, dem langen schwarzen schmutzigen seidenen Kastan, mit einem Knaben von vielleicht zwölf oder dreizehn Jahren hinter sich, ebenfalls in das Gastzimmer gekommen, und hatte sich an einem der leer gewordenen Seitentischchen ein Glas Bier geben lassen, von dem er in langsamen, durstigen Zügen trank. Der Knabe trug ein, in ein rothbaumwollenes Tuch eingeschlagenes Packet unter dem linken Arme, das er neben sich auf den Tisch legte und sich dann zurück auf seinen Stuhl setzte, den Kopf auf die Lehne desselben lehnte, und die Augen ermüdet schloß. Das grelle Licht der Lampen fiel voll auf die bleichen, von schwarzen vollen Locken umwogten Züge, und der sonst wirklich schöne Kopf des Kindes bekam, auch vielleicht mit in der unnatürlichen zurückgeworfenen Lage, etwas unheimlich Krankhaftes, ja fast Leichenartiges.

»Komm Philipp« sagte der Alte, als sie eine Weile so gesessen hatten, mit unterdrückter Stimme, indem er den jungen Burschen mit dem Fuße anstieß — »es werd spät, pack die Harmonika aus und laß uns anfange. Die Leut’ hoben hier viel getrunken und sind guter Laune; werd auch ’was für uns dabei abfalle.«

Der Knabe öffnete die großen schwarzen Augen und sah den Mann ein paar Secunden starr an, als ob er nicht recht begriffen hätte was er sagte.

»Na, werd’s bald?« rief aber dieser, ärgerlich aufbrausend, aber doch so leise daß es selbst die an den nächsten Tischen Sitzenden nicht verstehen konnten — »ist es dem jungen Herrn gefällig, oder soll ich ihn etwa aufwecken?«

»Ja ja, Vater!« rief der Knabe jetzt, rasch und erschreckt emporfahrend — »wollen wir denn noch singen heute Abend?« setzte er aber langsamer und fast wie ängstlich hinzu.

»Wolle wir denn noch singen?« wiederholte der Alte spöttisch und ärgerlich, »Gottes Wunder, glaubt der junge Herr daß ich ihn Abends in die Wirthshäuser führe zu seinem Vergnigen? — wolle wir denn noch singen? Abraham und Jacob, was ist das for a Frog.«

Der Knabe war übrigens schon bei den ersten ärgerlichen Worten des Alten von seinem Stuhle aufgesprungen, und sich die Locken aus der Stirn streichend, machte er sich eifrig daran, das auf dem Tisch liegende Packet aufzuknüpfen, und den Inhalt auf der Tafel desselben auszubreiten. Hierbei war ihm der Alte behülflich, und ordnete jetzt selber eine Masse mit einander leicht verbundener Stöcke oder Stäbe von weichem Holz, die, manche stärker, manche schwächer, mit einer Unterlage von dünn- aber festgedrehten Strohseilen auf den Tisch an beiden Enden auf- und in der Mitte hohlzuliegen kamen.

»Hallo was ist das?« rief Steinert, der dem Tische zunächst saß und die wunderlichen Vorbereitungen bemerkte — »eine Holzharmonika, wahrhaftig — ah, meine Herren, jetzt werden wir etwas zu hören bekommen; die klingt famos, wenn sie der alte Bursche da nur zu spielen versteht.«

»Werd’ er sie nicht zu spielen verstehn — spielt sie schon fünfundzwanzig Jahr« schmunzelte der Alte vergnügt vor sich hin — »nu Philippche, mei Jingelche jetzt paß auf, und fall mer ein zur rechten Zeit mit der Flöte.« Zugleich die beiden, ihm zur Hand liegenden Klöppel ergreifend, fuhr er mit rascher geübter Hand über die eigenthümlichen Tasten hin, denen er dabei einen nicht zu lauten, aber wunderbar harmonischen vollen Ton entlockte. Wie Glockenspiel klangen die Laute, die entfernteren Räume mit ihrem Wohlklang füllend, und die Gäste, nach allen Richtungen hin horchten hoch auf, vergaßen von was sie gesprochen, und kamen heran, den Tisch umdrängend, an dem der alte Jude spielte.

 

»So Philippche, nu fang an!« nickte er aber jetzt dem Knaben zu, der bis dahin still und regungslos neben dem Tisch gestanden und sich kaum der Leute hatte erwehren können, die ihn umpreßten; dabei fiel er in die englische Volkshymne _God save our gracious queen_ ein, die der Knabe jetzt in der zweiten Stimme mit der Kehle, aber so täuschend den vollen weichen Laut der Flöte nachahmend, begleitete, daß die Zuhörer wirklich in den ersten Minuten ganz die Harmonika vergaßen und noch näher hinanwollten, nur um zu sehen ob der junge Bursche nicht wirklich eine Flöte habe auf der er spiele, und das Alles allein aus der eigenen Kehle herausbringe.

 

Der alte Mann, den der Zudrang freute, denn er bewies ihm die Theilnahme der Hörer und ließ ihn auf gute Einnahme rechnen, fuhr dabei mit großer Leichtigkeit und Sicherheit über die fibrirenden Tasten, und seine ganze, erst so ruhige in sich gesunkene Gestalt schien mit den Tönen Leben zu gewinnen, und aus sich herauszugehn. Es war eine kleine schmächtige, aber zähe und knochige Gestalt, der Mann in dem schwarzen, schmutzigen Kastan; über die scharf gebogene Nase zog sich ihm eine tiefe dunkle Falte, und zwei schwarze Gruben in den hohlliegenden Wangen hoben die dunkelglühenden, unstet umherblitzenden Augen nur noch mehr hervor, und verloren sich in dem fuchsigen, sorgfältig gekämmten langen und spitzen Bart, der nur am Kinn in den schon weiß gewordenen Haaren das Alter des Mannes verrieth.

Der Knabe war, wie schon gesagt, etwa zwölf bis dreizehn Jahre alt, trug aber nicht die polnische Tracht, sondern einen gewöhnlichen Rock und eine blaue Mütze, die er neben sich auf dem Tisch liegen hatte, während der Mann sein altes schmutziges abgegriffenes Sammetmützchen aufbehielt. Das zwar bleiche doch wirklich schöne asiatische regelmäßige Gesicht des Kindes — denn es konnte kaum über die Kinderjahre hinaus sein, blieb aber kalt und theilnahmlos bei den weichsten, ergreifendsten Tönen seiner eigenen Brust und, ohne Seele, beherrschte er mit wunderbarer Gewalt fast, die mächtige Stimme, die sich oft zu einer Stärke hob, daß die Umstehenden ihr lautes Erstaunen nicht zurückhalten konnten, und dann in stürmischen, donnernden Beifall ausbrachen. Mit unnatürlicher Gewalt mußte der Knabe dabei seine Stimme, die Töne der Flöte nachzuahmen, zu ihrer höchsten Lage hinaufzwingen, und der Schweiß stand ihm auf der weißen Stirn in großen Tropfen, solche Anstrengung kostete es ihm. Aber der Alte spielte unverdrossen fort — jetzt »Lützow’s wilde verwegene Jagd« wie es Einzelne der Gesellschaft wünschten, und dann »des Deutschen Vaterland« nach Anderer Ruf; dann den Jägerchor, und die neueste Polka, und Trinklieder zuletzt, zu denen sie ihm und dem Knaben Wein brachten, bis spät in die Nacht hinein.

Zuletzt konnte aber der Knabe nicht mehr — die Stimme schlug ihm mehrmals über, und wenn ihn gleich der Alte ärgerlich dabei ansah, ließ es sich nicht erzwingen. Philipp schaute bittend zu ihm auf und schüttelte mit dem Kopf, und der Alte legte plötzlich seine Klöppel bei Seite und fing an die Hölzer wieder zusammenzupacken, während welcher Zeit der junge Bursch einen Teller nahm und in dem Zimmer sammelnd umherging. Die Gäste schienen allerdings mit dem frühen Aufbruch, wie sie’s nannten, gar nicht zufrieden, und Steinert besonders verlangte noch einige Lieblings- Trink- und Weinlieder, die kein Mensch weiter kannte, der alte Mann schüttelte aber mit dem Kopf und meinte es sei genug, sein Junge würde ihm sonst krank und könnte nicht mehr pfeifen, und der Ertrag der Sammlung fiel dabei über alles Erwarten reich und günstig aus.

Auswanderer, vorzüglich die in den Hotels wohnenden, haben meist immer noch eine Menge »deutsches Geld« in den Taschen, das sie, wie sie sagen »doch nicht mit auf das Schiff nehmen können« und sind gewöhnlich sehr freigebig mit dieser kleinen Münze, so lange sie eben dauert. Sehr zu ihrem Erstaunen müssen sie dann aber auch freilich nicht selten schon eingewechseltes amerikanisches Geld wieder »in den Markt« bringen, und die ewige Klage ist nachher »oh die theueren Seestädte.«

»Von woher seid Ihr denn, Alter?« frug ihn jetzt Steinert, der, noch am sparsamsten, nur einige Grote auf den Teller geworfen hatte — »doch nicht aus Bremen?«

»Gott der Gerechte, nein!« lächelte der Gefragte, mit einem flüchtigen aber zufriedenen Blick den Haufen eingesammelter Münzen, unter denen sich nicht ein einziges Kupferstück befand, überfliegend — »bin ich doch von Bromberg.«

»Von Bromberg? Donnerwetter das ist weit« sagte der Weinreisende — »und was thut Ihr hier in Bremen?«

»Was wir in Bremen thun?« frug der Jude, die Augenbrauen in die Höhe ziehend — »Gottes Wunder was thun _Sie_ in Bremen?«

»Ei _wir_ wollen auswandern, Alter« lachte der Reisende, einen vergnügten Blick im Kreis herumwerfend.

»Als ich aach nicht hierbleiben mag, werd’ ich aach auswandern« erwiederte aber der Israelit, die Schultern in die Höhe ziehend.

»Was? — auch auswandern?« riefen aber viele der Umstehenden wie aus einem Mund.

»Na?« — sagte aber der Jude, sich erstaunt im Kreise umsehend — »ist’s etwa wohl zu hibsch hier für uns Jüden, heh? wer sollen uns wohl glicklich schätze, daß mer derfe unsere Steuern zahle und nachher getreten werden wie die Hunde?«

»Aber wo geht Ihr hin?« rief Einer der Umstehenden, »nach New-York?«

Der Alte schüttelte mit dem Kopf.

»Nach New-Orleans.«

»Und mit welchem Schiff?« rief Steinert schnell.

»Mit der Haidschnucke.«

»Hurrah der Alte soll leben« jubelten aber die Passagiere der Haidschnucke um ihn her — »das ist prächtig, das ist ein Reisegefährte der uns die Zeit vertreiben wird,« und von verschiedenen Seiten wurden noch Flaschen Wein bestellt den Spielmann zu traktiren, der jetzt kaum hörte wie die Sache stand, und das Viele der Anwesenden auf ein und demselben Schiff die Ueberfahrt mit ihm machen würden, als er auch augenblicklich sein erst halbgeleertes Glas Bier zurückschob und sich mit augenscheinlichem Behagen dem Genuß des wahrscheinlich lange entbehrten Weines hingab. Der Knabe aber trank sein Glas aus, und setzte sich dann still und weiter nicht beachtet, in die eine Ecke, lehnte den Kopf zurück gegen die Wand, und schloß die Augen — vielleicht schlief er — bis die späte Nachtstunde auch die Uebrigen mahnte aufzubrechen, und ihn sein Vater abrief, ihr eigenes Lager in einem kleinen billigen Wirthshaus in der Neustadt aufzusuchen.

 

 


Capitel 2.

DER WESERKAHN.

Der nächste Tag war ein gar geschäftiger für die Passagiere zweier Seeschiffe, die noch an demselben Abend expedirt zu werden hofften, und — der Aussage der Rheder wenigstens nach — segelfertig und bis auf einige unbedeutende Kleinigkeiten vollständig gerüstet, vor Anker lagen. Tausenderlei Sachen mußten noch besorgt und eingekauft werden, die man theils für nöthig, theils selbst für unentbehrlich hielt; Wein und Branntwein wurde dabei angeschafft, Zucker und Zwieback, eine ganze Ladung von Heringen und Sardellen eingelegt, den schlimmsten Feind der Reisenden, die Seekrankheit, wenn nicht zu bannen, doch damit in ihren Wirkungen zu schwächen. Auch mit Blech und anderem Geschirr, mit Messer, Löffeln und Gabeln als auch verschiedenen Gewürzen, hatten sich besonders die Zwischendeckspassagiere zu versehn, denen etwas Aehnliches vom Schiffe aus nicht geliefert wurde. Und wie viel vergaßen sie noch, was sie nachher gern auf dem Schiff mit dem Doppelten bezahlt hätten, wo es freilich nicht mehr zu bekommen war, und wie viel auch wurde überflüssig als geglaubtes Bedürfniß mitgeschleppt, nachher eine Weile unbenutzt im Weg herumzufahren und zu verderben, und dann über Bord geworfen zu werden.

Wer aber kann es den Leuten verdenken, daß sie nicht gleich wissen und verstehn, sich auf eine so lange mühselige und mit Entbehrungen und Gefahren verknüpfte Reise in wenigen Tagen, oft fast nur Stunden ordentlich und vollständig vorzubereiten? Meist aus dem inneren Land, mit der See kaum dem Namen nach bekannt, schwimmt ihnen Alles was sie vielleicht über eine erste Einschiffung gelesen, nur wie in wirren Bildern im Hirn herum, die sie dann nicht fassen und halten können, sobald sie das zum ersten Mal jetzt praktisch ausführen sollen, was sie sich Monate vorher vielleicht schon einstudirt.

Der Deutsche ist überhaupt, wo es ins praktische Leben eingreift, das ungeschickteste Menschenkind auf der weiten Gottes Welt. Viel thut freilich dabei die Erziehung, und gegängelt und am Leitseil geführt nicht allein bis ins Schwabenalter, sondern oft auch bis ins Grab, wird ein so vortrefflicher Staatsbürger aus ihm (den alle anderen, fremden Regierungen nicht genug zu rühmen wissen) daß er eben zu Nichts weiter zu brauchen ist, und eben nur so _ver_braucht werden muß. Reißt er sich aber einmal los aus den alten Verhältnissen, läßt er die Leute die bis dahin so aufmerksam und väterlich für ihn gesorgt — zurück, dann macht er auch im Anfang gewiß eine Menge dummer Streiche, tritt anderen Leuten auf die Zehen oder wird von ihnen getreten (in beiden Fällen regelmäßig um Entschuldigung bittend) und verstößt gegen Alles was ihm in den Weg kommt, am meisten aber gewiß gegen sich selbst. Später wird er gescheut, aber es dauert eine lange Zeit.

_Hier_ aber hat er noch manche Entschuldigung für sich; eben erst aus seinem heimischen Boden gerissen, die Augen noch von, wenn auch heimlichen, Thränen roth, das Herz zum Brechen voll und den Kopf wüst und wirr in der Erinnerung an das kaum überstandene; was Wunder daß er da _die_ Tage gerade, wo er die Sinne recht beisammen haben sollte, wie im Traume herumgeht, und trotz allen Büchern und Rathgebern die er vorher gelesen, erst wieder an das Nöthigste denkt wenn er »zu Ruhe kommt«, d. h. wenn das Schiff in See und die Seekrankheit vorüber ist — weit weit draußen im Ocean — allerdings etwas zu spät.

So sieht man Schaaren von Auswanderern die Straßen der Seestädte den ganzen Tag über durchziehn in Gesellschaft und einzeln, die Männer mit ihren grauen Filzhüten auf und Blousen über die Röcke gezogen, die kurzen Pfeifen im Mund — die Frauen Kinder an der Hand und auf dem Arme, in kleinen schüchternen Trupps vor jedem aufgeputzten Laden stehen bleibend und die Sachen darin bewundernd, oder weiter schlendernd und die Aushängeschilder buchstabirend, die über den verschiedenen Thüren hängen. Es ist das die »leere Zeit« in ihrem Leben, der erste Ruhepunkt vielleicht, so lange sie denken können, eine Zeit in der sie Nichts zu thun haben — Nichts weniges für _andere_ Leute, wenn auch eigentlich genug für sich selbst. Wie eine Reihe von Sonntagen, jeder immer länger werdend als der Vorgänger, schleichen die Stunden an ihnen hin und bieten erst wieder Stoff zu Gedanken und Betrachtungen draußen in See.

Die Cajütspassagiere, wie solche der Zwischendeckspassagiere, die noch über einiges Geld zu verfügen hatten, wohnten indessen in den besseren Gasthöfen Bremens, und benutzten zum Hinausfahren nach ihrem Bestimmungsort, wo das Schiff vor Anker lag auf dem sie ihre Ueberfahrt bedungen, eines der kleinen Dampfboote, die täglich zweimal in wenigen Stunden nach Bremerhafen hinausfahren, und überall an den Zwischenstationen anlegen; die meisten der Zwischendeckspassagiere aber, und besonders solche, die von den Rhedern auf einen gewissen Tag angenommen waren, von dem aus sie beköstigt werden mußten, waren schon an Bord gegangen,(1) ihr Geld nicht weiter in der theueren Stadt zu verzehren. Die jedoch, die sich noch in der Stadt befanden und auf freie Passage nach Bord zu mit ihrem Gepäck, Anspruch machten, da sie sich das gleich in ihrem, mit früheren Agenten abgeschlossenem Schiffscontrakt festgestellt hatten, waren am 20sten Morgens um sechs Uhr an die Ausmündung einer bestimmten Straße, unten an die Weser bestellt, wo der Kahn Nr. 67 — Kahnführer Meinert — lag, von diesem gratis an Bord der Haidschnucke geschafft zu werden.

Dort versammelte sich denn auch an dem schönen sonnigen Morgen, dem nur im Westen dunkel aufsteigende Wolken ein kurzes Ende zu machen drohten, eine Masse Menschen verschiedenartigsten Alters und Geschlechts, um sich mit dem, versprochener Maßen »bedeckten Flußschiff« an den Ort ihrer Bestimmung baldmöglichst befördert zu sehn. Kisten und Kasten, an denen Karrenführer schon seit zwei Stunden herbeigeschafft, lagen an der bezeichneten Landung bunt aufgestapelt, und Hutschachteln, Reisesäcke, Körbe mit Victualien &c. &c. wuchsen von Minute zu Minute an Masse und Gewicht.

Die buntgemischteste Gesellschaft, die sich dabei nur denken läßt, sammelte sich um die Effecten, junge und alte Männer, ihren Taback in die freie Luft hinausqualmend und ungeduldig dabei am Ufer auf- und abgehend, und Frauen und junge Mädchen, fest in ihre Umschlagetücher eingehüllt, die doch etwas frische Morgenluft abzuhalten. Die Leute waren aber noch nicht recht bekannt mit einander geworden; die Gespräche drehten sich bis jetzt nur um das Gepäck und das »bedeckte Flußschiff« das sich noch immer nicht zeigen wollte. Damit hatten sie aber auch vor der Hand übrig genug zu thun, denn dem fehlte ein Koffer, dem war ein Schloß von seiner Kiste abgerissen, oder der Deckel eingedrückt worden; der Eine hatte noch dies in der Stadt vergessen einzukaufen und mochte nicht mehr hinauslaufen, aus Furcht die Abfahrt zu versäumen, der Andere das im Gasthaus liegen lassen und die Menschenmenge wogte und drängte durch einander hin, schimpfend und fluchend hier, lachend und pfeifend oder singend da, während neue Karren mit Gepäck noch jeden Augenblick dazu kamen, die Verwirrung, wenn das überhaupt möglich gewesen wäre, zu vergrößern.

Die einzige, vollkommen unbewegliche Person in diesem Chaos von Menschen und Gepäck saß auf einem Haufen von Kisten die zuerst hergeschafft und übereinander gethürmt waren, mit unterschlagenen Beinen regungslos oben darauf, und schien die Confusion unter und um sich mit ordentlichem Wohlgefallen, jedenfalls mit vollständiger Gemüthsruhe zu betrachten.

Es war eine, was man so von unten erkennen konnte, vierschrötige derbe und untersetzte Gestalt, jedenfalls den unteren Volksklassen zugehörig, und doch auch wieder mit einem gewissen Selbstbewußtsein in den rauhen, nichts weniger als schönen Zügen, als auch in der ganzen Haltung, wie man es nicht immer bei diesen findet. Der Mann mochte ungefähr fünf- bis achtundvierzig Jahre alt sein, und der Ausdruck seines lederartigen faltigen Gesichts hatte, gleich auf den ersten Blick eine so merkwürdige und auffallende Aehnlichkeit mit einem großen Affen, der mit unerschütterlichem Ernst vor einer Menagerie sitzt, und das Wogen und Treiben der Menge unter sich betrachtet, daß wenige der Passagiere, so viel sie heut Morgen mit sich selber zu thun haben mochten, an ihm vorübergingen, ohne überrascht ein paar Secunden vor ihm stehn zu bleiben und ihn zu betrachten, oder sich gegenseitig ein paar erstaunte Bemerkungen zuzuflüstern. Die Mädchen besonders warfen oft verstohlene Blicke zu ihm hinauf, und kicherten dann miteinander. Jedenfalls mußte er das bemerken, aber er verzog keine Miene, oder wandte auch nur einmal den Kopf nach einer der Gruppen um, sondern paffte in kurzen, regelmäßigen Zügen den Rauch aus einer kleinen schmutzigen, abgegriffenen Pfeife, mit einem großen Porcellankopf, und glich, dies einzige Lebenszeichen abgerechnet, wirklich einer ausgestopften und dort oben zur Verzierung des Ganzen hingesetzten Figur. Er trug dabei einen einmal grün gewesenen, Ziemlich abgescheuerten Rock, der besonders auf den Schultern ordentlich grau und glänzend aussah, als ob er da oben ganz vorzüglich benutzt worden; eine erbsgelbe, bis an den Hals hinauf zugeknöpfte gesprenkelte Weste, ein schwarzes Halstuch, das eifersüchtig auch den geringsten Schimmer von Wäsche verdeckte, braun und grün gewürfelte Hosen, große nägelbeschlagene Schuh und einen, in eine Unzahl von Formen hineingedrückten alten haarlosen und an den Rändern hellgrau gescheuerten Filzhut, unter dem nur hie und da dünne, straffe und blonde Haare hervorschauten. Rasirt hatte er sich ebenfalls, wahrscheinlich seit seinem Entschluß nach Amerika auszuwandern, nicht, und die weißgesprenkelten Stoppeln die sein breites vorgehendes Kinn umgaben, paßten vollkommen zu der flachen, wie eingedrückten Nase, den kleinen grauen Augen, vorgehenden Backenknochen und der niederen Stirn, die sich scharf nach rückwärts, wie scheu unter den Hut hinunterzog.

So ruhig und anscheinend theilnahmlos aber auch dies Individuum dem allgemeinen Wirrwarr zuschaute und sich vollkommen geduldig in Zeit und Umstande geschickt hatte, so ungeduldig wurden die übrigen Passagiere, als es jetzt vom Dome her sechs Uhr dröhnte und das, eine Strecke weiter oben liegende Dampfboot, sein Deck mit Passagieren gefüllt, an ihnen vorbeipuffte. Dabei ließ sich noch nicht die Spur von einem »verdeckten Flußschiff« wie es sich die Passagiere gedacht, an der Landung blicken, und nur ein kleiner Weserkahn, wie sie dort überall zum Waarentransport gebraucht werden, lag gerade quervor an der bezeichneten Straße, dem Platz genau gegenüber wo ihre Waaren aufgestapelt worden, und der Kahnführer, ein hagerer dünner Gesell, mit furchtbar langen Armen und großen Händen, von denen man gar nicht begriff wie er sie je durch die Aermel seiner Jacke gebracht oder, da sie nun einmal darin waren, wie er sie wieder herausbringen wollte, ging auf dem Deck seines kleinen Fahrzeugs auf und ab. Mehrmals versuchte er dabei die Hände in die Taschen seiner dunkelblauen sogenannten Lootsenjacke zu bringen, aber umsonst, sie gingen nicht hinein, und er schlenkerte sie dann wieder »zu beiden Borden« herunter und spuckte, seinen Taback dabei kauend, den braunen ekelhaften Saft regelmäßig einmal über Stürbord und dann über Backbord ins Wasser hinüber.

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»Sie da — lieber Freund« redete ihn endlich Einer der Passagiere an, der, in einen grauen weiten Ueberrock geknöpft, bis jetzt seiner Ungeduld in einer verwirrten Masse von Flüchen und Verwünschungen Luft zu machen gesucht, und das kleine Fahrzeug schon lange ärgerlich betrachtet hatte.

Der Matrose, oder was er sonst war, warf einen Blick über die Schulter nach ihm hinüber, aber ob er nun glaubte daß die Anrede ihm nicht gelte, oder sie nicht beachten _wollte_, kurz er setzte seinen Spatziergang an Deck ruhig fort und gab keine Antwort.

»Sie da — heh — Sie Langer mit der blauen Jacke und der hübschen Mütze — hören Sie nicht?«

»_Und_?« sagte der Mann jetzt und blieb, den Kopf halb über die Schulter zurückgedreht, stehn, während er jedoch den Frager nicht dabei an-, sondern nach den Dächern der nächsten Häuser hinaufsah, als ob ihn von dort her Jemand gerufen hätte.

Steinert, denn der Mann in dem grauen Ueberrock war Niemand anderes als unser alter Bekannter, der Weinreisende von gestern Abend, der übernächtig und mit schwerem Kopf gerade übler Laune genug schien sich über die geringste Kleinigkeit zu ärgern, murmelte etwas von »Dickschädel« und »Holzkopf« in den Bart, fuhr aber doch in der begonnenen Anrede fort und rief, nur noch mit lauterer Stimme als vorher:

»Sie da — Sie werden mit Ihrem Dings da von einem Schiff aus dem Weg fahren müssen, wenn das andere Schiff kommt, unsere Sachen und uns selber an Bord zu nehmen. Sie hätten sich wohl nirgends anderswo grad’ in den Weg hinlegen können?«

Der Matrose oder Kahnführer glitt mit seinen Augen langsam vom dritten bis zum zweiten und von da bis zum ersten Stock und dann quer über die Hausthür weg nach dem Fremden nieder, der ihn angeredet hatte und öffnete dann den Mund — aber blos um ein neues Priemchen Taback hineinzustecken, wonach er, ohne auch nur eine Sylbe zu erwiedern, seinen Spatziergang an Deck in der alten Weise und Ruhe fortsetzte. Steinert übrigens, der sich jetzt ernstlich an zu ärgern fing, war nicht gesonnen sich so leicht abfertigen zu lassen, und bis an den Wasserrand hinangehend, bis wohin eine schmale Planke vom Bord des niederen Fahrzeuges aus reichte, schritt er diese hinan und stieg keck an Deck des »fremden Schiffes« wie die Uebrigen meinten.

»Guten Morgen« sagte er hier vor allen Dingen, als er sich auf dem fremden Boden fand, und doch fühlte daß er mit Höflichkeit bei dem sonderbaren, einsylbigen Mann weiter kommen würde, als mit Grobheiten.

»Morgen« sagte der Schiffer übrigens, ohne, gerade wie vorher, weitere Notiz von ihm zu nehmen.

»Sagen Sie einmal Freund« nahm aber hier Steinert wieder das Wort, und suchte sich dem Mann auf seinem Spatziergang entgegenstellen — »wie ist denn das eigentlich, wollen Sie heute hier liegen bleiben?«

»Nee!« sagte der Schiffer.

»Und wann fahren Sie ab?«

»Sobald wie laden hebben« lautete die Antwort.

Steinert, der nur einen unbestimmten Begriff von Plattdeutsch hatte, begriff nicht recht was der Mann sagte, und suchte ihm selber jetzt begreiflich zu machen, wie sie mit jedem Augenblick ein »verdecktes Flußschiff« erwarteten, das sie und ihre Sachen an Bord der Haidschnucke schaffen sollte.

»Hm — wo sall’n dat herkomen?« frug der Schiffer aber jetzt mit einem verschmitzten Lächeln nach dem Frager hinüberblinzelnd.

»Herkommen?« wiederholte Steinert erstaunt — »nach unserem Contrakt mit dem Rheder müssen wir unentgeltlich mit unserem Gepäck von hier aus an Bord des Seeschiffes geschafft werden.«

»Op en _Flußschiff_?« sagte der Matrose mit starker und etwas humoristischer Betonung des hochdeutschen Wortes.

»Jawohl« sagte Herr Steinert.

»Un wie heet _dat_ hier?« sagte der Matrose auf das eigene Fahrzeug niederdeutend, auf dem sie standen.

Ein böser Verdacht stieg in dem Weinreisenden auf, daß sie etwa gar in einem solchen »Kasten« transportirt werden sollten. Dessen Bestätigung blieb auch nicht lange aus, denn nach ein paar Fragen herüber und hinüber stellte es sich wirklich heraus, daß dies kleine unansehnliche Fahrzeug das identische »bedeckte Flußschiff« Nr. 67, und der lange Matrose der Kahnführer Meinert sei, mit dem sie und ihre sämmtlichen Sachen »nach See zu« geschafft werden sollten. Ein wilder Ausruf des Erstaunens, den der erschreckte Weinreisende nicht unterdrücken konnte, zog einen Theil der übrigen Passagiere herbei, und das Deck des kleinen Fahrzeugs schwärmte plötzlich von einer Masse verblüffter und wirr durcheinander schreiender Menschen, daß die Leute oben in der Straße stehen blieben oder auch mit zum Ufer herunterkamen, in der freundlichen Hoffnung, einer möglichen Prügelei der Auswanderer beiwohnen zu können.

Kahnführer Meinert, denn diese würdige Person war es wirklich selbst, ließ sich indessen nicht im Mindesten aus seiner Fassung bringen, und beantwortete alle Fragen seiner neuen ungeduldigen Passagiere mit einer Ruhe und Gleichgültigkeit, die diese fast zur Verzweiflung brachte.

»Wie viel mal er zu fahren gedächte bis er die Masse Gepäck und Menschen im Stande sei an Bord abzuliefern.«

»Ein Mal.«

»Ein Mal? — und wenn er sie Einer über den Andern packe gingen sie nicht Alle hinein.«

»Noch einmal so viel, mit _Bequemlichkeit_, wenn es sein müßte.«

»Wie lange die Reise dauere?«

»Mit gutem Wind sechs Stunden.«

»Und mit schlechtem?«

»Unbestimmt.«

Manche der Passagiere hätten jetzt gern Passage auf dem Dampfboot genommen, das aber war schon fort — das nächste ging erst um elf Uhr ab und kam erst Nachmittag nach Brake, bis dahin konnten sie lange dort sein, und sie fingen an sich in das Unvermeidliche zu fügen. Aber weshalb wurde da nicht wenigstens ihr Gepäck eingeladen? — auf was warteten sie noch, da die Abfahrt doch auf sechs Uhr bestimmt worden.

Kahnführer Meinert, oder »_Capitain_« Meinert wie er sich gern nennen ließ, wartete noch auf »seine Mannschaft,« einen Matrosen, den er in die Stadt hinaufgeschickt hatte ihm einen frischen Vorrath von Taback, Rum und einigen anderen Kleinigkeiten einzuholen — sobald der kam, um die Sachen im »unteren Raume fortzustauen« konnte die Sache beginnen.

Endlich kam der Bursche, ein schmutzig aussehendes, theerbeschmiertes Individuum, mit einem Arm voll Packeten und zwischen den Zähnen eine Anzahl Papiere haltend. Diese nahm ihm sein Principal vor allen Dingen heraus, wischte den Tabackssaft davon ab und schob sie dann, ohne sie weiter eines Blicks zu würdigen, in seine eigene Tasche.

Die Passagiere wurden jetzt aufgefordert »ihre Sachen an Bord zu liefern« und folgten diesem Aufruf mit lobenswerther Bereitwilligkeit. Sie glaubten nämlich nicht daß der kleine unansehnliche »Kahn« Alles würde einnehmen können, und Jeder wollte wenigstens _sein_ Eigentum mit der _ersten_ Fahrt befördert haben. Ein paar der stämmigsten, oldenburger Bauern, die auch die größten Kisten hatten, wurden dabei ersucht »im Raum« ein wenig mit zu helfen, »damit sie auch sähen daß nichts beschädigt würde,« und diese unterstützte der Matrose, während »Capitain Meinert« an Deck stand, die Kisten oder Koffer mit einem Tau umschlang, und in den unteren Raum, oder vielmehr nur unter Deck, hinunterließ, denn das kleine Fahrzeug hatte nur den einen Raum.

Während die Leute aber solcher Art beschäftigt waren, trafen immer noch andere, verspätete Passagiere ein, die ebenfalls mit befördert werden wollten und mußten. Unter ihnen der alte polnische Jude mit seinem Knaben, der jetzt auch mit Hand anlegen sollte das Gepäck an Bord zu schaffen. Der alte Bursche schien aber kein Freund von solcher Beschäftigung und merkte kaum wie die Sachen standen, als er an zu hinken fing, und die rechte Hand vorn in seinen Kaftan legte — er wollte sich an dem Morgen weh daran gethan haben, und konnte sie nicht gebrauchen.

Das Gepäck wurde übrigens rascher beseitigt als man im Anfang geglaubt hatte, und merkwürdiger Weise faßte dabei das kleine unansehnliche Fahrzeug eine solche Unmasse von Sachen, die in seinem Bauch ordentlich verschwanden, daß, wenn auch gerade kein bequemer Platz, doch Raum genug blieb, auch die Passagiere aufzunehmen, die sich schon ein paar Stunden solcher Art glaubten behelfen zu können. Lieber Gott, man ging ja jetzt in See, und da konnte man nicht Alles haben wie zu Hause. Vor acht Uhr erklärte aber »Capitain Meinert« nicht im Stande zu sein abzufahren, da dann erst die Ebbe einträte, mit deren ausströmender Fluth er bei dem schwachen Winde hoffen durfte vorwärts zu kommen, und es blieb den Passagieren, die Anfangs allerdings darüber murrten, aber sich in das Unvermeidliche fügen mußten, noch etwa eine halbe Stunde Zeit sich zu beschäftigen wie es ihnen gerade gefiel. Schon vor acht Uhr waren sie aber sämmtlich wieder am Ufer, jetzt ernstlich auf endliche Abfahrt ihres »Schiffs« dringend.

Ein junger Bursche, vielleicht achtzehn oder neunzehn Jahre alt, der auch an denselben Morgen, mit einem ledernen Tornister auf der Schulter und einem leinenen zerrissenen Staubhemd über einem sehr abgetragenen Röckchen, an das Ufer gekommen war und sein »Gepäck« zu dem übrigen gestellt hatte, war dann noch einmal fortgelaufen und in Schweiß gebadet wiedergekommen, und schien über irgend etwas in großer Angst und Sorge. Die Leute hatten aber sämmtlich zu viel mit sich selber zu thun, der Noth und Sorge eines ihrer vermutlichen Mitpassagiere nachzufragen, und der arme junge Bursch, als schon sämmtliches Gepäck an Bord geschafft worden, saß noch immer auf seinem Tornister am Ufer, das bleiche Antlitz in die Hand gestützt, und schien wirklich in stummer Verzweiflung der Einschiffung der Uebrigen zusehn zu wollen, ohne selber daran Theil zu nehmen.

Unter den Juden war Einer Namens Wald, ein Mann in den vierzigen, mit einer ansetzenden Glatze, aber scharfgeschnittenem klugen Gesicht und lebhaften schwarzen Augen, der sich bis dahin von den Uebrigen ziemlich fern gehalten. Neugierig gemacht übrigens, durch das Wesen des jungen Burschen, ging er jetzt zu diesem hin, und frug ihn was er hätte oder was ihm fehle. Der arme Teufel klagte ihm da mit Thränen in den Augen sein Leid — es fehlten ihm wirklich noch fünfzehn Thaler an seiner Passage nach Amerika, und die Rheder wollten ihn nicht mitnehmen, ehe er die volle Summe gezahlt habe; aber er _müsse_ mit fort, und wenn ihn das Schiff nicht mitnähme sei er rettungslos verloren.

Wald wollte ihn trösten, daß er denn wohl noch ein anderes fände, der junge Mensch schien aber so in Angst, und überhaupt noch etwas anderes auch auf dem Herzen zu haben, worüber er nicht recht mit der Sprache herauswollte, sah aber dabei so treuherzig und fast noch kindlich aus, daß der Mann den Kopf herüber und hinüber schüttelnd, endlich sagte:

»Nu Gottes Wunder, sind wir doch Menschen hier genug die paar Thaler zusammenzubringen — wart einmal a Bisle, ich werd’ an zu sammeln fangen.«

»Aber das Schiff fährt fort —«

»Wird nich so schnell fahren« sagte der Mann gutmüthig, und zu dem polnischen Juden gehend hielt er dem seine Mütze hin und sagte:

»Kamerad, ich brauch ein paar Thaler Geld für einen armen Teufel, den wir nich dürfen zurücklassen in Deutschland.«

»Armer Teufel?« sagte der Israelit — »wie haißt? bin ich doch selbst en armer Teufel — wo ist er her?«

»Kann Dir einerlei sein wenn er arm ist« meinte Wald.

»Der Mann hat Recht« sagte aber jetzt der Alte, und griff in seine Tasche.

»Wie viel braucht’s?«

»Je mehr desto besser« sagte Wald — »funfzehn Thaler Geld müssen werden.«

»Hier is a Thaler« sagte der Alte und warf das Geld in die Mütze.

Der nächste zu diesem war Steinert, an den sich Wald mit seiner Sammlung wandte. Dieser zeigte sich aber nicht so rasch mit Geldgeben wie der alte Jude, sondern wollte erst genau wissen wozu und weshalb, wer der Bursche sei, wo er herkomme, wo er wohne und was er treibe. Wald rief ihn herbei, als er sah daß er auf keine andere Art zu seinem Zweck kommen könne, und der junge Bursch gab jede nur mögliche Auskunft, bis Steinert endlich in seine Tasche griff, einige Groote herausnahm und dem Alten, nachdem er sie mehrmals durchgesehn, zwölf davon reichte.

»Aber wir brauchen fünfzehn _Thaler_« sagte dieser, »und zweiundsiebenzig machen erst einen.«

»Leider« erwiederte ihm Steinert, »ich brauche aber noch mehr wie fünfzehn Thaler und mir giebt Niemand etwas.«

Wald sah daß alles weitere Zureden umsonst sein würde, um deshalb nicht mehr Zeit zu versäumen ging er weiter, und einige der jungen Mädchen, die der arme Bursch dauerte, nahmen sich jetzt auch der Sache an, legten selber zusammen so viel sie konnten, und collectirten bei den Anderen. Es war gut für sie daß sich viele Juden unter den Passagieren befanden; diese gaben fast alle und — so geizig sie sonst sein mochten — gaben reichlich, ohne weiter zu fragen wie der Mann heiße und woher er sei, während die Christen, von denen Viele es dem Anschein nach weit eher entbehren konnten — erst Alles auf das Genaueste wissen wollten, und dann noch jede Ausflucht suchten, wenigstens mit einigen Groten abzukommen.

Nichtsdestoweniger brachte Wald, von den jungen Mädchen unterstützt, das Geld in kaum einer halben Stunde richtig zusammen; der junge Bursch, jetzt überglücklich seine Reise gesichert zu sehn, flog mehr als er ging, in die Stadt zurück, seinen Schein zu bekommen.

Der einzige der sich bei der ganzen Sammlung _nicht_ betheiligt, denn _alle_ übrigen hatten wenigstens eine Kleinigkeit gegeben, war der wunderliche alte Bursche, den wir im Anfang auf den Kisten sitzend fanden, und der auch nur erst in der That seinen Platz geräumt hatte, als die weit ungeduldigeren Reisegefährten das Gepäck anfingen unter ihm selber wegzuziehen. Er aber war auch wieder der Erste, der sich eine gute Stelle an Bord aussuchte, dort eine der überall herumliegenden Matratzen, die fast Jeder bei sich führte, aufrollte, und sich, keine Rücksicht auf etwa später Nachkommende nehmend, behaglich unter Deck darauf ausstreckte.

Das Segel wurde jetzt, von den beiden Seeleuten, die noch eine Art Schiffsjungen bei sich hatten, gehißt, und die mit schwarzer Farbe darauf gemalte Nummer 67 sichtbar. Das galt den Passagieren aber auch als Zeichen der Abfahrt, und Alles drängte an Bord, einen bequemen Platz für die Hinausfahrt zu bekommen.

Unter den Passagieren, die mit dem Weserkahn befördert werden wollten, befand sich auch ein alter Bekannter von uns; ein junger sehr anständig und reinlich gekleideter Mann in schwarzem Tuchrock und eben solchen Hosen, mit blankgewichsten Stiefeln und Glacéhandschuhen, ein reizendes Frauchen, ganz einfach aber höchst geschmackvoll gekleidet, am Arm und einen Knaben, einen lieben kleinen Burschen von kaum mehr als drei Jahren an der Hand. Der Mann mußte sich aber wohl schon früher genau nach der Abfahrt des Kahnes erkundigt haben, denn er war erst kurz vor acht Uhr gekommen und mit Frau und Kind, ohne sich mit Einem der Uebrigen in ein Gespräch einzulassen, am Ufer auf- und abgegangen.

Der Violinist Eltrich hatte das Geld zur Ueberfahrt für sich und die Seinen, nachdem er vergebens gesucht seine Passage abarbeiten zu dürfen, mit schweren Opfern und besonders durch den Verkauf fast aller seiner Habseligkeiten, zusammengebracht, und war im Begriff sich ebenfalls mit der Haidschnucke nach Amerika einzuschiffen — freilich im Zwischendeck, und das Herz schlug ihm recht weh und ängstlich, wenn er die Leute sah mit denen er gemeinschaftlich, in einem Raum die lange Reise machen sollte, und der Entbehrungen, der Beschwerden dann gedachte, denen sein zartes junges Weib, denen sein Kind dabei ausgesetzt sein mußten. Adele aber, die liebe kleine Frau, die in dem gramumwölkten Blick des Gatten wohl all die Sorge, all den Kummer lesen mochte, den er sich ihretwegen machte, und ihretwegen doch auch gerade wieder sein ganzes Leben daran setzte, sie aus den Sorgen zu reißen, in denen sie im alten Vaterland gelebt, hing sich an seinen Arm und lachte ihm die Falten von der Stirn. Auf all die komischen wunderlichen Gestalten machte sie ihn dabei aufmerksam, die sie umgaben; auf den langen Kahnführer mit seinem spitzen Gesicht und den polnischen Juden mit dem schönen bleichen Knaben, und freute sich wie ein Kind über das rege Leben und Treiben, das um sie her drängte und wogte, und sie jetzt mit fortnehmen sollte in eine neue Welt. Sie hatte Nichts das sie hier zurückließ, und das sie an das alte Vaterland noch hätte fesseln können; eine Waise stand sie in der Welt und ihr Mann, ihr Kind war die für sie.

Und dennoch schrack sie fast unwillkürlich zurück, als sie, an des Gatten Arme, der den Knaben selber jetzt aufgenommen hatte ihn an Bord zu tragen, das kleine Fahrzeug betrat das sie stromab führen sollte, dem Seeschiffe zu. Der warme Dunst der sie von unten herauf anwehte, der Theergeruch, das feuchte schmutzige kleine Fahrzeug selber — sie schmiegte sich fester an den Gatten an, wie um Hülfe zu suchen gegen dies erste peinliche Gefühl, und nur erst als dieser leise aber tief und schmerzlich aufseufzte und die Scene vor sich mit ängstlich forschendem Blick überflog, denn er sah nicht ein stilles, geschütztes Plätzchen, wo er Weib und Kind hätte unterbringen können, der ungewohnten Umgebung nur in etwas zu entgehn, da zwang sie mit Gewalt jedes andere Gefühl zurück. Die Notwendigkeit gebot hier daß sie sich fügte; nicht durfte und wollte sie des Gatten Herz noch schwerer machen als es schon war, und selbst mit einem Lächeln auf den bleichen Lippen sagte sie, sich flüsternd zu ihm biegend.

»Ach Schade, Paul, daß Du kein Maler bist; das wäre ein Stoff hier für ein prachtvolles Genrebild.«

»Arme Adele« flüsterte Eltrich leise.

»Arme Adele?« wiederholte aber die junge Frau, jetzt ernstlich entschlossen das Unvermeidliche auch fest und freudig zu ertragen — »wie Viele gäben Gott weiß was darum dies nur zu sehn, und da wir endlich, wonach wir die langen Jahre und immer umsonst gestrebt, erreicht, bedauerst Du mich?«

»Wie wirst Du es nur ertragen auf dem Schiff?« seufzte der junge Mann.

»Wie ertragen es so viele Tausend?« entgegnete ihm aber die kleine wackere Frau, »und bin ich nicht jung und gesund? — was Andere können kann auch ich.«

»Aber Du warst von je ein anderes Leben gewohnt.«

»Und Du nicht? — Ach Paul, quäle Dich doch um Gottes Willen nicht jetzt unnützer Weise mit solchen Gedanken, und sieh lieber daß Du ein Plätzchen irgendwo für uns findest, die paar Stunden hinzubringen. Ich glaube wir blieben am Besten an Deck.«

»Ich traue dem Wetter nicht« sagte Eltrich kopfschüttelnd — »dort im Westen liegt es dunkel und schwer, und kommt mit Macht herauf. Jetzt ist auch für uns noch Hoffnung einen Platz unter Deck zu bekommen, denn Viele scheuen sich hinunter zu gehn, ehe sie müssen; nachher drängt denn Alles hinein und die Leute hier sehen mir gerade nicht aus, als ob sie viel Rücksicht auf einander nehmen würden.«

»So such’ uns ein Plätzchen« sagte die junge Frau, »und wir richten uns dann häuslich ein, ich und Luz, und wenn wir einmal wieder auf festem Grund und Boden sind, in Amerika drüben, dann werden wir noch oft über die Zeit lachen die wir hier verlebt, und was wir da Alles gesehn und gehört.«

»Und gerochen« seufzte Eltrich in komischer Verzweiflung — »lieber Gott, qualmen die Leute einen nichtsnutzigen Taback.«

»Man gewöhnt sich an Alles« sagte die kleine Frau; »aber geh nun hinunter und sieh Dich um, ich bleibe dann noch oben an der freien Luft bis es wirklich an zu regnen fängt.«

In dem Kahn sah es indessen in der That wild und wunderlich genug aus. Die Erstgekommenen hatten sich, nach Umständen, vortrefflich eingerichtet und alle vorgefundenen und meist noch zusammengebundenen Matratzen benutzt, Lager- oder Sitzplätze für sich herzurichten, und die später Eintreffenden suchten jetzt ihre »Betten«, über Alles dabei hinwegsteigend was ihnen im Wege lag. Jeder that zugleich sein Bestes den Nachbar zu überschreien, nur um selber gehört zu werden, und Steinert besonders, der sich aus irgend einer unbegreiflichen Ursache für schändlich behandelt und hintergangen hielt, machte einen Heidenlärm.

»Das also nennen diese Herren Rheder ein »verdecktes Flußschiff« — einen Aufenthalt für Menschen — für Auswanderer? Ein Kasten ist’s, mit einem Loch darin, Mehlsäcke etwa wegzupacken und Fleischfässer — eine Vorbereitung zur Galeere für Mörder und Diebe — ein schwimmendes Zuchthaus. »Verdecktes Flußschiff.« — daß sie der Böse einmal später in einem solchen »verdeckten Flußschiff« nach seinen höllischen Regionen abführe, dort mit des Geschickes Mächten einen ew’gen Bund zu flechten.«

»Ach was« unterbrach ihn da Einer vom Stamme Juda — »lassen Sie das Geschwafele und gehn Se mit Ihre dreckige Fißche von meine Matratze herunter — Gott der Gerechte wo sieht der Mensch um die Fiße aus und stellt sich mich Nichts dich Nichts auf’s Bettzeug!«

»Meine Herren!« — rief Steinert dagegen, konnte aber seine Rede nicht zu Ende bringen, da der Mann den einen Zipfel der also mißhandelten Matratze mit beiden Händen gefaßt hatte, und sie dem Weinreisenden mit einem plötzlichen Ruck so rasch unter den Füßen fortriß, daß dieser das Gleichgewicht verlor und rückwärts in einen Korb voll Blech und anderes Geschirr hineinfiel, den die Familie Rechheimer, Mann, Frau und zwei erwachsene Töchter eben zu etwas genauerer Inspection hervorgezogen. Der Lärm wurde jetzt allgemein, denn Steinert wollte thätliche Rache nehmen, und bat die Umstehenden daß sie ihn halten möchten, weil er sonst den Elenden über Bord würfe.

»Frieden, lieben Freunde« sagte da eine tiefe aber sehr weiche, fast etwas singende Stimme, und ein junger Mann von vielleicht drei- oder vierundzwanzig Jahren mit vollem Bart und langen glatt herunterhängenden, in der Mitte gescheitelten Haaren, modern, wenn auch etwas vernachlässigt gekleidet, trat zwischen die Streitenden und fing an ihnen zu beweisen daß sie Beide Unrecht hätten, daß sie nicht verständen das Romantische ihrer Lage zu begreifen und anstatt, wie die Biene aus _jeder_ Blume Honig zu ziehen, sich von dem ersten bitteren Geschmack abschrecken und verblenden ließen.

»Ja — eine kleine Biene flog« rief Steinert noch immer entrüstet dazwischen, »aber ziehn Sie einmal hier Honig heraus, wenn ich bitten darf — das wäre ein Kunststück.«

»In einem solchen Kunststück bewährt sich gerade der Mann!« entgegnete die kleine schmächtige Gestalt des Passagiers mit der tiefen Stimme — »das Edle wollen und das Gute thun!«

»Ich brauche mir aber meine Matratze nich einschmieren und mich schimpfen zu lassen — brauch ich nich —« schrie jedoch der Israelit, noch keineswegs beruhigt, dazwischen, und Steinert wollte ebenfalls wieder heftig erwiedern, als von einer anderen Ecke des halbdunklen Raumes her ein neuer Lärm vorbrach, dessen Mittelpunkt diesmal der Mann mit dem affenähnlichen Gesicht zu sein schien. Dieser hatte ebenfalls, wie es sich jetzt herausstellte, auf einer fremden Matratze Platz genommen und weigerte sich nicht sowohl ihn zu räumen, als daß er ihn, ohne auch nur ein einziges Wort zu erwiedern, ruhig gegen einen ganzen Schwarm von Frauen und Mädchen behauptete. Die einzige Antwort die man aus ihm herausbringen konnte, war eine ordentliche Wolke des schändlichsten ordinärsten Tabacks der sich nur denken ließ, und je ärger der Lärm um ihn her wurde, desto mehr verschwand er in dem, immer dicker aufsteigenden Nebel, und nur die kleinen grauen, von dichten und dunklen borstigen Brauen beschatteten Augen blitzten daraus hervor, daß es den Frauen ordentlich unheimlich zu Muthe wurde, wenn sie den Mann anschauten.

Wer sich übrigens um all den Lärm da unten nicht bekümmerte war der Kahnführer selber, »Capitain Meinert«, der indessen, da die Ebbe jetzt wirklich eintrat, mit seines Matrosen Hülfe den leichten Anker an Bord, und vorn auf den Bug hob, und als das kleine Fahrzeug, nicht mehr vorn gehalten, mit der Strömung langsam herumschwang, an’s Steuer trat und es weiter hinaus in den Fluß lenkte, klar von den übrigen Kähnen zu werden und freies Fahrwasser zu bekommen.

Die Passagiere waren übrigens hierbei selber zu sehr interessirt, es so ganz gleichgültig mit anzusehn, wie sie, zum ersten Mal in ihrem Leben »flott« wurden, und kaum fühlten sie unten die Bewegung des »Schiffs« wie sie den Kahn unverdrossen nannten, als auch die Mehrzahl rasch an Deck kletterte. Viele von ihnen hatten dabei eine unbestimmte Ahnung daß sie jetzt bald das Land »aus Sicht« verlieren und direkt in die offene See hineinsteuern würden, das große Schiff nach irgend einer gegebenen, unbekannten Richtung aufzusuchen; Andere glaubten daß _Brake_ wahrscheinlich um die nächste Landspitze herum läge, und sie dort spätestens zum Mittagsessen eintreffen müßten; jedenfalls gewann Eltrich indessen unten Zeit ein Eckplätzchen für Frau und Kind herzurichten, wo er eine von seinen Matratzen ausbreitete, und die andere, gegen die Kahnwand hin hoch aufstellte, als Rücklehne zu dienen. Adele hatte auch kaum mit dem Knaben darauf Platz genommen, als die Wolken, die sich den ganzen Morgen schon hoher und höher gezogen, begannen Ernst zu machen. Es fing gegen neun Uhr an erst zu tröpfeln und dann ordentlich zu regnen, und die Passagiere drängten wieder mit Macht nach unten, unter Dach. Nur Einzelne von den Männern blieben oben, die, in ihre Mäntel gehüllt, oder mit Regenschirmen, die Nässe, dem Dunst und der Hitze unten vorzogen.

So scharf und frisch die Luft aber auch im Anfang, mit dem ersten Regen einsetzte, und so rasch das kleine, ziemlich gut segelnde Fahrzeug dabei die Fluth durchschnitt und die Thürme Bremens bald zurückließ, so bald schlief der Wind wieder ein, und wenig mehr als die ausfluthende Strömung trieb den Kahn zuletzt noch weiter, der kaum mehr seinem Steuer gehorchte, und langsam und schläfrig an dem grünen Ufer niederschwamm. Die Luft war dabei schwül und drückend, und der Regen goß dermaßen in Strömen nieder, daß selbst die Luke, wenn auch nicht dicht verschlossen, doch mit getheerter Leinwand verhangen werden mußte, und die Luft in dem beengten Raum nur noch dumpfiger und schwüler machte.

Ein Theil der Passagiere amüsirte sich indeß ganz gut — hie und da hatten sich kleine Gruppen gesammelt und spielten, mit einer Kiste zwischen sich als Tisch, Karten; dort machten ein paar junge Burschen — und der Mann mit der tiefen Stimme und den gescheitelten Haaren befand sich leider zwischen ihnen — den jungen Mädchen die Cour und suchten auf solche Weise nicht allein ihre Zeit zu vertreiben, sondern auch gleich Bekanntschaften für die Reise anzuknüpfen. An rohen Scherzen der Ungebildeten fehlte es dabei nicht, über die ein Theil ein wieherndes Gelächter aufschlug, während es den anderen verletzte, und Eltrich seufzte oft tief und schwer auf, seine arme Frau in solche Umgebung jetzt vielleicht Monate lang gebannt zu wissen, und nicht im Stande zu sein sie daraus zu befreien.

Adele beschäftigte sich indessen theils mit dem Kind, theils suchte sie, den Knaben im Arm und den Kopf gegen die Matratze zurückgelehnt, dem häßlichen Aufenthalt nur kurze Zeit Schlaf abzuringen; aber der Lärm war zu groß, die Luft zu schwül und ungewohnt, und besonders der häßliche Tabacksqualm zu nah und scharf, daß sie kaum im Einnicken, immer wieder husten mußte und munter wurde.

So schlich der Vormittag langsam und schläfrig hin; die Brise wurde gegen zwölf Uhr etwas frischer, aber der vielen Biegungen des Stromes wegen war sie ihnen fast eben so oft entgegen als zu Gunsten, und um zwei Uhr, als »Todt Wasser« wie es die Schiffer nennen, eintrat, d. h. die Zeit des Stillstandes zwischen Ebbe und Fluth, wenn die eine aufhört und die andere noch nicht begonnen hat, setzte Capitain Meinert seine Passagiere ungemein in Erstaunen, als er seinen Anker plötzlich fallen ließ und sogar erklärte, hier wieder sechs volle Stunden liegen bleiben zu wollen, »bis die Fluth hinauf sei.«

Wie weit Brake noch sei, war an dem Morgen wohl tausendmal gefragt worden, und der Schiffer, der es endlich müde wurde wieder und wieder darauf zu antworten, sagte dem Einen fünf und dem Andern eine Meile, kurz Jedem verschieden, und unten stritten sich dann die Partheien darüber, weil jede behauptete, ihre Nachricht aus bester Quelle zu haben.

Der größte Aerger stand aber den Passagieren noch bevor als auch das zweite, um elf Uhr von Bremen abgegangene Dampfboot, kurz vorher ehe sie wieder Anker geworfen, an ihnen vorbeirauschte. Jetzt kam auch noch die Angst dazu daß sie das Schiff am Ende zu spät erreichten, und wenn sie auch der Schiffer darüber beruhigte, sahen sie ihm doch, oh wie sehnsüchtig nach.

Um acht Uhr wurde der Anker nun allerdings wieder »gelichtet«, wie Steinert mit etwas heiser gewordener Stimme sang, aber wie es vollkommen dunkel wurde mußten sie dennoch wieder beilegen, und zwar jetzt wieder in der trostlosen Hoffnung nicht vor acht Uhr nächsten Morgens auf’s Neue unter Wegs gehn zu können. Capitain Meinert hatte sich aber vorgesehn noch ein Dorf zu erreichen, ehe er seinen Anker wieder auswarf, und stellte den Passagieren sein kleines Boot zur Verfügung an Land zu gehn und dort zu übernachten, wo sie allerdings mehr Bequemlichkeit haben würden als an Bord. Die Meisten machten auch wirklich davon Gebrauch und traten, mit aufgespannten Regenschirmen, durch Schmutz, Wasser und Dunkelheit, die Reise nach dem flachen Ufer an, wo sie in einem Nichts weniger als freundlichen und fast eben so dumpfigen Saal ihr theueres Geld für etwas schlechtes Essen und eine Streu bezahlen mußten. Die Passage auf dem Dampfboot hätte sie nicht mehr, wenn gar so viel gekostet.

Eltrich wollte seine Frau auch, trotz allen jedenfalls daraus erwachsenden Kosten, an Land nehmen, sie weigerte sich aber entschieden den Kahn zu verlassen, verzehrte lächelnd mit ihm ihr frugales Abendbrod, und wickelte sich dann mit dem Kind in ihre wollene Decke, in der jetzt wenigstens eingetretenen Ruhe der Nacht so viel Schlaf als möglich abzugewinnen.

Und es war eine traurige unfreundliche Nacht; der Wind heulte in den einzelnen Bäumen am Ufer, der Regen schlug prasselnd auf Deck, und der Mast und das Takelwerk knarrte und ächzte, den Passagieren an Bord nur wenig Ruhe gönnend, in den fremden, ungewohnten Lauten. So kalt und häßlich der Morgen aber auch hereinbrach, so freudig wurde er von den an Bord Befindlichen, die ihn wie lange schon ersehnt, begrüßt. Jede Stunde hatten die so oft gezählt, jede Minute fast, und das Morgengrauen herbeigewünscht unzählige Mal. Ein trüber Anfang war das auch für ihre Seefahrt, und Mancher, der sich am vorigen Tag damit getröstet, welche Strapatzen und Beschwerden er im Stande wäre zu ertragen, saß jetzt kalt und fröstelnd, niederschlagen und mißmuthig in einer Ecke, und überlegte vielleicht jetzt schon, freilich etwas früh, die Gründe die ihn eigentlich zu einer Auswanderung bewogen. Wunderliche Gedanken steigen da in dem Menschenherzen auf, und eine einzige solche Nacht, wenn sie nur etwas früher gekommen wäre, hätte manche romantische Erzählung, manchen glühenden Bericht über Amerika, weit, weit aus dem Felde geschlagen.

Jetzt war das freilich zu spät und ein Rücktritt nicht mehr gut möglich; mit den Effekten und dem Passagegeld hätte es sich vielleicht noch einrichten lassen; lieber Gott, ein kleiner Verlust zur rechten Zeit ist oft ein großer Gewinn für’s ganze Leben, aber das Lachen zu Hause, das böse, böse Lachen — viele Menschen wollen lieber, wenn sie die Wahl haben, verachtet oder bemitleidet als ausgelacht und verspottet werden, und die Wenigen deshalb, an deren Grundsätzen die kalte unfreundliche Nacht doch gewaltig gerüttelt, bissen die Zähne fest aufeinander und gingen dem Unvermeidlichen — eben weil es unvermeidlich war — entgegen.

Aber solch ein Morgen, auf einem solchen Weserkahn! Erst in solchen Verhältnissen merkt auch der Mensch an wie viel Bequemlichkeiten er gewöhnt ist, wie viel Bedürfnisse er schon hat, mag er sonst noch so einfach leben das ganze Jahr hindurch. Schon das erste Gefühl des Aufstehens widert ihn an. Ungestärkt, unerquickt, und schon fertig angezogen, hebt man sich von seinem Lager; man möchte sich jetzt ausziehn und sich waschen — aber wo? — Wasser ist da im Ueberfluß, aber kein Waschbecken, kein Handtuch, weder Seife noch Zahnbürste — nicht einmal ein Platz die unentbehrlichste Abwaschung von Gesicht und Händen vorzunehmen, denn im innern Raum ist jeder Zoll breit besetzt, und draußen an Deck schütten die Wolken wieder Ströme Regens nieder. Wie grau und bleiern da der dämmernde Morgen auf der Welt liegt, und wie still und einsylbig selbst die Lautesten und Unruhigsten der Schaar geworden sind. Nur die Kinder schreien — rücksichtslose kleine Gesellschaft, die die Welt nur erst von der einen Seite kennt und jetzt auf das eifrigste dagegen protestirt auch auf der anderen ihre Bekanntschaft zu machen.

Selbst Steinert war ruhig geworden und saß, durch das Weinen eines solchen kleinen ungeduldigen Nachbars aus einem leichten und unerquicklichen Morgenschlaf geweckt, fröstelnd in seine wollene Decke gehüllt auf der Ecke einer fremden Matratze und blickte finster und verdrossen um sich her.

»Eine Tasse Kaffee — ein Königreich für eine Tasse Kaffee« brummte er zuletzt indem er den Hut abnahm, einen kleinen Taschenkamm aus seiner Brusttasche hervorholte, und langsam die kurzen Haarstummel und den etwas struppig gewordenen Bart zu ordnen begann — »Himmeldonnerwetter, daß ich des pipigen Mehlmeiers Rath nicht folgte und mit auf das Dampfboot ging; jetzt sitz ich hier zwischen heulenden Bälgern und schnarchenden anderen Individuen und blase Trübsal in alle vier Winde. »Verdecktes Flußschiff« — daß dich die Pest hole mit deinen »verdeckten Flußschiffen.««

Hie und da hob sich jetzt ein Kopf in die Höh, schaute sich schlaftrunken um und sank wieder in die alte Lage zurück, noch eine Weile die Augen schließen zu können und gar nicht sehn zu müssen was vorging in dem ungemütlichen Aufenthalt. Nur der Mann mit der tiefen Stimme und den mitten auf dem Haupt gescheitelten Haaren erhob sich jetzt ebenfalls und sagte, kopfschüttelnd die um ihn her gelagerten Gruppen überschauend:

»Guten Morgen Herr Steinert — ausgeschlafen?«

»Ja — danke — auf der einen Seite wenigstens« brummte Steinert, »denn die andere schläft noch und die Sehnen und Muskeln sind mir ordentlich verklommen — Himmel war das eine Nacht. Und sehn Sie sich einmal den Platz hier an — Wallensteins Lager, beim Zeus, und die Hälfte Marketenderinnen. Apropos — Sie sind ja wohl Literat, wie Sie mir gestern gesagt haben — da ist Stoff für Sie eine ganze Bibliothek zu schreiben — da ziehn Sie sich Ihren _Honig_ heraus, wenn Sie so gut sein wollen; wäre mir lieb zuzusehn wo Sie ihn finden?«

Der junge Schriftsteller schien aber heute Morgen keine Lust zu haben über derlei Sachen zu debattiren; ihm war selbst zu unbehaglich zu Muthe seine gestrige Aeußerung zu vertheidigen, und mit ein paar leise gemurmelten Worten, die recht gut irgend eine höchst unromantische Verwünschung sein konnten, brummte er:

»Ich möchte nur wissen wer sich da ein Vergnügen gemacht und die halbe Nacht an Deck bei dem Wetter Holz gesägt hat — die Leute wählen eine vortreffliche Zeit ihren Winterbedarf einzulegen.«

»Holz gesägt?« entgegnete aber Steinert erstaunt — »meinen Sie etwa meinen Nachbar hier, den dicken Unbeweglichen, der über Tag den guten Taback raucht, und seit ein Uhr geschnarcht hat, als ob er im Akord arbeitete?«

»Das ist ein Schnarcher?« rief der Literat im höchsten Erstaunen aus — »aber warum stoßen Sie ihn da nicht einmal in die Rippen?«

»Weil ich mit keinem passenden Werkzeug versehen bin, auch bis jetzt, in dieser egyptischen Finsterniß, nur nach der ungefähren Richtung zu hätte stoßen können« sagte Steinert — »Sie da, Herr Moses oder Aaron wie Sie gerade heißen — bitte knuffen Sie da doch einmal Ihren Nachbar in meinem Namen, und fragen Sie ihn ob er nicht Meier hieße und aus Stollberg sei.«

»Gottes Wunder, so frih?« sagte der eben Angeredete, der auch gerade munter geworden und den Kopf in die Höhe gehoben hatte. Nichtsdestoweniger leistete er dem Wunsche Folge, und der Schnarcher fuhr, ziemlich unsanft angestoßen, erschreckt in die Höh.

»Habe ich nicht das Vergnügen mit Herrn Meier zu sprechen?« wandte sich Steinert jetzt verbindlich gegen ihn, die Antwort aber die er bekam, benahm ihm jede weitere Lust zur Conversation mit dem Manne, der sich, noch innerlich knurrend, seinen abgefallenen Hut in die Stirn zog, und dann auch ohne weiteren Zeitverlust wieder zurückfiel, noch einmal einzuschlafen.

Wie das plötzliche Stillstehn einer Mühle die müden Knappen weckt, so fuhr ein großer Theil der übrigen Passagiere in die Höh, als das regelmäßige donnernde Schnarchen des Mannes aufhörte, und schlaftrunkene Gesichter frugen nach der Zeit und dem Wetter und wo sie wären, und murmelten halblaute Flüche in den Bart, als sie sich ihres Zustandes klarer bewußt wurden.

Eltrich war einer von den Ersten an Deck, zog sich Wasser in einem Eimer herauf, und badete sich Gesicht und Hände darin, das eigene Taschentuch zum ersten Mal als Handtuch gebrauchend. Den Schiffsjungen fand er dabei beschäftigt auf einem kleinen, an Deck befindlichen verdeckten Heerde, Wasser zu kochen, zu eigenem Gebrauch, und hatte die Genugtuung von diesem, für ein paar Grote, einen Theil desselben zur Mitbenutzung zu erwerben. Etwas Kaffee und Zucker führte er selber bei sich, auch eine Flasche Milch für den Knaben, und seine kleine Frau lächelte ihm dankbar entgegen, als er sie weckte und ihr den einladend dampfenden Blechbecher zum Morgengruße brachte.

»Kaffee — bei Gott!« rief es jetzt aber auch von mehren Seiten des engen Raumes, als der aromatische Duft des heißen Trankes ihre Nasenlöcher traf — »da oben giebt’s Kaffee!« und was keine Ueberredung sonst vielleicht vermocht hätte, war der Glaube im Stande. Allerdings sahen sie sich getäuscht, und nur Einigen gelang es noch für Geld und gute Worte von dem mürrischen Burschen einen halben Becher gemachten Kaffee’s zu erlangen, die Uebrigen mußten mit dem Boot an Land, dort eine Erfrischung zu erhalten, und Andere suchten den Capitain, die Abfahrt des Kahnes von ihm zu verlangen. Capitain Meinert ließ sich aber erst kurz vor acht Uhr, wo die Fluth sich staute, blicken, tröstete übrigens seine ungeduldigen Passagiere mit der guten Nachricht, daß sie, wenn der Wind so günstig bliebe, Brake in etwa zwei bis drei Stunden erreichen würden.

 

 


Capitel 3.

DAS SCHIFF.

Weit besser befanden sich die Passagiere, die mit den, die Weser befahrenden Dampfbooten ihrem Ziele rasch und bequem entgegeneilten. So hatte die Familie des Professor Lobenstein, mit dem größten Theil der im Hannöverschen Haus einquartirten und für die Haidschnucke bestimmten Auswanderer, schon um sechs Uhr Morgens Bremen verlassen, und der kleine rasche Dampfer legte sich bald nach 9 Uhr an Bord des mächtigen Seeschiffes, dem sie ihre Leben für die weite Fahrt anvertrauen wollten. Dort wurden schon Kisten und Kasten, Schachteln und Koffer rasch an Deck gehoben, und die Reisenden sahen sich plötzlich wie mit einem Schlage, aus allen ihren bisherigen Verhältnissen herausgerissen, in einer neuen unbekannten, fremden Welt.

_Das Schiff!_ Wie viel hatten sie darüber gelesen, wie viel sich davon erzählen lassen: von den Cajüten und Decks, von den Masten und Segeln, von den Matrosen selbst, und dem Leben an Bord; wie hatten sie doch, als sie erst einmal den Gedanken an Auswanderung fest gefaßt, und mit den Verhältnissen im alten Vaterlande zerfallen, ihre ganze Hoffnung auf das neue gesetzt, den Augenblick herbeigesehnt, in dem sie an den hohen Seitenwänden des Schiffes, das sie nach Amerika hinüber bringen sollte, hinaufklettern, und die Hüte schwenken würden, den stolzen Bau zu begrüßen. Tausend wunderliche und bunte Bilder hatten sie sich dabei ausgemalt, Jeder in seiner Art, auf seine Weise. Der Capitain stand dann auf seinem Deck und winkte dem nahenden Boot schon von weitem seinen Willkommen zu, die Matrosen jubelten und ein paar Böller wurden gelöst, den Passagieren zu Ehren. Die Flaggen und Wimpel wehten dabei, und im Hintergrund rauschte das Meer mit seinen mächtigen Wogen gewaltig darein, in die Harmonie dieses einen seligen Augenblicks —

So hatte sich die Phantasie eben diesen Augenblick gemalt, und jetzt? gerade vor neun Uhr fing es, höchst prosaischer Weise, an zu regnen, als ob sie da oben die Wolken mit Eimern ausschöpften und ohne richtige Ortspolizei das Wasser mitten in die Welt hineingössen. Das auf Deck liegende Gepäck war freilich mit getheerter Leinwand überspannt, wie aber das Boot an das Schiff hinanrauschte, wurde dieselbe hinweggezogen, und die Sorge der Auswanderer nahm das so ausschließlich in Beschlag, daß sie fast an weiter nichts Anderes dachten, oder denken konnten, und Jeder nur das Seinige so rasch als möglich unter Dach und Fach zu bringen suchte.

Das Tau, das ein Matrose vorn am Bug des Dampfbootes zum Wurf zusammengerollt in der Hand trug, flog aus und wurde an Bord der Haidschnucke, von rasch zuspringenden Leuten befestigt, die Räder arbeiteten langsam vorwärts, das Boot eben gegen die Strömung, gegen die es aufgedreht war, festzuhalten, und eine von Bord niedergelassene, bequeme Treppe, mit niederhängenden Tauen (_fallreeps_) an der Seite sich festzuhalten, diente den Passagieren zum Aufsteigen auf das höhere Deck.

Dort befand sich aber schon ein Theil der Frühergekommenen, die es für zweckmäßig gefunden hatten sich zeitiger einzufinden, und dadurch die Wahl eines Platzes zu haben. In der Cajüte waren nun allerdings die einzelnen _staterooms_ oder Cajütenplätze schon von den Rhedern selber für die Passagiere nach ihrer Anmeldung bestimmt, und eine Beschlagnahme des einen oder anderen Platzes konnte da nicht stattfinden; im Zwischendeck gab es aber dafür desto verschiedenere Plätze, die allerdings den Erstgekommenen zur Wahl frei lagen, und die Cojen unter den beiden Luken nach vor und aft wären jedenfalls zuerst vor allen anderen belegt worden, hätte der Steuermann, die zweite Person an Bord, den zuerst gekommenen Passagieren nicht dadurch die Wahl wieder schwergemacht, und Manche sogar dazu bestimmt sich einen Mittelplatz zu wählen, daß er ihnen sagte die, welche sich gerade in der Mitte des Schiffes befänden, wären der Bewegung desselben auch am wenigsten ausgesetzt, und würden deshalb auch am wenigsten von der Seekrankheit zu leiden haben.

Es hat das etwas für sich; die Bewegung des Schiffes ist dort allerdings am geringsten, aber trotzdem noch stark genug dem, der nur irgend zu diesem Leiden inclinirt, nicht den geringsten Schutz zu gewähren, und der davon verschont bleibt wird sie auch an den entfernteren Enden nicht bekommen. Jedenfalls haben die Plätze unter den Luken die meiste frische Luft, und wer je zur See war, wird die zu schätzen wissen.

Einige, wie schon gesagt, ließen sich aber doch dazu bereden Mittelplätze zu belegen; unter diesen Mehlmeier, der von Steinert beauftragt worden, falls er früher an Bord kommen sollte, einen Platz für ihn aufzuheben, und der selber die Seekrankheit mehr als Cholera und gelbes Fieber fürchtete. Zu diesem hatte sich noch der kleine graue Herr mit dem spitzen Mützenschild gesellt, den der Kellner in Bremen die »_Nachtigall_« genannt und der ebenfalls seine Passage im Zwischendeck genommen; Drei und Drei bekamen eine Coye zusammen, von denen immer zwei übereinander lagen, Steinert war also »im Bunde der Dritte« wie er sich ausdrückte, als er die Einrichtung erfuhr, und der kleine graue Herr, der Schultze hieß, hatte sich, wogegen Mehlmeier allerdings im Anfang protestirte, dann aber nachgab, die obere Coye ausgesucht. Die untere Coye nahm der polnische Jude mit seinem Knaben ein, dem später noch der junge Bursche, für den an der Landung in Bremen gesammelt worden, zugegeben wurde, da Niemand Anderes ein Logis mit dem langbärtigen, nicht eben reinlich aussehenden Manne inne haben wollte.

Im ersten Augenblicke wußte aber Niemand wohin er gehöre, noch sah irgend Jemand die Möglichkeit ein sich oder sein Gepäck an irgend einem nur erträglichen Ort unterzubringen. Alles schrie und lief durcheinander; sämmtliche Bagage wurde vorläufig an Deck aufgestapelt, und dann durch die Matrosen, nur um die Sachen aus dem Regen fortzubekommen, in das Zwischendeck hinuntergelassen, wo in der Dunkelheit des Raumes an ein Sortiren der verschiedenen Eigentumsrechte nicht zu denken war. Vergebens blieben auch alle Protestationen der Passagiere, die _diese_ Kiste nicht auf den Kopf gestellt, _jene_ nicht gedrückt oder gestoßen haben wollten; die Matrosen thaten gerade so, als ob sie eine ganz andere Sprache redeten, und kein Wort von allen Bitten und Vorwürfen verständen, schlugen ein Tau um das erste beste Stück, das ihnen unter die Hände kam, und mit einem »_heave!_« und »_lower away_« den englischen Ausdrücken des Einladens, hoben sich die Kisten in die Luft, schaukelten einen Moment hin und her, und verschwanden dann in der Tiefe, unten zu einem Chaos von Dingen aufgestapelt zu werden, in dem Niemand mehr das Mein und Dein unterscheiden konnte. Auch von den Cajütspassagieren wurden eine Menge Sachen dort versenkt, und diese ebenfalls protestirten vergeblich dagegen. Die Sachen mußten »aus dem Weg geschafft werden« — wie es die Matrosen nannten, indem sie es den Zwischendeckspassagieren gerade _in_ den Weg warfen — und wer nicht zufällig einen Theil seiner Sachen oben auf entdeckte und selber faßte und wegtrug, konnte dann sehn wie und wo er es später wiederfand.

Die Cajütspassagiere bekamen indessen, sobald sie sich bei dem Steuermann meldeten, ihre resv. Plätze sofort angewiesen; in der That waren die verschiedenen Thüren, die alle nach innen in den großen Saal führten, schon mit den verschiedenen Namen bezeichnet worden, und die Lobenstein’sche Familie, die drei nebeneinanderliegende Räume, die Hälfte der Cajüte einnahm, sah sich bald, so gut es den Umständen nach nur irgend ging, in zwar kleinen aber ziemlich geräumigen und besonders nett und reinlich gehaltenen Cajüten untergebracht. Der Vater und Eduard bewohnten eine von diesen, Anna und Marie die zweite und die Mutter mit den beiden jüngsten Kindern die dritte.

Ihnen gegenüber war die eine Eckcoye oder Cajüte von Herrn Henkel und seiner jungen Frau, die übrigens noch nicht eingetroffen, belegt worden, die zweite hatten zwei fremde Herren in Besitz, ein Baron von Benkendroff und ein Herr von Hopfgarten, die mittlere bewohnte schon seit acht Tagen, sehr zum Aerger des Steuermanns der dadurch vielfältig genirt worden, ein Fräulein von Seebald mit einer alten würdigen Dame (einer Frau von Kaulitz), die ungemein gern Whist spielte und die ersten Tage in einem gelinden Grad von Verzweiflung gelebt hatte, nicht den dritten »Mann« zu einer Parthie bekommen zu können. Die beiden Herren Hopfgarten und Benkendroff erschienen ihr als eben so viele Engel in der Noth, und Herr von Hopfgarten besonders, war, seitdem er an Bord gekommen, erst im Stande gewesen sich einen einzigen Nachmittag der unausweichlichen Parthie zu entziehen.

Noch war, der Cajüte der beiden Steuerleute gerade gegenüber, ein anderer, etwas schmalerer _stateroom_ frei, dessen unterer Theil von Schiffswegen zu einer Art Vorratskammer für neues Segeltuch und Garn benutzt wurde. Der obere Theil war dagegen einem Mittelding zwischen Passagier und Schiffsoffizier, dem »Doktor« wie er kurzweg genannt wurde, zugetheilt, sich darin, so gut wie das eben gehen wollte, häuslich niederzulassen.

Im Zwischendeck befanden sich indessen die Leute fast eben so behaglich und zufrieden wie in der Cajüte. Nachdem nur der erste Sturm der eintreffenden Mitpassagiere abgeschlagen, und diese mit ihrem Gepäck beseitigt worden, hatten sich die Leute in den verschiedenen Coyen vertheilt und Raum übrig genug. Allerdings ging das Gerücht daß noch Passagiere mit einem Weserkahn eintreffen würden, und fünf oder sechs konnten, ihrer Meinung nach, auch noch mit Bequemlichkeit untergebracht werden, — einige Coyen standen sogar noch ganz leer, — vielleicht kamen die aber auch _nicht_, trösteten sich Andere, und dann versprachen sich die Meisten eine sehr angenehme Reise. Lieber Gott, das Zwischendeck versagte ihnen manche am Land gewohnte Bequemlichkeit, aber dafür war man ja doch auch an Bord, und mußte sich die kurze Zeit schon behelfen. Die Belohnung lag über dem Wasser drüben, und hieß _Amerika_.

So verging der zur Einschiffung bestimmt gewesene Tag, der 20ste August, an dem noch, trotz dem Regen, fortwährend Fracht in Fässern, Kisten und Ballen eintraf, und in den unteren Raum weggestaut wurde. Die erste Nacht an Bord ging auch ruhig und ohne weitere Störung vorüber; das Schiff, ein großes stattliches Fahrzeug, lag still und regungslos auf der glatten Wasserfläche, und in dem weiten Raum des Zwischendecks, mit den beiden Luken geöffnet, über die ein Dach von getheerter Leinwand gespannt worden, während ein Windfang den Tag über noch frische Luft hinunter führte, ließ es sich schon aushalten — die Leute waren auf Schlimmeres vorbereitet gewesen. Auch die Provisionen waren leidlich, Butter und Schwarzbrod konnte sogar gut genannt werden, und mit dem frischen Fleisch und grünen Gemüse, was sie, so lange sie an Bord lagen, statt der Schiffskost geliefert bekamen, durften sie wohl zufrieden fein; _Viele_ von ihnen hatten es in der eigenen Heimath lange nicht so gut gehabt.

Nur das Wetter wollte und wollte nicht besser werden, der Himmel hing in düsteren Wetterwolken über der schon vollgesogenen Erde, und der Herbst meldete sich in den kalten, unfreundlichen Schauern als ein viel zu zeitiger, unwillkommener Gast. So verging der Morgen des 21sten, und während ein großer Theil der schon an Bord befindlichen Passagiere einsah, daß er sich keineswegs hatte so zu übereilen gebraucht, wurde ein anderer schon ungeduldig, behauptete das Versprechen der Abfahrt für den 20sten zu haben, und verlangte vom Capitain die Abfahrt. Sie hielten _ihren_ Contrakt, und meinten deshalb, daß der Capitain den seinigen ebenfalls halten müsse. Die Erwiederung der Seeleute daß ein großer Theil der Passagiere noch gar nicht an Bord sei, hielt ebenfalls nicht Stich. »Wer nicht da wäre dem würde der Kopf nicht gewaschen« meinte Herr Schultze, »und wenn die Leute bis Weihnachten nicht kämen, sollten sie wohl auch daliegen bleiben und auf sie warten? — Alle Vögel« setzte er dabei hinzu — »hielten die richtige Zeit in ihrer Wanderung, und sie wollten die ihrige ebenfalls nicht unnöthig versäumen.«

So rückte der Mittag heran, und der Koch hatte eben zum »_Schaffen_« gerufen, ein eigenes wunderliches Wort, das in unserer norddeutschen Sprache »Essen« bedeutet, als der Steuermann, der schon den ganzen Morgen oft und ungeduldig den Fluß hinaufgeschaut hatte, nach der Nummer des Segels und der aufgezogenen kleinen Privatflagge des Rheders, den so lang erwarteten Kahn mit dem Rest der Passagiere erspähte, und die Ordre gab das Deck für den Empfang der neuen Gäste _klar_ zu machen. Glücklicher Weise hatte, seit einer Stunde etwa, der Regen wenigstens nachgelassen, und die Nachricht verbreitete sich rasch über Deck, daß ihre neue Einquartierung anrücke. Eben so stand das ganze Deck des kleinen Weserkahns gedrängt voll Menschen, die sehnsüchtig ihrer endlichen Erlösung von dem trostlos engen Fahrzeug entgegensahen und das Schiff jetzt, dem sie sich rasch näherten, mit einem dreimaligen donnernden Hurrah begrüßten. Keineswegs so freudig wurden sie hier empfangen.

»_Den_ Schwarm Menschen sollen wir hier noch an Bord bekommen?« lief der Schreckensruf durch das ganze Schiff — »wo wollen sich die denn unterbringen? — das ist ja gar nicht möglich!« — und kein einziger Zuruf antwortete dem grüßenden Hurrah. Aber der Steuermann hatte indessen die Bremer Flagge am Heck und des Rheders Zeichen am Fockmast, wie ein Tuch, mit dem weit auswehenden Namen des Schiffs am Top des großen Mastes gehißt, als Merkmal für den Kahn, der auch jetzt direkt auf das Schiff zulief, scharf gegen den Wind anluvte, und als er seinen Bug ziemlich nahe zum Bugspriet der Haidschnucke gebracht hatte, voll in den Wind hineindrehte. Während das Segel niederfiel fing »Capitain Meinert« ein nach vorn ihm zugeworfenes Tau, das er rasch an seinem eigenen Bord befestigte; der Matrose hatte im Hintertheil des Kahns ein anderes zugeworfen bekommen, und wenige Minuten später lag er wohlbehalten langseit der Haidschnucke seine »lebendige und todte Fracht« an deren Bord zu _löschen_.

Unmöglich wäre es jetzt die Verwirrung, den Lärmen zu schildern, der in diesem Augenblick entstand — der Steuermann schrie seine Befehle über Deck, aber die ganze Mannschaft, wie sämmtliche Passagiere schrien mit, und der Mann hätte sich eben so gut ruhig in die Cajüte setzen und seinen Teller voll Suppe essen können der drinnen auf dem Tische kalt wurde, als hier zu versuchen Ordnung in dies Babel von Stimmen und Koffern und Hutschachteln, Matratzen, Kisten, wollenen Decken, kleinen Kindern und Körben mit Provisionen zu bringen.

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Jeder der Passagiere wollte natürlich seine Sachen zuerst hinaufgereicht haben, Jeder wollte aber auch zuerst an Bord des Schiffes sein, und die Einen schrieen hinauf, die Anderen hinunter, bis sich die Mannschaft der Haidschnucke endlich in einer festen Masse sammeln und das Uebertragen des Gepäckes selber in die Hand nehmen konnte. Hei wie die Schachteln und Körbe da flogen, und wie die Frauen kreischten wenn irgendwo in einem Korb eine Flasche zerbrach und auslief, oder irgend ein Topf oder Geschirr knackte und splitterte.

»Nehmen Sie sich in Acht da ist Glas drin — Sie stehn ja in meiner Hutschachtel — passen Sie auf, das Bett fällt über Bord — Herr Gott da sind meine sämmtlichen Provisionen drinnen!« — und tausend ähnliche Aufkreische der Angst und Sorgfalt, eben so oft vergebens, denn die Seeleute kümmerten sich den Henker um alle Warnungen und Ermahnungen, füllten die Luft, bis die Unmasse Gepäck, indeß die Passagiere ihre eigenen Personen wenigstens in Sicherheit brachten, glücklich an Deck gelandet war, und jetzt eben so rasch und rücksichtslos in das Zwischendeck hinunter befördert wurde. Da hinein regnete es ordentlich Hutschachteln, Reisesäcke und Matratzen, mit riesigen kistenähnlichen Holzkoffern, und um die Verwirrung, wenn das irgend möglich gewesen wäre, noch größer zu machen, riß inmitten dieser Beschäftigung der eiserne Henkel eines solchen Colli’s aus, die Kiste fiel auf der Lukenwand auf, brach, und streute jetzt ein Hagelwetter von Kleidern, Wäsche, Schuhwerk, Zwieback, Würsten und allen möglichen und unmöglichen anderen Effekten über die unten schon aufgehäuften Sachen über die sich der glückliche Eigenthümer jetzt mit einem lauten Gebrüll der Verzweiflung warf, um gleich darauf von nachfolgenden Hutschachteln und Matratzen im wahren Sinn des Worts bedeckt zu werden.

War die Verwirrung aber an Deck schon groß gewesen, so wurde sie es jetzt im inneren Raume des Zwischendecks noch weit mehr. Die Neugekommenen wollten natürlich gleich auch ihre Coyen wissen und belegen, fanden aber alle besetzt, wenn auch hie und da nur von einzelnen Personen, die sich jedoch hartnäckig weigerten noch irgend Jemanden in einem Raume aufzunehmen in dem sie, wie sie erklärten, kaum selber Platz hätten. Hier wie überall sollte der Steuermann entscheiden, von allen Seiten aber gerufen und gequält, ging dem sonst ruhigen Mann auch endlich die Geduld aus. Er fluchte und schwor er wolle verdammt sein wenn er solch ein Gelärm schon in seinem ganzen Leben gesehn, und erklärte endlich sie möchten sich erst einmal ordentlich durcheinander schütteln und würgen, und wenn sie dann ein wenig zu Verstande gekommen, wolle er hinuntergehn — eher aber keinen Schritt.

Er that auch zuletzt, was er gleich zu allem Anfang hätte thun können und ging, so wie nur erst einmal sämmtliches Gepäck an Bord genommen und der Lichter klar geworden war, in die Cajüte zurück, sein Mittagsessen zu verzehren. Unterdessen kam ein Bote nach dem andern, daß sie sich unten im Zwischendeck prügelten und mit Messern und Pistolen drohten; er ließ sich nicht stören und antwortete nur vollkommen gleichmüthig, es wäre das Beste wenn sie erst eine Weile einander todtschlügen, denn dann bekämen die Anderen gewiß Platz — die Todten würfen sie über Bord, und die Mörder steckten sie ins Zuchthaus. Der Mann hatte aber derlei Einschiffungen schon in den letzten zwölf Jahren, jedes Jahr wenigstens zweimal mit durchgemacht, und wußte daß eine gewisse Zeit dazu gehörte bis sich die Masse erst setzen und ordnen konnte. Der erste Ansturm mußte vorüber sein, eher war kein vernünftiges Wort mit ihnen zu reden, dann ging aber auch Alles leicht und ruhig von statten, und da für Jeden Platz da war, fand sich auch für Jeden zuletzt der rechte.

Im Zwischendeck sah es indessen wirklich bös aus, und einen ernstlichen Zusammenstoß der verschiedenen Partheien verhinderte wohl nur der Umstand, daß Niemand einen bestimmten Gegner fand an den er sich halten konnte. Dann war der Capitain selber nicht an Bord, der ein Endurtheil fällen sollte, und der Steuermann hatte, wie schon gesagt, noch nicht bewogen werden können hinunter zu gehn. Zugleich hinderte das, einem Wall gleich aufgeschichtete Gepäck die freie Bewegung der Leute, von denen sich die, die schon Coyen inne hatten, nicht daraus zu entfernen wagten, weil sie wußten daß sie augenblicklich von Anderen in Besitz genommen würden, während die Neugekommenen ihr Augenmerk auf eine oder die andere bestimmte Coye gerichtet hielten, und diese förmlich belagerten.

Nur einige Wenige der Letztgekommenen waren so glücklich gewesen schon einen Platz für sich zu erbeuten. Zu diesen gehörte Eltrich, der trotz seiner sonstigen Bescheidenheit hier doch für Frau und Kind zu sorgen, und diese gleich im Anfang mit seinem Gepäck auf dem Kahn zurückgelassen hatte, vor allen Dingen eine gute Coye für sie zu finden. Daß immer drei Personen eine Coye bekommen mußten wußte er, sein Kind bezahlte halbe Passage, mußte aber einen ganzen Schlafplatz erhalten, und eine untere Schlafstelle, in der Nähe der Luke noch frei findend, legte er sich ohne weiteres vorn in diese hinein und blieb da liegen, bis seine kleine Frau mit dem Kind, die er vorher ermahnt hatte sich aus jedem Gedränge fern zu halten, den Weg zu ihm finden würde. Es war das Klügste was er hätte thun können.

Steinert fand ebenfalls den für ihn belegten Platz, und zu gleicher Zeit, und so wie er nur den Fuß in das Zwischendeck gesetzt, hatte sich auch der wunderliche Mann mit dem affenähnlichen Gesicht, sein Gepäck ganz rücksichtslos im Stich lassend, eine obere Coye ausgefunden, in der allerdings schon Betten lagen, die er aber doch für sich geeignet hielt, und wohinein er auch augenblicklich kletterte. Allerdings ertappte ihn noch, im Akt des Hineinsteigens die Besitzerin der Coye, Rebecca, Frau des ehrsamen Krämers Moses Löwenhaupt, am Rockschooß, und wollte ihn, mit einer Fluth von Verwünschungen zurückziehn, der Mann wandte aber nur den Kopf nach ihr um, und blitzte sie mit seinen kleinen stechenden grauen Augen unter den buschigen Brauen vor so feindlich an, und zeigte ihr dabei die beiden Reihen weißglänzender und fehlerfreier Zähne, daß sie ihn erschreckt wieder losließ. Der Usurpator saß denn auch, keine halbe Minute später, mit untergeschlagenen Beinen und etwas nach vorn gebogenem Kopf, der niedrigen Coye wegen, gerade in deren Mitte, und blies den Qualm aus seiner kurzen Pfeife, die er jedenfalls schon brennend mußte in der Tasche gehabt haben, in solchen Stößen um sich her, daß ihn derselbe in kurzer Zeit ganz verhüllte, und wie eine Wolke, unheimlich und schwer die Coye füllte.

In fast gleicher Zeit hatte sich der Mann mit den gescheitelten Haaren in die andere Coye, dicht unter den Raucher hineingebohrt, ohne jedoch von dem Besitzer derselben, einem kurzhaarigen mürrischen und finsteren Gesell, der ihm schweigend dabei zusah, weiter belästigt zu werden. Der Mann schien sogar mit dem neuen Einzug vollkommen zufrieden; drehte sich wenigstens auf die andere Seite, und ließ ihn sogar ungehindert einen kleinen Handkoffer den er bei sich führte, und in der ersten Eile vor die Coye gestellt hatte, nachziehn. Der Mann mit den gescheitelten Haaren hatte dadurch vollständig Besitz ergriffen.

»Nun sind wir aber genug hier drin und nehmen keinen mehr herein« brummte der Erstbewohner des Schlafplatzes übrigens, als der junge Literat, der sich Theobald nannte, nach außen hin mit einigen seiner Bekannten vom Kahn her ein Gespräch anknüpfte.

»Also bekommen immer zwei und zwei eine Coye?« frug dieser rasch, und wie es schien sehr befriedigt.

»Nein, drei —« erwiederte der Mann.

»Drei? — und wer ist der Dritte hier drin?«

»Meine Frau!« lautete die lakonische Antwort, die aber auch jedes weitere Gespräch abschnitt, denn Theobald war zu bestürzt darüber, auch nur noch eine Sylbe erwiedern, oder weiter fragen zu können.

Endlich, nach einem Zeitraum der den dabei Betheiligten eine Ewigkeit geschienen, kam der Steuermann, in Abwesenheit des Capitains die oberste Behörde an Bord eines Schiffs, langsam die neben dem großen Mast in das Zwischendeck führende Treppe hinunter, blieb aber noch auf den mittleren Stufen stehn, als ihm hier schon sämmtliche Passagiere mit ihren Klagen und Forderungen laut durcheinander schreiend entgegendrängten.

»Hier Herr Obersteuermann — die wollen mich in keine Coye lassen — Herr Obersteuermann wir haben unsern Platz so gut bezahlt wie die Anderen — Und meinen Koffer haben sie wieder raus geworfen — ich schlage dem Hund ein Bein entzwei, wenn ich nur erst zu ihm komme — Und meine Frau ist krank und muß einen guten Platz haben — Gottes Wunder was geht uns die Frau an, wir haben Alle gleiche Rechte auf einen guten Platz; wie haißt kranke Frau — Hier Herr Obersteuermann kommen Sie nur einmal her und sehn Sie, wie sie meine Hutschachtel zertreten haben — Mir muß der Capitain den Schaden ersetzen, meine Hemden liegen im Schmutz, und mein Taback und mein Zwieback sind alle untereinander gekommen.«

So schrie und tobte es um ihn her, und der Steuermann hielt sich die Ohren zu und schloß die Augen und blieb, halb abgedreht von den Wüthenden, so lange regungslos stehn, bis diese doch einsahen daß sie auf solche Art ihren Zweck unmöglich erreichen konnten, und sich wenigstens in etwas beruhigten.

»So —« sagte der Steuermann, als er endlich hoffen durfte den Lärm mit der eigenen Stimme übertönen zu können; »hat nun Jeder seinen Platz?«

»Nein — nein!« schrie es wieder von allen Seiten.

»Gut, dann haltet auch einmal zum Teufel die — Frieden« lautete die Antwort — »oder ich gehe an Deck zurück und Ihr mögt Euch hier meinethalben die Köpfe blutig schlagen, nach Herzenslust.«

Die Passagiere, denen daran gelegen war daß der Steuermann ihre Angelegenheit in Ordnung bringe, sahen endlich selber ein, daß sie ihn gewähren lassen müßten, machten ihm also Platz, und Einzelne, die Vernünftigeren der Schaar, baten ihn, ihnen eine Stelle anzuweisen wo sie ihre Matratzen unterbringen, oder die, die Familie hatten, mit diesen zusammen einquartirt werden konnten. Das war nicht mehr als billig, und der Steuermann, auf dessen Wink jetzt noch zwei Matrosen mit Laternen herunterstiegen, trat die wenigen Stufen noch nieder, und begann die verschiedenen Coyen, an der rechten Seite anfangend, zu visitiren.

»Wen haben wir hier?« begann er gleich mit der ersten, Eltrichs Coye, in welche dieser jetzt die junge Frau mit dem Kind placirt hatte, und so lange Wache davor hielt, bis Alles geregelt sein würde.

»Mann, Frau und Kind!« erwiederte der junge Mann — »ich heiße Eltrich.«

»Alles in Ordnung!« sagte der Steuermann, mit einem Stück Kreide das er in der Hand hielt eine 1 über die Coye malend — »So, und nun wollen wir die Geschichte gleich einmal richtig in Ordnung bringen« setzte er hinzu, seine Brieftafel mit der Passagierliste aus der Tasche nehmend, und zu dem Licht der Laternen haltend — »Coye 2 — wer ist hier drin?« —

Auch diese Coye war durch die Familie des Tischlermeister Leupold besetzt. Anders sah es aber mit Nr. 3 aus, wo sich zwei Oldenburger Bauern einquartirt hatten, und keinen weiteren Zuspruch gestatten wollten. Der eine, ein breitstämmiger Bursch, mit ledernen Hosen und nägelbeschlagenen Schuhen, der vornweg der Länge lang darin lag erklärte auch dabei ganz ruhig und bestimmt das sei ihr Platz, sie wären zuerst gekommen, brauchten was sie hätten, und gedächten es zu behalten.

»Wer hat noch keinen Platz?« frug der Steuermann ohne weiter etwas darauf zu erwiedern, die Passagiere — »halt nicht Alle auf einmal schreien — es muß eine einzelne Person sein.«

Wald meldete sich und der Steuermann sagte ruhig, nachdem er sich den Namen des neu Zutretenden bemerkt:

»So, da rückt einmal zu, Ihr da; drei und drei gehören immer in eine Coye, und dann habt Ihr noch übrig Platz.«

»Wenn der nirgendwo anders unterkommen kann, nachens is es noch immer Zeit;« erwiederte aber der eine Bauer trotzig.

»Wollt Ihr in Frieden Platz machen?« frug der Steuermann vollkommen freundlich.

»Ne« lautete die einzige Antwort.

»Smiet mi mal den Döskopp da ruth« lautete da der eben so ruhig gegebene Befehl an die beiden Matrosen, die zuerst vorsichtig ihre Laternen bei Seite setzten, und dann so plötzlich und mit so eisernem Griff den Widerspenstigen packten, daß dieser auch im Nu aus seiner Coye und auf die Erde flog. Hier sprang er aber eben so rasch in die Höh, und schien nicht übel Lust zu haben sich auf den Steuermann zu werfen; oben durch die Luke schauten aber noch drei oder vier stämmige Burschen von Matrosen, die nur eines Winks bedurft hätten, mit einem Satz unten bei ihren Kameraden zu sein, und der Steuermann sagte freundlich:

»Wullt Du _noch_ wat?«

Widerstand unter solchen Umständen war hoffnungslos, und der Bauerbursche brummte nur eine halbtrotzige Drohung in den Bart, daß er sich über solche Behandlung bei dem Capitain beschweren würde.

»Dat stat Di frie, myn Junge!« sagte aber der Steuermann, der stets platt sprach wenn er grob wurde, gleichgültig, und wies jetzt Wald an, seinen Platz einzunehmen, wie seine Sachen, die er unterwegs bei sich zu behalten wünsche, vor die Coye zu stellen.

Das Beispiel, gerade an einem der stärksten und stämmigsten der Schaar gegeben, hatte aber geholfen; in den nachfolgenden Coyen zeigten sich nicht die geringsten Schwierigkeiten mehr, und wo noch Platz war, fügten sich die Leute, nach Angabe ihrer Namen, ohne weiteren Widerspruch in das Unabänderliche. Nur den polnischen Juden mit seinem schmutzigen Kaftan wollten sie nirgends einnehmen, und selbst einer seiner Glaubensgenossen, der gerade unter Steinerts, Mehlmeiers und Schultzes Schlafplatz eine Coye für sich selber in Beschlag genommen, und jetzt mit dieser Einquartierung bedroht wurde, zog es vor auszuräumen und sich wo anders Raum zu suchen. Zu dem dritten Platz in des Polen Coye fand man Niemanden als den armen jungen Burschen, für den an der Landung in Bremen noch gesammelt worden, daß er sein Reisegeld zusammen bekam. Der wagte keine Widerrede, und ließ sich hinstecken, wo es den Anderen gefiel.

Ziemlich zu Ende mit der ganzen Anordnung, kam der Steuermann auch jetzt endlich zu Löwenhaupts Coye, von der »der große Unbekannte« wie ihn Steinert nannte, Besitz genommen, und aus seiner Tabackswolke auch noch nicht wieder zum Vorschein gekommen war.

»Hallo Mosje! — Sie da drin in dem Qualm« schrie der Steuermann, »stecken Sie das Schiff nicht in Brand — Dusendslag, wo hett denn de Permission kregen syn Dunnerwehers stinkigen Toback to smöken?«

Die Wolke stand einen Augenblick, und nicht weiter genährt, zog sie sich allmählig nach oben, jetzt zum ersten Mal die Gestalt des wunderlichen Mannes enthüllend.

»Harpunen und Seekrebse« brummte aber der Steuermann, der sich niederkauerte einen Blick unter dem Qualm fort in das Gesicht des Mannes zu bekommen, gegen den schon, wie er kaum den Fuß an Bord gesetzt, eine Menge Klagen eingelaufen waren, »wo heet den de Heer hier in de smallkragigen Rock mit de grooten linnen Taschen — Sie da Wo heet hey?«

»Sehr würdiger Seemann« erwiederte ihm aber hierauf mit großer Ruhe und in wohlgesetzter Rede der Gefragte, »es thut mir unendlich leid daß ich keine Sylbe dieser nordischen Sprache, die Sie hier wenn ich nicht irre, plattdeutsch nennen, verstehe, und durchaus in reinem Hochdeutsch angesprochen werden muß, befriedigende Antworten zu erwarten.«

»Na nu wird’s Tag!« rief der Steuermann verwundert, »dei spreekt wie en Buk — Sie da also mit den empfindlichen Ohren, wie heißen Sie und wo sind sie her?«

»Zachäus Maulbeere aus Halle.«

»Maulbeere« — murmelte der Steuermann, den Namen auf der Liste suchend — »Maulbeere — Maulbeere —«

»Nein, nur einmal Maulbeere!« sagte Zachäus. Einzelne lachten, die Familie Löwenhaupt aber, deren Herr und Stamm sich in einem kleinen winzigen Männchen, mit einer furchtbar großen, wie eingehakten Habichtsnase zeigte, begann wieder auf’s Neue ihre Klagen über den Einbruch in ihre Rechte.

»Ruhe da!« rief aber der Steuermann — »und Sie da, wer hat Ihnen denn eigentlich Erlaubniß gegeben im Zwischendeck zu rauchen, und noch dazu solchen Giftknaster — wenn Sie das Schiff wirklich nicht in Brand stecken verpesten Sie es.

»Der Eine liebt Rosen der Andere Teufelsdreck« sagte Zachäus ruhig, »ich liebe Rosen.«

»Kann ich mir denken« meinte der Steuermann — »wer aber hat die Coye von allem Anfang an inne gehabt?«

»Ich — wir —« schrieen die Eheleute Löwenhaupt.

»Wie viel sind Sie?«

»Nu wie viel sollen mer sein?« frug Madame Löwenhaupt beleidigt — »ich und der Itzig.«

»Ja dann kann ich Ihnen nicht helfen« sagte der Seemann achselzuckend, »dann müssen Sie noch irgend Jemand darin aufnehmen.«

»Aber doch nich _den_ Menschen?« rief Herr Löwenhaupt rasch und erschreckt.

»Bieten Sie mir einen Tausch an, vielleicht lasse ich mich bewegen und ziehe aus!« sagte Zachäus, dem die Gesellschaft als er sie etwas näher besah, vielleicht selber nicht gefallen mochte.

»Na das machen Sie unter sich aus« sagte aber der Steuermann, sich mit seiner Laterne wieder den Anderen zuwendend — »immer drei gehören eben in eine Coye, und je friedlicher Ihr Euch hier darin vertragt, desto besser ist es für Euch. Geraucht wird aber hier unten _nicht_,« wandte er sich noch einmal gegen die Coye um, aus der Zachäus schon wieder dicke Wolken blies; »wer rauchen will geht mit seinem Stummel an Deck, verstanden?«

Ein dumpfes Brummen tönte als einzige Antwort von der Coye herüber, die Frauen aber besonders dankten Gott, daß sie den »Qualm und Gestank« wie sie’s nannten, da unten in dem überdies engen Raum los würden.

Die Regulirung der Coyen war übrigens hiernach bald beendet, und wie nur erst Jeder einmal seinen Platz angewiesen bekommen und bestätigt hatte, durften sie auch daran denken ihr Gepäck zu ordnen, damit es die Matrosen dann um die Mittelstützen herum und an den verschiedenen Coyen befestigen konnten.

Mit dem Gepäck fand sich übrigens hier ebenfalls eine Schwierigkeit, die besonders in der unzweckmäßigen Verpackung der Sachen lag, und von den Auswanderern, trotzdem daß sie ihnen so oft an das Herz gelegt, doch so selten beachtet wird. Leute aber, die mit der Einrichtung eines Schiffes nicht bekannt sind, können sich auch gewöhnlich gar keine Idee machen wie beschränkt der Raum doch natürlich in einem Fahrzeug sein muß, das Hunderte von Personen in Monate langer Reise über See schafft, und für diese Zeit nicht allein Wasser und Proviant mitnehmen muß, sondern mit seinem Haupterwerb auch auf die _Fracht_ angewiesen ist. Dabei denken die Auswanderer gewöhnlich nur an sich selbst, der Nachbar und Reisegefährte existirt nicht für sie, und sie müssen dann erst eine Weile durcheinander geschüttelt werden und eigne Erfahrung sammeln, bis sie lernen sich an Bord zu behelfen.(2)

Sobald sich also die Passagiere, in Cajüte wie Zwischendeck, nur erst halbwege eingerichtet hatten, und jetzt erfuhren daß sie heute noch gar nicht, sondern erst morgen früh in See gehn würden, verlangte ein großer Theil derselben, mit dem heimischen Boden dicht neben sich, auch noch einmal festes Land vor dem Abschied vom Vaterland zu betreten. Die meisten, besonders der Zwischendeckspassagiere, hatten dabei auch noch so Manches einzukaufen vergessen, was ihnen auf der Reise gute Dienste leisten konnte und hier, wie sie hörten, zu bekommen war, daß sie sich in Masse übersetzen ließen, noch eine Menge Geld, oft höchst unnöthiger Weise zu verschwenden. Die noch »deutsches Geld« hatten, meinten dies hier zweckmäßig verwenden zu können, und solche, die das schon in Bremen möglich gemacht, wechselten sich erst einen und dann mehre Dollare wieder ein, den »allerletzten« Tag in der Heimath würdig zu feiern. Nur die Frauen wollten nicht mehr von Bord, sie hatten mit dem alten Leben abgeschlossen, den Schmerz der Trennung einmal überwunden, und sie verlangten keine Zerstreuung, ja fürchteten sie eher. Für sie begann auch hier an Bord wieder eine neue Welt, in der sie schaffen und wirken mußten, fast wie zu Hause — die Cajütspassagiere natürlich ausgenommen, denen geliefert wurde was sie brauchten — hatten die Frauen im Zwischendeck, sich wieder eine gewisse Häuslichkeit herzurichten, um die sich die Männer wenig oder gar nicht kümmerten. Ihre Betten mußten gelüftet und in Ordnung gebracht, ihr Geschirr mußte gereinigt, die Wäsche die sie für den Schiffsgebrauch bestimmt nachgesehn werden. Die Sachen mußten auch einen Platz bekommen, und der Mann hätte eben so gut an Bord bleiben, und ihnen kleine Nägel in die Coyen schlagen können, Alles daran aufzuhängen, was sie zum täglichen Bedarf gebrauchten, und tausend andere Kleinigkeiten herzurichten.

Und wie sah es noch unten im Zwischendeck aus — überall standen Kisten und Kasten umher, um die sich ihre nachlässigen Eigentümer nicht bekümmert hatten; an Auskehren war natürlich gar kein Gedanke, einige kleine Plätze abgerechnet, und selbst heißes Wasser, das bei dem späten Mittag gebrauchte Geschirr aufzuwaschen, wollte der mürrische Koch nicht hergeben.

So kam der Abend heran, der die Cajütspassagiere um den gedeckten Tisch versammelte, und den Zwischendeckspassagieren dünnen Thee, ohne Zucker und Milch brachte — Brod und Butter war ihnen an dem Nachmittag schon gut und reichlich geliefert worden. Die wenigsten machten aber Gebrauch davon; die Männer waren fast noch sämmtlich an Land, viele schliefen sogar noch dort, und zahlten schweres Geld für ein schlechtes Bett, dem Gewirr an Bord, und dem ungewohnten Dunst des Zwischendecks so lang als irgend möglich zu entgehn, und die Frauen hatten, mit wenigen Ausnahmen, noch nie in ihrem Leben Thee getrunken, außer wenn sie krank waren Camill oder Pfeffermünz, aber wohl viel davon gehört daß es die Leute in der Stadt, oder die Reichen tränken, und wunderten sich jetzt kopfschüttelnd wie die Leute Geschmack daran finden könnten. Schiffsthee ohne Milch und Zucker aus einem Blechbecher getrunken schmeckt auch in der That nicht besonders.

Das Wetter hatte sich übrigens wieder aufgeklärt, auch war die Fracht sämmtlich eingeladen, und die untere Luke geschlossen worden, das Schiff lag mit geräumtem Deck vor seinem Anker, und als am nächsten Morgen, mit Tagesanbruch, die Decks gewaschen wurden, begann ein reges Leben an Bord, das auf die baldige, und in der That auf den Morgen angesetzte Abfahrt schließen ließ. Der Weserlootse, der das Schiff in See bringen sollte, kam an Bord, einzelne, bis jetzt noch fehlende Segel wurden aufgeholt und an die Raaen geschlagen und gleich nach dem Frühstück begann die Mannschaft ihre Arbeit an der Ankerwinde. Die Passagiere waren ebenfalls an Bord gerufen worden, aber immer noch fehlte der Capitain wie die letzten Cajütspassagiere, die aber mit dem nächsten Dampfboot erwartet wurden. Dieses kam endlich puffend den Strom herunter, legte sich langseit, und die sehnsüchtig Erwarteten, das endliche Signal zur Abfahrt, kamen mit ihm.

Der Capitain, eine vierschrötige ächt seemännische Gestalt, mit fast braunem Gesicht, entsetzlich großen, sehnigen sonngebräunten Händen, und einem großen Packet Papiere unter dem Arm, sah freilich etwas wunderlich in seinen »Landkleidern«, dem schwarzen auch nicht mehr modernen Frack und dem Zylinderhut (Schwalbenschwanz oder Nagelhammerrock und Schraube, wie die Matrosen diese Kleidungsstücke nennen) aus, schien sich auch nicht besonders wohl darin zu fühlen. Er grüßte seine Passagiere nur flüchtig und zog sich dann in die eigene Cajüte zurück, in die hinein ihm gleich der Steward oder Cajütendiener folgen mußte; der zweite Steuermann aber, ein trockener komischer Kauz, der gerade vor der Thür stand als es drin ein wenig laut herging, und des Capitains Stimme den Jungen schimpfte, meinte ruhig zum Steuermann, als er an diesem vorüber und an Deck ging:

»De Captein kann wedder syn Swalbenswanz nich uht kreegen — wat de Jong vor Arbeit het.«

Mit dem Dampfboot waren auch Henkels mit Hedwig Loßenwerder in ihrer Begleitung eingetroffen, und Lobensteins, die sich schon ziemlich häuslich an Bord eingerichtet hatten und mit der ganzen Einrichtung ziemlich zufrieden schienen, begrüßten sie, wie Hedwig, auf das Herzlichste.

Während sich Clara aber, mit dem Bewußtsein ihre Eltern ja schon in kurzen Monaten wiederzusehn, dem Fremden und Neuen was sie überall berührte, mit ganzer Seele und leuchtenden Blicken hingab, und sich wie ein fröhliches glückliches Kind selbst auf die Reise und all die kleinen Unbequemlichkeiten freute, die in so grellem Gegensatz zu dem bisher geführten ruhigen aber auch vollkommen gleichförmigen Leben standen, betrat Hedwig nur schüchtern und ängstlich das Deck des Schiffes, und blickte wie scheu und furchtsam umher, auf die ihr so gänzlich fremde Umgebung, auf die fremden Menschen. Sie hatte sich leicht entschlossen das Vaterland zu verlassen, das ihr in der Erinnerung ja nur traurige, schmerzliche Scenen bot, und sogar mit innigem Dank das Erbieten angenommen die liebe junge Frau auf ihrer Reise zu begleiten; jetzt aber, da sie den Schritt gethan, da sie wirklich in das neue Leben eintrat, fühlte sie erst das Gewaltige desselben, fühlte erst wie abhängig sie geworden sei von anderen fremden Menschen, und fürchtete für sich selbst, ob sie auch würde dem Allem genügen können was sie unternommen, und was man von ihr zu erwarten berechtigt sei. Ihre eigenen Kräfte kannte sie ja noch gar nicht, und wie dann, wenn sie diese überschätzt hatte, und die, die jetzt freundlich zu ihr waren, ihre Hand zurückzogen von ihr — in Amerika — drüben — weit drüben über dem Meere? Dann stand sie ganz allein, und was — was sollte da aus ihr werden?

»Du darfst nicht solch ein bös und ernsthaft Gesicht machen, Hedwig,« sagte da Marie Lobenstein, ihre Hand nehmend und ihr lächelnd mit der eigenen über die Stirn streichend, »jetzt fahren wir bald hinaus in’s Meer, nach dem weiten, großen Amerika, und wenn wir da traurig und verdrießlich ankommen, schicken uns die Leute am Ende wieder fort.«

»Sie sind so gut, Fräulein Marie« sagte Hedwig leise, die ihr gebotene Hand innig drückend — »ich will auch mein Möglichstes thun jede thörichte Furcht zu überwinden.«

»Fürchtest Du Dich?« lachte aber das leichtherzige fröhliche Mädchen zurück — »vor dem Wasser? — das kann ja gar nicht zu uns herauf, siehst Du wie hoch wir darüber stehn?«

»Ich weiß selbst nicht wovor,« seufzte das arme Kind — »es ist wohl auch nur die neue fremde Welt in die ich jetzt getreten, und die mir das Herz beklemmt; das wird schon bald vorübergehn.«

»Es muß« lachte Marie, »wenn wir nur erst in See sind, werden wir uns auch vortrefflich amüsiren; wir haben Bücher zum Lesen mit, und können stricken und nähen und sticken auf dem Schiff, was wir wollen; und dann lehnen wir Stunden lang über Bord, und schauen in die herrliche blaue See, von der uns Herr Henkel schon so viel erzählt.«

So plauderte das fröhliche Mädchen dem armen Kind die Sorgen aus der Stirn, bis der Steuermann kam sie abzuholen, und ihr den eigenen Schlafplatz zu zeigen, der ihr im Zwischendeck, bei zwei anderen jungen Mädchen und weitläufigen Verwandtinnen der Familie Rechheimer angewiesen wurde. Sie sollte im Zwischendeck essen und schlafen, hatte aber die Erlaubniß über Tag, oder wenn sie sonst von ihrer jungen Herrin gebraucht wurde, mit in der Cajüte und auf dem Quarterdeck zu sein.

Der Capitain hatte aber doch endlich seinen »Schwalbenschwanz über die Hände« bekommen, wie der zweite Steuermann meinte, und kam jetzt, in blauer Tuchhose und Jacke, in der er sich vor Behagen ordentlich schüttelte, mit einer grauen Tuchmütze auf und die Füße, wie es an Bord gebräuchlich ist, in Strümpfen und Schuhen, an Deck, die nöthigen Befehle des Unterwegsgehens selbst zu geben. Der Anker, der indessen von den Leuten nur gelüftet worden, kam, unter dem fröhlichen Singen der Mannschaft, denen eine Menge der Deckpassagiere bereitwillig half, nach oben, die Raaen wurden herumgebraßt, die Segel fielen gelößt nieder und faßten, wie die Schoten ausgeholt wurden, den Wind, und langsam bewegte sich zum ersten Mal der mächtige Bau durch die trübe Weserfluth stromab.

Die Passagiere standen dicht gedrängt an Deck, und vorn auf der Back des Vorcastles die Leute, hie und da noch Bekannten am Ufer zuwinkend, und Grüße für Andere hinüberrufend. Viele der Frauen schwenkten dabei, als sie das Ufer mehr und mehr verließen, ihre Tücher, aber sie wußten nicht wem, und es galt auch wohl mehr dem Lande selbst, als den Menschen die darauf standen, und ihnen ziemlich theilnahmlos und gleichgültig nachschauten; sie sahen täglich so viele Schiffe mit Auswanderern in See gehn — das war eins mehr, weiter Nichts.

Eine alte Frau stand auch an Deck, hielt sich mit der linken Hand an der Schanzkleidung und sah hinüber nach dem Land, dessen Häuser und Baumgruppen sie hinter sich ließen und langsam an dem niederen kahlen Ufer hinglitten. Es war die alte Mutter des Webers aus Zurschtel, und sie winkte mit der rechten Hand hinüber und murmelte halblaut und mit dem Kopf dazu nickend und schüttelnd vor sich hin:

»Adje Leberecht — adje Zurschtel und die alte Linde, das Haus und der Garten und die Astern — s’ist vorbei — s’ist Alles vorbei, und sie sollten mich alte arme Frau nur lieber hier gleich in’s Wasser werfen, ehe sie mich noch mit hinausschleppen auf das große Meer — Amerika krieg’ ich doch nicht zu sehn, und der Leberecht muß jetzt allein unter der Linde liegen.« Und tief aufseufzend setzte sie sich auf eine der Nothspieren die dort, langseit der Schanzkleidung befestigt waren, zog die Schürze über den Kopf und weinte bitterlich.

Ihre Tochter stand daneben, das kleinste Kind auf dem Arm, aber konnte die Mutter nicht trösten; das Herz war ihr selber zum Brechen voll, und die großen hellen Thränen liefen ihr dick und schwer die bleichen, abgehärmten Wangen hinunter.

Auf einem der an Deck befestigten Wasserfässer, dicht bei ihnen, saß der Mann mit den kurzgeschnittenen Haaren; die Sonne schien ihm hell und voll auf das scharfmarkirte Gesicht, dessen oberer Theil wetterbraun und hart aussah, während der untere Theil, wo jedenfalls ein jetzt abrasirter Bart gestanden, weiß und bläulich dagegen abstach. Wenig kümmerte der sich aber um das Land, die dunklen, finster genug dreinschauenden Augen hafteten nur eine Zeit lang wie forschend auf den Gestalten der beiden Frauen, dann aber pfiff er gleichgültig ein Lied vor sich hin, und trommelte mit den Fingern den Takt dazu auf dem Faß.

Diese erste Abfahrt war aber noch keineswegs ein wirklicher Abschied vom festen Land; die schwache Briese trieb das Schiff mit der günstigen Ebbe nur langsam vorwärts, und als die Brise später stärker wurde, trat die Fluth bald ein, die ihnen fast so viel schadete als jene nützte, und sie bald darauf zwang wieder vor Anker zu gehn. Sie befanden sich übrigens jetzt ganz in der Nähe von Bremerhafen, an dem sie die Masten der im Hafen liegenden Schiffe, ja die am Lande auf- und abgehenden Leute deutlich erkennen konnten.

Aber die Passagiere ärgerte das wieder Ankerwerfen; das Abschiednehmen vom Vaterland dauerte ihnen zu lang — »das Vaterland nahm gar kein Ende« wie Steinert meinte, der ungeduldig auf Deck auf- und abschritt, und die langweiligen Ufer der Weser um sich her betrachtete, denn einmal an Bord, wollten sie nun auch hinaus in See und das auf dem Flußherumfahren war ihnen — besonders den mit dem Kahn Gekommenen, fatal und langweilig genug geworden. Aendern ließ sich aber an der Sache auch nichts, und die Leute schlenderten theils an Deck herum, und sahen nach dem Lande hinüber, ob sie dort irgend etwas Interessantes erkennen könnten, oder lagen lang ausgestreckt auf den Wasserfässern oder im großen Boot und rauchten ihre Pfeife. Nur in der Cajüte hatte die alte Frau von Kaulitz eine Parthie Whist arrangirt — ihre Aiden _konnten_ ihr nun nicht mehr ausweichen — und kümmerte sich dabei weder um Land noch See, um Anker oder Segel, ja wenn nur Jemand von irgend etwas auf das Schiff Bezügliche spruch, wurde sie ungeduldig, und verlangte die ungeteilte Aufmerksamkeit auf das viel wichtigere Spiel.

Von den Zwischendeckspassagieren schien sich aber besonders Herr Schultze, der ein kleines Taschentelescop in der Hand trug, mit ganzem Eifer einem anderen Studium, und zwar dem der Seemöven hinzugeben, die hier theils auf dem Wasser schwammen, theils das Schiff umkreisten, und dann und wann blitzschnell nach einem Fisch hinunterstießen. Er folgte dabei ihrem Flug mit dem Glas so gut er konnte, und achtete weder auf seine Umgebung, noch das nahe liegende Ufer.

»Merkwürdige Vögel« murmelte er dabei, »ich gäbe etwas darum, wenn ich einen von ihnen lebendig an Deck haben könnte — äußerst merkwürdige Vögel — aber eine Aehnlichkeit bin ich noch nicht im Stande herauszustellen — sie fliegen zu schnell.«

»Ist das ein gutes Glas, was sie da haben?« redete ihn jetzt Herr Steinert an, der vor Langerweile schon gar nicht mehr wußte was er angeben sollte.

»Ein vorzügliches Glas« sagte Herr Schultze, ihm artig dasselbe überreichend — »ein Plössel; es vergrößert ungemein und mit außerordentlicher Schärfe.«

Steinert nahm das Glas und richtete es nach Bremerhafen zu, wo er in diesem Augenblick ein abkommendes Boot zu erkennen glaubte, das am Ufer herauf hielt.

»Wahrhaftig« rief er dabei, »das ist excellent — wo war denn das Boot gleich — ah da — ein Boot mit Soldaten, die am Lande hinaufrudern.«

»Mit was?« sagte der Steuermann, der gerade an ihm vorüberging und die Hand wie unwillkürlich nach dem kleinen Fernglas ausstreckte.

»Mit Soldaten« sagte Herr Steinert, ihm das Glas überreichend durch das der Seemann einen Augenblick nach dem Ufer hinübersah und es dann, ein paar unverständliche Worte dabei in den Bart murmelnd, wieder zurückgab. Ohne das Boot aber dann weiter eines Blickes zu würdigen, ging er nach vorn zu, den Leuten einige nöthige Befehle zu geben.

»Was sagten Sie daß da am Ufer heraufgerudert käme?« wandte sich jetzt der junge Bursche, für dessen Passage die Zwischendeckspassagiere noch an der Landung gesammelt, und der bei dem polnischen Juden einquartirt worden, an Herrn Steinert — »ein Boot mit Soldaten?«

»Ja, da drüben, mein Bursche —«

»Das hierherzu kommt?« frug der junge Mann mit ängstlicher Stimme.

»Nun sie thun uns Nichts,« lachte Steinert — »die Zeit der Piraten ist vorüber, und ihr Schiff streicht blos so durch die Wellen, Fridolin.«

Der Bursche schien aber keineswegs aufgelegt, auf einen Scherz einzugehn; er suchte nur mit den Blicken das Boot, das er auch bald mit bloßen Augen erkennen konnte, und stand eine Weile rathlos wie vor einer noch unbestimmten, aber doch gefürchteten Gefahr. Das Boot ruderte indessen noch eine kleine Strecke am Ufer hinauf und hielt jetzt, mit bloßen Augen ließ sich das schon erkennen, in die Mitte des Stromes hinaus und mehr nach ihnen herüber.

Der Obersteuermann kam wieder von vorn zurück, an ihm vorbei und blieb stehn, noch einmal nach dem Boot hinüberzusehn.

»Kommen sie hierher?« frug da der junge Bursch mit kaum hörbarer angsterstickter Stimme den Seemann.

»Wer?« sagte dieser, sich nach ihm umdrehend.

»Die Soldaten« stöhnte der junge Mann.

»Hallo mein Bursch« sagte aber der Steuermann, ihn jetzt von oben bis unten aufmerksam betrachtend — »Du bist ja so weiß wie ein altes Segel; was hast Du denn ausgefressen, daß Du Dich vor den Soldaten zu fürchten brauchst? Das ist allerdings Polizei die wahrscheinlich hier an Bord zu uns kömmt.«

»Dann bin ich verloren« hauchte der arme Teufel und barg sein Gesicht in den Händen.

»Nu nu, was giebt’s denn?« sagte der Steuermann, während sich die Nächststehenden, die wissen wollten was da verhandelt wurde, noch mehr herandrängten — »hast Du was verbrochen, so wirst Du auch jetzt dafür büßen müssen. Gesteh es aufrichtig, vielleicht kann’s Dir nützen.«

Es lag in dem Ton mehr Gutmüthigkeit als Drohung, und der junge Bursche, vielleicht eben so in der Angst seinem Herzen Luft zu machen, als auch einen falschen Verdacht von sich abzuwälzen, sagte rasch:

»Nein nein, Nichts verbrochen — nichts Schlechtes habe ich gethan, aber ich bin — ich bin —«

»Nun? — was bist Du?« frug der Seemann jetzt selber neugierig.

»Ein Deserteur« stöhnte der Unglückliche und sank bleich und zitternd in die Knie.

»Hm« sagte der Steuermann mit dem Kopf schüttelnd, während das Wort von Mund zu Munde lief, und mitleidige Stimmen überall laut wurden — »das ist eine böse Geschichte, und dann bekommen wir die Rothkragen da drüben auch jedenfalls an Bord — ja mein Junge, da kann ich Nichts für Dich thun.«

»Retten Sie mich, um Gottes und des Heilands Willen retten Sie mich« bat der Unglückliche, und suchte in der Angst des Steuermanns Hand zu fassen, dieser aber, der einen flüchtigen Blick nach dem, jetzt immer näher kommenden Boote geworfen hatte, machte sich von ihm los und ging rasch zurück in die Cajüte. Mehre der Passagiere folgten ihnen dahin, und baten ihn dringend den Unglücklichen nicht auszuliefern, aber er wies sie kopfschüttelnd ab und zog rasch die Thüre hinter sich in’s Schloß.

Wie ein Lauffeuer flog aber indeß das Gerücht, ein Deserteur sei an Bord und der Capitain wolle ihn den Soldaten ausliefern, von Mund zu Mund, und nicht allein die Passagiere nahmen Parthei für den armen Teufel, sondern auch die Matrosen, die sich bis jetzt noch ziemlich fern von ihnen gehalten, mischten sich zwischen sie und traten zu dem zitternd da Sitzenden, ihm Muth einzusprechen und ihn nach dem und jenem zu fragen. Von den Zwischendeckspassagieren hatten sich aber indessen schon Einige rasch entschlossen, den Capitain selber aufzusuchen und ihm die Sache an’s Herz zu legen, als der Untersteuermann aus der Cajüte kam, sich durch die an Deck geschaarten Leute drängte und zu dem jungen Burschen hintrat.

»Ach das arme junge Blut!« riefen die Frauen — »schon an Bord und nun noch all den Jammer, all das Elend. Und dann seine Eltern zu Hause; die Schande und das Herzeleid.«

Der Untersteuermann hielt sich aber nicht mit langen Redensarten auf.

»Wie heißt Du?« frug er den jungen Burschen, indem er ihn eben nicht sanft an der Schulter faßte und schüttelte.

»Carl Berger« lautete die Antwort des Erschreckten.

»Carl Berger? — hm« murmelte der Untersteuermann vor sich hin, ein Papier das er in der Hand hielt, mit den Augen dabei mehrmals durchlaufend — »Carl Berger — Du stehst ja aber gar nicht mit in der Passagierliste — woher kommt das?«

»Ich hatte das Passagegeld noch nicht bei der Abfahrt« stammelte der junge Bursch — »gute Leute an Bord schossen es für mich zusammen, und als ich zum Rheder zurückkam und es bezahlte, hatte er die Liste nicht mehr und gab mir nur einen Zettel mit für den Capitain, daß ich hier an Bord nachgetragen würde.«

»Hm, so?« sagte der Untersteuermann, und sah über Bord — das Boot mit den Soldaten, das jetzt gerade auf das vor Anker liegende Schiff zuhielt, war noch kaum zweihundert Schritt von diesem entfernt, und es ließen sich schon die einzelnen Gesichter der im Boot stehenden Bewaffneten unterscheiden. Von dem was an Deck vorging, konnten diese aber nicht das Mindeste erkennen, da die über fünf Fuß hohe Schanzkleidung, die das Deck als Schutz umgab, alle darauf Befindlichen den Blicken der unten Heranfahrenden vollständig entzog. Der Untersteuermann wußte das auch, und wieder zu dem Deserteur hinantretend frug er, seinen Kautaback aus einem Mundwinkel in den anderen schiebend, die Umstehenden so phlegmatisch, als ob er eben nach der Zeit oder etwas anderem höchst Gleichgültigen früge.

»Könnt Ihr die Mäuler halten?«

Berger, der mit todtbleichen Wangen und ängstlich klopfendem Herzen den näher, immer näher kommenden Ruderschlägen gelauscht, ohne daß er gewagt hätte einen Blick hinauszuwerfen auf den Feind, sah rasch und kaum seinen Ohren trauend zu dem Manne auf. Lag in der Frage Hoffnung, Trost für _ihn_?

»Ach Herr Steuermann schaffen Sie ihn fort — schaffen Sie ihn fort« flüsterten aber die ihm Nächststehenden rasch und ängstlich — so nahe war das Boot schon daß sie fürchteten die Soldaten könnten unten verstehen, was hier oben gesprochen und verhandelt würde — »wir bissen uns eher die Zunge ab, ehe wir den Geyern da unten ein Wort verriethen.«

»Hm« sagte der Untersteuermann und sah sich etwas mißtrauisch im Kreise um; viel Zeit war aber auch nicht mehr zu verlieren, denn von unten herauf tönte schon die Stimme des Unteroffiziers oder Polizeibeamten, was er gerade war, der das Schiff anrief, und der Capitain selber erschien gleich darauf auf dem Quarterdeck und sah über Bord.

Carl Berger faltete in Todesangst die Hände, der Untersteuermann aber, zu dem er jetzt noch, wie in letzter Verzweiflung Hülfe suchend aufsah, blinzte ihm zu und winkte ihm, fast nur mit den Augen und einer kaum bemerkbaren Bewegung des Kopfes, ihm zu folgen. Ohne sich dann weiter nach ihm umzusehn schritt er rasch das Deck entlang, vorn der Logiskappe(3), zu, in die er gleich darauf verschwand, und wohin ihm der junge Bursche mit zitternden Gliedern folgte.

»Hallo das Schiff!« rief die Stimme indeß aus dem Boot, die, wie sich später ergab, einem der Polizeisergeanten gehörte.

»Hallo das Boot!« lautete die seemännische Gegenantwort des Capitains, als er das Deck erreicht hatte.

»Werft uns ein Tau herunter, daß wir an Bord kommen können« rief es wieder, mehr wie Befehl als Bitte klingend.

Die nöthige Ordre dazu wurde gegeben, und die Mannschaft, von den Passagieren jetzt dicht umdrängt, von den Matrosen aber keines Blickes gewürdigt, kletterte an Bord.

Der Unteroffizier, mit zwei Polizeidienern, ging jetzt, die Leute zurücklassend, nach dem Quarterdeck hinüber, wo der Capitain, die Hände in den Taschen, stand, übergaben dort ihre Legitimation, daß sie beauftragt seien das Schiff nach einem Deserteur zu durchsuchen, und forderten dem Capitain die Passagierliste ab, die einzelnen Passagiere dann selbst zu revidiren.

Capitain Siebelt wußte recht gut daß er sich dem nicht weigern konnte; so wenig sich aber Matrosen, und Seeleute überhaupt, aus einem _Soldaten_ machen, so sehr interessiren sie sich für einen Deserteur, dem gewiß jeder Matrose, wenn es nur irgend in seinen Kräften steht, Vorschub leisten wird. Der Capitain ging indessen langsam in die Cajüte zurück, holte die Liste und gab sie dem Bevollmächtigten, seinem Steuermann zugleich die Weisung ertheilend »die Herren gewähren zu lassen und sämmtliche Zwischendeckspassagiere an Deck zu schicken.« Das war bald geschehn, zwei von den Soldaten besetzten indessen die Luken, und während der Polizeisergeant oben die Passagiere nach Namen aufrief, und die Aufgerufenen an sich vorbei defiliren ließ, untersuchten zwei Andere unten die verschiedenen Coyen, und stöberten überall herum wo sich nur irgend ein Kind hätte verstecken können. Zwei Andere wurden zu gleicher Zeit vorn in das Logis zu den Leuten geschickt, die jetzt ebenfalls an Deck mustern mußten, während diese bei ihnen unten visitirten.

Aber auch selbst da ergab sich Nichts und die, bis dahin abgesperrte Cajüte, wurde nun ebenfalls rücksichtslos von oben bis unten untersucht; ja der Steuermann mußte, auf Verlangen des Sergeanten, den unteren Raum öffnen, und dieser kroch selber, hier aber von dem Untersteuermann gefolgt, der darauf sehen sollte daß kein Unglück mit dem Licht geschähe, in das fast vollgestaute untere Deck. Zwischen den Kisten und Fässern aber, die auch fast überall dicht zusammen lagen, und in der heißen schwülen Atmosphäre konnte er mit seiner enganschließenden Uniform und dem Seitengewehr, das überall hängen blieb, nicht lange aushalten. Nach einer halben Stunde etwa kehrte er in Schweiß gebadet und unverrichteter Sache an Deck zurück, und schlug eine Einladung des Untersteuermanns aus, der ihm anbot auch noch durch die vordere Luke eine ähnliche Promenade zu machen.

Der andere Polizeibeamte hatte indeß die Vorrathskammern und verschiedenen »Spintges« mit nicht besserem Erfolg, durchsucht, und an Deck zurückgekehrt wandten sich die Beamten noch einmal an den Steuermann und verlangten von diesem die »Auslieferung des Verbrechers« der sich jedenfalls an Bord befinden _müsse_. Der Steuermann behauptete aber noch keine Schiffsliste überliefert bekommen zu haben, da er zu viel mit dem Schiffe selber zu thun gehabt, sich auch nur im Mindesten um die Passagiere zu kümmern, und der Capitain wurde grob als sie von ihm noch weitere Auskunft forderten.

»Da sei die Liste und da die Passagiere« sagte er, »das ganze Schiff hätte er ihnen ebenfalls zur Verfügung gestellt, ob sie nun etwa noch von ihm verlangten daß er selber mit herumkriechen solle, oder ob er dazu da sei sich nach den Familien- oder staatlichen Verhältnissen der Leute zu bekümmern, die er einfach überliefert bekommen habe sicher und wohlbehalten nach Amerika hinüber zu schaffen?«

Er war darin in seinem vollen Recht, die Liste ebenfalls vollständig und in Ordnung: Keiner der darauf Angegebenen fehlte, aber auf keinen von diesen paßte auch das Signalement, und die Polizei, mit ihrer Militairunterstützung sah sich endlich wieder genöthigt das Schiff, wie sie gekommen, zu verlassen.

 

 


Capitel 4.

IN SEE.

So ungeduldig die Passagiere aber schon vorher gewesen waren, das Schiff nun endlich einmal in vollem Lauf seinem Ziel entgegengehen zu sehn, so peinlich wurde ihnen jetzt jeder Augenblick, den sie, mit dem Bewußtsein unter den Kanonen des hannöverschen Forts zu liegen, und noch im leichten Bereich einer neuen Durchsuchung zu sein, hier unthätig, angeschlossen an die Ankerkette, verbringen mußten. Sie zählten die Minuten die noch bis zum Einsetzen der Ebbe verlaufen mußten, und tausendmal sahen sie nach allen Richtungen über Bord, ob sich die Strömung nicht endlich stauen würde.

Endlich kam auch _der_ Augenblick, die Zeit fliegt mit nur zu raschen Schwingen über uns hin, und wie bald liegt die Stunde weit, weit hinter uns, die wir so lang herbeigesehnt, so heiß erhofft. Das Wasser stand, die Brise wurde frischer, und — wenn sie wenigstens erst den Ellbogen hinter sich hatten, den die Weser bei Bremerhafen macht, günstiger und jetzt — die Thatsache war außer jedem Zweifel — schwang das Schiff vor der _rückkehrenden_ Fluth vor seinem Anker herum und lag, den Bug stromauf, dem immer stärker strömenden Wasser die scharfe Stirn bietend. Aber noch keine Anstalt wurde an Bord gemacht Fluth und Wind zu benutzen, noch lagen die Segel festgeschnürt auf ihren Raaen, und selbst die Matrosen blickten verwundert nach ihren Offizieren hin, den Kopf schüttelnd über den unbegreiflichen Aufenthalt; wenn sie noch lange hier zögerten kamen sie heut Nacht gar nicht mehr in offene See, und konnten nur gleich da vor Anker liegen bleiben zwölf volle Stunden länger.

Der Capitain ging indessen mit auf dem Rücken gekreuzten Armen, selber wie ungeduldig, mit raschen Schritten an Deck auf und ab, und beantwortete alle an ihn gerichtete Fragen der Cajütspassagiere gar nicht, oder so kurz abgebrochen und mürrisch, daß ihnen zuletzt die Lust verging ihn weiter zu behelligen. Fortwährend sah er dabei nach der Sonne hinüber, die sich mehr und mehr dem Horizont neigte, und dann wieder nach seiner Uhr, als ob er der ersteren nicht glaube, daß es so früh noch sei, und endlich halb sechs Uhr, heute früher als gewöhnlich, kam der Koch nach hinten mit seiner stereotypen Frage:

»Captein, beleeft tu schaffen?«(4)

»Ja Kock, schaff man!« lautete die Antwort und »Schaffen« brüllte der Koch, wie er sich kaum von dem Capitain abgewandt hatte, über Deck, daß es von einem Ende bis zum anderen dröhnte.

Einer der Matrosen hatte indessen schon die riesige blecherne Theekanne aus der Cambüse (Schiffsküche) geholt, und nach vorn auf die Back getragen, auf der die Schiffsmannschaft lagerte; die »Jungen« brachten jetzt in großen hölzernen Schüsseln den Schiffszwieback und Schwarzbrod, wie kaltes, von Mittag übriggebliebenes Fleisch, und die Leute langten tapfer zu ihr einfach Mahl zu beenden.

Auch die Zwischendeckspassagiere waren durch den Ruf beordert worden ihren Thee zu »fassen«. Noch hatte aber nicht die Hälfte derselben der Aufforderung genügt, und selbst einzelne der Matrosen kauten noch ihren kaum aufgeweichten Zwieback, als der willkommene Ruf ertönte die Ankerwinde zu bemannen. Im Nu war das geschehn, wenigstens zwanzig Passagiere hingen sich mit daran, und der Anker kam rasselnd empor, wie die Kette nur aus dem Weg geholt und wieder umgeschlagen werden konnte. Zu gleicher Zeit war ein Theil der Matrosen nach oben geschickt die leichten Segel zu lösen, die Raaen flogen herum, die Schoten aus, die frische Brise legte sich hinein, und mit dem scharf aufgeholtem Ruder fiel der Bug vor dem Winde ab. Die Leute hingen jetzt sämmtlich an den Brassen, den rasch auf einander folgenden Befehlen zu gehorchen, und zehn Minuten später schoß das wackere Fahrzeug an Bremerhafen vorbei in das breite Fahrwasser hinein, und vor dem Winde dahin, daß der Schaum — ein willkommener und lang ersehnter Anblick — sich vorn am Buge kräußte.

Noch aber waren lange nicht alle Segel gesetzt; nichtsdestoweniger machten sie trefflichen Fortgang, und bald lag Bremerhafen mit seinem darüber hinausdehnenden Mastengitter, wie das runde Fort mit seinen drohenden Kanonen weit, weit hinter ihnen.

»Aber der Deserteur?« wo war der junge Bursche geblieben und warum kam er nicht zum Vorschein, die Gratulationen seiner Mitpassagiere zu empfangen? — oder wußte der Capitain wirklich nichts von ihm, und mußte er noch versteckt gehalten werden, daß dieser nicht gar etwa noch umkehre und ihn an die Behörden abliefere? — sonst war doch wahrlich keine Gefahr mehr für ihn vorhanden. Die Passagiere frugen das unzählige Male unter sich, wagten aber nicht, selbst den Untersteuermann deshalb anzureden. Der wußte doch wohl am besten was er zu thun oder zu lassen hatte, und daß er dem armen Teufel freundlich gesinnt war brauchte er nicht mehr zu beweisen.

Der Lootse, der erst wieder an Deck gekommen war als die Leute anfingen den Anker zu lichten, stand jetzt vorn auf der Back des Schiffes, dicht am Bugspriet, und rief von da seine Befehle dem Mann am Steuerruder zurück, die dieser, zum Beweis daß er sie richtig verstanden habe, und damit kein Irrthum möglich sei, laut zu wiederholen hatte.

Die Sonne war schon längst hinter dem Horizont verschwunden, und die Haidschnucke hielt in der jetzt merklich einbrechenden Dämmerung gerade auf das Feuerschiff zu, das in der Mündung der Weser vor Anker liegt, aus oder einsegelnden Schiffen die Richtung anzudeuten, die sie zu nehmen haben. Auf dem Vortop der Haidschnucke wurde aber eine kleine rothe Flagge, irgend ein verabredetes Signal, aufgehißt, und gleich darauf kam von dem Leuchtschiff, das eben sein rothes Licht entzündet hatte, ein Boot ab, in dem zwei Mann ruderten, zwei hinten im Stern des Bootes, und drei vorne im Bug saßen.

Die Zwischendeckspassagiere hatten indessen meist das obere Deck verlassen, vor völliger Dunkelheit ihre Schlafstellen unten in Ordnung zu bringen, was nachher immer mit einiger Schwierigkeit verbunden war. Nur Einzelne standen noch oben, die mit gespanntem Interesse den Bewegungen des neu anrudernden Bootes entgegensahen, in dem sie kaum etwas anderes erwarteten, als eine zweite Visitation.

»Verdammt will ich sein« brummte dabei der Mann mit den kurzen Haaren, der bis dahin besonders aufmerksam das Mannöver mit den Flaggen und dem abkommenden Boot betrachtet hatte, »wenn uns die nicht nochmals ihre Spürhunde herüber schicken; hol sie der Teufel, sie becomplimentiren uns wohl so hinaus bis in die offene See.«

»Nun, wenn sie am hellen Tage Nichts gefunden haben, werden sie wohl dießmal auch mit langer Nase abziehn« sagte Steinert, der dicht neben ihm stand. »Jetzt kann ich mir aber auch denken, weshalb der Capitain mit der Abfahrt von unserem letzten Ankerplatz so lange gezögert hat.«

»Nun?« sagte der finstere Bursch und sah ihn von der Seite an.

»Er hat gewußt, daß ihm die Rothkragen hier noch einmal an Bord steigen würden« flüsterte Steinert geheimnißvoll »und deshalb gewartet, daß er hier erst mit schummrig werden einträfe — so ist’s.«

»Für so gescheut hätt’ ich ihn gar nicht gehalten« brummte der Erste wieder »aber da sind sie« setzte er dann hinzu, indem er sich vom Bord abdrehte und nach dem Eingang des Zwischendecks zu ging — »hol sie der Teufel, ich mag sie nicht sehn; wenn sie ’was von uns wollen, können sie zu uns herunter kommen.«

»Mag wohl seine Ursache haben, daß er die Polizei nicht leiden kann« lachte der Untersteuermann leise dem einen Matrosen zu, der neben ihm stand und ein zusammengerolltes Tau in der Hand hielt, es dem nahenden Boote zuzuwerfen.

»Futter für Amerika« sagte der Mann, verächtlich den Kopf auf die Seite werfend — »_der_ kommt durch —«

»Ja Hans, wenn er nicht mit dem Kopf darin stecken bleibt«; meinte der Untersteuermann, dem Passagier nachsehend, wie er eben in das Deck hinunter stieg. Das Gespräch der Beiden wurde aber in diesem Augenblick durch das Boot selber abgebrochen, das langseits kam. Des Lootsen Ruf hatte indeß die Fock und die Vormarssegel backbrassen lassen, daß das Schiff in diesem Augenblick keinen Fortgang weiter, als mit der Strömung selber machte, und wenige Minuten später kletterten fünf Männer an Deck und wurden, auf die Frage des Einen von ihnen, nach dem Capitain auf das Quarterdeck gewiesen.

»Steht bei hier und nehmt die Kisten herauf!« tönte indeß der Ruf des Steuermanns, und Taue wurden in das Boot hinuntergelassen — drei gewöhnliche Seemannskisten an Bord zu heben, die indessen oben an Deck stehen blieben.

Der Capitain stand mit Professor Lobenstein und dem Lootsen allein auf dem Quarterdeck, als die fünf Männer die kleine Treppe, die dazu hinaufführte, erstiegen. Auf ein paar Worte des ersten blieben dreie von ihnen, denen der vierte fast wie zur Bewachung beigegeben war, an der Treppe stehn, während Jener auf den Capitain zu ging und mit militärischem Gruße an sein Mützenschild griff. Der Mann war übrigens in Civil gekleidet, und trug einen dunklen langen Rock und eine einfache Tuchmütze, aber mit steifem großen Deckel, die etwas uniformsmäßiges an sich hatte.

»Habe ich das Vergnügen mit dem Capitain dieses Schiffes zu sprechen?« sagte er artig, als er sich ihm näherte.

»Ich bin der Schiffer, ja« sagte Siebelt, den Gruß sehr kurz erwiedernd — »Sie bringen mir die bewußten Passagiere?«

»Ja wohl Herr Capitain — hier ist meine Legitimation; dürfte ich Sie bitten mir die Quittung für richtige Ablieferung zu schreiben.«

»Auch noch« — brummte Siebelt mürrisch — »kommt einmal her Ihr Burschen!«

»Ihr sollt vortreten; habt Ihrs nicht gehört?« sagte der andere, der bei den dreien stehn geblieben war, barsch, und die Leute folgten rasch dem Befehl. Es waren drei ziemlich kräftige untersetzte Gestalten, zwei von ihnen, von etwa achtundzwanzig bis dreißig Jahren; der dritte nur schien älter zu sein, doch ließ sich das in dem ungewissen Dämmerlicht kaum noch erkennen. Sie waren Alle in graue kurze ganz neue Röcke von groben Tuch und in eben solche Hosen gekleidet, und trugen Mützen von derselben Farbe in der Hand; ihre starkmarkirten und eben nicht einnehmenden Züge waren aber bleich, und die Augen, die scheu den Boden suchten, oder unruhig über Deck umherschweiften, lagen ihnen tief in den Höhlen.

Der Capitain sah sie, Einen nach dem Anderen, still und forschend an und sagte endlich:

»Hört einmal, ich habe Euch hier an Bord bekommen, um Euch mit nach Amerika hinüberzunehmen; ich hoffe, daß Ihr Euch an Bord gut betragen werdet; wenn Ihr’s nicht freiwillig thut, ist’s Euer eigener Schade, denn thun _müßt_ Ihr’s. Uebrigens werdet Ihr wohl wissen was Euch selber gut ist, und nun nehmt Euere Sachen und macht daß Ihr damit unter Deck kommt; der Untersteuermann wird Euch Euere Coye anweisen. Daß Ihr die Mäuler haltet brauch’ ich Euch wohl nicht erst zu sagen — schon gut, ich weiß schon, macht jetzt daß Ihr nach vorn kommt« — und dem Fremden den Zettel aus der Hand nehmend ging er in die Cajüte hinunter.

»Können wir aufbrassen Capitain?« rief der Lootse hinter ihm her als er hinunter ging; »es wird zu spät wenn wir noch länger hier Zeit vertrödeln.«

»Braßt nur auf Lootse« rief der Capitain zurück, »ich bin gleich wieder oben.«

Die Raaen fuhren herum, die Vorsegel faßten den Wind wieder, und das Schiff bewegte sich rascher vorwärts auf seiner Bahn.

»Hallo« sagte der eine Mann, der den Oberbefehl über das Boot zu führen schien, indem er über Bord sah — »nehmen Sie uns nicht etwa mit.«

»Habt keine Angst Kamerad« sagte der Untersteuermann, der eben an ihm vorüberging, den Neugekommenen ihre Plätze anzuweisen — da blieben wir eher hier die ganze Nacht liegen.«

»Danke« sagte der Mann —

»Keine Ursache, ist gern geschehen,« der Untersteuermann, als er seinen Tabackssaft — die Seeleute kauen meistentheils — über Bord spritzte, und langsam die kleine Quarterdeckstreppe hinunter stieg.

Der Capitain kam übrigens nach sehr kurzer Zeit schon wieder zurück, und übergab dem Manne seinen Zettel — die Quittung für richtige Ablieferung von drei Verbrechern, denen im Boot erst _die Eisen_ abgenommen waren, und die sich in Amerika bessern, oder doch jedenfalls allein füttern sollten.

»Danke Capitain« sagte der Mann, indem er das Papier zusammenfaltete und in die Tasche schob — »Nichts für ungut — Sie wissen wohl« —

— »Schon gut« sagte der Seemann mürrisch — »das ist übrigens das letzte Mal, daß ich derlei Geschichten besorge, und wenn ich mein Schiff verlieren sollte — Sie können das den Herren meinetwegen sagen.«

»Derlei Bestellungen bringen Nichts ein« meinte aber der Mann trocken, »so, gute Fahrt Capitain, wir sind wahrhaftig schon ein ganz Stück am Leuchtschiff vorbei und werden tüchtig rudern müssen gegen den Strom an.«

Der Capitain drehte sich ab und ging auf die andere Seite des Schiffs hinüber, während die Fremden rasch in ihr Boot hinunter kletterten.

Der Lootse zeigte aber jetzt, daß es ihm Ernst war aus der Weser zu kommen; Segel auf Segel wurde gesetzt vor der immer frischer und kräftiger einsetzenden Brise, bis sich das Schiff unter der Last derselben bog, und schäumend seine Bahn dahin schoß. Im Osten hob sich indessen der Mond, und goß sein funkelndes Licht über den weiten Strom, bei dem sich eben noch die ausgelegten Tonnen erkennen ließen, das Fahrwasser zu halten. Das Wasser war ebenfalls noch vollkommen ruhig, aber der Strom doch hier schon so breit, daß die Brise ihren Einfluß darauf ausüben konnte, und das Schiff begann sich mit der schwellenden Dünung leicht zu heben.

Bei dem wundervollen Abend, der warm und licht auf dem Wasser lag, hatten sich indessen die meisten Passagiere wieder auf Deck gesammelt, und in kleinen Gruppen erst eine lange Weile das Geheimniß des zweiten Bootes, aus dem sie nicht klug geworden, besprochen. Auch neue Passagiere, von deren Ankunft man schon in Brake gewußt, und eine Coye für sie zurückgehalten hatte, waren damit gekommen, Niemand konnte sagen woher, noch sich, so lange es dunkel blieb, über ihr Aussehn in’s Klare stellen; die Leute selber aber standen Niemandem Rede; Steinert hatte das schon lange versucht. Des glücklich durchgebrachten Deserteurs Erscheinen lenkte zuerst den Strom der Unterhaltung wieder in einen anderen Canal; der junge Bursche war aber noch scheu und schüchtern; er konnte es sich noch gar nicht denken, daß er der für ihn furchtbaren Gefahr so glücklich entgangen sei, und forschte durch die Dunkelheit nach allen Seiten hin, bei dem schwachen Licht des Mondes ein irgendwo nahendes Boot zu erkennen. Die in der Weser vor Anker liegenden Tonnen, die das Fahrwasser bezeichnen und zum Theil weiß angestrichen sind, hielten ihn dabei fortwährend in Alarm, und er frug die Matrosen unzählige Male, ob er denn nun wirklich nicht mehr zu fürchten hätte, daß in der Nacht ein Boot mit Polizeibeamten an Bord kommen könne.

Steinert zeigte sich indessen unter den Lebhaften als den Lebhaftesten. Das Gespräch war durch das Polizeischiff auf ähnliche Fälle gekommen, wo diesem achtbaren Institut eine Nase gedreht worden, und sprang dann, in einem natürlichen Ideenflug auch auf das Pasch- und Schmuggelwesen hinüber, in dem der Weinreisende, wenn sich Alles so verhielt wie er es erzählte, seiner Zeit Außerordentliches geleistet hatte und er wurde nicht müde davon zu erzählen. Mitten in einer prachtvollen Anekdote aber schwieg er plötzlich still, und sah sich nach allen Seiten um.

»Suchen Sie wen, Herr Steinert?« frug ihn der junge Literat, der ein eifriger Zuhörer der Geschichten gewesen war und sich immer dann und wann gegen den Mond drehte, auf ein kleines Zettelchen mit Bleistift einzelne Worte — wahrscheinlich die Pointen der Erzählungen — zu notiren.

»Ich? nein — ich weiß nur nicht« sagte Steinert — »das Schiff fängt sich an so fatal zu bewegen — immer so auf und nieder; ich glaube — ich glaube die Leute haben zu viele Segel aufgesetzt.«

»Ja, irgendwo ist es doch wohl nicht in Ordnung« bemerkte auch jetzt Herr Mehlmeier mit seiner feinen Stimme, der schon seit einigen Minuten ganz still gesessen, nicht mehr gelacht, oft die Augen geschlossen, und dann auf einmal sehr tief Athem geholt hatte.

»Oh, es fängt ein wenig an zu schaukeln« sagte Herr Theobald, der sich durch die Bewegung noch nicht incommodirt fühlte, »bitte erzählen Sie nur weiter.« —

»Ja — wo war ich doch gleich stehn geblieben?«

»Wie Sie mit dem Mauthbeamten in der Schenke saßen und die Wette mit ihm machten« — unterstützte ihn der junge Literat.

»Ach ja so — ja da — das schaukelt wirklich unangenehm« sagte aber Herr Steinert, der den Faden nicht wieder finden konnte — »ich sitze auch hier auf einem höchst fatalen Fleck — viel zu hoch; das ist doch ein göttlicher Abend — wir wollen ein wenig auf Deck spazieren gehn.«

Das Spazierengehn half aber auch Nichts, die Bewegung des Schiffs wurde merklicher, je mehr sie sich der offenen See näherten, und je weiter sie vom Lande abkamen, wo der Wind mehr Gewalt auf das Wasser hat und die Wellen weiter rollen können und größer werden. Schon standen hie und da Einzelne über Bord gelehnt, und thaten als ob sie hinaus auf’s Wasser sähen, immer aber in einer sehr verdächtigen Stellung, dem belästigten Magen Luft zu machen, bis sich bei Manchem das Faktum nicht mehr verheimlichen ließ, und die ersten Seekranken durch einen Jubelruf der noch Gesunden proklamirt wurden.

Es ist dabei eine sonderbare Thatsache, daß sich die meisten Menschen schämen seekrank zu werden, und es so lange verheimlichen wie nur irgend möglich; wie denn auch Niemand weniger an Bord eines Schiffes auf Mitleid zu rechnen hat, als eben ein von diesem Feind Befallener. Was auch sein Leiden sein mag, wie ihn die Krankheit mitnimmt und nach und nach entkräftet und herunterbringt, ja während er daliegt und den Tod herbeiwünscht, um nur endlich von seinem entsetzlichen Jammer befreit zu werden, die Gesunden stehn dabei und lachen und spotten über den armen Teufel, und das einzige Gute nur dabei ist, daß er sie nicht hört, oder wenn er es hört, sich Nichts daraus macht. Gegen Alles abgestumpft auf der Welt, wo es ihm selbst gleichgültig wäre, wenn man ihn bei den Beinen faßte und über Bord zöge, was macht er sich da aus dem Hohn irgend eines Anderen.

Seekrank, für den den es betrifft, ein entsetzliches Wort, und doch eine Krankheit, an der noch kein hundertstel Procent der Leidenden gestorben. Was für Mittel sind nicht schon dagegen empfohlen, wie viel tausend Aerzte haben nicht schon gethan, als ob sie das Heilmittel dagegen gefunden und dies und das angerathen, den furchtbaren Gegner entfernt zu halten. Aber es giebt kein Mittel dagegen; wer etwas braucht und sie nicht bekommt, hat nicht nöthig das Heilmittel weiter zu empfehlen, denn er selber hätte die Krankheit auch ohnedies nicht bekommen, und dessen Magen ihn in den Bereich derselben bringt, mag sich nur getrost in sein Schicksal _ergeben_, er muß durchmachen was über ihn verhängt ist, und hat nur die einzige Genugtuung später, wenn er dem tückischen Gott sein Opfer gebracht, eben so über Andere lachen zu dürfen, wie Andere früher über ihn gelacht haben.

Das Schiff bewegte sich nun allerdings noch sehr wenig, doch aber genug, den meisten der daran gar nicht gewöhnten Passagiere, wenn sie auch nicht Alle krank wurden, Unbehaglichkeit zu verursachen, und trotz des herrlichen Abends wurde das Deck gar bald von ihnen geräumt. So fatal ihnen die Luft unten im Zwischendeck war, fanden sie doch im Niederlegen einige Erleichterung, und suchten früh das Lager. Was kümmerte sie jetzt der Lootse, den sie hatten wollen von Bord gehen sehen, was der Mondschein auf dem zitternden wogenden Wasserspiegel; es zitterte und wogte eben und das mochten sie nicht sehn, und schon der Gedanke daran war ihnen fatal.

Noch vor zehn Uhr erreichten sie indeß die letzte Wesertonne, die Grenze der Nordsee, auf ein Zeichen von Bord aus, durch aufgehangene Lichter gegeben, kam der dort kreuzende Lootsencutter heran, seinen Lootsen von Bord zu nehmen, und wie als ob der Wind nur darauf gewartet hätte, sich nun einmal recht voll und ernstlich in die Segel legen zu können, nahm er beide Backen voll, und kam so scharf und heulend von Nordost herunter, daß der Capitain die Oberbramsegel nieder und die schon zu Starbord gesetzten Leesegel wieder einnehmen ließ. Die See wurde dabei natürlich nur immer unruhiger, und die kleinen kurzen Schlagwellen der Nordsee, die überhaupt die unangenehmste Bewegung machen, überwürzten sich schon mit ihren weiß schäumenden Kämmen, und jagten wie im tollen Spiel hinter und neben dem durch sie hinbrausenden Schiffe her.

Arme Passagiere — und in der Cajüte sah es nicht besser aus als im Zwischendeck. Wenn Schiffe bei vollkommen ruhigem Wasser in See gehn, und der Wind erst allmählig wächst, daß sie die Bewegung so nach und nach gewohnt werden, und die Körper es lernen derselben nachzugeben, so bleiben oft viele Reisende von der Krankheit ganz verschont. Der Magen gewöhnt sich an das Schaukeln, und selbst ein kleiner Sturm bringt sie später nicht mehr aus dem Gleichgewicht; wo aber der Wind, so wie hier, gleich am ersten Tage, wenn auch gar nicht gerade scharf einsetzt, wenn nur die kleinen kurzen Wellen erst einmal einen Kamm bekommen, dann bleiben wenige verschont, und der Koch darf ein paar Tage lang die Schweine mit den Erbsen und Bohnen füttern, die er für die Passagiere in den Kessel gethan; die Leute denken gar nicht daran sich ihr Essen zu holen, und schon das Wort _Schaffen_ verursacht ihnen Ekel.

In der Cajüte war wirklich nur der junge Henkel, der schon mehre Seereisen gemacht, verschont geblieben, jedenfalls der Einzige, der mit dem Capitain und den Steuerleuten am Frühstückstisch erschien und tapfer zulangte; die Anderen ließen sich unwohl melden, und nur der Herr von Hopfgarten, ein kurzer, kleiner Mann, aber sonst voll Feuer und Leben, behauptete einzig und allein keinen Appetit zu haben, sonst aber sich vollkommen wohl zu befinden.

Einzelne Charaktere entwickelten sich auch in dieser Krankheit im Zwischendeck auf wunderbare Weise. Herr Mehlmeier z. B. lag ausgestreckt auf dem Gepäck mit von sich geschobenen Armen und Beinen, als ob er so wenig wie möglich von seinem Körper um sich herum haben möchte. Er ließ sich dabei schütteln und stoßen und rufen und schimpfen, wenn er irgend Jemandem im Wege lag, und verhielt sich so vollkommen regungslos, daß er einmal schon zu dem Gerücht Veranlagung gab, der Schlag hätte ihn gerührt. Aber auch das war wieder den Anderen gleichgültig, und nur Herr Theobald, der bis jetzt noch verschont geblieben war, notirte sich den Fall, und ging dann hin sich selber zu überzeugen.

Steinert war nach ihm das beklagenswertheste Subjekt die Familien Rochheimer und Löwenhaupt lagen in einem Zustand, der sich kaum denken, auf keinen Fall aber beschreiben läßt.

Theobald hielt sich, wie gesagt, noch ziemlich tapfer, und lachte die Kranken aus nach Herzenslust; das viele Umhergehn im Zwischendeck aber vielleicht, mit der doch stärker werdenden Bewegung des Schiffes, übte auch auf ihn zuletzt seine Wirkung aus. Er steckte auf einmal sein Taschenbuch dahin wohin es gehörte, schob die Hände nach, und stellte sich ganz still an die Railing an, bis auch diese ihm nicht mehr Stütze genug schien, und er nun, in der Angst daß seine Mitpassagiere merken könnten wie ihm zu Muthe würde, auf eine eigene Idee fiel, den traurigen und nicht mehr wegzuläugnenden Zustand zu verbergen. Er band sich sein Halstuch um die Ohren, hielt die Hände an den Backen und legte sich endlich, nicht mehr im Stande auf seinen Füßen zu bleiben, mit dem Kopf auf eine der Nothspieren mitten in den Gangweg hin, wo die Matrosen fortwährend vorüber, und jetzt über ihn wegsteigen mußten.

 

Der erste der über ihn weg_fiel_, war der kleine Löwenhaupt, dem er noch vor kaum einer halben Stunde einen Teller mit fettem Fleisch unter die Nase gehalten, und dadurch den armen Teufel fast zur Verzweiflung, dessen Krankheit aber jedenfalls zu vollem Ausbruch gebracht hatte.

 

»O sehn Sie ’mal an, bester Herr Theobald« sagte dieser, als er sich wieder aufgelesen und, mit todtenbleichem Gesicht, seinen Arm auf eines der Wasserfässer stützte, das Gleichgewicht zu halten — »Sehn Sie ’mal an; jetzt werde ich Ihnen wohl können en Tellerche mit Fleisch unter die Nasen halten und fragen, ob Sie Appetit hätten, heh? — Das kommt davon, wenn man andere Leute cugginirt.«

»Ich habe furchtbare Zahnschmerzen« sagte aber Theobald, die Nase fester an die Nothspiere drückend — »lassen Sie mich zufrieden.«

»Zahnschmerzen? — so?« sagte der kleine Mann mit einem total verunglückenden Versuch über ihn zu lachen — »vielleicht hülfe _Ihnen_ dagegen en Stückchen Speck.«

»Halten Sie’s Maul!« rief aber Theobald, dem der Ekel über die angebotene Mahlzeit den Mund breitzog.

»Jawohl —« sagte aber der unverwüstliche Löwenhaupt, der nach vollständiger Ausleerung einige Erleichterung verspürte, »der Zahn wird wohl gleich mit der Wurzel herauskommen, ganz von selber, kann ich mir etwa denken — nur a kleines Stückle fettes Fleisch.«

Er konnte nicht weiter reden, denn Theobald sprang in die Höhe und war kaum im Stande den Schiffsrand zu erreichen und über Bord zu sehn; bei dem Anblick wurde es aber Löwenhaupt auch wieder weh und weich um’s Herz, und er leistete dem Dichter treue Gesellschaft.

Die einzigen, die im Zwischendeck vollständig, wenigstens für jetzt von der Seekrankheit verschont blieben, waren Maulbeere, seines Gewerkes ein Scheerenschleifer wie sich endlich herausgestellt, Georg Donner, des Pastors Sohn aus Waldenhayn, der mit einem der Oldenburger Bauern und einem langen Schneider eine Coye bekommen hatte, der Mann mit den kurzgeschnittenen Haaren, und vier oder fünf von den Frauen, unter ihnen Hedwig. Die anderen mußten alle mehr oder weniger davon leiden, und selbst von den Gesunden bewahrte der Scheerenschleifer fast allein seinen unverwüstlichen Appetit, und saß entweder an Deck und rauchte seinen nichtswürdigen Taback, daß es Niemand unter dem Wind von ihm aushalten konnte, oder er hockte, zusammengedrückt wie ein großer ungeschlachter Affe, in seiner Coye, und knapperte den halben Tag lang an dem trockenen Schiffszwieback. Dabei sprach er kein Wort und schnitt allen, die an ihm vorübergingen, solche Gesichter, daß sich die Frauen schon vor ihm fürchteten und ihm auch später immer scheu aus dem Wege gingen.

Daß unter solchen Umständen selbst Frau von Kaulitz nicht an ihre Parthie dachte, versteht sich von selbst, und die nächsten Tage bekam sie nur der Cajütenjunge, ein Mulatte von zwölf oder dreizehn Jahren zu sehen, der immer kopfschüttelnd die verschiedenartigsten Waschbecken aus und ein schleppte, und jedesmal, wenn er die Cajüte verließ, dem Steward mit den merkwürdigen Grimassen eine Menge Geschichten erzählte, über die sich dieser dann todt lachen wollte. Der Steward hatte dabei eine so sonderbare Art zu lachen, daß er immer die Augen schloß, und es einmal auch richtig möglich machte, mit einem ganzen Korb voll Theegeschirr die halbe Treppe in die Cajüte hinunter zu fallen. Der Rheder mußte das Geschirr später wieder ersetzen, und der Mulatte bekam indessen dafür die Prügel.

Mit einem prachtvollen Nordoster brauste das wackere Schiff seine Bahn entlang, durchschnitt die grünen Fluthen unseres vaterländischen Meeres, der Nordsee, und lief dann, mit Leesegeln an beiden Borden zwischen Dover und Calais hindurch in den Canal ein. Wohl glühten an dem Abend die Leuchtfeuer der englischen und französischen Küste wie Meteore durch die Nacht herüber, und der nordische Himmel funkelte seinen schönsten Glanz in Myriaden Sternen nieder, aber Niemand achtete darauf; die Seeleute hatten das Alles schon, wie oft, gesehn, und die Passagiere lagen in ihren Coyen, viele ihren Blechtopf im Arm, und stöhnten und ächzten — wie mancher mit bitterer Reue im Herzen, daß er je thöricht genug gewesen das feste Land zu verlassen, selbst Amerikas wegen. Die wenigen Gesunden hatten mit ihren kranken Freunden zu thun, und nur der junge Arzt, Georg Donner, lag vorn zwischen den Lauftauen des Bugspriets und schaute träumend hinaus in die stille Nacht, der Lieben daheim gedenkend.

Das Licht was dort herüberblinkte vom fernen fremden Ufer, glich es nicht dem Schein der Abendlampe, die in des Vaters Zimmer brannte? — Oh wie oft hatte er, Abends heimkehrend, den freundlichen Strahl sich entgegen leuchten sehen und dort, das Haupt in die Hand gestützt, saß der Vater und arbeitete an seiner Predigt, und die Mutter da drüben, auf dem Sopha dicht neben dem Ofen, mit der kleinen grünen Lampe dicht herangerückt, las in der Bibel und folgte den so wohl bekannten Zeilen mit dem Finger die ganze Seite nieder — Aber nein, sie las nicht — die Brille legte sie ins Buch, wischte sich die Augen mit der Hand und schaute still und seufzend über das Buch hinaus. Ihre Gedanken waren nicht dabei — sie flogen weit, weit hinaus über das Meer dem fernen Schiffe nach, das ihr den Sohn entführte, das Kind — das liebe, liebe Kind.

Matter und immer matter glühte das ferne Licht herüber — Georg sah es schon lange nicht mehr und die Augen mit der Hand bedeckt, im Dunkel der Nacht, nur mit den Sternen über sich, weinte er still, und ihm war, als ober die Thränen niederfallen hörte auf das vergriffene Buch, in dem die Brille lag.

 

 


Capitel 5.

DIE PASSAGIERE.

Fünf Tage waren so vergangen; durch die schwere westliche Dünung die fast stets vor dem Canal steht, hatte das wackere Schiff, von kundiger Hand geführt, seine Bahn gefunden, und der atlantische Ocean schaukelte es auf seiner tiefblauen, weit wogenden Fluth. Auch die Passagiere thauten auf; ihre Körper gewöhnten sich an die schaukelnde, und bei dem guten Wetter doch mehr gleichmäßige Bewegung des Schiffs, und als am sechsten Tag der Wind schwächer und schwächer wurde, und die Wogen sich legten und beruhigten kamen sie vor aus ihren Coyen, bleich und hohläugig zwar wie Leichen aus ihren Gräbern, aber doch meist geheilt von der furchtbaren Qual. Sie lernten auch wieder essen und trinken, der Magen _behielt_ was ihm geboten wurde, und selbst der Frühstückstisch in der Cajüte belebte sich.

Fräulein Amalie von Seebald lehnte an der Railing des Quarterdecks — es war Morgens um zehn Uhr, und die meisten der übrigen Damen noch nicht sichtbar — und schaute, mit den weißen Fingern der linken Hand in ihren Locken spielend, träumerisch über das Meer hinaus. Der Untersteuermann hatte die Wacht und saß, ein Leesegel ausbessernd, auf einer niederen Bank kaum drei Schritte von ihr.

 

»Wie wundervoll ist doch die See«, sagte die Dame, ein Gespräch mit dem Seemann anknüpfend, dem ja das Meer Beruf geworden, und der es sich nicht gewählt haben würde, wenn nicht sein Herz an den blauen Wogen hing — »wie herrlich schatten sich jene dunklen Tinten gegen die leisen lichten Kräuselwellen ab, die von ihnen, wie zarte Kinder getragen, in dem Kuß des Zephyrs zu vergehen scheinen.«

 

Der Untersteuermann sah die Dame mit einem halbscheuen Seitenblick an; er hatte keinesfalls verstanden was sie sagte, auch keine Idee dabei daß sie ihn angeredet, und glaubte wahrscheinlich sie spreche mit sich selber, Fräulein Amalie aber fuhr langsam und schwärmerisch fort:

 

»Wie weich und duftig liegt des Aethers Halle auf dieser Fluth, und wölbt sich zum Dom über der unerforschten Tiefe — oh ist es nicht schön — nicht gottvoll auf der See, Steuermann?«

 

Elkig, wie der Untersteuermann hieß — also bei seinem Titel und direkt angesprochen, mußte wenigstens eine Antwort geben, drehte also den Kopf halb nach der Dame um, daß er einen Blick auf das Wasser bekam, spuckte seinen Tabackssaft über Bord und sagte, sich mit dem Rücken der linken Hand die Lippen wischend.

»Ach ja, s’ist recht hibsch.«

»Welchen kalten Ausdruck gebrauchen sie dafür,« verwies ihn aber die Dame — »wie läßt sich das Erhabene dieses Anblicks in solche Sylbe fassen, _hübsch_; aber die Gewohnheit stumpft uns selbst gegen das Gewaltige ab, und ich habe mir erzählen lassen, daß z. B. am Niagara-Fall Menschen wohnen, die nicht einmal mehr das donnernde Brausen des Riesensturzes hören.«

»Werden wohl taub davon geworden sein« meinte Elkig in unzerstörbarer Ruhe, indem er sich zugleich einen neuen Drath einfädelte.

Fräulein Amalie hatte glücklicher Weise diese Bemerkung überhört, ihr Geist schweifte über der Tiefe, und ihre Gedanken nahmen einen anderen Flug.

»Wie die Möve dort mit dem Kreisschlag ihrer Flügel die flüchtige Woge streift, und dann fortzieht, weit und allein über die endlose Fläche — ihre Heimath — welche Aehnlichkeit hat doch das Bild mit dem Seemann selbst, der auch über die blauen Wogen seine Furchen zieht — seine Heimath das Meer.«

Der Untersteuermann nähte ruhig weiter; die Geschichte war ihm griechisch und er verstand keine Sylbe davon; übrigens war das keine direkte Frage gewesen, und er brauchte also auch nicht darauf zu antworten.

»Und wenn er nun die zurückläßt die ihm lieb sind« fuhr die Dame fort, ein trübes Bild jetzt vor sich heraufbeschwörend, »wenn sein Weib, seine Kinder daheim sein harren; mit ängstlich klopfenden, fast erstarrten Herzen dem grollenden Donner lauschen, der seinen Strahl hineinschmettern kann in das Schiff das den Geliebten trägt — oh schrecklich — schrecklich. — Sind Sie verheirathet?« fuhr sie dann nach kleiner Pause, während sie das Gesicht in den Händen geborgen hatte, wieder gegen den Seemann gewandt fort.

Dieser, der indeß mit dem Mann am Steuer, einem alten sonngebräunten Matrosen, ein paar nichts weniger als andächtige Blicke gewechselt hatte; sah sich wieder halb nach der Fragenden um, sich erst zu überzeugen daß er auch wirklich gemeint sei.

»Wer — ich?« frug er nach kleiner Pause.

»Ja — ich meine Sie.«

»Ne!« lautete die, von einem entsprechenden Kopfschütteln begleitete, sonst jedenfalls bündige Antwort, und wieder spuckte der Mann seinen Tabackssaft über Bord.

»Aber Sie haben doch gewiß eine Braut — eine Geliebte zurückgelassen von der Sie der Abschied geschmerzt und traurig gemacht?«

Der Untersteuermann horchte hoch auf, und der Mann am Steuer, dem die Dame den Rücken zudrehte, sah seinen Vorgesetzten mit solch trocken komischem Blicke an, daß dieser sich nicht mehr helfen konnte und gerade hinauslachte.

»Recht hätten Sie« sagte er aber dann, etwas verlegen — »einen Schatz soll ich woll haben.«

»Nicht wahr ich hab es errathen?« rief die Dame rasch, das Lachen gern in der Freude übersehend einem romantischen Verhältniß auf die Spur zu kommen — »und den mußten Sie verlassen?«

»Ja lieber Gott« sagte der Untersteuermann, dem nicht wohl bei dem Gespräche wurde, denn er konnte noch immer nicht herausbekommen ob die Dame wirklich ernsthaft sei, oder ihn nur zum Besten haben wolle — »das ist mit uns Seeleuten nun einmal nicht anders — wer kann’s helfen.«

»Und sehnen Sie sich denn recht nach ihr zurück?«

Der Mann am Steuerrad sah mit einem unbeschreiblichen Blick gerade über sich in die Wolken, und kratzte sich mit der rechten freien Hand hinter dem Ohre.

»Ach ja« sagte der Untersteuermann mit einem unbeschreiblichen Blick, und einem noch viel unbeschreiblicheren Ausdruck in der Stimme.

»Und Sie Armer müssen jetzt nach New-Orleans?«

»Ach, da krieg ich woll wieder eine Andere« sagte in aller Unschuld der Seemann, ohne von seiner Arbeit aufzusehn; aber es war gut für ihn daß in diesem Augenblick der Capitain an Deck erschien und ihn nach vorn sandte, eine der Vorstengenpardunen nachzusehn, die durch das Segel »schamfiehlt« worden. Fräulein von Seebald blieb indeß wirklich stumm vor entrüstetem Erstaunen über die herzlose Bemerkung eine ganze Weile stehn, und zog sich dann mit ihrer schmerzlichen Enttäuschung in ihre innerste Cajüte zurück.

Das Leben an Bord des Schiffes hatte indeß seinen geregelten Gang begonnen und der Gesundheitszustand der Passagiere sich so gebessert, daß mit nur wenigen Ausnahmen Alle ihre bestimmten Mahlzeiten »faßten«, und die verschiedenen Coyen sich, so unbequem ihnen das auch wohl im Anfang vorgekommen, endlich einrichteten die regelmäßige Vertheilung der Lebensmittel unter sich vorzunehmen. Die Leute müssen unter solchen Verhältnissen erst ordentlich mit einander bekannt werden, und werden das auch in der That leicht an Bord eines Schiffes. Dann stehen auch noch im Anfang eine Menge Sachen umher und im Wege, die später einen Platz bekommen; das ganze Schiff »schüttelt sich durcheinander« und man findet zuletzt daß man da existiren, und endlich sogar verhältnißmäßig bequem existiren kann, wo früher Alles über- und durcheinander lag.

Den Passagieren selber that aber diese jetzt eintretende Ruhe wohl; bis jetzt waren sie sich ihrer kaum bewußt geworden, und von dem Abschied aus der Heimath theils, theils von der Sorge um ihr Gepäck, und zuletzt der Seekrankheit so in Anspruch und mitgenommen worden, daß diese ganze Zeit fast wie ein böser, schwerer Traum hinter ihnen lag, über den sie wohl noch den Kopf schüttelten, der aber doch glücklich überstanden war. Nichts an Bord erinnerte sie auch mehr an das Vergangene, und was für Vergleiche sie auch wohl später im Stande sein mochten anzustellen über das was sie _verlassen_, über das was sie dafür _wiedergefunden_, diese Zeit jetzt gehörte sich selbst und lag außer aller Verbindung mit Vergangenheit und Zukunft.

Das Wichtigste und wirklich Schwierigste für die Mehrzahl der Passagiere war dabei, eine richtige Zeiteinteilung zu finden. _Zeit_ — die Leute hatten damit auf einmal etwas bekommen, das sie früher in ihrem ganzen Leben nicht gekannt, und wußten jetzt in der That nicht was sie damit machen sollten. Sich mit sich selber zu beschäftigen — auch keine so leichte Kunst — verstanden die Wenigsten von ihnen, und wo sie früher ihre bestimmte Beschäftigung und Arbeit von Tagesgrauen bis Nacht gehabt, und Abends dann, erschöpft und matt das Lager gesucht, um am nächsten Morgen wieder zu neuen Anforderungen gestärkt zu sein, fanden sie sich jetzt plötzlich in einer ununterbrochenen Reihe von Sonntagen, denen selbst Morgens »das Bischen Kirchenschlaf« und Abends der Trunk in der Schenke fehlte.

Die ersten Tage ging das aber immer noch; sie standen an Deck umher, und sahen über Bord in die See, oder den verschiedenen Arbeiten der Matrosen zu, bis die Essenszeit — der jetzt willkommene Ruf zu »Schaffen« kam, und dann schliefen sie ein wenig, oder spielten auch wohl eine gewaltsam arrangirte Parthie Solo oder Scat — bis es dunkel wurde; wie aber Tag nach Tag dasselbe und immer wieder dasselbe brachte, die See ihnen etwas Gewöhnliches, Langweiliges wurde, und das Bedürfniß nach einer Thätigkeit, das nur wenig Menschen gänzlich fehlt, wieder in ihnen erwachte, wandten sie sich, freilich nur allmählig und immer noch mit keiner Lust, verschiedenen Beschäftigungen zu, die sie aufgriffen und wieder wegwarfen, etwas Anderes zu versuchen.

Die Frauen vor allen Anderen, fanden sich am ersten hinein; ein Theil von ihnen verstand sich bald dazu dem Koch zu helfen, Kartoffeln zu schälen und sonst kleine Dienstleistungen für ihn zu thun — (selbst die Männer halfen bei der ersteren Arbeit, da ihnen angekündigt wurde daß sie ihre Kartoffeln selber schälen müßten, wenn sie eben geschälte Kartoffeln zum Mittagsessen haben wollten, und wechselten dabei unter einander ab) dann hatten sie ihr Geschirr zu reinigen und nach den Kindern zu sehn, und endlich selber in _Seewasser_ ihre Wäsche zu besorgen; damit verging der Tag und die Zeit verflog ihnen rasch genug.

Schwerer wurde es den unverheirateten oder einzelnen Männern sich in das Waschen zu finden, und sie schoben das so weit hinaus als möglich. So Steinert und Mehlmeier z. B., die an kleinem und großem Geld in dem Hafenplatz ausgegeben hatten, was sie nur irgend verfügbar bei sich trugen, und sich jetzt doch nicht dazu entschließen konnten die Aermel selber aufzustreifen. Nichtsdestoweniger kleideten sie sich immer mit großer Sorgfalt und reiner Wäsche, ihren ganzen mitgenommenen Vorrath erschöpfend, und setzten sich nicht selten dem Gespötte der Seeleute und übrigen Passagieren aus, wenn sie mit ihren »Geh zur Kirche« Kleidern, gewichsten Stiefeln und den Cylinderhut auf, an Deck erschienen.

»Nun Herr Steinert, wollen Sie an Land?« tönte dann die unermüdliche Frage von jeder Lippe, und Herr Mehlmeier wurde gewöhnlich beauftragt irgend verschiedene Kleinigkeiten zu besorgen, und um Gotteswillen die Zeitung nicht zu vergessen. Mehlmeier hatte dabei die wunderliche Eigenthümlichkeit, daß er zu seiner Rede consequent die falschen und sehr gewöhnlich die genau verkehrten Gesticulationen machte; so nickte er, wenn er nein sagte regelmäßig mit dem Kopf, und schüttelte diesen bei ja, und wenn er sich mit Jemandem zankte, was in dem Zwischendeck eines Schiffs etwa keineswegs selten vorkömmt, so faltete er dabei die Hände und sah den, dem er manchmal die größten Grobheiten sagte, so bittend und freundlich an, daß sich der Streit jedesmal in ein lautes Gelächter auflöste, und die Partheien sich versöhnen mußten, sie mochten wollen oder nicht.

Die Weberfamilie aus Zurschtel ging den Anderen übrigens vorzüglich mit gutem Beispiel voran; der Mann, wie nur die ersten Tage an Bord mit Krankheit und deren Nachwehen überstanden waren, arbeitete von früh bis spät, half dem Koch in der Küche und den Matrosen wo er nur konnte an Tauen und Segeln, und war freundlich und gefällig gegen Jedermann, während die Frau die erste war, die ihren Waschtrog herrichtete und sich den Cajütspassagieren anbot ihre Wäsche für ein Billiges so gut zu waschen und herzustellen, wie es eben an Bord eines Schiffes möglich war. Lobensteins machten auch zuerst Gebrauch davon; die Frau Professorin besonders wurde die erste Kunde der wackeren Frau, und ihr schlossen sich die anderen Damen an, das getragene Zeug wenigstens auswaschen zu lassen und rein hinzulegen, bis es in New-Orleans mit frischem Wasser und Bügeleisen ordentlich in Stand gesetzt werden konnte. Auch Fräulein von Seebald fand Gefallen an der Frau und stellte sich manchmal neben sie, ihr bei ihrer Arbeit zuzusehn. Sie mußte ihr dann von sich und ihrem Leben zu Hause erzählen, was sie dort getrieben und wie sie existirt, und das poetische Fräulein schöpfte dabei ein süßes Gift aus dem »Zauber des Landlebens« wie sie es nannte, und dem sie sich ja auch in dem freien schönen Amerika ganz hinzugeben gedachte.

Die Unterhaltung mit der Webersfrau zog aber noch, schon am zweiten Tage, einen Dritten in das Gespräch; der Dichter Theobald, der unfern davon auf einem Wasserfaß, mit dem Rücken an die Hühnerkasten gelehnt saß, und sein offenes Taschenbuch vor sich an einem Bleistift kaute, wurde aufmerksam gemacht durch einige bilderreiche Bemerkungen der jungen Dame, schloß sein Buch und näherte sich ihr schüchtern. Sie hatten bis jetzt noch kein Wort, höchstens einen stummen Gruß, wenn man sich Morgens zuerst sah, gewechselt, denn den Zwischendeckspassagieren war das Betreten der Cajüte oder selbst des Hinter- oder Quarterdecks nicht gestattet; ja sogar von den Cajütspassagieren sehen es die meisten Capitaine nicht gern, wenn sich diese mit dem »anderen Theil« in ein Gespräch einladen oder gar öfter zusammenkommen wollten. Capitain Siebelt war übrigens nicht so streng, und wenn ihm nur die Zwischendeckspassagiere vom Quarterdeck wegblieben, wohin sie ihm aber unter keiner Bedingung kommen durften, ließ er seinen Cajütspassagieren ziemlich freien Willen.

»Sie sehnen sich nach dem Land, mein gnädiges Fräulein, wie ich höre« mischte sich also Theobald in das Gespräch — »bietet ihnen denn die See nicht des Großen, des Erhabenen so unendlich viel, dem dürstenden Geist wenigstens Nahrung zu geben auf Monate?«

»Sie haben recht« sagte Fräulein von Seebald mit leichtem Erröthen — »wir Menschen sind ungenügsam, und verdienen eigentlich gar nicht all das Schöne und Große, was uns von unserem Schöpfer in so reichem Maße geboten wird, aber dennoch, trotz dem großartigen, bewältigenden Eindruck den das Meer auf mich gemacht, und der mich in den ersten Tagen so erschütterte daß ich ihm gar nicht zu begegnen wagte und mich in meinem stillen Kämmerlein erst langsam auf das Ertragen dieser Größe vorbereiten mußte, fühle ich manchmal eine Leere, die ich nicht auszufüllen im Stande bin.«

Theobald dachte unwillkürlich an seine Zahnschmerzen, sagte aber seufzend:

»Wohl kann ich mir Ihre Gefühle versinnlichen, gnädiges Fräulein. Der zartdenkende Mensch empfindet anders als der rohe; er genießt aber auch dafür mehr und würdiger, und das Bewußtsein desselben ist ihm zugleich der Lohn; nur sich da nicht mittheilen zu können, das Bewußtsein mit sich herumzutragen das Alles allein genießen zu müssen ist dem Guten oft drückend, und nur wieder und wieder zurückgestoßen von der Masse die ihn nicht versteht — nicht verstehen _will_, sieht er sich zuletzt gezwungen allein, mit seinem Schatz im Herzen seine Bahn zu gehn.«

»Sie sind Dichter« rief Fräulein von Seebald rasch und mit einem überzeugten Blick zu ihm aufschauend.

»Gnädiges Fräulein« sagte der Dichter bescheiden.

»Sie sind Dichter« wiederholte diese aber bestimmt, und

»Ich _bin_ es —« sagte Theobald mit einer Resignation, als ob er sich in diesem Augenblick zu einem Mord bekannt hätte.

»Ich habe es mir gedacht« flüsterte Amalie leise vor sich hin — »ja, dann genügt Ihnen das Meer« setzte sie dann aber lauter hinzu, »dann begreife ich, wie Sie in dem Gefühle, auf dünner Planke über der »purpurrothen Finsterniß« hingetragen zu werden, sich _allein_ in dieser Wasserwüste zu wissen, über die der blaue Aether seinen Bogen spannt, schwelgen, sich glücklich fühlen können. Der Dichter ist ja der willkommene Gast des Olymp, und des Geistes Schwingen tragen ihn rasch und leicht empor aus allem Irdischen. Auch ich« — und tiefes Erröthen färbte ihre Stirn und Wangen — »auch ich« — die Stimme wurde so leise daß Theobald die flüsternden Laute kaum verstehen konnte — »habe mich auf diesem Feld versucht, aber die Schwingen« setzte sie wärmer werdend hinzu »sind noch nicht stark genug mich hinauf zum Parnaß zu tragen.«

»Ihre Bescheidenheit täuscht Sie vielleicht nur darin« sagte Theobald, selber dabei, er wußte nicht weshalb, erröthend.

»Ach nein« seufzte die Dame, langsam und traurig den Kopf schüttelnd — »aber das schadet auch Nichts« fuhr sie lebendiger, sich selber tröstend fort — »wir können nicht Alle Nachtigallen sein, und auch die bescheidene Lerche, die ihr einfaches Lied dem Schöpfer dankend entgegenwirbelt füllt ihren Platz in dem Weltenall, so klein, so bescheiden er sein mag, aus.«

»Gewiß thut sie das, gewiß« mischte sich in diesem Augenblick, ehe Theobald noch etwas darauf erwiedern konnte, eine dritte Stimme, allerdings unaufgefordert, in das Gespräch, und die Augen forschend auf Fräulein von Seebald geheftet, während er jedoch mit einer artigen und verbindlichen, fast ängstlichen Verbeugung sie begrüßte, fuhr er, langsam mit dem Kopf dabei ihr zunickend fort — »und dem lieben Gott die liebste Sängerin ist die Lerche, denn ihr schmetterndes Lied steigt mit dem ersten Blumenduft zu ihm empor, des Frühlings schönstes Opfer.«

»Sie sind _auch_ Dichter?« rief Fräulein von Seebald überrascht aus.

»Ich? — nein, bitte um Verzeihung — ich heiße Schultze und bin Cigarrenfabrikant« sagte der kleine Mann verlegen, während Theobald eben im Begriff war ihn als seinen Coyennachbar, Herrn Schultze aus Hannover vorzustellen.

»Cigarrenfabrikant?« wiederholte Fräulein von Seebald mit einem getäuschten, beinah halbvorwurfsvollen Ton — »Ihrer Aeußerung nach glaubte ich daß —«

»Herr Schultze hat ungemein viel Phantasie« nahm hier Theobald in Verteidigung des kleinen Mannes, von dem er ein gewisses unbestimmtes Gefühl hatte, daß er ihn seines Geschäfts wegen entschuldigen müsse, das Wort; »wir haben uns schon mehrfach über ein System, das er sich gebildet, unterhalten, und ich muß gestehen daß er mir in manchen Beziehungen merkwürdige Aufschlüsse gegeben, und Gedanken in mir erweckt hat, auf deren Basis sich wirklich weiter bauen ließe.«

»Herr Theobald« sagte der kleine Cigarrenfabrikant, »ist Einer von den wenigen Menschen, die für das Wahre empfänglich sind, und der Ueberzeugung ihr Ohr nicht gewaltsam verschließen.«

»Sie sprechen in Räthseln« sagte Fräulein von Seebald, »dürfte ich Sie um deren Auflösung bitten?«

»Nichts ist leichter als das,« erwiederte Theobald — »Herr Schultze geht von der Idee aus daß wir _Alle_, wie wir diese Erde jetzt in menschlicher Form bewohnen, schon früher einmal existirt haben, und zwar als _Vögel_.«

»Als Vögel?« rief Fräulein von Seebald erstaunt — »welcher sonderbare Gedanke.«

»Sonderbarer Gedanke?« wiederholte aber der kleine Mann, rasch den Kopf gegen den halben Zweifel emporwerfend — »Nichts auf der Welt ist leichter zu beweisen als das, und Sie werden staunen, mein gnädiges Fräulein, wenn ich Ihnen, in einfacher Weise den Schlüssel zu den jetzt Ihnen vielleicht räthselhaft scheinenden Worten gebe. Es ist das Ei des Columbus — unmöglich unserem noch umnachteten Blick, und ein Kinderspiel in der Lösung.«

»Aber ein Vogel —«

»Ist Ihnen die Aehnlichkeit fremd, die das Menschengesicht mit dem Vogelkopf hat?« unterbrach sie aber der kleine Mann der jetzt auf seinem Steckenpferde ritt und die Zügel fest und sicher faßte, »haben Sie noch nie derartige Vergleiche angestellt, und wirklich täuschende Aehnlichkeiten dabei gefunden?«

»Allerdings« sagte Fräulein von Seebald, sich mit dem dritten und vierten Finger der rechten Hand leise die Stirn streichend, wie um ihrem Gedächtniß zu Hülfe zu kommen; »eine Freundin von mir hat, wenn man mit der flachen Hand den oberen Theil ihres Gesichts von dem unteren trennt, eine frappante Aehnlichkeit mit dem Staar, und ein Vetter von mir, ein junger Offizier, mit einem Adler.«

Des Kleinen Augen leuchteten im Triumph.

»Sehn Sie daß ich recht habe?« rief er, rasch und heftig dabei mit dem Kopf nickend — »sehn Sie daß wir Menschen, selbst ohne es zu verstehen, uns dessen bewußt geblieben sind was wir einst gewesen, und dessen Grundzüge selbst eine vollkommene Umwandlung unserer ganzen Gestalt, unseres ganzen Seins, nicht im Stande war vollständig zu vertilgen?«

»Aber kann das nicht zufällig entstanden sein?« sagte Fräulein von Seebald, von dem ernsten Wesen des kleinen Mannes zwar eigenthümlich ergriffen, sich aber dennoch gegen solche Theorie auch unwillkürlich sträubend — »ja finden wir nicht auch Aehnlichkeiten manchmal zwischen vierfüßigen Thieren und Menschen? — frappante Aehnlichkeiten, die ja dann auch eben zu solcher Schlußfolgerung nach dorthin uns berechtigen müßten?«

»Sie berühren da allerdings ein Thema« sagte der kleine Cigarrenfabrikant mit ernster Miene, »das mir selber schon manche schlaflose Nacht gemacht hat; aber ich glaube Ihnen auch selbst das widerlegen zu können. Der Mensch ist, wie die Gelehrten behaupten, das vollkommenste lebendige Wesen der Schöpfung durch seinen _Geist_, aber nicht durch seinen Körper.«

»Nicht durch seinen Körper?« rief aber hier auch Theobald erstaunt aus — »Ihr System reißt Sie hin, mein guter Herr Schultze, denn welches Wesen der Schöpfung könnten Sie ihm selbst in körperlicher Hinsicht wohl vergleichen?«

»Viele — sehr viele, mein guter Doktor« sagte aber der kleine Mann, keineswegs durch den Einwurf beirrt; »das Pferd ist stärker und schneller, das Wild hat schärfere Geruchssinne, schärfere Seh-, schärfere Gehörwerkzeuge — der Mensch ist auf den festen Grund und Boden, und zwar auf dessen Oberfläche angewiesen, einzelne Thiere dagegen bewegen sich auf dem Lande sowohl mit Leichtigkeit, wie in der Luft als auf dem Wasser. Das Vorzüglichste von allen ist z. B. die Ente, die nicht allein vortrefflich taucht und schwimmt, sondern auch ausgezeichnet fliegt, und ziemlich rasch auf festem Boden vorwärts schreitet. Auch ein hülfloseres Geschöpf giebt es nicht auf dem weiten Erdball als ein Kind, während die Thiere, mit nur wenigen Ausnahmen, sehr kurze Zeit nach ihrer Geburt fast, schon den Gebrauch ihrer sämmtlichen Glieder erlangt haben. Gleichwohl nennen wir uns die Herren der Schöpfung, und kriechen noch mit dem Fallhut herum, während der Habicht schon in gleichem Alter auf seine Beute aus hoher Luft herniederstößt, und der Tiger in seinem Dickicht dem Büffel und Hirsch auflauert.«

»Das hat Alles viel für sich« sagte Theobald achselzuckend — »aber damit werfen Sie ja schon einmal vor allen Dingen die ganze biblische Geschichte über den Haufen.«

»Das thut mir sehr leid um die biblische Geschichte« sagte Herr Schultze, »aber ich kann ihr nicht helfen, denn gerade das Einzige, womit wir wirklich der Thierwelt überlegen sind, und was also den ersten Fortschritt auch bildet zwischen ihr und uns, ist unser Geist, und der selber, mit seiner Schwester, der Erinnerung, mahnt uns an die vergangene Zeit und läßt uns nicht irren.«

»Ich verstehe Sie nicht« sagte Fräulein von Seebald.

»Ich werde mich deutlicher ausdrücken« erwiederte der kleine Cigarrenfabrikant. Ist es Ihnen, mein verehrtes Fräulein, noch nie vorgekommen, daß Sie in der Nacht geträumt haben Sie flögen, oder _wollten_ fliegen?«

»Oh wie oft!« rief Fräulein von Seebald rasch — »unzählige Male schon, und wie lebhaft dabei.«

»Und nachher ist es einem immer als wenn man von irgend einem alten Kirchthurme herunterfällt, der Einem unter den Füßen fortgeht,« sagte Theobald; »ich muß gestehn daß ich in der That die Angst habe Jemand, der eine recht lebhafte Einbildung hat, könnte sich nur allein dadurch wirklich einmal den Hals brechen.«

Herr Schultze rieb sich in aller Freude über die Anerkennung seines Hauptschlusses die Hände, Fräulein von Seebald aber, die sich leicht und gern solch neuen Eindrücken hingab, und alles Andere darüber vergaß, sagte, freilich immer noch nicht überzeugt, kopfschüttelnd.

»Aber ich begreife nur nicht wie Sie dadurch Ihre Behauptung beweisen oder auch nur daraus herleiten wollen; ein Traum ist ein Traum.«

»So?« sagte aber Herr Schultze, plötzlich wieder ernster werdend und fast ein wenig piquirt — »warum träumen wir denn da nie daß wir wie die Fische im Wasser schwimmen und untertauchen, oder wie das Wild draußen im Wald herumlaufen? warum _fliegen_ wir nur im Traum? — weil unserem Geist, wenn der Schlaf den Körper in Ruhe gelegt und ihn dadurch gewissermaßen von der störenden Außenwelt entfernt hat, allein in seinen _Erinnerungen_ leben kann, und die führen ihn zu dem zurück was er war. Sie werden glauben ich gehe zu weit, aber ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, verehrtes Fräulein, daß ich neulich geträumt habe ich wäre in der Mauser.«

Fräulein von Seebald und Theobald lachten gerade heraus, der Gedanke war ihnen zu komisch, aber der kleine Mann fuhr, mit dem Kopfe nickend, ganz ernsthaft und ohne sich irre machen zu lassen, fort.

»Ja lachen Sie nur, lachen Sie nur; wir lachen über Manches das uns später als nackte Wahrheit ganz entschieden in’s Leben tritt. Wir _lernen_ täglich; der Mensch lernt nie aus, und in früheren Zeiten sind Menschen für das als Hexen und Teufelsbündner verbrannt worden, was jetzt zu alltäglicher Wahrheit geworden ist, und von Niemandem mehr bezweifelt werden _kann_. Ich brauche Ihnen dafür keine Beispiele aufzuführen.«

»Haben Sie einen Blick dafür« frug Fräulein von Seebald jetzt den kleinen Mann, von einem neuen Gedanken ergriffen, »die Aehnlichkeit zwischen Menschen und Vögeln oder anderen Thieren herauszufinden?«

»Wenn ein Jahre langes, unausgesetztes fleißiges Studium dazu berechtigt, ja!« sagte Herr Schultze mit inniger Ueberzeugung.

»Gut — welchem Thier — oder wenn Sie so wollen, welchem Vogel gleich ich dann?« frug die Dame, und hielt dabei die flache Hand vor ihren Mund, daß nur der obere Theil ihres Gesichts, und zwar im Profil, sichtbar blieb.

»Eben so entschieden« erwiederte der kleine Cigarrenfabrikant nach kurzem forschenden Blick, »wie Herr Theobald hier einem Habicht gleicht, gleichen Sie der _Lerche_!«

»Der Lerche?« rief die Dame rasch und erstaunt.

»Allerdings der Lerche, und ich selber müßte mich sehr irren, wenn Sie sich nicht auch zu dem Vogel besonders hingezogen fühlen.«

»Das ist allerdings und merkwürdiger Weise der Fall« bestätigte Fräulein von Seebald — »aber — aber Sie haben das gehört, was ich vorhin über die Lerche sagte, und ziehen daraus Ihre Schlußfolgerung.«

»Umgekehrt kommen Sie der Wahrheit näher« erwiederte Herr Schultze freundlich — »wie ich schon sämmtliche Physionomieen unserer Reisegefährten studirt und überhaupt keine liebere Beschäftigung habe, als die Physionomieen meiner Umgebung genau zu beobachten, und in der deutlichen Schrift, die ihnen die Natur in die Züge gegraben, zu lesen, was sie einst in früherer Zeit gewesen, war mir gleich im Anfang Ihre frappante Aehnlichkeit mit jenem liebenswürdigen Singvogel aufgefallen, und Ihre Bemerkung vorhin, die ich zufällig hörte, traf mich deshalb um so mehr, und machte mich so kühn mich in das Gespräch zu mischen, was ich sonst nie gewagt haben würde.«

»Es wäre doch wunderbar, wirklich wunderbar« meinte Fräulein von Seebald nachdenkend, »aber lieber Gott, die Natur ist ja so reich an noch unerforschten Geheimnissen, daß uns selbst das Unglaublichste wenigstens nie unmöglich scheinen darf — doch« — unterbrach sie sich hier und hielt ihr Taschentuch vor die Nase, »wo um Gottes Willen kommt der entsetzliche, widerliche Tabacksqualm her; er benimmt mir fast den Athem. —«

Das bisher geführte Gespräch hatte dicht vor dem großen Mast, gewissermaßen auf neutralem Grund und Boden zwischen Cajüte und Zwischendeck statt gefunden, wo des Webers Frau an der Leeseite des Schiffes(5) ihren Waschtubben aufgestellt und, nur manchmal kopfschüttelnd dem wunderlichen Gespräche lauschend, rüstig fortarbeitete. Fräulein von Seebald stand ihr gegenüber, mit ihrer linken Hand auf die Nagelbank des großen Mastes gestützt, und die beiden Herren Schultze und Theobald, nach dem inneren Deck zu, vor der Zwischendecks-Luke, die hier hinunter führte. Auf die Nagelbank selber aber, und zwar zu windwärts, hatte indessen, von den in ihr Gespräch Vertieften gar nicht beachtet, den Rücken an die straffangespannten Marsfalle gelehnt, Zachäus Maulbeere Platz genommen, und blies den Qualm aus seiner kleinen schmutzigen Pfeife in dichten Wolken gerade auf die, in so interessantem Gespräch begriffene Gruppe.

 

»Dem Geruch nach ist das Maulbeere« sagte Herr Schultze auch, ohne nur den Kopf nach ihm zu wenden, »der raucht einen abominabelen Knaster, meiner Meinung nach ein Gemisch von gehackten Tabacksstengeln und Knoblauchsblättern.«

 

Fräulein von Seebald warf einen flüchtigen Blick dort hinüber, wo der allerdings richtig bezeichnete Mann in unzerstörbarer Ruhe saß, und ohne die Erwähnung seiner auch nur durch eine Bewegung des Kopfes zu beachten. —

»Himmel, welche merkwürdige Gestalt und Physionomie« setzte sie dann leise, gegen Herrn Schultze gewendet, hinzu, »das ist das merkwürdigste Gesicht, das mir in meinem Leben begegnet ist, und ich wäre neugierig, mit welchem Vogel Sie da die Aehnlichkeit fänden.«

»Mit welchem Vogel?« erwiederte aber Herr Schultze rasch, und ebenfalls mit etwas unterdrückter Stimme, von ihrem Nachbar nicht gehört oder verstanden zu werden, »mit dem Amerikanischen Kasuar auf das frappanteste, ja sogar mit einer eigenen wunderlichen Mischung des jetzt ausgestorbenen Geschlechts der Dodos — betrachten Sie nur das Unterkinn.«

»Bah — _so_viel für Ihre Vergleiche« überraschte sie aber ganz unerwartet der Gegenstand ihrer heimlichen Betrachtungen, der jede Sylbe ihres Gesprächs gehört und selbst die letzte Bemerkung des Cigarrenfabrikanten verstanden haben mußte, mit seiner Antwort; — »ich weiß nicht für was Sie sich selber halten, wahrscheinlich für eine Grasmücke oder für einen Spatz, so viel kann ich Ihnen aber sagen, daß ich vor der Seelenwanderung ein Stieglitz gewesen bin, denn ich hole mir noch mein Wasser und Freßnäppchen von unten herauf wenn ich’s brauche, und was Ihre beiden Begleiter anbetrifft, so sieht der eine frappant so aus wie ein unausgewachsener Pfefferfresser, und die Dame hat täuschende Aehnlichkeit mit einer Ente. Das Bischen Räuchern wird Ihnen übrigens miteinander Nichts schaden, denn da wir die Cholera an Bord haben, und wahrscheinlich nach acht Tagen jeder, der noch da ist, eine eigene Coye für sich selber bekommen kann, soll das, wie behauptet wird, als ein treffliches Mittel dagegen gelten.

»Die Cholera an Bord?« rief Fräulein von Seebald vor Schrecken erbleichend, »das wäre ja furchtbar — aber seit wann?«

»Glauben Sie nur kein Wort von dem, was Ihnen dies unglückselige Menschenbild sagt« fiel hier Theobald ein, »Herr Maulbeere spricht wenig, aber wenn er ja einmal den Mund aufthut, ist es gewiß eine Lüge.«

»Sie sollten g’rade dankbar sein« rief aber Zachäus, »daß ich Ihre Aehnlichkeit nur so obenhin berührt habe; bei Ihnen hat man’s aber bequem, Sie besorgen das selbst. _Habicht_« setzte er dabei wie mit sich selber redend und vor sich hin lachend hinzu — »schöner Habichtskopf — Kuckuck — Kuckuck!«

Fräulein von Seebald, die vielleicht nicht mit Unrecht einen Zank zwischen den Männern fürchtete, und selber nicht gewillt war, sich hier beleidigen zu lassen, zog sich, mit einer leichten Verbeugung gegen Herrn Schultze und Theobald, die diese ehrfurchtsvoll erwiederten, rasch in die Cajüte zurück. Die beiden Passagiere dachten aber gar nicht daran sich mit dem groben Menschen in einen Wortkampf einzuladen, sondern gingen, ohne ihn weiter eines Worts oder Blicks zu würdigen, von ihm fort nach vorn zu. Ebenso war des Webers Frau zuletzt genöthigt ihren Stand zu verändern, weil sie es in dem jetzt voll nach ihr herüber ziehenden stinkendem Qualm des Scheerenschleifers nicht aushalten konnte, während dieser, innerlich lachend über den vollständig errungenen Sieg, auf behauptetem Schlachtfeld sitzen blieb, und wie ein Diminutivdampfer den Qualm seiner Pfeife in regelmäßigen, und kurz abgebrochenen Stößen von sich bließ.

Nicht weit von dort saßen die drei, erst von dem Leuchtschiff bei Nacht und Nebel an Bord gekommenen Passagiere, die sich bis jetzt noch immer still und zurückgezogen von den anderen gehalten, und fast mit Niemandem ein Wort gesprochen hatten. Der eine schnitzte eine zusammenhängende Kette aus einem Stück weichem Holz, der andere flocht ein Uhrband aus Pferdehaaren und der dritte lehnte, den Kopf in beide Hände gestützt, auf der oberen Reiling und schaute ziemlich theilnahmlos über Bord hinaus ins Meer.

Es waren drei, eben nicht einnehmende Gestalten, mit finsteren verschlossenen Gesichtern, der Jüngste sogar mit frechen breiten Zügen, über die sich nur manchmal ein leichtes hämisches Lächeln stahl, wenn er seinem Kameraden irgend eine Bemerkung über die, vor ihnen auf und abgehenden theils beschäftigten theils unbeschäftigten Passagiere mittheilte. Ihre Röcke schienen dabei aus _einem_ Stück groben, aber ganz neuen Tuches gefertigt, mit gleichem Schnitt und gleichen Knöpfen, und der Ort, aus dem sie gekommen, war bald auch den übrigen Passagieren kein Geheimniß mehr — das Zuchthaus stand ihnen zu klar und deutlich an der Stirne geschrieben. Freilich ließ sich ihnen darüber Nichts beweisen; als Passagiere an Bord hatten sie dieselben Rechte mit den anderen, und den stämmigen untersetzten Gestalten gegenüber wagte auch Keiner etwas davon gegen sie selber zu äußern; aber untereinander flüsterte man sich seinen Verdacht erst schüchtern, dann offener zu, und Steinert besonders sprach, aber immer außer Hörweite der drei dabei besonders interessirten Personen, offen seine Entrüstung darüber aus, daß ihr Schiff wie ihre ganze Gesellschaft durch solche Kameraden entehrt würde, und sie sich das eigentlich gar nicht brauchten gefallen zu lassen. Was aber dagegen thun? — Das Schiff war unterwegs, von Land keine Spur mehr zu sehen, und in einem offenen Boot hätte man die Leute, sie mochten nun sein was sie wollten, auch nicht aussetzen können und dürfen. Aber die Zwischendeckspassagiere zogen sich von ihnen zurück, die über ihnen befindliche Coye weigerte sich mit ihnen zugleich »Fleisch zu fassen« was immer für doppelte Coyen ausgetheilt wurde, während der Untersteuermann, der die Austheilung des Proviants unter sich hatte, auch nicht den geringsten Anstand nahm ihnen eine besondere Abtheilung zu gewähren.

 

Die drei Burschen fühlten dadurch wohl, daß man sie als das erkannt was sie waren — Verbrecher, die man hatte zu Hause los sein wollen und jetzt nach Amerika schickte — schienen aber nicht böse darüber und hielten sich, wie schon gesagt, still und abgesondert für sich selbst.

 

»Das ist künstliche Arbeit und lernt sich nicht alle Tage« redete sie da von einem der Passagiere eine Stimme an, und der Mann mit den kurz abgeschnittenen schwarzen Haaren, dessen Gesicht jetzt noch überdieß die schwarzen Stoppeln eines etwa vierzehntägigen unrasirten Bartes trug, nahm auf einem der Wasserfässer dicht vor ihnen Platz und sah, die Ellbogen auf seine Knie gestemmt, ihrer Beschäftigung ruhig zu — »wie lang habt Ihr gebraucht bis Ihr’s so weit brachtet?«

Der junge Bursch sah etwas überrascht zu ihm auf, und mit einem flüchtigen Blick über die Gestalt hin brummte er: —

»Wer weiß ob Ihr’s nicht besser könnt wie wir — Zeit genug es zu lernen werdet Ihr gewiß schon gehabt haben.«

»Doch nicht« schmunzelte der Mann, der die Anspielung vollkommen gut verstand — »doch nicht mein Junge — ich habe nie Geld genug gehabt, die Universität zu bezahlen.«

»Manche Menschen haben Glück« sagte der Andere, auch nur mit einem Seitenblick auf den Sprecher — »und Glück geht vor Verdienst.«

»Wo kommt Ihr eigentlich her?« frug der Erste wieder, der auf der Schiffsliste unter dem Namen Meier eingetragen stand — »wenn man eben fragen darf« —

»_Fragen_ darf man schon« sagte der Jüngste mürrisch — »aber Ihr kennt wohl das alte Sprüchwort.«

»Thuts Euch Noth es zu wissen?« frug der zweite.

»Nein« sagte Meier kopfschüttelnd »war nur Neugierde, und die Wahrheit erführ ich doch wohl nicht — ich habe aber einmal Jemanden gekannt, der wie Euer Kamerad da,« auf den Alten deutend — »aussah und _Pelz_ hieß — aber ’sist lange her.«

Der Alte drehte sich bei dem Namen rasch um, und den Zudringlichen finster und aufmerksam betrachtend sagte er:

»Und wie heißt _Ihr_?«

»Meier« — erwiederte vollkommen ruhig der Mann und nahm seine kleine Thonpfeife aus der Tasche, die er sich stopfte und anzündete.

»So heiß ich auch« brummte der Alte, und drehte sich wieder in seine alte Stellung um; der Kurzhaarige rauchte noch eine Weile still vor sich hin, stand dann auf und ging, ohne ein Wort weiter zu äußern nach vorn zu, wo er sich auf die Back setzte, und die Füße vorn über Bord hängen ließ.

Das Schiff verfolgte indeß mit lustig geblähten Segeln seine Bahn; der Wind war vortrefflich und die fast vierkant gebraßten Raaen, die Leesegel zu Starbord und der rasch vorbeifliegende weiße Schaum kündete auch selbst dem Laien an Bord, wie sie ihrem Ziele rasch entgegenflogen. Das monotone Leben wurde aber sonst auch durch Nichts unterbrochen; höchstens einmal zeigte sich ein Segel am fernen Horizont, und Capitain Siebelt ermangelte dann nicht, noch einen aufmerksamen Blick durch das Fernrohr, seinen Cajütspassagieren zu erklären, daß es entweder ein Amerikaner oder Engländer, Franzose oder Deutscher sei, wie er nach der Stellung der Masten und Segel es erkannt hatte. Er betrachtete sich als eine Autorität in solchen Dingen, und gewöhnlich verschwand dann auch das Segel wie es gekommen und er mußte, aus Mangel eines Gegenbeweises, recht behalten; ein paar Mal geschah es freilich, daß der erklärte Engländer oder Franzose Deutsche oder Amerikanische Flagge zeigte; dadurch aber keineswegs irre gemacht hatte Capitain Siebelt immer seine weitere Schlußfolgerung rechtzeitig bei der Hand; nun kannte er auf einmal das Schiff ganz genau; es hieß so und so und war richtig in England oder Frankreich gebaut — das konnte man ja mit bloßen Augen unterscheiden, aber später eben an ein Deutsches oder Amerikanisches Haus verkauft, unter dessen Flagge es jetzt natürlich segeln mußte. Capitain Siebelt behielt immer recht, und da Henkel, der schon mehre Seereisen gemacht, sich nie in einen Streit mit ihm einließ, und die anderen gar Nichts davon verstanden, konnte das auch nicht anders sein.

Die glücklichste, munterste von Allen an Bord, war aber Henkels kleine liebenswürdige Frau, Clara, der, wie sie nur erst einmal die böse Seekrankheit überstanden hatte, jeder Tag einen neuen Genuß in der wundervollen Fahrt brachte, und die sich nicht satt sehen konnte an der wogenden, herrlichen See. Mit keiner Sorge dabei, die ihr Herz beengen durfte, das glücklich Weib eines innig geliebten Mannes, war ihr die ganze Reise nur eine fröhliche sonnige Lustfahrt, von der sie mit jeder Minute geizen mußte, und Niemand an Bord verstand es besser, auch der unangenehmsten Lage die heitere Seite abzugewinnen, wie gerade sie.

Die liebste Gesellschafterin dabei war ihr die fröhliche Marie, deren junges Herz sich auch leicht und rasch über Alles wegsetzen konnte, was etwa noch trüb und traurig für sie im Schoos der Zukunft verborgen lag. Anna war schon zu ernst; die Sorge um der Eltern Wohl, das Bewußtsein, was diese Alles in der Heimath aufgegeben, und manche Befürchtung die Kellmann, sie betreffend, zu Hause ausgesprochen, wollte sie nicht verlassen, und lag oft wie ein trüber Schatten auf ihrer Stirn, und auch Hedwig, die fast den Tag über immer bei ihnen war, konnte noch nicht vergeben was sie gelitten, was verloren, und mußte oft gewaltsam die ihr vielleicht unbewußt aufsteigende Thräne zurückzwingen, das Auge der fröhlichen jungen Frau nicht zu trüben, die ja Alles that, was in ihren Kräften stand, das arme Kind für das Gelittene zu entschädigen — lieber Gott, ungeschehen konnte sie ja nicht machen, was die Vergangenheit gebracht.

Henkel selber war meist ernst, zu ernst nach Clara’s Sinn, und konnte Stundenlang mit verschränkten Armen und in tiefen Gedanken das Quarterdeck begehn, wenn ihn die junge Frau nicht manchmal gewaltsam aus seinen Träumen riß, und ihn so lange quälte und neckte, bis er sich lächelnd ihrem Willen fügte. Einen besseren Gesellschafter aber hatten sie in dem kleinen munteren Herr von Hopfgarten, der, wenn er sich nur irgend von dem fast unvermeidlichen Nachmittags-Whist, wo Henkel manchmal seine Stelle einnahm, losmachen konnte, die Seele der ganzen Cajüte wurde, Gesellschaftsspiele angab und ausführte, an denen dann selbst Lobensteins und das schwärmerische Fräulein von Seebald Theil nehmen mußten, oder auch Geschichten und Anekdoten erzählte, über die sich Clara oft todtlachen wollte. Mit Thränen im Auge vor Lachen erklärte sie dabei mehrmals, es sei ihr unendlich leid, den thörichten Schritt schon gethan und sich in Deutschland mit dem mürrischen Herrn Henkel verheirathet zu haben, wäre das nicht geschehn, sie nähme keinen anderen als Herrn von Hopfgarten, denn ein besser zu einander passendes Paar gäbe es doch nicht auf der weiten Gottes Welt, und Herr von Hopfgarten betheuerte dann ebenfalls, er sei der Unglücklichste der Sterblichen, ein wahrer lebendiger Tantalus, dem sein Glück jetzt, in Gestalt der liebenswürdigsten jungen Frau, vor der Nase herumliefe, ohne daß er selbst den Arm danach ausstrecken dürfe, es fest zu halten. In komischer Verzweiflung holte er dann gewöhnlich eine Chokoladen-Pistole, von denen er mehre Dutzend an Bord haben mußte, denn sie schienen unerschöpflich, aus der Tasche, setzte sie sich vor die Stirn und ließ sie sich von Marien wegnehmen, die sie, wie sie sagte, um Unglück zu verhüten zerbrach, und den jüngeren Geschwistern zum essen gab.

Viel zu ihrer Erheiterung trug, wenn auch sehr oft absichtslos, der »Doktor« bei, wie er schlichtweg an Bord genannt wurde, dem von dem Rheder die halbe Passage erlassen worden, unterwegs etwa vorkommende Krankheiten der Passagiere zu behandeln, und dadurch die andere Hälfte, mit Hülfe der an Bord befindlichen Medicinkiste, abzuverdienen.

Doktor Hückler war eine höchst unscheinbare Persönlichkeit, die ihr Diplom nur eigentlich den Herren Heßburg und Sohn verdankte, von denen sie an Bord zum _Doktor_ gestempelt worden. Chirurg und ein armer Teufel, wünschte er nach Amerika auszuwandern, und besaß nicht die nöthigen Mittel; die Firma Heßburg und Sohn wünschte aber, des Geredes der Leute wegen, einem Schiff mit so vielen Auswanderern auch einen _Doktor_ beizugeben, ohne zugleich besondere Kosten für einen solchen zu haben. So war beiden Theilen geholfen, und da man im gewöhnlichen Lauf der Dinge annahm, daß auf der kurzen Ueberfahrt nach Amerika gerade keine schweren Krankheiten, oder doch nur sehr selten vorkommen, konnte alles das, was man ja sonst sogar dem Capitain allein überließ, auch dem Herrn Hückler anvertraut werden, der als junger Mensch den älteren Herrn Heßburg schon mehre Jahre rasirt und ihn von Hühneraugen frei gehalten hatte, wie auch im Hause des reichen Handelsherrn seines stillen demüthigen Betragens wegen sehr gern gesehen und protegirt worden war. Von inneren Krankheiten verstand Hückler allerdings wenig oder gar Nichts, alles Versäumte aber jetzt mit möglichstem Fleiß nachzuholen, machte er sich, so wie er selber die Seekrankheit überstanden, mit großem Eifer darüber her, das kleine, der Schiffs-Medicinkiste(6) beigegebene Receptbuch zu studiren, bei nöthigen Fällen wenigstens gleich die richtige _Nummer_ zu wissen und zu verabfolgen.

Den Schlüssel zur Medicinkiste behielt sich aber trotzdem der alte Capitain Siebelt vor, der erst seit kurzer Zeit »mit Auswanderern fuhr« und immer noch der festen Meinung war, er müsse das, was er in seiner Cajüte hatte, auch viel besser, oder doch eben so gut zu verabreichen verstehn, wie »so ein Doktor.« Die Passagiere überließ er ihm aber doch, eben weil es »blos Passagiere« waren, behielt sich übrigens die Behandlung seiner Leute vor.

»Herr Capitain, ich möchte Sie um den Schlüssel zur Medicinkiste bitten« sagte am Morgen des dritten Tages, als sie in den Atlantischen Ocean eingelaufen waren, der Doktor zu dem Selbstherrscher der Haidschnucke.

»Na, wat is nu all wedder?« frug »de Captein,« der nur gezwungen mit seinen Passagieren hochdeutsch sprach, und wenn er böse oder recht guter Laune war, am liebsten in das ihm weit geläufigere und natürlichere Platt zurückfiel, nur dann und wann, wenn es ihm gerade wieder einfiel ein paar hochdeutsche Worte mit einmischend.

»Einer der Leute klagt über Schmerzen in der Brust, und ich fürchte fast, daß da vielleicht ein chronisches Leiden —

»Ah papperlapapp« brummte der alte Seebär, »in de Krone sitzt’s em nich — in de fulen Knoken. Ene richtige Porschon Soalts un en reguleres Bräkmiddel ver vor un achter ut, nachens fall e woll spudig beter wern.«

Kein Protestiren half dagegen; Capitain Siebelt hatte den festen Glauben daß ein Matrose gar nicht krank werden könne, keinenfalls aber krank werden _dürfe_, so lange er sich auf die Reise »verakkordirt« hätte und daß also Alles, was die Kerle davorn von »Krone oder Bunk praalten, man blaue Dunst wäre.« Sobald sich also ein Matrose bei ihm krank meldete, bekam er als erste Dosis eine Handvoll Glaubersalz und keinen Schnaps zum Frühstück; das half schon gewöhnlich, und die Leute kamen selten das zweite Mal, wollte er dann noch immer nicht besser werden, d. h. blieb er »verstockt« dann mußte er ein Brechmittel schlucken, und zwar gleich in der Cajüte, nicht etwa die Medicin mit nach vorn nehmen, wo sie eben so sicher über Bord gegangen wäre. Das half dann jedesmal, denn die dritte Kur war Glaubersalz und Brechmittel zusammen und die hatte sich nur erst ein Einziger geholt, der war aber ein solcher »Cujon wehst«, daß er sich aus lauter »Cunterdikschen« hingelegt hatte und gestorben war.

Doktor Hückler war keiner von den Leuten, die einer praktischen Erfahrung ihr Ohr verschließen; er ließ sich überzeugen und der Capitain curirte die Leute nach wie vor auf seine eigene Hand und Manier.

Um also auf das gesellschaftliche Leben an Bord zurückzukommen, so war Hieronymus Hückler hier zum ersten Mal in einen Umgangskreis gekommen, der ihm bis dahin fern gelegen, und in dem er sich im Anfang — die Seekrankheit ganz abgerechnet, — auch nicht recht wohl fühlte. Seine Verlegenheit würde er selber auch wohl schwer, und gewiß nicht schon auf der Reise überwunden haben, wären ihm darin nicht die jungen Damen, von Herrn von Hopfgarten redlich dabei unterstützt, freundlich entgegengekommen. Diese brauchten aber Alles, was sie nur von verfügbaren Personen in ihrem Bereich fanden, zu ihrer Unterhaltung, und da sich Capitain Siebelt, so gefällig er ihnen in jeder anderen Beziehung war, auf das Hartnäckigste weigerte, einigen der gebildeten Zwischendeckspassagieren den Zutritt zu dem Quarterdeck zu gestatten, die langen Stunden an Bord zu verkürzen, so wurde Doktor Hückler aus Mangel an besserer Beschäftigung, bald das Stichblatt aller unschuldigen und fröhlichen Scherze der kleinen munteren Gesellschaft. Bei den Gesellschaftsspielen, die Herr von Hopfgarten unermüdlich und in der erfinderischesten Weise anstellte, bekam er fast alle Schläge mit dem Plumpsack und verfiel bei den Räthselspielen, bei denen er nie im Stande war auch nur das leichteste zu errathen, den unerbittlichsten, aber auch eben so geduldig und gutmüthig ertragenen Strafen.

Ein anderer Mitpassagier, der nur sehr schwer zu bewegen war sich in etwas dem _geselligen_ Leben an Bord anzuschließen, war der Coyenkamerad des Herrn von Hopfgarten, ein junger Mann von vielleicht vier- bis fünfundzwanzig Jahren, und jedenfalls aus sehr guter Familie.

»Ich bin der Baron von Benkendroff — mein Vater ist der wirkliche Geheimrath von Benkendroff« hatte er sich gleich am ersten Tage Herrn von Hopfgarten vorgestellt — »und ich reise nur zu meinem Vergnügen nach Amerika, um mich von den nichtswürdigen republikanischen Zuständen jenes Landes nach eigener Anschauung zu überzeugen. Ich _weiß_, was ich dort finde, habe auch schon in der That einige Artikel über die dortigen Verhältnisse geschrieben, aber trotzdem gehe ich doch hinüber und betrachte die Reise gewissermaßen als eine Kur, als ein Schlammbad, das ich meinem Geist auferlege, ihn von allen doch noch vielleicht darin befindlichen Scrupeln und Zweifeln vollständig zu heilen.«

Den Spielen der jungen Damen schloß er sich allerdings manchmal an, aber dann immer mit einer gewissen vornehmen _nonchalance_. Er war überzeugt, daß er ihnen dadurch eine Gefälligkeit erweise, und wußte auch in der That selber manchmal nicht, was er mit sich anfangen solle. Am liebsten noch spielte er mit Frau von Kaulitz und Herrn von Hopfgarten Whist, wobei er es liebte, mit seiner sehr weißen, fast weiblichen und reich mir Ringen besteckten Hand zu coquettiren. Außerdem sprach er nie mit den Steuerleuten, höchst selten selbst mit dem Capitain, den er wunderbarer Weise _monsieur_ nannte, und der ihn deshalb auch nicht leiden konnte, und hatte noch mit keinem Fuß die Grenze der strengabgeschiedenen Cajüte überschritten.

 

 


Capitel 6.

LEBEN AN BORD.

Es war ein schwüler Nachmittag gewesen, und die ziemlich starke günstige Brise, mit der sie bis dahin so vortrefflichen Fortgang gemacht, schwächer und schwächer geworden, bis die See, deren Wellen sich ebenfalls nach und nach beruhigten wie ein stillwogender Spiegel blank und ungebrochen lag, und den Rumpf des Schiffes mit seinen langsam schwankenden Masten treulich im Bilde wiedergab. Matt und lässig schlugen dabei die schweren Segel, von keiner Luft mehr gebläht, gegen die Takellage, füllten auf, wenn das Schiff schwerfällig nach hinten niedersetzte, und trafen dann wieder mit mattem Schlag das Tauwerk, das sie dadurch, wie auch sich selbst, mehr scheuerten und angriffen, als es der ärgste Sturm gethan haben könnte.

»Reepschläger und Segelmacher prügeln sich« sagen die Matrosen wenn bei Windstille die Segel gegen das Takelwerk schlagen, und der Seemann sieht es nicht gern. Desto willkommener ist aber gewöhnlich den Passagieren eine solche erste Ruhe, wenn sie natürlich nicht zu lang anhält, die ihnen das Meer von einer ganz neuen, noch nicht einmal geahnten Seite zeigt, und selbst den Kränksten Gelegenheit giebt sich zu erholen und auf Deck zu ergehn.

Klar und wolkenrein spannt sich der Himmel aus über der dunkelblauen, mattglänzenden Fluth, und das Auge schwindelt wenn es in die durchsichtige Tiefe niederschaut, die sich plötzlich seinem Blicke öffnet. Reges geschäftiges Leben herrscht dabei an Bord, hier schwimmt eine in schillernden Farben wunderlich gefärbte Blase auf dem Wasser und hebt und senkt sich nach eigener Willenskraft — das sogenannte »portugiesische Kriegsschiff« wie der kleine Segler heißt(7) — dort streicht die dunkle Flosse eines Fisches langsam und träge durch die Fluth, und der Ruf »ein Hai, ein Hai« lockt selbst den Untersteuermann aus seinem Morgenschlaf auf, die gefräßige Bestie, diesmal vergeblich, mit einem ausgeworfenen und an einem Haken befestigten Stück Speck zu fangen. Lässig kreist dabei die schlanke Möve hoch in der Luft, und ganze Schaaren munterer Seeschwalben, »Mutter Kareys Küchelchen,« wie sie der Seemann nennt, suchen um das Schiff herum ausgeworfene Nahrung, und tauchen ellentief unter nach den wegsinkenden Stücken Fleisch und Speck.

Und nicht den mindesten Fortgang macht das Fahrzeug dabei; das alte Kartoffelfaß, das der Koch an dem Morgen über Bord geworfen, treibt noch in kaum hundert Schritt vom Schiff, von den neugierigen Schwalben immer und immer wieder besucht, umher; Kartoffelschalen und Rübenabfälle die die Frauen ausgeschüttet, schwimmen auf dem Wasser und sinken langsam tiefer, in der Fluth buntfarbige weißschillernde Lichter mit prismatischen Farben annehmend. Wergflocken und Stückchen getheerten Segeltuches, Federn von für die Cajüte gerupften Hühnern, und Streifen Papier und Zeug sprenkeln nach allen Richtungen hin die Oberfläche, und geben den Müssigen an Bord Gelegenheit zu rathen was es sei, oder dem versinkenden mit den Augen zu folgen tief, tief hinunter, dem Abgrund zu.

Aber nicht Alle schauen müßig über Bord; hier sitzen fleißige Gruppen, ihre Wäsche waschend und sich endlich einer Arbeit fügend, der sie sich eben nicht mehr länger entziehen können; dort hängen Andere die gewaschene an den Wanten und Tauen auf und ärgern die Matrosen damit, die den Leuten nicht begreiflich machen können daß sie das »laufende Tauwerk« dazu nicht benutzen dürfen.(8) Hie und da hat auch Einer ein Buch genommen, und studirt halblaut vor sich hin die unbegreifliche Aussprache englischer Wörter nach, irgend einem trostlosen Rathgeber in Redensarten und Gesprächen, quält sich mit dem w und th, und steckt das Buch endlich wieder, so klug als vorher und nur vielleicht noch mehr verwirrt, in die Tasche.

Die Arbeiten der Matrosen gehn indessen ruhig fort, denn es ist gewöhnlich ein irriger Glaube der Leute an Land, daß die Matrosen in See, wenn das Schiff nur erst in Gang wäre, nichts weiter zu thun haben als zu segeln, daß heißt das Schiff eben ruhig laufen zu lassen. Das Segelausbessern hört nicht auf an Bord, eben so muß das Takelwerk fortwährend nachgesehn, hier wieder neu gespließt, dort umwickelt, da neu getheert werden, und wäre wirklich gar nichts anderes vorzunehmen, dann muß ein Theil der Leute, zu späterer Verwendung bei neuen Tauen, altes getheertes Werg zerzupfen, und ein anderer Schiemanns Garn daraus spinnen, so daß es den Leuten nie und nimmer an Beschäftigung fehlt. Ein Schiff in See ist der letzte müßige Platz auf der Welt, und nur die Passagiere haben das Recht darauf zu faullenzen.

Auf Deck war solcher Art Alles in seinem gewöhnlichen stillen Gang geblieben, als die Cajütspassagiere, die auf dem Quarterdeck auf- und abgingen, plötzlich ein Hindrängen der Massen nach einer Stelle sahen, und eine laute Stimme hörten, die zu den um sie Versammelten sprach. Herr von Hopfgarten, ein wenig neugierig, und keineswegs so prude wie sein »Stubenbursch« Baron von Benkendroff, gab sich alle mögliche Mühe von dem etwas höher liegenden Quarterdeck aus das, was vorn an Deck vorgehe, zu erkennen; der Sprecher stand aber gerade auf der Back des Schiffes, und die lose niederhängende Fock verhinderte ihn etwas von ihm zu erkennen. Er stieg deshalb rasch auf das Deck nieder, dem Platz zuzueilen, von wo ihm jetzt schon lautes schallendes Gelächter entgegendröhnte.

»Hurrah, Maulbeere soll leben — Zachäus vivat hoch!« jubelte eine Menge lachender Kehlen, und die Zwischendeckspassagiere drängten jetzt in so festem Keil nach vorn, daß selbst die Schiemannsscheibe außer Thätigkeit gerieth, und die Matrosen ebenfalls dem was da vorging mit schmunzelnden Gesichtern lauschten.

Der Urheber dieses plötzlichen Lärmens sowohl, wie der wilden rauschenden Fröhlichkeit war, aber wirklich niemand Anderes als Zachäus Maulbeere, der sonst so mürrische, einsylbige Patron, der jetzt, aber ebenfalls mit dem ernsthaftesten Gesicht von der Welt, und selbst während dem Jubeln und Jauchzen der Menge, keine Miene verzog, den Mund nur, als wenn er die Pfeifenspitze darin hielt, etwas mehr zusammendrückte, und die großen buschigen Augenbrauen womöglich noch höher emporzog, als er das sonst gewohnt war zu thun.

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»Aber um Gottes Willen, was geht denn hier vor?« frug Herr von Hopfgarten, auf’s Aeußerste erstaunt einen der Nächststehenden — »was macht denn der Mensch da oben?«

»Maulbeere?« sagte dieser, es war der polnische Jude der sich mit dem vergnügtesten Gesicht von der Welt nach ihm umdrehte — »Maulbeere? — Gottes Wunder er predigt, und _was_ vor a Predigt — es is a Traktement ihn zu heren, und sind’er zwa ihn zu sehn.«

Der Pole hatte allerdings recht; es _war_ der Mühe werth Maulbeere zu sehn wie er da oben, im vollen Triumph einer ihm zujauchzenden Menge, unbeweglich und fest wie ein Fels im Meer stand, und gerade so that, als ob ihn die ganze Sache auch nicht das Mindeste anginge oder kümmerte. Er trug seinen gewöhnlichen abgebleicht grünen, langschößigen Rock mit dem schmalen Kragen, die gesprenkelte Weste und die schmutzig grauen, etwas kurzen Hosen, aber den Hut hatte er neben sich auf der Back, und vor sich einen kleinen niederen Tisch stehn, der dem polnischen Juden gehörte, und auf dem ein dickes aufgeschlagenes Buch mit einer Brille, wie seine Dose lag, während er in der linken Hand — die rechte hatte er in die Seite gestemmt — sein roth- und gelbgemustertes baumwollenes Taschentuch gefaßt und zusammengedrückt hielt.

Er machte eben eine kurze Pause, zu der ihn der Jubel der überraschten und immer noch mehr herbeidrängenden Zuschauer gezwungen hatte, und schien in voller Gemüthsruhe das endliche Schweigen des stürmischen Publikums zu erwarten.

»Aber was ist denn hier los?« riefen Einzelne dazwischen, die eben erst von unten heraufpreßten, zu sehn was es gäbe; »wie kommt denn Maulbeere da oben hin — Zachäus als Prediger — hat die ganze Reise den Mund noch nicht aufgethan und fängt auf die Art an?« — »Er ist übergeschnappt« jubelten Andere — »und giebt uns jetzt die Nutznießung seines verschobenen Gehirns« — »Ruhe — laßt ihn sprechen — still da — Ruhe — Zachäus hat das Wort!« hieß es dazwischen.

Die Passagiere hatten übrigens Ursache erstaunt zu sein, denn Maulbeere, der in der That die ganze bisherige Reise über noch mit keinen drei Menschen auch nur ein Wort gewechselt, und still und mürrisch vor sich hingebrütet hatte Tage lang, war auf einmal mit dem kleinen Tisch, den er im Zwischendeck gefunden und mitgenommen, an Deck und auf die Back gestiegen, wo er, ohne weitere vorherige Warnung, ganz im Styl einer wirklichen Predigt, aber diese parodirend, mit Thema und Einleitung und citirten Sprüchen nach Capiteln und Versen, dem Schnaps (über dessen schlechtere Qualität die Zwischendeckspassagiere seit drei Tagen etwa Ursache zu haben glaubten sich zu beklagen) eine Lobrede hielt.

»Ruhe — gebt Frieden — Zachäus fahr fort!« schrieen indeß die Stimmen durcheinander, und als sich der Lärm ein klein wenig gelegt, der indeß so arg geworden war daß der Capitain an Deck kam, zu sehn was es gebe, begann Maulbeere wieder:

»Wir haben drittens gesehn daß der Schnaps auch in seinen Wirkungen das Gemüth des Menschen sänftiget, und ihm die zum Guten nöthige Kraft verleiht auf der Bahn der Gerechten zu wallen! Schnaps — geliebte Zuhörer, welcher Wohllaut liegt schon in dem einen kleinen Wort. Wie sanft und feurig zugleich durchströmt er uns die Adern, kitzelt uns den Gaumen und vertreibt die bösen Dünste. Er auch war es, der schon vor tausenden von Jahren viele jener merkwürdigen Wunder vollbracht, die eine thörichte Welt jetzt, und irrthümliche, oft böswillige Uebertragungen, anderen Wirkungen zugeschrieben haben. Schnaps ist _Geist_ — wer aber brachte den Geist über die Propheten, die mit fremden Zungen redeten und nachher in alle Welt gingen alle Völker zu lehren? — wer anders als jener heilige Geist —«

»Das ist Gotteslästerung!« schrie da eine Stimme aus der Menge — »herunter von dort Du nichtswürdiger Mensch daß Dich nicht der Arm dessen trifft, den Du verhöhnst.«

Es war der Weber aus Zurschtel, der sich mit Mühe zwischen die Menschenmasse gedrängt hatte, zu sehn was da vorgehe, und jetzt in ehrlicher Entrüstung etwas entweihen hörte, an dem seine ganze Seele mit gläubiger Ehrfurcht hing.

»Ruhe da — Frieden! laßt den Mann ausreden!« rief aber mit Donnerstimme der Gesell mit den kurzgeschnittenen Haaren, der sich selber Meier genannt hatte — »halt’s Maul Weber bis Du gefragt wirst!«

»Nein, er hat recht, das geht nicht — das dürfen wir nicht leiden!« riefen aber jetzt auch Andere dazwischen.

»Hurrah Maulbeere soll leben! fahr fort Maulbeere, laß Dich nicht irre machen!« jubelten ihm wieder Andere zu — »fort mit den Störenfrieden, steckt sie in’s Zwischendeck hinunter.«

Der einzige Ruhige bei dem ganzen Sturm blieb Zachäus, der, ohne auch nur eine Miene zu verziehn, oder mit einer Muskel zu zucken, dem Toben geduldig zuhörte, langsam eine Prise nahm, sich schnaubte, und dann sein Taschentuch wieder wie einen Ball zusammendrehte. Sobald aber ein Augenblick Ruhe eintrat, fuhr er auch eben so unverwüstlich in seiner Predigt fort, sang, mit näselndem Ton, als er diese beendet hatte, die Litanei ab, die Worte dabei so verdrehend daß sie ein Lob des Schnapses bildeten, und schloß dann seine Predigt, unter dem wiehernden Gelächter der Passagiere, mit dem »Es sind auch noch einige Personen vorhanden, welche Willens sind in den Stand der heiligen Ehe zu treten,« wobei er eine Reihe unanständiger Namen von einem Papier ablas, und dann zum Gebet schreiten wollte, als der Steuermann von dem Capitain, bei dem sich Einzelne über den Unfug beschwert hatten, nach vorne geschickt wurde demselben zu wehren.

»Avast da!« rief er dem parodirenden Prediger auf seine derbe Art zu — »avast da mein Bursche und herunter von der Kanzel; der Unsinn hat jetzt lange genug gedauert, und die Leute da unten, die ihre Wacht zur Coye haben, wollen schlafen. Verstehst Du Hochdeutsch, oder soll ich platt mit Dir sprechen?«

»Laßt den Mann seine Rede halten, so lang’s ihm gefällt« nahm hier wieder Meier seine Parthie — »wir reden Euch auch nicht hinein wenn Ihr sprecht.«

»Wenn Du einmal gefragt wirst mein Bursch, darfst Du antworten!« rief ihm aber der Seemann keck und zornig entgegen — »wenn ich hier befehle er soll herunterkommen, so kommt er oder — ich lasse ihn holen.«

»Faßt Einen von uns hier an!« schrie aber der, über Anrede wie Ausdruck gereizte Mann — »legt Hand an Einen von uns, und seht dann was aus Euch und dem Schiff wird. Gott verdamm mich!«

Die drei letztgekommenen Passagiere, die höchst aufmerksame und vergnügte Zuhörer der Predigt gewesen waren, standen dicht hinter ihm, und ihre Blicke begegneten ebenfalls in finsterem störrischem Trotz denen des Steuermanns; dieser aber, ohne sich im mindesten irre machen zu lassen, griff eine, gerad’ auf der Ankerwinde liegende Handspeiche auf, und während die an Deck befindlichen Matrosen, die recht gut wußten wie nothwendig es für sie war in einem solchen Augenblick zusammenzuhalten, sich rasch und geräuschlos neben und hinter ihren Oberen drängten, und ebenfalls schon in der Eile Alles aufgefaßt hatten was ihnen bei einem möglichen Handgemenge von Nutzen sein konnte, rief der Steuermann, die Handspeiche zum Schlag fertig, und das Gesicht von Zorn und Wuth fast dunkelroth gefärbt.

»Hinunter mit Euch sag ich — und Ihr drei da besonders mit Euren grauen Kitteln, hinunter von Deck wohin Ihr gehört, oder der Erste, bei Gott, der mir noch mit einem Wort widerspricht, oder die Hand aufhebt gegen mich ist eine Leiche.«

Meier warf einen wilden tückischen Blick im Kreis umher, zu sehn auf wen von der Schaar er sich wohl allenfalls noch verlassen konnte, aber die drei Grauröcke hatten wohl ihre ganz besonderen Ursachen es nicht zum Aeußersten kommen zu lassen, noch dazu solcher Lappalie wegen, und von den Anderen bezeugte ebenfalls Niemand Lust mit dem wilden Burschen, dem Steuermann, so aus freier Faust anzubinden.

»Wir haben ein Recht hier an Deck zu stehn und dafür bezahlt« murrte er da, als er sah wie er nicht hoffen durfte Schutz und Beistand bei den Anderen zu finden gegen die Schiffsmannschaft.

»Das könnt Ihr auch« sagte der Steuermann, verächtlich seine Handspeiche neben sich zu Boden werfend — er wußte daß er jetzt keine weitere Widersetzlichkeit mehr zu fürchten hatte — »Niemand wehrt’s Euch, so lange Ihr nicht im Wege seid, wer aber dann nicht geht wird _gestoßen_, und darf sich nachher beklagen, wenn es ihn freut. So also herunter jetzt mit dem Prediger — na, wo ist der Mosje denn auf einmal hingekommen?«

Zachäus war allerdings verschwunden; sobald nämlich der Wortstreit einen ernsten Charakter anzunehmen schien, hatte er sich, keineswegs gewillt daran Theil zu nehmen, seitab von der Back hinunter und nach hinten gedrückt, wo er jetzt schon wieder auf seiner Lieblingsstelle am großen Mast kauerte, und den Dampf seiner Pfeife in die blaue Luft hineinqualmte.

Herr von Hopfgarten stattete indessen in der Cajüte Bericht über das Gehörte und Gesehene ab, freute sich aber ebenfalls daß solch gemeiner Blasphemie an Bord gesteuert worden, und erzählte nun den Damen in seiner komischen und lebendigen Art, wie der Steuermann dazwischen gesprungen sei und die Debatte mit der Handspeiche aufgenommen habe.

»Und was hatten _Sie_ dazwischen zu thun, _chèr ami_?« frug Herr von Benkendroff über ein Buch weg das er in der Hand hielt (wahrscheinlich mehr der Hand als des Buches wegen) — »was haben Sie davon sich zwischen die Canaille zu mischen; wenn es nun wirklich zu Thätlichkeiten kam?«

»Ich hatte die stille Hoffnung« schmunzelte der kleine Mann — »alle Wetter, ein Seegefecht, Baron, das wär ein famoses Abenteuer gewesen, und ein prächtiger Beginn für meine Fahrt. Sie wissen noch gar nicht daß ich nur auf Abenteuer reise?«

»Auf Abenteuer — bah« sagte Herr von Benkendroff achselzuckend — »ich hoffe daß Sie vernünftiger sind; es giebt nichts Ungentileres als ein Abenteuer, ein galantes vielleicht ausgenommen, und ich hasse selbst diese, weil sie den Menschen unnöthig aufregen, und aus seiner gewohnten Ruhe bringen.«

»Aber was für Abenteuer wollen Sie erleben?« frug lachend Marie.

»Was für Abenteuer?« wiederholte der kleine Mann, sich rasch nach ihr herumdrehend — »alle — jedes nur erdenkliche — Räuber, Platzen eines Dampfbootes, Zusammenstoß mit einer Lokomotive, Ueberfall von Indianern, selbst unter Gefahr meines Scalpes,« und er nahm dabei seine Mütze ab, und zeigte seinen etwas kahlen Kopf — »nächtliche Attaque von Bären und Panthern, Entführungen, Verhaftungen, Lynchgesetz und wie all jene tausend und tausend interessanten vorherzusehenden und unvorhergesehenen Fälle heißen, denen man in dem Lande unserer Sehnsucht ausgesetzt ist, oder die man, wenn sie Einem nicht gleich gutwillig aufstoßen, mit Leichtigkeit aller Orten und Enden aufsuchen kann.«

»Dann reis’ ich gewiß nicht mit Ihnen« rief Clara rasch und lachend — »Sie wären im Stande solche Dinge vom lieben Gott, als ganz besondere Zeichen von Wohlwollen zu erbitten.«

»Allerdings« sagte Herr von Hopfgarten mit größtem Ernst, »und ich schwankte lange zwischen einer Reise in das Innere von Afrika und den Vereinigten Staaten, aber allen gelesenen Beschreibungen nach halte ich die Union doch noch für das passendste Land dazu, und freue mich unendlich darauf seine werthe Bekanntschaft zu machen.«

»Sie könnten Einem die Lust zur Auswanderung verleiden« sagte lächelnd Professor Lobenstein, sich in das Gespräch mischend, »wenn man eben noch eine Wahl behalten hätte. Jedenfalls ist es ein interessantes Factum Sie, mit _diesen_ Ansichten, an Bord eines Auswandererschiffes zu haben, dessen sämmtliche Passagiere, mit Ihrer alleinigen Ausnahme, gerade hinübergehn um Ruhe und Frieden zu finden, und sich eine, nicht so leicht von äußeren Einflüssen gefährdete Existenz zu gründen.«

»Ich die alleinige Ausnahme?« rief aber der kleine Mann rasch und lebhaft aus — »lieber Professor, da schwimmen Sie in einem gewaltigen Irrthum herum. Gehn Sie einmal durch das ganze Schiff und sehen Sie sich die einzelnen Physiognomien, die einzelnen Gestalten der Leute an, wie ich es wieder und wieder gethan habe, und wenn Sie dann nur irgend in den Zügen eines Menschen zu lesen verstehn, dann sagen Sie mir nachher, ob sich alle die Leute nach einer ruhigen Existenz sehnen, und ob überhaupt nur die Hälfte von ihnen weiß, was sie dort mit sich anfangen soll.«

»In mancher Hinsicht mögen Sie recht haben« sagte der Professor lächelnd, »aber derartigen extraordinären Fällen sollte man dann doch eher aus dem Wege gehn, als sie gerade muthwillig aufsuchen.«

»Nein« sagte der kleine gemüthliche Mann, dem sich ein wunderliches Behagen über die runden Züge legte, und sie mit einer eigenthümlichen Gluth und Freude überstrahlte, indem er vor seinem fruchtbaren inneren Geist wahrscheinlich schon einige der erhofften Scenen heraufbeschwor — »nein lieber Professor, an aus dem Wege gehn ist nun einmal schon gar kein Gedanke — wird auch nicht gut möglich sein« setzte er sich, wie in innerem Behagen die Hände reibend, hinzu — »man müßte denn wie eine Schlange dazwischen durchschlüpfen können. Vor allen Dingen befahre ich den Mississippi auf den dortigen Dampfbooten, und lasse mich erst zwei- oder dreimal in die Luft blasen, oder in den Grund rennen; dann existirt dort noch, wie ich aus ganz sicheren Quellen weiß, die Morrelsche Bande, die mit allen Pferdedieben und falschen Spielern der Union in Verbindung steht, und in der That über die ganzen Vereinigten Staaten ihre Auszweigungen hat. Wenn ich nur irgend Glück habe falle ich denen in die Hände. Dort finde ich ebenfalls die beste Gelegenheit einer Bärenjagd beizuwohnen, und in den Sclavenstaaten müßte es mit dem Bösen zugehn, wenn man nicht wenigstens die Woche einmal, so einem armen Teufel von Schwarzen zur Flucht verhelfen, und durch das Interessante der Situation manche müßige Stunde ausfüllen könnte.«

»Sie bauen darauf, lieber Hopfgarten« sagte hier, während die Anderen lachten, Herr von Benkendroff, wieder über sein Buch hinüber nach seinem kleinen Freund sehend, »daß Sie gar keinen Hals haben an dem man Sie aufhängen kann — sonst scheinen Sie mir auf dem besten Wege dazu.«

»Bah, aufhängen« rief Herr von Hopfgarten verächtlich — »darin bewährt sich gerade der Mann, den Kopf in schwierigen Situationen aus der Schlinge zu halten.«

»Jedenfalls sollten Sie sich dann den langen Menschen aus dem Zwischendeck, ich glaube es ist ein Schneider« sagte Herr von Benkendroff ruhig »zum Begleiter, gewissermaßen als Sancho Pansa mitnehmen; Ihr Zug würde dadurch einen gewissen historischen Werth bekommen.«

»Spotten Sie nur« lächelte aber Herr von Hopfgarten gutmüthig — »Jeder sucht sein Vergnügen auf seine eigene Weise, und Don Quixote, einige verrückte Marotten abgerechnet, war ein ganz achtungswerther Charakter — seine Kurzsichtigkeit muß übrigens Vieles bei ihm entschuldigen, und ich habe ein Auge wie ein Falke.«

»Im Zwischendeck ist allerdings ein Mann der für Sie passen würde Herr von Hopfgarten,« fiel aber hier das Fräulein von Seebald ein, »ein junger Dichter, der ebenfalls noch nicht in dem Alltagsleben der Welt zu Grunde gegangen, und keineswegs daran zu zweifeln scheint, dem Leben auch noch eine poetische Seite abzugewinnen. Nur in der That bewährt sich der männliche Charakter;« setzte sie mit einem Seitenblick auf Herrn von Benkendroff hinzu, der aber an diesem vollkommen abprallte.

»Vortrefflich!« rief da die muntere Clara — »Herr von Hopfgarten kann dann die amerikanischen Riesen und Ungeheuer bekämpfen, und sein Begleiter gleich die Thaten besingen; ich subscribire von vornherein auf ein Exemplar.«

»Ihnen, meine gnädige Frau« lachte aber der kleine Mann, »dedicire ich das Werk, und werde mir von Ihnen noch ganz besonders eine Schleife oder einen Handschuh ausbitten, nach ächter Ritterart am Hut zu tragen.«

»Ein Wort ein Mann« rief die junge Frau, ihren linken Handschuh lachend abziehend und dem neuen Ritter zuwerfend — »hier ist das Pfand, und bedenken Sie, daß ich es nur mit dem Blut der Feinde getränkt zurückerwarte.«

»Gnädige Frau!« rief da der kleine Mann, begeistert von seinem Stuhle aufspringend — »nur mit meinem Leben trenne ich mich wieder von dieser Gabe, bis ich sie in würdiger Weise zurückerstatten kann, und hier unser bequemer Freund Benkendroff selber —«

Seine weitere Rede wurde durch das Heraufstürmen der Matrosen auf das Quarterdeck unterbrochen, die, so ehrerbietig sie sonst dasselbe betraten, jetzt ohne weiteres Ceremoniell und in größter Eile anfingen die aufgerollten Falle von den Nägeln herunter auf Deck zu werfen, wobei sie den überrascht aufspringenden Passagieren sehr ungenirt die Sessel aus dem Weg rückten. Zu gleicher Zeit sahen diese wie ein Theil der Mannschaft, gelenk wie Katzen, an den Wanten(9) hinauflief; die leichteren Segel flatterten dabei aus, und wurden eingeholt und befestigt, die leeren Raaen(10) queer gebraßt, und auf den Marsraaen, dessen Segel in der frischer werdenden Brise schlug und flappte, lagen die Leute mit der Brust auf, die Füße gegen das scharfangespannte Lauftau gepreßt und mit dem Oberkörper in freier Luft hängend, das ausschlagende schwere Segeltuch zu fassen und einzuziehen, um es in die Reefbänder zu schlagen, und kleinere Fläche der Leinwand einem jedenfalls erwarteten Sturm zu bieten.

Die Passagiere sahen allerdings im Anfang erstaunt auf und umher, denn das Wetter war, bei fast völliger Windstille, mild und warm gewesen, und eine leichte Brise, die sich nach und nach erhoben und das Schiff wieder langsam durch die klare, fast spiegelglatte Fluth trieb, von ihnen wohl freudig begrüßt worden, aber keinem als irgend Gefahr drohend erschienen. Der erste überraschte Blick umher überzeugte aber bald alle, selbst die größten Laien in der Wetterkunde, daß der sonnige Morgen einem stürmischen Mittag werde weichen müssen. In Nord-Westen stiegen schwere dunkle Wolkenmassen auf, die dem Wasser schon ihren fahlen Bleiglanz mitzutheilen begannen, über die See zog es in dunkelstreifigen, flüchtigen Kräuselwellen, wie die Vorboten des nahenden Wetters, und als die schwache Brise endlich wieder vollständig erstarb, die düstere Wolkenmasse aber, die bis jetzt fast auf dem Horizont gelegen, mit rasender Schnelle höher und höher stieg, da bat der Capitain, der bis dahin an Nichts anderes gedacht hatte, als sein Schiff auf das kommende Wetter vorzubereiten und seine Segel zu bergen, die Passagiere dringend, hinunter in die Cajüte und dem Unwetter aus dem Wege zu gehn, daß sich die Mannschaft frei bewegen könne. Fast alle fügten sich auch dem Wunsch nur zu bereitwillig, die meisten selber froh unter dem schützenden Dach der Cajüte den Ausbruch des Sturmes erwarten zu dürfen; nur Herr von Hopfgarten holte sich rasch seine geölten Seemannskleider, die er sich zu diesem Zweck besonders angeschafft, hervor, zog sie an, setzte seinen Südwester(11) auf, und stieg, die Hände in die Taschen schiebend, wieder an Deck, dem Sturm »die Wetterseite zu bieten.«

Diese unheimliche, und einem heftigen Orkan sehr oft vorhergehende Stille dauerte aber nicht lange; im Nord-Westen nahm der Meeresspiegel eine vollkommen dunkle Färbung an, wie sich die Kräuselwellen da vor der heranbrausenden Windsbraut hoben, und als die Windsbraut herankam und das Schiff faßte, durch die Blöcke und Taue pfiff und über die nackten Raaen heulte, fegte sie auch schon die oberen Tropfen von den aufspritzenden, wie ängstlich zuckenden Wellen, und lehnte sich jetzt hinein in das Meer, das ruhige aufzurütteln aus seinem Schlaf.

Hui wie es da drängte und bohrte und die Segel faßte und schüttelte, die es noch wagten ihm Trotz zu bieten, während es dem stöhnenden Schiff pfeilschnell die bäumenden Wogen entgegenjagte; wie die Masten ächzten und sich elastisch der furchtbaren Kraft beugten, und die schweren Raaen in ihren Ketten klirrten und die Falle, und Taue zum Zerspringen spannten. Aber machtlos griff der Sturm in das künstliche Gebäu, das des kecken Menschen Hand, selbst seinen Schrecken zum Trotz, muthig und sicher über die brausenden Wogen führte; zur rechten Zeit waren alle überflüssigen Segel geborgen und die nöthigsten dicht gereeft, dem Orkan so kleine Fläche als möglich zu bieten, und was noch stand, an dem konnte er rütteln und reißen und seine Kraft versuchen; die Leinwand war stark und neu und die Taue hielten seinem wildesten Sprung und Drang.

Aber die Passagiere hatte er überrascht, denn sie waren bis jetzt an ruhiges Wetter und ziemlich gleichmäßigen Wind gewöhnt, der es den Leuten erlaubte ihre Segel in Ruhe zu setzen oder einzunehmen. Die nöthigen Befehle waren dabei auch natürlich in aller Ruhe gegeben, und von den Leuten eben so ausgeführt worden; das aber änderte sich jetzt wie mit einem Zauberschlag, und in dem wüsten Lärm der Seeleute, dem sich das Toben der Elemente gesellte, schien dem Laien jede Ordnung im Schiff gerade in dem Moment gelöst und aufgehoben, wo die Gefahr zum ersten Mal mit eiserner Faust an ihre Planken schlug. Die Offiziere schrieen ihre Befehle, jedem Ohr unverständlich und in dem Heulen des Sturmes wild und ängstlich klingend, über Deck, die Matrosen selber stürzten herüber und hinüber, die Segel hingen eine Zeitlang gelöst und schlugen an die Masten, die Taue fuhren wirr durcheinander, und die Hast, mit der die zum Reefen aufgeschickten Leute nach oben eilten, nach rasch ausgeführtem Befehl wieder an den Pardunen niederglitten, und die Raaen dann unter dem schrillen Ruf des Steuermanns und dem ihnen so ängstlich klingenden Taktsang der Matrosen aufgezogen wurden, bestätigten bei Vielen den schlimmsten Verdacht, und machte ihre Herzen rascher klopfen.

Die Cajüte konnte sich da noch eher Raths erholen; besorgte, an die Steuerleute oder den Capitain gerichtete Fragen der Damen, wurden beruhigend beantwortet, und die Gewißheit gerade, mit der die Offiziere den Sturm vorausgesehn, und die nöthigen Vorkehrungen dagegen getroffen, hatte schon an sich etwas Trost und Vertrauen Erweckendes. Schlimmer sah es dagegen im Zwischendeck aus, wo eine Menge Frauen und Kinder, in den engen dunklen Raum gebannt, über dem sie nur das unheimlich rasche Laufen der Seeleute und das Heulen des Sturmes hörten, durch ihr Jammern und Stöhnen und Wehklagen die Verwirrung, die überdieß schon unten herrschte, noch arg vermehrten.

Wie dabei der Wind über die See tobte, hoben sich die Wellen höher und höher, das Schiff fing an zu stampfen und in den anstürmenden Wogen herüber und hinüber zu schlingern, daß in dem dumpfigen Raum hie und da schon wieder die Seekrankheit ihren Arm nach einzelnen unglücklichen Opfern ausstreckte. Die um die Mittelstützen des Zwischendecks befestigten Koffer und Kisten schurrten dabei, so weit es ihnen die nach und nach locker gewordenen Taue gestatteten, mit der Bewegung des Schiffes bald nach dieser bald nach jener Seite, und drohten in der That sich nach und nach völlig loszuarbeiten aus ihren Banden, wie einzelne Schachteln mit unvorsichtig dort aufgespeicherten Vorräthen, Stücken Fleisch und Zwieback, Zwiebeln und Kartoffeln, oder auch nachlässig aufbewahrte Gefäße und Flaschen, plötzlich laut wurden und hervorpolterten, den Passagieren dadurch einen ungefähren Begriff gebend, was sie zu erwarten hätten, wenn sich das _schwere_ Gepäck losscheuere und mit seinem Gewicht und den scharfen Ecken und Kanten über sie hereinbreche und herüber und hinüber schleudere.

Einige der Zwischendeckspassagiere machten sich nun zwar bereitwillig daran, einer solchen Fatalität durch festes Schnüren der Taue in Zeiten vorzubeugen; bei dem immer stärkeren Schaukeln des Schiffs wurde das aber mehr, als sie auszuführen vermochten; das Arbeiten in dem niederen dumpfen Raum machte sie schwindlich und übel, und Matrosen mußten zuletzt zu Hülfe gerufen werden, die gelösten und nicht wieder ordentlich befestigten Taue, die jetzt hie und da nachgaben, auf’s Neue zu verbinden und Unglück zu verhüten.

Was übrigens im Anfang selbst dem Capitain nur als ein eben so rasch wie es gekommen, vorübergehendes Gewitter geschienen, artete zuletzt wider Erwarten in einen ordentlichen Sturm aus, der mit der untergehenden Sonne neue Kraft gewann. Die Segel blieben dicht gereeft, die Luken wurden, des niederströmenden Regens wegen, mit getheerter Leinwand überhangen, und die Wellen wuchsen natürlich, durch ihre eigene Schwere von Stunde zu Stunde, bis sie die weisgekrönten Kämme, wie funkelnde Mähnen, im Ansturm gegen den starken Bug des Schiffes trugen, und ihre Stirnen wild und dröhnend, immer und immer wieder vergebens, dagegen schmetterten.

Die Haidschnucke kämpfte sich indessen still und unverdrossen ihre Bahn, während der Widderkopf, den sie als Brustbild auf der Gallion vorn trug, ihr alle Ehre machte. Den starken Nacken gebogen, einem wirklichen Widder gleich, setzte er zum Stoß ein, den anprallenden Wogen gegenüber, und wenn sich die hochaufbäumenden an ihm brachen, und schäumend und brausend ihre Sturzseen über Deck warfen, stieg er fest und trotzig, von dem glühenden Meeresschaum hell erleuchtet, daraus empor, den wilden wüsten Schlachtplan überblickend, und es war fast, als ob er sich einen neuen Gegner herausfordernd suche, zum Kampf auf Leben und Tod.

In der Nacht gab es wieder viele Kranke an Bord, und Stöhnen und Aechzen, Beten und Fluchen tönte aus dem niederen dunklen und dumpfigen Raum empor, dem nur manche mal eine bleiche, sich überall krampfhaft anhaltende Gestalt entstieg, den Schiffsbord zu suchen, sich daran festzuklammern, und was sie drückte, hinüber zu werfen in die boshafte tückische See. Wehe dem Armen dann, wenn er mit schwindelndem Hirn, und von dem ihn umrasenden Sturm betäubt, die Leeseite, nach der er sich zu wenden hatte, mit der Luvseite verwechselte, und gegen den Wind seinem Leiden Luft machen wollte; der boshafte Sturm warf ihm das dann gewiß erbarmungslos wieder zurück und entgegen, und eine nachstürzende See spühlte den Armen vielleicht mitleidig dem nach, nach Lee hinüber, von wo er sich triefend und betäubt die Bahn wieder nach unten suchen mußte, seiner dunklen Coye zu.

Oh wie lang, wie entsetzlich lang dauerte die Nacht, in der selbst den Gesunden das Kreischen der Kinder, das Jammern der Frauen, das Stöhnen und Aechzen der Seekranken, wie das Werfen der Falle und das Stampfen der Matrosen an Deck, jeden Augenblick Schlaf raubte oder verkümmerte. Dabei peitschte draußen die Fluth, die schwachen Planken, die sie allein von der Unendlichkeit trennten, und die furchtbaren Stöße, mit denen der scharfe Bug des Schiffes den anprallenden Wogen begegnete, während ganze Fluthen von vorn nach aft über Deck strömten, machten den mächtigen Bau bis in den Kiel hinab erzittern, und füllten oft die Herzen selbst der Unerschrockensten mit jenem eigenthümlich unbehaglichen Gefühl, daß Holz und Eisen doch am Ende nicht auf die Länge der Zeit solchen unermüdlichen, unausgesetzten Anprallen werde widerstehen können. Und wenn es brach? — wenn sich die tolle Fluth die Bahn erzwang in die jetzt Leben gefüllten Räume, wenn die gierigen, donnernden Wogen nur einen Zollbreit Raum gewannen, nur daß sie Halt bekamen an dem Mark des Schiffs, was dann? — ein wilder Todeskampf, ein Angstgeschrei, der den inneren Raum erfüllte, und mit den Wogen machtlos kämpfend rangen hunderte von Wesen, deren Herzen jetzt noch warm und hoffend schlugen — rangen und versanken, der nächsten Sonne nur in wenig einzeln treibenden Hölzern den Ort verrathend, an dem die Tiefe sie verschlang.

Mit vollkommen ruhigem und kaltem Blut betrachtet indessen der Seemann den Aufruhr der Elemente. An das Schiff denkt er dabei, daß er es sicher und unbeschädigt durch die Wogen führe, nicht an sein Leben, das dem Schiff gehört. Gewohnheit stumpft den Menschen auch zuletzt gegen eine wieder und immer wieder kehrende Gefahr ab, sei sie noch so groß; und fast mechanisch thut er Alles, was ihm der Augenblick eben zu thun gebietet. Sind dann die Segel dicht gereeft, ist Alles an Deck so gut befestigt wie es geht, jede Luke geschlossen und keine drohende Küste in Lee, von der abzukreuzen, sonst alle Kräfte angespannt werden müßten, dann hat der Schiffer gethan was eben in seinen Kräften steht, und auf gutem, seetüchtigem Schiff, vertraut er das und sein Leben ruhig dem Schutz des Höchsten.

Auf offener See ist die Gefahr auch lange nicht so groß; es muß da ordentlich wehn, und eine furchtbare See muß stehn wenn es dem wirklich guten Schiff verderblich werden soll. Reißen die Wellen auch dann und wann einmal ein paar Ellen Schanzkleidung(12) über Bord, oder waschen sie gar das Deck rein von Kambüse(13) und Wasserfässern, trotz ihren Tauen und eisernen Klammern, der Sturm kann nicht ewig währen, und ein paar Stunden ruhigen Wetters geben dem unerschrockenen Seemann bald wieder Zeit, den gehabten Schaden, so gut das eben auf offener See geht, auszubessern. Nur wenn er Land in Lee weiß, das bedrängte Schiff kaum im Stande ist, sich gegen den Anprall von Wind und Wellen zu halten und die Strömung vielleicht gar noch dem Sturm die Hand bietet; wenn er wieder und wieder über Stag(14) muß dem Wind in die Zähne hinein zu segeln und trotz dem das dämmernde Land immer deutlicher, immer furchtbarer zu ihm herüberstarrt, die Brandung immer drohender, immer furchtbarer an sein Ohr schlägt, dann mag ihm das Herz pochen, und das Auge ängstlich am Horizont nach Rettung suchen, ob sich die Wolken nicht lichten, die wilden Böen nicht legen wollen, dann allerdings lauert der Tod in den dunklen starrenden Klippen, die gierig die Häupter herausstrecken aus der schäumenden Brandung, denn das _Land_ ist des Seemanns Feind, nicht das _Meer_.

In dieser Nacht legte sich der Sturm aber nicht, und wenn er auch gegen Morgen etwas in seinem Grimm nachzulassen schien, nahm er vor Sonnenaufgang auf’s Neue die Backen voll und tobte toller als vorher. »S’ist eine frische Hand am Blasbalg« sagen in dem Fall scherzhafter Weise die Matrosen, denen »eine Mütze voll Wind mehr oder weniger« nicht viel verschlägt. Im Gegentheil; der Lohn geht fort; hält sie der Sturm ein paar Tage länger auf See, gut, desto mehr Geld haben sie zu fordern, wenn sie das Land betreten, und können desto mehr verthun; ja bei schwerem Wetter fallen sogar die lästigen Arbeiten, wie Schiemanns-Garn drehen und Werg zupfen fort, mit denen sie in ruhiger Zeit doch außerdem genug geärgert werden. Die Leute sitzen dann auch meist — mag das Wetter toben so arg es will — ganz ruhig und vergnügt im Lee vom großen Boot und erzählen sich Geschichten und Anekdoten. Sind die Segel dicht gereeft, und haben die Leute genug Taback, dann verlangen sie keine bessere Zeit und sind munter und vergnügt. Nur bei Windstille flucht der Matrose, denn das ist die Zeit, in der er am meisten beschäftigt ist.

Nur wenige von den Passagieren hatten sich aber die Nacht über hinauf getraut an Deck, dem Sturm und den noch fataleren Sturzseeen kühn die Stirn zu bieten. Die aber, die es gewagt, waren auch reichlich durch den wundervollen großartigen Anblick der zürnenden See entschädigt worden. Zischend und schäumend wälzten die phosphorglühenden Wogenmassen herum, mit ihrem geisterhaften Licht die Masten hellend, bis hinauf zu den nackten tanzenden Spieren. Wie von silberblitzenden Adern durchzogen, quollen die mächtigen Wellen am Schiff vorbei, das träge und störrisch nur hindurchzudringen schien, und die See, die sich zu windwärts über dem Buge brach, goß tausend und tausend glimmende Funken über das nasse Deck und schmückte es wie mit blitzenden Edelsteinen. Die Windsbraut hatte dabei den Himmel rein gefegt; mit der Tiefe wetteifernd funkelten die Sterne ihr flammendes Licht herab, und als der Mond dem Horizont endlich entstieg, sandte er seine zuckenden Strahlen wie matte Blitze über die erregte Fluth.

Die Noth im Zwischendeck hatte indeß ihren höchsten Grad erreicht, denn die überstürzenden Seeen, die ihre plätschernde Fluth um die Vorderluke spühlten, schlugen einmal sogar die Leinwand fort, und gossen einen Strom hinab in den unteren Raum. Die Matrosen sprangen allerdings gleich zu und schlossen die Luke mit den Lukenklappen, weiterem Eindringen des Seewassers, weniger der Passagiere, als der unter ihnen eingestauten Fracht wegen, zu wehren, aber der Angstruf der Zaghaftesten, »das Schiff hat einen Leck — wir sinken — wir sind verloren« zuckte mit dem Nothschrei von Lippe zu Lippe, und Alles, was sich noch auf den Füßen halten konnte, drängte jetzt wild zurück, der hinteren Luke zu, den Weg von da an Deck zu finden. Ein gewisser Instinkt trieb die Schaar an die freie Luft, wo eben so wenig Rettung für sie war, als dort unten, wäre ihr furchtbarer Verdacht wirklich begründet gewesen — aber sie wollten nicht im Dunklen sterben.

»Na nu setz mich mal an Land!« rief der Steuermann verwundert, als die Passagiere plötzlich, wie Bienen aus ihrem gestörten Haus, an Deck quollen, und nach dem Boot und um Hülfe schrieen, »Dösköppe, seid Ihr verrückt geworden oder was fällt Euch ein? — wollt Ihr machen, daß Ihr wieder hinunter kommt, oder ich lass’ Euch hier oben noch einmal begießen!«

Die Drohung half aber Nichts, Andere preßten nach, von unten herauf, den Erstgekommenen den Rückzug abschneidend, und eine gerade wieder über das Schiff herüberschlagende See vermehrte die furchtbare Verwirrung der zum Tod Erschrockenen.

Unten im Zwischendeck schrie eine einzelne Frauenstimme mit markdurchschneidenden Tönen nach Hülfe, und unheimlich klang der gellende Laut selbst durch das Gewirr von Stimmen und das Toben der Elemente.

»Aber so nehmt doch nur um Gottes Willen Vernunft an — zurück da mit Euch oder ich lasse die Luke hier ebenfalls dicht machen und keiner Mutter Sohn wieder an Deck herauf« — bat und fluchte der Seemann — aber Alles umsonst; ein panischer Schrecken hatte sich der unglückseligen Passagiere bemächtigt und Einzelne, die von der überstürzenden See fortgewaschen an Deck herumschwammen, und wie sie nur den Mund wieder frei bekamen, nach Rettung brüllten, setzten der heillosen Verwirrung die Krone auf, und trieben jetzt auch die Cajütspassagiere in Todesangst aus ihren Coyen.

Es bedurfte wohl einer halben Stunde Zeit, in der die Matrosen die, die am meisten schrieen, und sich am unsinnigsten geberdeten, anfassen, schütteln und erst wieder zur Vernunft stoßen mußten, bis die Leute nur anfingen zu begreifen, daß ihnen keineswegs eine unmittelbare Gefahr drohe, und der Sturm eben nicht ärger das noch vollkommen tüchtige und dichte Schiff umtobe, als am Abend, wo sie sich ruhig in ihre Coyen zum Schlafen niedergelegt. Die Vernünftigsten der Schaar, die sich doch auch ihres Kleinmuths wegen zu schämen begannen, wollten deshalb eben wieder hinunter in das Zwischendeck steigen, wo der Lärm noch ärger als vorher tobte, auch dahin die tröstliche Nachricht zu bringen, und die Verzweifelnden zu beruhigen, als sich von dort herauf der Tischler Leupold wild und ängstlich die Bahn brach, und nach dem Arzt — dem Doktor schrie, um Gottes und des Heilandes Willen seiner Frau zu Hülfe zu kommen.

»Was ist — was giebts?« riefen die Leute durcheinander, und der Steuermann faßte den halb Rasenden und frug ihn, was geschehen sei; dieser aber riß sich los und bat und flehte, nur den Arzt aus der Cajüte zu holen, damit dieser der Unglücklichen beistehn könnte, die plötzlich _wahnsinnig_ geworden wäre.

_Wahnsinnig_, es ist ein furchtbares Wort, und der Sturm heulte seine tolle Weise darein, die Masten knarrten und ächzten und durch die Blöcke pfiff es wie in wilder unheimlicher Luft.

»Der Arzt — wo ist der Doktor!« riefen die Leute jetzt durcheinander, den Sturm fast vergessend über die augenblickliche, dringendere Noth des Mitpassagiers — »der Doktor!« und selbst der Steuermann, der sich sonst wahrlich nicht beeilte, wenn ein Zwischendeckspassagier oder ein Passagier überhaupt, einen Wunsch aussprach, sprang in die Cajüte hinein, den »Doktor« herauszuklopfen, damit er helfen könne, wenn hier überhaupt menschliche Hülfe noch möglich war.

Der Doktor lag angezogen in seiner Cajüte auf dem Bett, und sprang bei dem ersten Ruf schon rasch und bereitwillig auf, aber er sah selber todtenbleich aus, und ein neuer Angriff der Seekrankheit, mit der Angst um das eigene Leben, hatte ihm jeden Blutstropfen zum Herzen zurückgejagt.

»Doktor machen Sie rasch — eine Frau ist im Zwischendeck wahnsinnig geworden — Sie müssen helfen!« rief der Steuermann.

»Eine Frau wahnsinnig?« stöhnte der unglückliche Sohn Aesculaps — »das ist ja entsetzlich, das ist ja gar zu traurig — was werden — was werden wir ihr denn da gleich eingeben —«

»Sehn Sie sich die Kranke nur erst einmal an« rief aber der Steuermann ungeduldig, als der Doktor in allen seinen Taschen nach seinem Besteck an zu suchen fing — »bis Sie hinunterkommen kann sie todt sein, wenn Sie so lange machen.«

»Ja wenn das aber _so_ schnell geht« sagte der arme Hückler in Verzweiflung, »dann werde ich ihr mit meinem Besuch auch nicht mehr viel helfen können — das ist eine verzweifelte Geschichte und indessen der Sturm« — murmelte er vor sich hin, als er die niedere halbe Treppe an Deck hinaufstieg und sich oben gleich anhalten mußte, auf dem spiegelglatten Deck, nicht nach Lee zu geworfen zu werden — »heilige Dreifaltigkeit, Steuermann, das Deck geht Einem ja unter den Füßen fort — das Schiff ist zu schwer auf der einen Seite.«

»Hätte bald was gesagt,« murmelte aber der alte Seebär zwischen den Zähnen durch, während er ihn auf der linken Seite stützte, daß er nur rascher vorwärts kam.

Unter Deck hatte sich indessen eine Gruppe von Frauen meist um die unglückliche Tischlersfrau gesammelt, die sich den Händen der sie haltenden Männer fortwährend zu entwinden suchte, und dabei laut lachte und schrie, und wunderliche, verslose Lieder sang. Der junge Donner, während er sich mit der linken Hand selber fest an der nächsten Coye hielt und seinen linken Fuß zwischen die dort befestigten Kisten eingeklemmt hatte, hielt sie mit dem rechten Arme umschlungen, daß sie sich nicht selber von ihrem Stand herunterstürzte, und Leupold, mit Herrn Mehlmeiers Hülfe, suchte sie auf der anderen Seite zu stützen und zu beruhigen und sie nur zu bewegen, daß sie sich erst einmal wieder in ihre Coye lege.

Ueber dieser von einer gewöhnlichen Schiffslaterne beleuchteten Gruppe, oben an der steilen, in das Zwischendeck niederführenden Treppenleiter, erschien jetzt der Doktor, und mußte mit Gewalt den Ekel bezwingen, der ihm bei dem furchtbaren Schaukeln des Schiffs, und dem warmen, von unten zu ihm aufströmenden Dunst des inneren Decks zu erfassen drohte. Gerade aber, als er sich umdrehte um niederzusteigen, sah und erkannte ihn die Frau und schrie auf, als ob sie einen Geist erblickt »Er will mich würgen — er will mich würgen.« Der arme Doktor, überdieß nicht auf festen Füßen, drehte sich bei dem Schrei halb um, rutschte auf seinem schlüpfrigen Stand aus und glitt halb, halb fiel er mitten zwischen die Gruppe hinein.

»Hahahaha!« lachte da die Unglückliche hell und laut auf — »hahahaha, er hat den Hals gebrochen, er hat den Hals gebrochen« und sank besinnungslos zurück in Georg Donners Arm, während ihr Mann kaum noch Zeit behielt, sie mit zu unterstützen.

Hückler hatte sich indessen rasch und erschreckt wieder erhoben, und während er sich an der Treppe und den Kisten zu der Patientin hinfühlte, riß Hedwig ihre Matratze aus dem eigenen Bett, sie der Frau vor der Coye unterzubereiten, und kauerte dann neben ihr nieder, ihren Kopf zu unterstützen. Dem Doktor wurde indessen mit kurzen Umrissen die mögliche Ursache des Unglücks mitgetheilt, das der arme Tischler von einem Sturz herrührend glaubte, den die Frau an dem Morgen gethan. Sie war dabei mit dem Hinterkopf gegen eine Kistenecke geschlagen, und trotzdem, daß sich kein Zeichen äußerer Verletzung deutlich machte, viele Minuten lang bewußtlos liegen geblieben; hatte auch nachher, als sie wieder zu sich kam, über Kopfschmerz geklagt, sich jedoch sonst wohl befunden, bis der Sturm an dem Abend überhand nahm, und nun die Angst, vielleicht das Uebel verschlimmernd, die frühere Verletzung des Hirns zum Ausbruch drängte.

_Dr._ Hückler hatte indessen den Puls der Kranken in seiner Hand gehalten, und befand sich in größter Verlegenheit, was ihm in diesem Fall zu thun oder zu lassen bliebe. Der Wahnsinn, weder in seinem Ursprung, noch seiner Wirkung, stand nicht in dem Medicinbuch mit angegeben, und so viel und sorgsam er sich auf fast alle übrigen Krankheiten und Zustände vorbereitet, so wenig hatte er einen solchen Fall für möglich gehalten, ja in der That nicht einmal daran gedacht. Aderlassen! das blieb das Einzige — er hatte auch eine wirkliche Schwäche für Aderlassen, und es befand sich nicht eine Person an Bord, die seine Hülfe in Anspruch genommen, sei es für was auch immer, und ohne einen Aderlaß davongekommen wäre. Keinenfalls konnte der schaden. Sein Besteck also, das er, als er die eigene Coye verließ, fast instinktartig zu sich gesteckt, herausnehmend, ging er auch ohne weiteres daran, die Operation mit gewohnter Fertigkeit vorzunehmen. Georg Donner unterstützte ihn dabei nach besten Kräften und Doktor Hückler, der dadurch wieder seine ganze frühere Zuversichtlichkeit erlangt hatte, verordnete noch, ehe er das Zwischendeck verließ, und als die Kranke wieder Zeichen zurückkehrenden Bewußtseins gab, sie jetzt fest in ihre Coye zu packen, mit Kissen wohl zu verwahren, damit sie nicht herausfallen könne, und sie die Nacht durch ordentlich und fest schwitzen zu lassen.

Georg Donner wollte hiergegen Einspruch thun, Doktor Hückler aber, dem durch den langen Aufenthalt im Zwischendeck selber wieder der Schweiß auf die Stirn trat, und dem es wüst und unbehaglich zu Muthe wurde, hatte seine Instrumente schon zusammengepackt, und verließ rasch den dumpfigen Raum. Donner aber stieg, ohne weiter ein Wort zu verlieren, ebenfalls an Deck, holte einen Eimer voll Seewasser herunter, den er an einen der in den Queerbalken befestigten Haken hing, ließ sich dann von Leupold ein reines Handtuch geben, das er mit dem kalten Wasser netzte, und rieth ihm, die Frau vor der Coye auf der Matratze liegen zu lassen, und ihr fortwährend kalte Umschläge auf die fieberglühende Stirn zu legen, die Hitze daraus zu bannen. Hedwig, die nicht von der Seite der Kranken wich, übernahm das Amt, die Umschläge zu erneuern, und trotz dem furchtbaren Stampfen des Schiffes, das gegen die mit jeder Stunde höher wachsende See fortwährend anzukämpfen hatte, wurde endlich Ruhe im Zwischendeck. — Die Passagiere fanden, daß die Gefahr nicht so nah sei wie sie geglaubt, und ergaben sich endlich — was sie hätten gleich von Anfang an thun sollen — ruhig in ihr Schicksal.

Der nächste Morgen brach trüb und eben noch so stürmisch an; mit der ersten Dämmerung war es fast, als ob sich der Wind etwas legen wollte, wie aber die Sonne roth und flammend aus dem schäumenden Wogenkessel sich hob, gewann der Sturm neue Kraft und heulend und rasend fegte er die See. Hei wie er die mächtigen, mit durchsichtigen Kronen überworfenen Wogen faßte, die Schulter dagegen stemmte, und die bäumenden Kämme aufgriff und in Silberperlen über die grollende See hinaus streute; wie er sich in die fliegenden Berge wühlte und ihnen den Boden unter den Füßen wegriß, neue zu bauen mit _einem_ mächtigen Hauch; wie er sie tanzen ließ die gewaltigen Rosse der See, die in unabsehbaren Reihen sich stürzend und drängend, vor ihm flohen, und seine starke Faust doch immer und immer wieder im Nacken fühlten, wie Sporn und Peitsche, sie zu wilderem Lauf zu treiben, zu rascherem Sturz. Ha wie das kochte und gohr in den Kesseln und Schluchten, und die Schaumesadern zu wirbelnden Trichtern in die Tiefe zog. Schlag auf Schlag donnerte dabei der Wogen Schaar gegen den zerpeitschten Bug des wackeren Schiffes an, doch Stoß um Stoß erwiedernd hob sich das wie mit wachsendem Muth, als der grimme Feind ihm wuchs, auf dessen Nacken, die klare perlende Fluth von den Schultern schüttelnd, dem neuen Gegner keck die Stirn zu bieten. Wie die Wolken über den mattblauen Himmel jagten, als ob sie die Sonne verscheuchen wollten in ihr tobendes Bett und die Möve mit schrillem Ruf ihre Kreise zog in Lee des Schiffs, ein böses Zeichen für den Seemann, der dann wohl sicher weiß daß er noch schweres Wetter zu überstehen hat, trotz Sonnenschein und Licht.

Die Kranke im Zwischendeck hatte die Nacht indessen ziemlich ruhig verbracht; der starke Blutverlust, wie die kalten Umschläge um Stirn und Schläfe, die Hedwig ihr ununterbrochen aufgelegt (denn Leupolds eigene Mutter war selber so seekrank daß sie den Kopf nicht in ihrer Coye heben konnte) schienen ihren Zustand, wenn auch noch nicht ganz gehoben, doch wesentlich verbessert zu haben. Auch die übrigen Passagiere, mit Ausnahme vielleicht von sechs oder acht, wurden das Schaukeln nach und nach gewöhnt, und ängstigten sich nicht weiter über die Sturzseeen, die ihnen wohl ein paar Tons Wasser über Deck schleuderten, aber weiter eben keinen großen Schaden thaten, viel weniger denn die Sicherheit des Schiffes selbst gefährdeten.

Am wackersten hielt sich bei diesem Unwetter die Cajüte, deren Passagiere aber auch luftigere und geräumigere Lager und bessere und leichtere Kost hatten, der Seekrankheit zu begegnen. Nur Fräulein von Seebald hütete an dem Tage noch ihr Bett, heftiger Kopfschmerzen wegen wie sie sich entschuldigen ließ, sonst waren Alle munter und auf den Füßen, und selbst der Mittagtisch versammelte sie heute, wie in stiller Zeit.

Böse Arbeit aber gab es dabei für den Steward und Cajütenwärter, Geschirr und Speisen nicht allein glücklich von der Cambüse über Deck in die Cajüte zu schaffen, sondern auch dort so zu stellen und zu befestigen, daß sie durch das tolle Springen des Schiffs nicht vom Tisch heruntergeworfen wurden. Ein eigenes Gestell, das Herr von Benkendroff gerade nicht unpassend das _Marterholz_ nannte, da es sich nur bei unruhigem Wetter zeigte, und eine Masse für ihn fataler Unbequemlichkeiten mit sich brachte, wurde über dem, auf dem Tisch ausgebreiteten, nicht übermäßig reinlichen Tischtuch festgemacht. Dieses, durch etwa drei Zoll hohe Querhölzer verbunden und in Quadrate getheilt, schloß durch seinen hohen Rand den Tisch vollkommen ein, und hielt Teller und Schüsseln so ziemlich fest, daß sie wenigstens nicht hinunterrutschen konnten, war aber natürlich nicht im Stande das Ueberlaufen der Schüsseln und gefüllten Teller zu verhindern, wenn man sie hätte vor sich auf den Tisch stellen wollen. Diese forderten deshalb auch gebieterisch die ungeteilte Aufmerksamkeit der Essenden, und die geringste Unachtsamkeit blieb gewiß nicht ungestraft.

Herr von Hopfgarten hatte indeß von dem Krankheitsfall im Zwischendeck gehört, war gleich hinuntergegangen sich selber zu überzeugen, und erfuhr dort was Doktor Hückler der Kranken nach dem Aderlaß verordnet habe, und wie diese gerade durch das Gegentheil wenigstens so weit hergestellt worden, sie für jetzt außer Gefahr zu halten. In die Cajüte zurückgekehrt hatte er dann aber auch nichts Eiligeres zu thun, als die Damen davon in Kenntniß zu setzen, und während diese der Leidenden _Eau de Cologne_ zum Einreiben und leichten Zwieback für eine mehr passende Nahrung als die schwere Schiffskost, hinunterschickten, nahm Herr von Hopfgarten den Doktor bei einem Knopf, zog ihn in die nächste Ecke und machte ihm hier die ungeheuersten Elogen wegen der fabelhaften Kur die er in dieser Nacht vollbracht, und womit er jedenfalls das Leben der Frau auf die eclatanteste Weise gerettet habe. Der arme Teufel von »Doktor« wußte freilich im Anfang nicht wohin er aus Verlegenheit sehen sollte, war auch von dem kleinen Mann schon so oft zum Besten gehalten worden, um ihm in diesem Fall gleich zu trauen, daß er es wirklich ehrlich meine; Herr von Hopfgarten verzog aber keine Miene dabei, ja rief zuletzt selbst den Capitain und die übrigen Cajütspassagiere herbei, und gratulirte sich und ihnen einen so wackeren Arzt an Bord zu haben, der mit Kopf und Herz auf der rechten Stelle, eine große Beruhigung für eine, von jeder weiteren Hülfe abgeschnittene Schiffsgesellschaft sein müßte.

Dem Chirurgen Hückler that aber das Lob, das so offen gespendet auch aufrichtig gemeint sein mußte, nicht allein unendlich wohl, sondern er bekam sich auch wirklich selber in Verdacht, in letzter Nacht eine höchst schwierige Kur mit seltener Geistesgegenwart und richtigem Urtheil aufgefaßt und behandelt zu haben, und doch am Ende von der Medicin mehr zu verstehen, als er sich selber zugetraut. Durch dieses Selbstvertrauen aber fühlte er sich gehoben, wurde gesprächig, und fing nun an, wie das leider überhaupt seine Gewohnheit war, einzelne andere, mitunter höchst merkwürdige Kuren zu erzählen, die er in früheren Zeiten gemacht, und wodurch er das Leben schon von anderen Aerzten aufgegebener Patienten mehrmals gerettet haben wollte. Herr von Hopfgarten ging darauf ein sich das Alles aufbinden zu lassen, und Hückler schwamm in einem Meer von Wonne.

Die Suppe wurde indessen aufgetragen, und der Steward, in der linken Hand die Klingel schwingend, mit der er die Passagiere herbeirief Platz zu nehmen, hielt mit der rechten die auf den Tisch gestellte Terrine, in der die heiße Hühnersuppe qualmte, sie vor dem Ueberschwappen zu bewahren. Des Doktors Geschäft war es übrigens bei Tisch die Suppe auszutheilen, und überhaupt vorzulegen, ein Amt das sich der Capitain, mit seinen unangenehmen Consequenzen bei einem stark besetzten Passagierschiff, gern vom Hals geschafft; er saß dabei zu Starbord an der Mitte des Tisches, neben ihm zur Rechten Eduard Lobenstein, und zur Linken Herr von Hopfgarten, während ihm gegenüber Frau von Kaulitz mit Herrn von Benkendroff die Sitze inne hatten. Professor Lobenstein mit Frau und den jüngsten Kindern nahm den vorderen Theil des Tisches ein, und die jungen Damen hatte der Capitain so placirt, daß sie gerade um ihn selber herum zu sitzen kamen. Das Schiff lag dabei fast vollständig auf der Larbordseite, den an diesem Bord bei Tische Sitzenden eine keineswegs bequeme Stellung gewährend, obgleich die Mahagony- und mit geflochtenem Rohr überzogenen Bänke, auf denen sie saßen, wohl befestigt waren, und nicht wanken und weichen konnten.

So wie Doktor Hückler am Tische Platz genommen, und die Terrine mit der linken Hand gefaßt hatte, ließ der Steward sie los, um weitere Bedürfnisse der Tischgäste herbeizuholen, und während sich die übrigen Passagiere ebenfalls setzten, füllte der Doktor jedem seine Portion auf den dargereichten Teller. Das Schiff schwankte dabei nach allen möglichen Richtungen hin, und die Damen besonders hatten im Anfang beide Hände voll zu thun, nur ihren Teller mit der Suppe zu balanciren, daß er nicht bald da bald dort überlaufe. Es gehörte auch erst in der That einige Uebung dazu, dies Geschäft der linken Hand allein anzuvertrauen, und, mit den Augen fest auf den Tellerrand geheftet, der geringsten Bewegung augenblicklich zu begegnen, mit der rechten Hand indessen nach dem Löffel herumzufühlen, bis man den glücklich fand, und nun mit äußerster Vorsicht daran zu gehen sein Theil dem Munde zuzuführen. An ein Hinsetzen des Tellers auf den Tisch durfte, ehe abgegessen war, gar nicht gedacht werden. Die einzige Schwierigkeit für den Doktor selber war indessen, daß er, als er Allen ausgefüllt hatte, seinen eigenen Teller nicht bedenken konnte, ohne die Terrine preiszugeben, das Schwanken des Schiffes hatte jedoch für den Augenblick ein wenig nachgelassen, die Terrine selber war auch fast ganz geleert, und sie deshalb zwischen eine Schüssel mit Kartoffeln und das Querbret so fest als möglich einzwängend, daß sie ziemlich sicher stand, begann er seine eigene Portion, denn Hühnersuppe war ein Leibgericht von ihm, zu verzehren.

»Herr Capitain« sagte er dabei, »Sie erlauben mir wohl daß ich nachher der Kranken einen Teller von dieser Suppe in’s Zwischendeck schicke; die wird ihr gut thun.«

»Ja woll Doktor, man tau« sagte Capitain Siebelt, der mit dem Doktor, sehr zu dessen Aerger, am liebsten platt sprach — »wo geiht et denn?«

»Oh gut, Capitain, ich denke wir sollen sie durchbringen, und heute Abend will ich ihr wieder eine Portion Schröpfköpfe setzen. Das Blut gestern sah dick und trübe aus, und kam faul und schleimig aus den Adern, aber ich denke wir bringen sie durch.«

Herr von Benkendroff sah den Sprecher, der ihm durch solche Beschreibung das Essen zu verderben drohte, mit einem höchst mißvergnügten Blicke an, sagte aber kein Wort, und der Doktor, dem das heraufbeschworene Bild andere, ähnliche seiner früheren Praxis vor die Seele rief, fuhr in dem vergeblichen Versuch ein Hühnerbein zu bewegen auf dem Löffel liegen zu bleiben, schmunzelnd fort:

»Wissen Sie Capitain, in Bremerhafen der Matrose, der im vorigen Sommer an Bord des Gellert von der Raanocke herunter und auf den Anker des daneben liegenden »Alexander White« fiel, und sich auch den Hinterkopf so bös dabei verletzte, der brach zwei Stunden lang die reine Galle, und lag drei volle Tage besinnungslos, ehe er wieder zu sich kam. An dem haben wir was herumgeschröpft und Adergelassen.«

»Aber ich bitte Sie um Gottes Willen Doktor, schweigen Sie doch nur ein einziges Mal, wenigstens über Tisch, von ihren abscheulichen Operationen und Krankheiten« bat ihn da Henkels junge Frau, »Sie verderben uns jedes Mal das Essen.«

»Aber beste Madame Henkel« entschuldigte sich der Geschäftseifrige — »es sind das so natürliche Sachen, und was mit unserem eigenen Körper in Verbindung steht, sollte uns eigentlich nie Ekel verursachen — Hautkrankheiten vielleicht ausgenommen, besonders mit feuchten —«

»Ich verlasse den Tisch, wenn Sie nicht aufhören!« rief aber die junge Frau, jetzt ernstlich böse gemacht.

»Sie thäten überhaupt besser sich mehr mit Ihrem Teller zu beschäftigen« bemerkte jetzt auch Herr von Benkendroff, »Sie haben schon zweimal übergegossen, und die ganze Geschichte kommt hier nach uns herüber.«

»Halten Sie die Terrine!« schrie in demselben Augenblick der Capitain, halb von seinem Sitze emporfahrend, als das Schiff plötzlich scharf nach Starbord überlegte; der Tisch stand in dem Moment fast ganz gerade, ja lehnte eher noch etwas nach rechts hinüber, trotzdem daß das Schiff auf der Larbordseite lag. Der Doktor sah sich deshalb, so von allen Seiten zugleich ermahnt, auch bestürzt nach dem Capitain um, aber kaum wandte er den Blick von dem eigenen Teller, als dieser seinen Inhalt auch auf das Tischtuch ausleerte, und wie er ihn rasch und erschreckt, wenn gleich etwas zu spät, auskippte, holte das Schiff zurück.

»Die Terrine!« schrie nochmals der Capitain, aber das donnernde Getöse einer über Bord schlagenden See, die das Schiff bis in seine innersten Rippen erzittern machte, und an Deck prasselte, als ob sie Breter und Planken in Atome schmettern müßte, ließ seine Warnung, mit der Verwirrung die ihr folgte, ungehört verhallen. Die ganze Tischplatte stand in dem furchtbaren Wurf fast senkrecht, und die Terrine mit allem was sie noch an heißer Hühnerbrühe enthielt, mit Kartoffeln und Erbsen, und sämmtlichen Messern und Gabeln wie sämmtlichen Suppentellern der Starbordlinie kam in dem Augenblick, wo sich die Passagiere nur an den Bänken halten mußten nicht selber fortgeworfen zu werden, nach Lee hinüber, und zwar erhielt Frau von Kaulitz, die nie außer in einem seidenen Kleide bei Tische erschien, den Vortheil der ganzen Suppe, von der nur noch höchstens ein Teller voll der Weste und den Beinkleidern des Herrn von Benkendroff zu Gute kam, während die Erbsen und Kartoffeln ziemlich gleichmäßig über die anderen beiden Flanken vertheilt wurden. Selbst der Tisch, gegen den sich der Doktor mit seinem ganzen Gewicht warf, drohte aus seinen Klammern und Schrauben herausgerissen zu werden, und wäre auch richtig gefolgt, hätte der eben in die Cajüte kommende Steward nicht mit vieler Geistesgegenwart die Sauce der Frau Professorin in den Schooß, und sich selbst, indem er die Füße gegen die Wand stemmte, mit der Schulter gegen die Tischplatte geworfen, wenigstens das noch daraufstehende Geschirr zu retten, das jetzt in den Querhölzern des Aufsatzes hängen blieb.

Ueberall in der ganzen Cajüte klirrte und klapperte es dabei, in dem Vorrathsspintge fielen die auf solchen Wurf nicht vorbereiteten Flaschen und Gläser durcheinander, in den verschiedenen Coyen stürzten Bücher, Cigarrenkisten und andere Sachen zu Boden nieder, und schurrten dort, mit der späteren Bewegung des Schiffes herüber und hinüber, und in der Coye des Fräulein von Seebald klirrte es und brach’s, und das Fräulein stieß einen durchdringenden Schrei aus.

Der Doktor trug übrigens die ganze Schuld, und kaum hatten sich die Passagiere nur wieder in etwas zusammengelesen und das Schiff einen ruhigeren, wenigstens nicht mehr so kopfüberen Gang angenommen, als Alle über den armen Teufel herfielen und ihm die bittersten Vorwürfe machten die Terrine nicht gehalten, den Tisch nach vorne übergestoßen, und mit beiden Ellbogen noch sämmtliches anderes Geschirr nachgeworfen zu haben. Frau von Kaulitz war dabei außer sich, und gerieth noch in größeren Zorn, als sie sich in ihre Cajüte zurückziehen wollte, und deren Thüre verschlossen fand. Die Mitbesitzerin weigerte sich dabei sogar hartnäckig zu öffnen, und fügte sich erst nach langem Parlamentiren, der gerechten Forderung, während sie im Inneren den erlittenen Schaden wahrscheinlich wieder so gut das eben anging zu verbessern suchte. Herr von Benkendroff verließ ebenfalls den Tisch, oder vielmehr die Trümmern desselben, und nur Henkels junge Frau, trotz den Flecken die auch ihr Kleid von Wein und Erbsen bekommen, wollte sich todtlachen über die Scene, wie die darauf folgende Confusion, und hörte nicht auf den armen Doktor, als gerechte Strafe für seine ewigen und entsetzlichen Krankheitsbeschreibungen, zu necken und zum Besten zu haben.

An dem Nachmittag legte sich der Sturm. Die See ging allerdings noch hohl, und wie der Druck nachließ, den der Wind selber auf das Schiff ausgeübt, daß dieses sich mehr emporrichten konnte, wurde auch die Bewegung desselben, das Schlingern und Stampfen, eher noch heftiger; aber die Wogen selber beruhigten sich doch mehr, wenn es auch längere Zeit bedurfte ehe diese riesigen Wasserberge, die sich jetzt nur noch durch die eigene Schwere hoben, und mit zerfließendem Kamm in sich zusammenbrachen, vollständig in ihr altes Bett zurückkehren konnten.

Der bis dahin so ungünstig gewesene Wind, der das Schiff mehr zurückgeworfen, als in seinem Cours vorwärts gebucht hatte, räumte mehr und mehr auf(15), die Reefen wurden ausgeschüttelt, die Raaen aufgebraßt, die leichteren Segel wieder gesetzt, und am nächsten Morgen flog das wackere Fahrzeug fast vor dem Wind, und nur noch etwas gegen die schwere See ankämpfend, rasch und flüchtig seine Bahn entlang, dem fernen Ziel entgegen.

 

 


Capitel 7.

LEBEN AN BORD.

Vierzehn Tage waren nach dem, im vorigen Capitel beschriebenen Sturm verflossen, und nichts Besonderes in der Zeit an Bord der Haidschnucke vorgefallen. Der Wind blieb ihnen aber, wenn auch nicht besonders stark, doch ziemlich günstig, daß sie wenigstens fortwährend Cours anliegen oder steuern konnten(16), und bei dem herrlichen und schönsten Wetter den ruhigen Passat benutzen durften. In jenen Breiten weht die Luft so gleichmäßig, daß sogar eine Veränderung an den Segeln nur selten nöthig war, und die Passagiere, die auch wohl sahen daß sie tüchtig dabei vorwärts rückten, fingen schon an ungeduldig zu werden, frugen unaufhörlich die Steuerleute und Matrosen wann sie wohl »nach Amerika« kommen würden, und kramten den ganzen ausgeschlagenen Tag in ihren Kisten und Kasten herum ihre »Uferkleider« wieder vorzusuchen, Stiefeln und Schuhwerk von Schimmel zu reinigen, Wäsche auszuwaschen, und Tuchröcke und Hosen an die Luft zu hängen und auszusonnen.

Eine eigenthümliche Veränderung war aber doch mit manchem der Passagiere, während der langen Seereise, vorgegangen. Besonders die Männer, die sich im Anfang noch, als ihnen das Schiffsleben fremd und ungewohnt vorkam, wenigstens sauber und reinlich gehalten, und regelmäßig ihre gewöhnliche Kleidung angelegt hatten, als ob sie an Land gehen wollten, fingen an nachlässig zu werden, und ließen ihrer Bequemlichkeit in dem Schmutz des Zwischendecks den Zügel schießen. Diesen voran waren Steinert, und selbst Mehlmeier, die schon lange ihre Tuchkleider in die Kisten gepackt, und nur noch in den ersten Wochen angefangen hatten zwei und drei Hemden wöchentlich auszuwaschen. Das machte ihnen aber bald auch zu viel Müh’; wozu sich vor den Anderen geniren? — mit der Cajüte, so oft sie das auch versucht, kamen sie doch in keine Berührung, denn das nicht unbegründete Gerücht daß sich Ungeziefer im Zwischendeck gezeigt, hielt jetzt selbst Herrn von Hopfgarten ab sich noch zwischen die Leute zu mischen, und für ihre gewöhnliche und alltägliche Gesellschaft waren sie auch so gut und reinlich genug. In zertretenen Pantoffeln und abgerissenen Staubhemden und Hosen, Steinert ein rothgesticktes sehr schmutziges Sammetkäppchen, Mehlmeier eine einfachere aber nicht reinlichere östreichische Mütze auf (wobei der vergoldete Knopf vorn, wie der gelbe Streifen darum ihm das Ansehn eines heruntergekommenen Beamten gaben) trieben sie sich den Tag über an Deck herum, und warfen sich den Abend meist unausgezogen auf ihr Lager. Steinert trank dabei; aber der Wein, den er sowohl wie Mehlmeier zu ihrer Stärkung unterwegs mitgenommen, war lange verbraucht, und der Weinreisende sah sich genöthigt seiner durstigen Kehle den leichter zu bekommenden aber auch gefährlicheren Branntwein zu gönnen. Er betrank sich allerdings nicht, aber er wurde sehr lustig und laut, und Mehlmeier, der ihm gerade nicht regelmäßig, aber doch sehr häufig Gesellschaft dabei leistete, setzte sich dann zu ihm und sang mit ihm, bis sie gewöhnlich Abends von dem wachthabenden Steuermann zur Ruhe verwiesen wurden, weil die zur Coye gegangenen Matrosen nicht schlafen konnten.

Noch immer der Alte war und blieb Zachäus Maulbeere, der Exprediger des Zwischendecks, der aber nichtsdestoweniger, und trotzdem daß es ihm an Deck verboten worden, im unteren Raum noch mehrmals Reden, und zwar meist in der angefangenen Art gehalten, und immer eine bereitwillige Schaar Zuhörer gefunden hatte. Die Bessergesinnten wollten es freilich auch unten nicht dulden, und der fromme Weber meinte der damalige Sturm sei unmittelbar der Gotteslästerung gefolgt, ja ihr ganzes Schiff würde noch dem Zorn des Allmächtigen verfallen, wenn sie den schlechten Menschen seine nichtsnutzigen und teuflischen Reden unter sich halten ließen, die Mehrzahl war aber gegen ihn, und die Steuerleute mochten sich nicht in das mischen was unter Deck vorging, so lange es nicht das Schiff selber betraf und schädigte. Uebrigens trug er noch — und kein Mensch an Bord hatte ihn je ohne den gesehn — denselben verblichenen grünen Oberrock mit den glatt und glänzend gescheuerten Schultern, den er an dem Morgen getragen, als er den Weserkahn zuerst betrat. Selbst Nachts that er ihn nicht von sich, und anstatt sich überhaupt vor Schlafengehn, wie man es im gewöhnlichen Leben doch eigentlich thut, zu entkleiden, zog er im Gegentheil zu dieser Zeit noch einen alten einmal blau gewesenen Mantel mit drei oder vier Kragen, _über_ seinen Rock, brachte die Kragen dann durch einen plötzlichen Ruck nach oben unter den Kopf, schob sich mit einem der nägelbeschlagenen Schuhe, die er ebenfalls nie von den Füßen that, die wollene Decke zur Hand, zog sie bis an sein Kinn, und war dann meistens schon nach wenigen Minuten fest und schnarchfähig eingeschlafen. Die Wäsche hatte ihn dabei noch Niemand an Bord wechseln sehen, und war es, so mußte es heimlich in der Nacht geschehen sein, wie eine Sache wegen der man sich zu schämen hätte. Den Rock trug er übrigens seit den letzten 14 Tagen bis oben an den Hals hinauf zugeknöpft, oder vielmehr mit Bindfaden zugebunden, da der oberste Knopf der ununterbrochenen anstrengenden Beschäftigung erlegen war. Nicht einmal die gesprenkelte Weste kam mehr zu Tage.

Die einzige Person auf dem ganzen Schiff, mit der Maulbeere je verkehrte und sich manchmal unterhielt — wenn das Gespräch der Beiden überhaupt eine Unterhaltung genannt werden konnte, — war der Mann mit den kurzgeschnittenen Haaren, der sich selber Meier genannt, seine Frisur aber keineswegs beibehalten, sondern der Natur, seit er auf dem Schiffe war, völlige Freiheit gelassen hatte, ihm Kopf, Kinn und Oberlippe wieder nach Herzenslust mit schwarzen struppigen dichten Haaren zu überziehen. Er sah auch äußerlich dadurch ganz anders aus, als wie er vor so viel Wochen das Schiff betreten hatte, in seinem Betragen änderte das aber Nichts, und fest und verschlossen gegen Alle, blieb der eben so schweigsame Scheerenschleifer wirklich der Einzige an Bord, den er für würdig hielt manchmal eine oder die andere seiner Bemerkungen hingeworfen zu bekommen, wonach es diesem dann vollkommen frei stand, irgend etwas darauf zu erwiedern oder nicht. Seine Frau, eine schlanke, nicht unschöne aber etwas abgelebte Gestalt, schien am allermeisten von sämmtlichen Passagieren des ganzen Schiffes an der Seekrankheit gelitten zu haben, die sie wirklich nur in den windstillen Tagen gänzlich verlassen hatte. In der übrigen Zeit lag sie in ihrer Coye fest eingehüllt und zugedeckt, fröstelnd und gegen den unerbittlichen Feind ankämpfend, und ließ sich fast nur in der Dämmerung auf Deck sehn. In der Zeit ging sie etwa eine Stunde oben zwischen dem Haupt- und Fockmast ganz allein auf und ab, und sprach und verkehrte mit Niemandem. Nur mit den Kindern gab sie sich gern und viel ab, redete sie freundlich an, gab ihnen Zucker und Zwieback, und nahm wohl auch eins der kleineren, wenn sie es sich gefallen ließen, auf den Schooß, und hätschelte und küßte es dann, und wollte es fast nicht wieder aus den Armen lassen. Aber die Kinder fürchteten sich, sonderbarer Weise vor ihr, und nur selten, höchst selten konnte ein oder das andere einmal bewogen werden die Liebkosungen der fremden Frau standhaft zu ertragen. War es aber wirklich geschehn und hatten sie ihren Zwieback oder Zucker bekommen, dann schossen die kleinen Dinger auch gewiß so rasch sie konnten zu den Eltern zurück, drückten sich in deren Nähe, und es war fast als ob sie nun dort das unheimliche Gefühl erst abschütteln müßten, das ihnen bis jetzt die Kindesbrust beengt.

Am besten jedenfalls von allen Zwischendeckspassagieren hatte sich bis jetzt die Weberfamilie in das Schiffsleben hineingefunden. Er wie sie waren auch nicht einen Augenblick müßig an Bord, so lange die Sonne schien, und während die Frau für die Cajütspassagiere wusch und nähte, und besonders von Lobensteins eine Menge Arbeit bekam, die sie mit größter Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit ausführte, dann nebenbei auch noch ihre Kinder beaufsichtigte und, ein Muster den Uebrigen, sauber und reinlich hielt, half er dem Koch in der Küche das Geschirr auswaschen und scheuern, und wenn das beendet war, dem Zimmermann an Bord die verschiedenen nöthigen Arbeiten verrichten. Besonders eifrig zeigte er sich bei dem letzteren, die verschiedenen kleinen Handgriffe seines Geschäfts zu erlernen, und mit gutem Willen, von dem Zimmermann selber gern dabei unterstützt, gelang ihm das auch bald fast über Erwarten.

Wenig oder gar nicht mit seinen Mitpassagieren verkehrte der junge Donner, der still und abgeschlossen sich die meiste Zeit mit Lesen beschäftigte, oder auch wohl hinauf in die Marsen stieg, und Stunden lang hinaussah auf das weite wogende Meer. Nichtsdestoweniger war er von Allen gern gelitten, und wie Einzelne der Passagiere nach und nach erkrankten zeigte er sich vielen auch als wahrer Freund, verabreichte ihnen kleine Mittel und stellte sie wieder her. Das wurde dabei um so dankbarer angenommen, als es sich gar bald herausstellte daß der eigentliche »Doktor« an Bord wenig mehr von seinem Geschäft verstand als eben Aderlassen und Schröpfen, und die Zwischendeckspassagiere nannten ihn schon gar nicht mehr anders als den »Blutegel«. Der Frau des Tischlermeister Leupold hatte sich Donner ganz besonders freundlich angenommen, ohne freilich ihren Zustand wesentlich verbessern zu können. Der Fall an dem Tag, mit den Schrecken der Nacht, hatte gleich bös auf ihr Gehirn wie ihre Nerven gewirkt, und wenn ihr Leiden auch nicht gerade wieder in Tobsucht, wie an jenem furchtbaren Abend, ausbrach, lag sie doch jetzt in theilnahmloser Stumpfsinnigkeit, ohne sich um Mutter oder Gatten zu kümmern oder auch nur nach ihnen zu fragen, auf ihrem Lager, und hielt Stunden lang die Hände fest gegen die fiebrische Stirn gepreßt. Leupolds Mutter, so wie sich diese nur in etwas von dem erneuten Anfall der Seekrankheit erholt, und Hedwig, die sich jeden Augenblick Zeit abstahl bei der Kranken zu sein, pflegten sie unermüdlich, und thaten Alles was in ihren Kräften stand, ihren Zustand zu erleichtern, aber auch das war nur sehr wenig, und dieser selbst von dem jungen Donner — denn Hückler hatte ihn lange aufgegeben — für hoffnungslos erklärt. Uebrigens bekam sie, auf Georg Donners ernstliche Vorstellungen an den Capitain, der im Anfang nicht darauf eingehen wollte, ihre Kost jetzt einzig und allein aus der Cajüte. Lieber Gott, es war wenig genug was sie davon genießen konnte.

Leupold selber hatte bis jetzt das Unglück das ihn betroffen mit großer Standhaftigkeit ertragen, und war nicht von dem Lager der Kranken gewichen Tag und Nacht; hatte er ja doch noch immer eine Hoffnung, daß sich sein Weib erholen könne, und ihm erhalten bliebe. Als aber auch diese ihn zuletzt verließ, und sich ihm die Gewißheit des unersetzlichen Verlustes endlich aufzwang, da brach die Kraft des starken, besonnenen Mannes auch zusammen, und er weinte wie ein Kind. Vergebens blieben alle Tröstungen der übrigen Passagiere, die, mit wenigen Ausnahmen, innigen Antheil an seinem Schmerze nahmen; was er sich selber vorzuwerfen hatte, oder zu haben glaubte, fühlte er auch allein und am schärfsten, und vermochte dem über ihn hereingebrochenen Unglück nicht die Stirn zu bieten. Laut klagte er sich jetzt selber an, leichtsinnig und thöricht sein Glück in der Heimath von sich geworfen und mit Füßen getreten, ja _durch_ seinen Leichtsinn die eigene Frau die ihm nur mit Widerstreben gefolgt, getödtet zu haben, und saß dann wieder halbe Tage lang dumpf vor sich hinbrütend an Deck, den Kopf auf die Reiling gelehnt, und aß und trank nicht, antwortete nicht wenn man ihn fragte, und schaute stier und unverwandt in’s Meer.

Am glücklichsten von allen Zwischendeckspassagieren schien der junge Dichter und »Schriftgelehrte« Theobald — wie ihn Steinert nannte — die Zeit an Bord zu verleben. Seinem eigenen Ausdruck nach flog er wirklich wie eine Biene von Blume zu Blume Honig einzusammeln, d. h. er machte sich nach der Reihe an alle verschiedene Mitpassagiere, die im Bereiche seines Armes waren, und suchte ihre Lebensverhältnisse und Schicksale zu erfahren, die er sich dann unverweilt in sein Taschenbuch unter verschiedene Rubriken eintrug und im Stillen zugleich bestimmte, was davon zu Prosa, was zu poetischen Ergüssen benutzt werden sollte. Manche fand er nun allerdings höchst bereitwillig ihm alles das zu erzählen was sie von sich eben wußten, bei denen lohnte es sich dann aber auch selten der Mühe, denn sie hatten gewöhnlich nur Alltägliches mitzutheilen, und Theobald bekam von ihnen nicht einmal _Wachs_. Die aber, die wirklich etwas des Erzählens Werthes erlebt, rückten nie gern mit der Sprache heraus, ja die interessantesten Persönlichkeiten an Bord, unter ihnen Maulbeere, Meier und zwei der letztgekommenen Passagiere wiesen ihn sogar schnöde und grob genug ab, und sagten ihm, mit noch einigen anderen, schwer wieder zu gebenden Bekräftigungen, er solle sich zum Teufel scheeren und andere ehrliche Leute mit seinen langweiligen und naseweisen Fragen in Ruhe lassen.

Maulbeere besonders, der ihm die frühere Charakteristik noch nicht vergessen und ihn außerdem im Verdacht hatte daß er ihn zeichnen wolle (etwas Schlimmeres hätte Maulbeere gar nicht passiren können) fertigte ihn am gröbsten ab. Sobald deshalb Theobald, oft nur zufällig ihm gegenüber Platz und sein unausweichliches Buch zur Hand nahm, veränderte er stets die Stellung, drehte den Kopf von ihm fort und ihm den Rücken zu, und schnitt ihm dabei von Zeit zu Zeit über die Schulter hin die grimmigsten Gesichter. Er brachte es auch in der That zuletzt dahin daß ihm Theobald wie einen bösgemachten Kettenhund, aus dem Wege ging, und jede weitere Annäherung an ihn, als total erfolglos, aufgeben mußte.

Humoristischer faßte der älteste von den drei geheimnißvollen Passagieren die Sache auf, denn dieser kam einer Annäherung Theobalds, von der er bald den wahren Grund vermuthete, auf halbem Wege entgegen, ließ sich mit ihm, ganz gegen seine sonstige Gewohnheit, in ein wirklich vertrauliches Gespräch ein, und willfahrte auch zuletzt sogar dessen Wunsch, ihm einige Daten aus seiner eigenen Lebensgeschichte mitzutheilen. Theobald vertraute ihm dabei, wahrscheinlich um _sein_ Vertrauen zu erwecken, daß er an einer Biographie berühmter Charaktere arbeite, und, natürlich unter strenger Verschweigung des Namens, wirklich erlebte Scenen interessanter Persönlichkeiten zu sammeln suche. Der Alte sträubte sich, nach dieser offenen Erklärung, allerdings ein wenig, aber Theobalds Ueberredungskunst wußte seine letzten Zweifel und Bedenklichkeiten endlich zu beseitigen, und er begann jetzt dem staunenden Dichter eine Kette von Schicksalen zu erzählen, deren erster Beginn schon diesen mit Staunen und Bewunderung erfüllte, und ihm ganze Schätze von Material für spätere Arbeiten versprach.

Der Mann war, seiner eigenen Aussage nach, der natürliche Sohn eines Fürsten, dessen Namen zu geben er sich hartnäckig weigerte, in seiner Jugend ganz wie Caspar Hauser auf einer wüsten Insel in der Nordsee erzogen worden, und dann später nach Afrika geschafft, dort wahrscheinlich dem, Europäern so verderblichen Klima zu erliegen. Seine gute Natur hatte ihn aber nicht allein gesund und am Leben gehalten, sondern seine persönliche Tapferkeit wie die mitgebrachten Feuerwaffen, ihn auch bald dem König des dortigen Reiches so unentbehrlich gemacht, daß er die Hand dessen einziger Tochter mit der Bestätigung erhielt, einstens, nach dem Ableben des alten Fürsten die Regierung zu übernehmen, als eine Palastrevolution seiner Heirath wie seinen glücklichen Aussichten ein rasches und grausames Ende machte. Der alte Fürst wurde von einem nahen Verwandten, ermordet, und während dieser die Prinzessin selber heirathete nähte man den Fremden, den man beschuldigte durch schändliche Zaubermittel das Vertrauen des alten wackeren Königs erschlichen zu haben, in einen gewöhnlichen Kaffeesack, und warf ihn in’s Meer. Wunderbarer Weise lag dort gerade ein europäisches Schiff vor Anker, das aus Furcht mit in die politischen Wirren verwickelt zu werden, seinen Anker lichtete, und mit diesem zu gleicher Zeit den unglücklich Gerichteten, eben noch am Leben, heraufzog. Er blieb jetzt eine Zeit lang an Bord des englischen Schiffs, das bestimmt war den Sklavenhandel an der afrikanischen Küste zu überwachen, bis dieses mehre reiche brasilianische Prisen genommen hatte und nach Hause zurückkehrte.

Unverhofft und wohl auch unerwünscht wurde sein Wiedererscheinen in Europa von seinem unnatürlichen Vater begrüßt, der aber doch jetzt nicht umhin konnte für den Sohn zu sorgen. Er verschaffte ihm also eine Stelle an der Bärenburger Staats-Eisenbahn, wo er ein sehr ruhiges und zufriedenes Leben hätte führen können, wenn sich nicht eine junge russische Gräfin auf der Durchreise in ihn verliebt, und ihn zu dem thörichten Schritt verleitet hätte sie zu entführen, oder sich vielmehr von ihr entführen zu lassen. Der Telegraph war schneller als ein genommener Extrazug, sie wurden eingeholt, die Gräfin kam, allem Vermuthen nach in ein sibirisches Kloster, und er selber auf die Festung nach Torgau wo er drei Jahre lang in Einzelhaft schmachtete. Seine Drohung endlich, wichtige Familiengeheimnisse eines deutschen Königshauses zu verrathen, verschaffte ihm die Freiheit wieder, und er ging jetzt als geheimer östreichischer Consul nach den Vereinigten Staaten dort — doch er durfte nicht indiscret sein, und wollte von seinen Instructionen Nichts verrathen.

Theobald war dem Beginn der Erzählung in freudiger, man könnte fast sagen gieriger Aufregung gefolgt; je weiter sich der Bursche aber in seine romantische Schilderung verlor, desto stutziger wurde er, hörte auch auf, sich die einzelnen Daten zu notiren, und betrachtete den Erzähler mit einem allerdings noch immer aufmerksamen, doch etwas mißtrauisch gewordenen Blick, der offenem Mißmuth Raum gab, als Jener ihm auch noch den östreichischen Consul aufbinden wollte.

»Lieber Freund« sagte er dabei, während er von dem Wasserfaß auf dem er gesessen, aufstand, und sein kleines Notizbuch in die Tasche zurückschob — »Sie glauben vielleicht daß Sie sich einen Spaß mit mir erlauben können —«

Furchtbares Gelächter unterbrach ihn aber in jeder weiteren Protestation, denn oben in der, mitten auf Deck aufgestellten Berkasse, hatten von ihm ganz unbemerkt die beiden Kameraden des Burschen gelegen, und der ganzen Erzählung mit unbeschreiblichem Behagen zugehört, dem sie erst jetzt Luft machten, als sie merkten daß der »Langhaarige« wie er auf dem Schiffe hieß, doch nicht länger anbeißen wollte.

»Hahahaha!« schrie dabei der Jüngste — »ob er sich nicht Alles dabei aufgeschrieben hat wie ein Polizeispion —«

»Daß ich ein afrikanischer Prinz wäre hat er geglaubt« lachte nun auch der Alte — »aber der östreichische Consul blieb ihm in der Kehle stecken.«

Theobald war entrüstet, und eben im Begriff dem profanen Menschen in voller Verachtung zu erwiedern, besann sich aber noch eines Besseren, drehte sich scharf auf dem Absatz herum, und verließ mit einem durchbohrenden Blick auf die Gruppe, der von einem lauten Hurrah der Uebrigen erwiedert wurde, rasch den Platz.

»Guten Morgen Herr Theobald« sagte in diesem Augenblick Meier der jedenfalls auch ein heimlicher Zeuge der Scene gewesen sein mußte, zu dem entrüsteten Dichter, dem er auf dem anderen Gangweg begegnete — »wünschten Sie nicht vielleicht jetzt auch _meine_ Lebensgeschichte in Ihr kleines grünes Büchelchen zu notiren? — ich stünde Ihnen mit Vergnügen zu Diensten.«

»Gehn Sie zum Teufel!« rief aber Theobald, der den in dem Anerbieten enthaltenen Hohn nicht mißverstehen konnte, in voller Entrüstung, und warf beinah den Waschtrog über den Haufen, an dem des Webers Frau beschäftigt war, nur um dem fatalen Menschen so rasch als möglich aus dem Weg zu kommen. Meier blieb aber stehn, sah ihm erst lächelnd eine Weile nach, und dann sich zu dem Weber wendend, der unsern davon an des Zimmermanns Hobelbank stand und arbeitete sagte er, während er mit dem Daumen seiner rechten Hand über die Achsel hinter dem Fortstürmenden her deutete:

»Ein liebenswürdiger junger Mann das, Kamerad; den müssen wir uns zum Freunde halten, oder er streicht uns rabenschwarz an, wenn er einmal in Amerika unsere Reise beschreibt,« und sich vor heimlichem Lachen ordentlich schüttelnd, ohne daß jedoch sein Gesicht einen freundlicheren Ausdruck dadurch bekommen hätte, stieg er durch die hintere Luke in’s Zwischendeck hinab.

Der Weber sah ihn an während er sprach, und hobelte dann eine Zeit lang ruhig weiter; endlich aber, als ob er mit seinen Gedanken doch nicht recht einig werden könne, legte er den Hobel hin, ging die paar Schritte zu seiner Frau hinüber und sagte, sich das Kinn mit der linken Hand streichend, und nachdenklich in die Luke hinab hinter dem Manne herschauend:

»Wenn ich nur wüßte wo ich das Gesicht von dem da schon früher einmal gesehen habe — vorgekommen ist mir’s schon, darauf wollt’ ich das heilige Abendmahl nehmen, und jetzt zerbrech ich mir schon seit drei Tagen den Kopf wo ich ihn hinthun soll.«

»Wen? — den finsteren schwarzen Burschen, der sich jetzt den großen schwarzen Bart stehn läßt seit er auf dem Schiff ist?« sagte die Frau, ebenfalls in ihrer Arbeit ruhend — »das ist ein mürrischer Gesell, und je weniger man mit ihm zu thun hat, desto besser.«

»Vater« sagte da Hans, des Webers ältester Junge, der für die Mutter die Wäsche ausgerungen und in einen trockenen Kübel gelegt hatte — »der hat beinah so ein Gesicht wie der Fleischer, der an dem Tage bei uns war als es so furchtbar stürmte und regnete.«

»Gott sei mir gnädig ob der Junge nicht recht hat!« schrie die Mutter da, und ließ vor Schrecken die Seife fallen. »Das ist der rohe Mensch der so häßlich von den Kindern sprach; darum ist mir das finstere Gesicht auch immer so fatal und unheimlich gewesen. Herr Du mein Gott, ist mir der Schreck doch ordentlich in die Glieder gefahren« — setzte sie nach einer kleinen Pause tief aufseufzend hinzu — »wo er nur herkommt und weshalb er von daheim fort sein mag?«

»Wegen was Gutem nicht« sagte der Mann mit dem Kopfe nickend, und umsonst hat er sich nicht den dicken Bart und die langen schwarzen Haare kurz abgeschnitten gehabt, wie er von zu Hause fort ist, der Patron. Aber Ihr habt recht, es ist wahrhaftig der Gesell, der damals in dem Unwetter zu uns kam und dann nach der Schenke hinaufging, sich einen Schnaps zu holen. Nun was kümmert’s uns — er hat _uns_ nicht wieder kennen wollen, die wir uns nicht entstellt haben, und das können wir ihm nur Dank wissen — ich werde mich ihm nicht aufdringen, davor ist er sicher, aber wissen möcht’ ich schon was mit ihm los ist.«

»Das ist also seine Frau, die lange hübsche Person, die immer krank in der Coye liegt?« frug die Frau.

»Er sagt’s wenigstens« meinte der Weber — »und sie gilt dafür.«

»Aber wo sind denn seine Kinder?« fuhr die Frau rascher fort — »weißt Du nicht daß er uns damals sagte er hätte so viel — zum Abgeben? — ich hab’ es nicht vergessen, denn das gerade hat mir den Mann gleich von allem Anfang an so verhaßt gemacht.«

»S’war wohl auch nur eine Prahlerei« brummte der Weber achselzuckend — »und er that sich groß mit seiner Gleichgültigkeit. Leider Gottes rühmen sich die meisten Menschen nur gewöhnlich etwas, dessen sie sich eher schämen sollten, wenn sie Verstand wie Herz auf dem rechten Fleck hätten. Ich bin übrigens nur froh daß ich herausbekommen habe wohin ich des Burschen Gesicht thun sollte — der Hans hat doch ein gutes Gedächtniß —«

Und damit ging er zurück zu seiner Hobelbank, wo er gleich darauf die hingelegte Arbeit wieder aufnahm, und rüstig daran fortarbeitete, bis der Koch zum »Schaffen« rief, und der Zimmermann kam, sein Handwerkszeug für die Nacht fortzupacken.

 

 


Capitel 8.

DIE ENTDECKUNG.

Auf dem Quarterdeck hatten sich indessen an dem Nachmittag, sehr zum Aerger der alten Frau von Kaulitz, die heute selbst nicht Herrn von Benkendroff an den Spieltisch fesseln konnte, sämmtliche Passagiere versammelt, den herrlichen warmen und sonnigen Tag sowohl zu genießen, als auch eine Freudenbotschaft des Capitains zu feiern. Dieser hatte ihnen nämlich nach seiner um 12 Uhr genommenen Observation erklärt, daß sie morgen, wenn der Wind so aushielte, oder eher noch ein wenig besser würde, und die Strömung sie nicht zu weit nach Norden versetze (Schiffscapitaine haben in einem solchen Fall immer eine Masse _wenns_, sich die nöthige Hinterthüre aufzuhalten) möglicher Weise, aber noch keineswegs ganz bestimmt, Land sehen könnten.

_Land_ — das Wort, so leise und vorsichtig wie es auch gesprochen, zuckte doch wie ein Lauffeuer durch das ganze Schiff. _Land_ — _Amerika_, die Passagiere strömten in Schaaren herauf aus ihrem dunklen Raum, des Worts Verheißung auch gleich erfüllt erwartend, und schauten nach allen Richtungen hinaus in See, nach Nord und Süd, nach Ost und West, die Küstenreihe zu erkennen, wie sie sich ihre Phantasie bis dahin wohl gedacht und ausgemalt.

»Wo ist es? — dort hinten — ich habe es den ganzen Morgen schon gesehn — oh Gott bewahre, das ist nur ein schwarzer Schattenstreif auf dem Wasser — nein _dort_ hinüber liegts, es muß doch nach Westen sein — aber ich sehe ja Nichts — ja ich auch nicht —« rief und schrie es unter den Passagieren durcheinander, und die Matrosen machten sich ein Vergnügen daraus, die Leute nur wo möglich noch immer mehr irre zu führen. Wenn die Passagiere nun aber auch nach und nach erfuhren, daß das verheißene Land keineswegs schon in Sicht, sondern erst auf morgen angesagt sei, kam doch jetzt auf einmal ein reges, geschäftiges Leben in die Leute, und die selbst, die sich die ganze Reise hindurch kaum geregt, und oft nur mit Gewalt aus ihren Coyen gebracht waren, dem Zwischendeck unten eine Zeitlang frische Luft zu gönnen, krochen hervor aus ihrer Höhle, wie lichtscheue Dachse, und sonnten sich in dem behaglichen Gefühl nun bald wieder festen Grund und Boden betreten zu können, und dem fatalen ewigen Schwanken und Schaukeln enthoben zu sein.

Am lautesten in ihrer Freude waren ein paar Oldenburger Bauernfamilien, die sich besonders unzufrieden auch unterwegs schon über die Schiffskost gezeigt und den Capitain und die Steuerleute fortwährend mit Klagen und Beschwerden bestürmt und geärgert hatten. Bald war ihnen das Fleisch zu fett, bald zu mager gewesen, bald das Brod zu hart, bald nicht genug davon, und fortwährend hatten sie dabei ihren Contrakt zur Hand, nach dem ihnen gute und nahrhafte Kost zugesagt worden für die Dauer der Reise, während sie jetzt das sämmtliche Zwischendeck zu Zeugen aufriefen, ob das, was sie bekämen, gute und nahrhafte Kost genannt werden könne. In _ihrem_ Lande füttere man die Schweine damit, und hier wolle man es Leuten, die ihre schwere Passage bezahlt hätten, als contraktmäßige Kost aufzwingen. Die Leute sahen dabei ärmlich und kümmerlich genug aus, und es war die Frage, ob sie es daheim so gut gehabt, wie sie es wirklich an Bord bekamen; gerade derartige Passagiere sind aber gewöhnlich auf den Schiffen die am schwersten zu befriedigenden, während Andere, die an ein besseres Leben daheim gewöhnt waren, die Dinge gewöhnlich nehmen wie sie sie finden, sich dabei mit Recht denken, daß an Bord eines Schiffes, auf einer langen Reise, nicht eben Alles nach Wunsch gehen könne, und der Reisende gleich von vornherein auf ein gewisses Maaß von Entbehrungen und Unbequemlichkeiten gefaßt sein müsse.

Morgen Land — das Wort verschlang aber in dieser Stunde alle anderen Gedanken, wenn auch das versprochene noch nicht in Sicht war, und viele, viele Meilen Seeraum noch zwischen ihm und dem, mit vollen Segeln dorthin strebenden Schiffe lagen. »Morgen Land« — die meisten Passagiere verwechselten dabei, in dem Freudenrausch des neuen Gefühls, den ersten Anblick, der dann jedenfalls noch sehr fernen Küste mit dem wirklichen Betreten derselben, und dringende Rufe nach dem Steuermann wurden laut, ihnen, wie ihnen das in Bremen versprochen worden, den unteren Schiffsraum jetzt zu öffnen, und von dem und jenem verlangte Kisten vorzuholen, nothwendige Kleidungsstücke und Wäsche herauszunehmen aus dem bis jetzt verschlossenen Gepäck. Vergebens suchten die Steuerleute den Ungeduldigen begreiflich zu machen, daß sie mit dem Land sehen, — und sie sähen es noch nicht einmal — nicht auch schon im Hafen wären, und Schiffe in der That schon in Ruf’s Nähe vom Land gewesen, durch ein plötzlich eintreffendes Wetter aber wieder in See hinausgetrieben wären, und dort noch hätten Wochenlang umherkreuzen müssen, ehe sie ihr Ziel erreichten.(17) Es blieb Alles vergeblich, die Leute ließen nicht mit Quälen nach, und theils ihr lästiges Drängen los zu werden, theils auch, weil das Wetter wirklich vortrefflich und eine baldige Landung möglich war, befahl der Steuermann endlich einigen seiner Leute, die untere »Achterluke« aufzumachen, und von dem darunter befindlichen Passagiergut herauszuholen, was verlangt würde, und was sie eben möglicher Weise erreichen konnten.

Die erste Kiste gleich, die zu Tag kam, gehörte den beiden Schwestern, Rechheimers Verwandten, die mit Hedwig eine Coye theilten, und besonders laut schon gejammert hatten, daß sie einige Sachen nothwendig daraus haben _müßten_, um anständig an Land zu erscheinen. Die Kiste wurde also auf ein paar andere hoch in die Luke gehoben, und dort gleich von dem Zimmermann aufgeschlagen.

Die Passagiere drängten indeß auf dem von der Luke zurückgeschobenen Gepäck umher; wer seine Coye dort hatte, stieg hinein, um von dort die Verhandlung zu überschauen, und wer nicht so glücklich war, suchte auf den aufgestapelten Kisten und Koffern, oder am oberen Lukenrand einen Platz und Ueberblick zu gewinnen, als ob da unten wirkliche Sehens- und Merkwürdigkeiten gezeigt, und nicht eben nur ein paar Auswandererkisten geöffnet und durchstöbert werden sollten, die keinesfalls etwas anderes enthielten, als Wäsche und Kleider. Auf See wird aber auch selbst das Unbedeutendste zum Ereigniß, wenn es eben das alltägliche Leben unterbricht und irgend eine Veränderung bringt, und die Passagiere geben sich dem nicht selten wie Kinder hin, die nur nach einem bunten neuen Spielwerk greifen, um es im nächsten Augenblick wieder bei Seite zu werfen. So war denn auch hier kaum der Deckel von der Kiste gehoben, Rebecca, die eine der Schwestern, ein junges, allerliebstes schwarzäugiges Mädchen von vielleicht sechzehn oder siebzehn Jahren, hatte eben die oberste Schicht Leinen abgenommen, und ein etwas buntes Kattunkleid herausgehoben, als von den Lippen der nächst Sitzenden ein bewunderndes »Ah!« laut, und der Scherz von den Uebrigen augenblicklich aufgefaßt wurde.

»Ah!« tönte es fast von jeder Lippe, die Anderen, die nicht in Sicht der vorgehenden Dinge kommen konnten, aus Neugierde fast zur Verzweiflung treibend — »ah wie schön, ah wie wunderschön — ja Fräulein Rechheimer — na das wird ein Staat werden, in New-Orleans — Donnerwetter, die Amerikaner werden wir einmal verblüffen« — »Ah!« tönte es dann wieder in lautem Chor, als ein roth und grünseidenes, hochgelb geflammtes Tuch zum Vorschein kam — »ah wie wunderschön!«

»Oh höre Se auf mit Ihre Dummheite« sagte die ältere Schwester Sarah, halb lachend, halb ärgerlich, aber der Chor stimmte ein, und während die Mädchen roth wurden und nicht wußten ob sie lachen oder böse werden sollten, mußten sie doch all ihre Herrlichkeiten den Blicken des dankbaren Publikums preisgeben, das mit einem Beifallssturme jedes neue Stück von Schmuck oder Putz begrüßte.

Madame Löwenhaupt ließ gleich darauf eine von ihren Kisten öffnen, erklärte aber dabei von vornherein, sich dergleichen Verhöhnung für ihre eigene Person nicht gefallen zu lassen; das machte jedoch das Uebel wo möglich noch ärger, denn wenn das leichtsinnige Völkchen des Zwischendecks erst im Anfang gejubelt hatte, so erhob sich jetzt, als das hochrothe Staatskleid, und zuletzt sogar ein Feder- und Blumenbesteckter Hut der kleinen, keineswegs mehr hübschen Frau zum Vorschein kamen, ein wahrer Beifallssturm und solcher Heidenlärm, daß der Steuermann wirklich nach vorn geschickt wurde, zu sehen ob vielleicht irgend ein Unglück vorgefallen wäre. Madame Löwenhaupt wollte nun allerdings bei diesem Klage über die »nichtswürdige Behandlung« wie sie es nannte, führen, und als dieser nicht darauf einging, sich in die »Privatverhältnisse« der Passagiere zu mischen, wurde Herr Löwenhaupt selber bei Allem beschworen, was er seiner Frau schuldig sei, dieß schändliche Betragen nicht zu dulden. Herr Löwenhaupt wußte aber auch selber am besten was ihm gut sei; er dachte gar nicht daran Streit mit sämmtlichen Passagieren anzufangen, sondern stand vielmehr seiner Ehehälfte bei, ihre Sachen rasch aus dem Weg und Gesichtskreis der sie Umlagernden zu bringen — das Gescheuteste zweifelsohne, was er in diesem Fall zu thun im Stande war.

Die Aufmerksamkeit der Passagiere wurde aber auch selbst hiervon abgelenkt, als ein anderes Schauspiel vor ihnen auftauchte. »Ein Handwerksbursch — ein armer Handwerksbursch!« schrie es von Deck aus, und lauter schallender Jubel begrüßte hier einen jungen Burschen, einen Schuhmachergesellen, der sich, als Alle ihre Sachen vorholten, zum Spaß seinen »Landrock« herausgesucht, den großen ausgeschweiften Hut aus der Kiste, den mit schwarzer Wäsche ausgestopften Tornister mit ein paar eingebundenen Reservestiefeln auf den Rücken, und den Knotenstock in die Hand genommen hatte, und nun mit großen geschäftigen Handwerksburschenschritten unter dem Zujauchzen der Passagiere und Matrosen, auf dem Starbordgangweg auf und ab paradirte. Der Jubel wurde aber noch größer, als der Schustergesell das Privilegium, das ihm als Handwerksburschen zustand, benutzend, seinen Hut abnahm und bei den verschiedenen Passagieren des Zwischendecks, die gegen ihn zudrängten, anfing zu fechten, und Steinert zuletzt, der sich geschwind einen alten Ueberrock holte, bis oben hinauf zuknöpfte und dann ein Seitengewehr umhing, das er Gott weiß wo gefunden, den fechtenden Handwerksburschen als Gendarme arretirte und unter dem Hurrahgeschrei der sämmtlichen Mannschaft nach unten transportirte. Dieser arbeitete sich aber doch wieder an Deck, und selbst der alte Capitain Siebelt, der wie schon erwähnt sein Deck eifersüchtig von Zwischendeckspassagieren frei hielt, sagte kein Wort und schmunzelte sogar, als er die hier gar nicht herpassende Gestalt aus dem innern Lande zuletzt mit abgezogenem Hut bis auf das Quarterdeck hinaufsteigen sah. — Er dachte auch an zu Hause, an Frau und Kind, wo er, wenn er einmal auf kurze Zeit daheim saß, nie einen armen Handwerksburschen unbeschenkt entlassen hatte; ja er würde dem hier mit größtem Vergnügen ein Sechsgrotenstück in den Hut geworfen haben — und lieber mehr wie weniger, nur der alten Erinnerungen wegen, aber — die Autorität litt das nicht, der durfte er Nichts vergeben, und dem Handwerksburschen war schon Ehre genug geschehn, daß er das Quarterdeck betreten; das hätte gefehlt daß er auch noch Geld dazu bekam.

Die Cajütspassagiere hatten sich aber auch schon über das rege geschäftige Leben, das heute am Deck herrschte, amüsirt, und Clara besonders lachte mit Marie, das ihnen die Thränen in die Augen traten, als der allerdings wunderlich genug aussehende Handwerksbursch an Deck erschien und seine Runde machte; wie er aber seinen Hut abzog, und zum Quarterdeck fechten kam, bestand sie darauf, daß er nicht umsonst ihre Mildthätigkeit in Anspruch nähme.

»Wir können doch wahrhaftig nicht sagen« rief die muntere junge Frau lachend, »daß wir von derartigen Leuten überlaufen werden, und eine Schande wär’s für ewige Zeiten, wenn wir den ersten armen reisenden Handwerksburschen, der uns auf offener See anspricht, unbeschenkt entließen. Du mußt mir etwas kleines Geld geben, Joseph.«

Der junge Henkel, der wahrscheinlich auch mit den Vorbereitungen der baldigen Landung beschäftigt, den ganzen Tag schon in seiner Coye geordnet und umgepackt hatte, und jetzt auf einer der Quarterdecks-Bänke saß und in seinem Taschenbuch rechnete und notirte, hatte sich bis jetzt auch nicht im Mindesten um das bekümmert was im Zwischendeck vorging, und selbst nicht auf das Lachen und den Jubel um sich her weiter, als mit einem gelegentlichen theilnahmlosen Blick geachtet. Nur die direkt an ihn gerichtete Bitte machte ihn aufschauen, und Clara mußte sie wiederholen, ehe er sie nur verstand.

»Kleines Geld, liebes Kind, habe ich nicht mehr« antwortete er dann, die Achseln zuckend und seine Papiere wieder vornehmend. »Deutsche Grote nutzen uns doch Nichts mehr in Amerika, und ich habe nicht allein die letzten in Brake ausgegeben, sondern auch schon, wie Du recht gut weißt, Deine Waschfrau im Zwischendeck neulich in Amerikanischen Dollarn bezahlen müssen.

»Ja lieber Gott, so geht es uns auch« rief Marie, die ebenfalls ihr Portemonnaie herausgeholt hatte und es vergebens durchsuchte, »all unser kleines Geld ist ausgegeben und wir sind des Webers Frau, der Frau Brockfeld, noch außerdem eine kleine Summe schuldig, die ihr der Vater versprochen hat in Amerikanischem Gelde zu bezahlen sobald wir an Land kommen.«

»Armer reisender Handwerksbursch — seit drei Tagen keinen warmen Löffel im Leibe gehabt!« sagte in diesem Augenblick der junge Bursch, indem er sich halb schüchtern, als ob er nicht wisse wie der Scherz aufgenommen werde, den Damen mit vorgehaltenem Hute und tiefem Kratzfuß näherte — »möchte gern das Handwerk begrüßen, aber habe keinen einzigen Schuster hier vorgefunden.«

»Lieber Joseph« bat die junge Frau schmeichelnd, »bitte, laß doch nur einen Augenblick Deine alten häßlichen Papiere und sieh Dir den armen Handwerksburschen mit den bestaubten Stiefeln an — er kommt direkt von der Landstraße, und — ah mir fällt etwas ein — Du hattest neulich kleines Englisches Geld, das Du mir zeigtest — Du hast das noch, nicht wahr? — warten Sie einen Augenblick« wandte sie sich dann rasch zu dem verlegen stehen bleibenden Burschen — »Sie sollen gleich bekommen — nicht wahr, Du giebst mir ein paar von den kleinen Stücken; die gelten auch in Amerika.«

»Aber liebes Kind, ich weiß wirklich nicht wo sie sind, und bin auch in diesem Augenblick gerade mitten im Rechnen drin.«

»Aber der Handwerksbursch« sagte die muntere, kleine Frau in komischer Verzweiflung — »thatest Du es nicht damals in Dein Toilettkästchen?«

»Ich glaube, ja« sagte Henkel zerstreut, und froh damit abzukommen — es steht unten auf meinem Bett.«

»Hedwig mag es holen« rief Clara rasch — »Du weißt Hedwig, das kleine Lederetui mit dem goldenen Schloß« — auf dem oberen Bett in der Coye —

Hedwig, die eben aus dem Zwischendeck heraufgekommen war, zu sehen ob ihre junge Herrin etwas bedürfe, sprang rasch in die Cajüte hinab, und kam gleich darauf mit dem verlangten Kästchen zurück.

»Aber es ist verschlossen« sagte Clara, damit zu dem, wieder ganz in seine Papiere vertieften Manne tretend »hast Du den Schlüssel?«

»Du quälst mich mehr wie mein Geld, Herz,« sagte dieser halb lächelnd, halb ungeduldig in seine Westentasche greifend, aus der er ihr gleich darauf einen kleinen gelben Schlüssel überreichte.

»Danke, danke« rief Clara, es rasch und freudig öffnend, »und nun, Marie, bekommen wir Geld —«

»Halt — gieb mir das Kästchen — ich will es Dir selber geben« — rief da, plötzlich von seinem Sitze rasch emporspringend daß die Papiere selber unbeachtet zu Boden fielen, Henkel, und eilte auf sie zu.

»Ich habe es schon« sagte die Frau lächelnd, ohne seine plötzliche Aufregung zu bemerken — »hier ist ein Stück und hier — heiliger Gott — da ist ja —«

Sie vermochte nicht mehr zu sagen, denn Henkel hatte in demselben Moment das Kästchen ergriffen; aber seine Hand zögerte es fortzunehmen, und sein Auge begegnete in demselben Moment fast bewußtlos dem stieren, fest und entsetzt auf ihm haftenden Blick seines Weibes.

Henkel war todtenbleich geworden, aber er nahm jetzt das Kästchen fast mechanisch aus Clara’s Hand, verschloß es und steckte den Schlüssel wieder in die Tasche, während er sich abwandte, die niedergefallenen Papiere aufzulesen.

»Hast Du das Geld, Clara?« rief Marie lachend, die in dem Augenblick gerade nach dem Rande des Quarterdecks gesprungen war, die Ursache eines neuen Lärmes zu erkunden, der von der Zwischendecksluke heraustönte — »ich glaube dort unten schlagen sie sich.«

»Hier ist es« sagte Clara, sich gewaltsam sammelnd und ihr das Geldstück, das sie noch in der Hand hielt, reichend — »gieb es dem Mann.«

»Gott vergelt’s tausendfach« sagte der Handwerksbursch, der indessen bei den anderen Passagieren, mangelnden kleinen Geldes wegen, ebenfalls mit sehr geringem Erfolg gesammelt hatte, und jetzt ebenfalls ungeduldig nach dem Zwischendeck hinabschaute — »da unten schmeißen sie sich aber, glaub’ ich, und da möcht’ ich dabei sein« — und seinen Tornister mit einem plötzlichen Ruck höher auf die Schultern bringend, und einer nicht ungeschickten Verbeugung gegen das ganze Quarterdeck, drückte er sich den großen ausgeschweiften Hut wieder fest und etwas seitwärts auf den Kopf, spukte in die Hand, faßte seinen Prügel fester, und sprang dann rasch die kleine Treppe, die auf Deck hinabführte, nieder. Marie und die Uebrigen traten indessen ebenfalls an den Rand des Quarterdecks, der mit einem dünnen eisernen Geländer eingefaßt war, und von wo aus der Capitain schon nach dem Steuermann rief, dem Unfug da unten ein Ende zu machen und die Ruhestörer auseinander zu bringen. Nur Clara blieb mit dem Gatten allein zurück, und einige Schritte von ihnen entfernt stand der Mann am Steuerrad.

»Joseph« sagte die Frau mit leiser, kaum hörbarer Stimme, während sie zu ihm ging und seinen Arm erfaßte — »Joseph, — in — dem — Kästchen — lag — Heiland des Himmels und der Erde, ich glaube, ich werde oder bin wahnsinnig — in dem Kästchen lag meiner Schwester Broche — der blaue, dreieckige Turquis. — Wie — wie um Gottes Willen kam — kam der Stein —«

»Ich habe ihn gefunden« sagte Henkel, der jetzt wenigstens äußerlich seine ganze Fassung wieder gewonnen hatte, mit gezwungener Gleichgültigkeit — »am Tage, ehe wir abreisten — er lag unten im Haus, und ich wollte Nichts davon erwähnen, die alte Geschichte nicht noch einmal aufzurühren.«

Er sprach die Worte vollkommen ruhig, nur mit etwas unterdrückter Stimme, daß der Mann am Steuer sie nicht hören sollte, aber sein Gesicht hatte jeder Blutstropfen verlassen, und sein Blick schweifte wild und unstät umher. Ihm gegenüber stand die Frau — bleich, kalt und regungslos, wie ein wunderschönes, aber todtes Marmorbild; nur der Blick, den sie stier und fest auf den Gatten geheftet hielt, lebte; — aber sie sprach kein Wort — that keine Frage weiter, und als sie hörte — denn sie wandte das Auge nicht dorthin, — daß die anderen Passagiere wieder zurückkamen, drehte sie sich langsam ab, und stieg an der hinteren, am Steuerruder abwärts führenden Treppe in die Cajüte und ihren eigenen _stateroom_ nieder, den sie hinter sich verschloß.

Die Sonne ging unter und der Steward rief zum Souper; aber Clara ließ sich entschuldigen. Sie hatte Kopfschmerzen und die Augen thaten ihr weh. Marie wollte sie nach dem Essen besuchen, um zu sehen was ihr fehle, aber die Thür war noch immer verschlossen, und wurde auch nicht geöffnet, und erst spät ließ die junge Frau Hedwig noch einmal zu sich rufen.

Hedwig, das arme Kind, hatte jetzt auch eine schwere Zeit, denn des Tischlers Frau war heute über Tag wieder so krank geworden, daß sie Georg Donner keinen Augenblick verlassen wollte, und das Schlimmste zu fürchten schien. Die alten Phantasieen stellten sich dabei wieder ein, der Lärm den Tag über mochte sie auch aufgeregt und beunruhigt haben, und das Brennen und Pochen im Kopfe war ärger als je geworden. Hedwig hatte auch schon die ganze vorige Nacht bei ihr aufgesessen, und eben war die Kranke, zum ersten Mal wieder seit acht und vierzig Stunden, in einen kurzen, unruhigen und oft unterbrochenen Schlummer gefallen, als sie zu ihrer jungen Herrin gerufen wurde, und zugleich hörte daß diese ebenfalls krank sei.

Rasch und ängstlich eilte sie zurück in die Cajüte, und klopfte an der beiden Gatten enges, aber sehr freundlich eingerichtetes Gemach. Ein leises »Herein« antwortete, und sie fand Clara schon auf ihrem Lager, das Antlitz fest in ihr Kissen gedrückt, von dem aus sie der Eintretenden, ohne zu ihr aufzusehn, nur die Hand entgegenstreckte.

»Liebe, liebe Frau Henkel, was fehlt ihnen?« flüsterte das Mädchen, neben der niederen Coye knieend, und die ihr gebotene Hand mit Küssen bedeckend — »sind Sie krank? — was um Gottes Willen ist vorgefallen?« —

Aber Clara vermochte kein Wort zu erwiedern — sie hatte sprechen wollen, aber sie fühlte daß es in diesem Augenblick ihre Kräfte überstieg, und nur schweigend hielt sie eine lange, lange Zeit die Hand des Kindes fest und krampfhaft in der ihren.

»Liebe, liebe Frau Henkel« wiederholte Hedwig bittend — was ist Ihnen? — kann ich Ihnen helfen?« —

»Ja Hedwig — ja —« hauchte die Kranke mit kaum hörbarer Stimme — »Du allein — aber nicht heute mehr — komm morgen — morgen früh —«

»Aber wenn Sie mir indessen ernstlich krank werden?« bat das junge Mädchen, die nicht begreifen konnte was die räthselhaften Worte bedeuteten — »Soll ich nicht lieber doch Herrn Donner rufen, den jungen Arzt, den wir im Zwischendeck haben, und der, wie die Anderen sagen, viel mehr versteht als der Doktor in der Cajüte.«

»Ich bin nicht krank« flüsterte aber die Frau — »wenigstens nicht so, daß mir ein Doktor Mittel dagegen verordnen könnte — nur Ruhe brauche ich — Ruhe — so bitte, Hedwig — laß mich jetzt allein.«

»Darf ich nicht bleiben?«

Die Leidende schüttelte, ohne weiter ein Wort zu sagen, den Kopf, und Hedwig, gehorsam dem gegebenen Befehl, stand langsam auf, zögerte noch einen Augenblick in der Thür, ob die Kranke nicht den Befehl doch wohl widerrufen könne, und verließ dann, so geräuschlos wie sie es betreten, aber mit einer schweren Sorge mehr im Herzen, das Gemach.

»Was fehlt nur Clara, Herr Henkel?« frug Marie den jungen Mann, der mit verschränkten Armen und langsamen Schritten oben auf dem Quarterdeck auf und ab ging, und bei ihrer Anrede rasch und wie erschreckt emporschaute; »das muß ganz plötzlich geschehen sein, denn vorhin war sie ja noch so munter und ausgelassen, wie ich sie fast noch gar nicht gesehen.«

»Heftiger Kopfschmerz, weiter Nichts« erwiederte ihr Henkel, jetzt vollkommen ruhig — »sie klagte schon letzte Nacht darüber, und es schien sich über Tag vollständig gelegt zu haben kehrte aber den Abend plötzlich und weit stärker wieder. Ruhe allein ist was sie braucht, der Schmerz geht dann von selbst vorüber.«

»Wie Schade daß das gerade heute ist« klagte das junge fröhliche Mädchen; »wissen Sie, daß wir heute Abend Concert haben?«

»Wirklich« erwiederte Henkel zerstreut — »und wer musicirt?«

»Der alte Polnische Jude mit dem schmutzigen schwarzen Kaftan; er darf aber nicht auf das Quarterdeck kommen« setzte sie lachend hinzu — »er sieht gar so verdächtig aus, und wird seine Vorstellung unten vor dem großen Mast geben.«

»_Vor_ dem großen Mast liegt die Barkasse, mein Fräulein« fiel hier Herr von Hopfgarten verbessernd ein, »und wenn er dort spielte, würden wir ihn weder sehn noch hören können.«

»Oder dahinter« sagte das junge Mädchen, halb lachend halb ärgerlich den Kopf schüttelnd — »Sie wissen recht gut, daß ich Ihre Schiffsausdrücke nicht verstehe, noch weiß ob man vor oder hinter dem großen Mast sagen muß; aber leid thut mir’s daß Clara nicht dabei sein kann.«

»Ist Ihre Frau wirklich krank?« frug da der kleine Mann rasch und besorgt — »davon habe ich ja kein Wort gewußt.«

»Nur unbedeutende Kopfschmerzen — aber was für ein Instrument wird denn gespielt?« frug Henkel, der das Gespräch nach anderer Richtung zu lenken wünschte, »wohl eine schreckliche Violine und Flöte.«

»Dießmal nur eine Holzharmonika« versicherte Hopfgarten, »der Jude ist ein armer Teufel, der sich ein paar Thaler zu verdienen wünscht ehe er an Land geht. Er hatte mich schon lange um meine Verwendung bei der Cajüte gebeten, aber sein Sohn war immer nicht bei Stimme, die ganze Reise lang, und dessen Hals wahrscheinlich durch die Seekrankheit zu sehr afficirt worden; jetzt soll er sich jedoch wieder vollständig erholt haben, und das erste Concert heut’ Abend stattfinden. Die Kosten sind auch schon durch unser Whistkränzchen gedeckt, und eine kleine Sammlung wird noch nachher stattfinden. Der alte Bursche ist, wie mir gesagt wurde, ein wahrer Virtuos auf dem unscheinbaren Instrumente, das eigentlich nur aus einzelnen Stücken Holz besteht.«

»Ich freue mich darauf ihn zu hören« sagte Henkel.

»Ja wohl, es giebt endlich einmal wenigstens eine kleine Abwechslung in unsere doch eigentlich schauerlich monotone Existenz« rief von Hopfgarten — »Ihre Frau Gemahlin darf aber nicht dabei fehlen; sie allein bringt ja meist Leben und Bewegung in das stehende Wasser unserer Geselligkeit. Wenn es ihr irgend möglich ist, laß ich sie recht schön bitten von der Parthie zu sein, und wenn sie auch nur in ihrem Negligé eine halbe Stunde an Deck kommt.«

»Ich werde es sie wissen lassen« sagte Henkel und drehte sich ab, seinen Spatziergang an Deck fortzusetzen.

Der Polnische Künstler hatte indeß seine Vorbereitungen getroffen, seinen kleinen Tisch hinter die Pumpen gestellt, daß er mit dem Rücken gerade gegen die Nagelbank des großen Mastes zu stehen kam, und während sich die Passagiere dicht um ihn her schaarten, und mit der Mannschaft oben auf der Barkasse, auf der Nagelbank selber, und in den den Platz gerade übersehenden Wanten hingen, sammelten sich die Cajütspassagiere wie auf einer Gallerie, auf dem Quarterdeck dem Genuß zu folgen. Henkels junge Frau war aber nicht an Deck erschienen, und Henkel bat sie zu entschuldigen, da die Musik ihr Uebel eher verschlimmern könne.

Er hatte sie übrigens noch gar nicht wieder gesprochen; wie aber die Cajütspassagiere oben versammelt waren, und selbst der Steward und Cajütsjunge dem Drang nicht widerstehen konnten, die »neue Musik« zu hören, verließ er unbeachtet seine Mitpassagiere, und stieg mit langsamen aber festen Schritten die Treppe hinab in die Cajüte. Einen Moment zwar zögerte er, als er die Klinke berührte die seinen eigenen Raum erschloß, aber es war auch nur ein Moment, und mit fester Hand öffnete er die Thür, die er wieder hinter sich in’s Schloß drückte.

Die junge Frau hatte ihr Lager verlassen und saß, das Taschentuch fest gegen die Augen gepreßt, den linken Ellbogen auf den kleinen Tisch gestützt, regungslos da. Sie mußte auch den eintretenden Gatten gehört haben, denn ihr ganzer Körper zitterte vor innerer Aufregung, aber sie bewegte sich nicht und blickte nicht empor.

»Clara!« sagte Henkel mit leiser, doch fester Stimme — »was hast Du nur? — was ist Dir? — ich glaube wahrhaftig, Du hast Dir in toller Einbildungskraft irgend eine fixe Idee, mag sie noch so absurd und wahnsinnig sein, in den Kopf gesetzt.«

Die Frau antwortete nicht, aber das Zittern ihres Körpers wurde heftiger, und sie preßte das Tuch wie krampfhaft an die Augen.

»Clara! — Dein _Mann_ spricht mit Dir!« sagte Henkel, jedenfalls entschlossen das einmal Begonnene zu einer Entscheidung zu bringen. Das Wort bannte aber auch den Starrkrampf, der bis dahin wie ein böser Zauber auf den Gliedern der Unglücklichen gelegen; so den Arm sinken lassend, der mit dem gehaltenen Tuch ihr Antlitz bis dahin verhüllt hatte, schaute sie zu dem Gatten auf, und richtete sich dabei langsam empor, bis sie ihm gerade gegenüber stand. Sie war todtenbleich, aber keine Thräne netzte ihren Blick, die Augen lagen hohl und trocken in ihren Höhlen, und nur die Lippen zitterten, als sie wie widerstrebend den Klang der Worte nachhallten:

»_Dein Mann!_«

»Sei vernünftig, Clara!« sagte aber jetzt Henkel mit ruhigerer begütigender Stimme, denn der Anblick der Frau, die Veränderung, die nur die wenigen Stunden in ihren Zügen hervorgebracht, traf ihn wie ein Stich in’s Herz — »quäle Dich vor allen Dingen nicht mit einem albernen Verdacht, der Dir nur das Leben verbittern, und doch Nichts nützen könnte. Was hast Du, sprich es frei heraus, daß ich im Stande bin mich zu vertheidigen, aber fasse Dich dann auch und zeige Dich wieder an Deck, denn die Leute fragen nach Dir, wollen wissen, was Dir fehlt, und was Dich so plötzlich betroffen haben könnte.«

»Und hast Du es ihnen nicht gesagt?« frug die Frau, während ihr Blick sich in seine innere Seele zu bohren schien, mit tonloser, kaum hörbarer Stimme.

»Ich? — was soll ich ihnen sagen — sei keine Thörin Clara, und vor allen Dingen _vernünftig_. Du bist alt genug zu wissen wie weit Du gehen kannst, — wie weit nicht —«

»Mit _Dir_ keinen Schritt weiter in diesem Leben« rief aber die Frau jetzt in wilder ausbrechender Heftigkeit — »und wenn ich mein Brod vor den Thüren der fremden Stadt erbetteln sollte.«

»Du bist ein _Kind_ Clara« sagte Henkel mit ärgerlichem ungeduldigem Kopfschütteln, während er die Thür der innern Cajüte öffnete, hinaus sah ob Niemand draußen sei und wieder schloß.

»_Leugnest_ Du die That?« frug die Frau in zorniger Verachtung zum ersten Mal ihm einen Schritt entgegentretend — »leugnest Du den armen unglückseligen Menschen der meinem Vater Jahre lang treu und ehrlich gedient, und durch _Dich_ sein ehrloses Grab fand, mit kaltem Blute _gemordet_ zu haben? O barmherziger Gott« fuhr sie, ihr Antlitz in den Händen bergend fort — »mir reißt der Gedanke daran das Herz in blutigen Stücken entzwei, und _ich_ — ich bin das _Weib_ eines solchen Verbrechers — und _mich_ hat er aus meiner glücklichen Heimath fortgeschleppt — Verloren — verloren.«

Ein lindernder Thränenstrom brach sich in diesem Augenblick die Bahn, und in sich zusammengeknickt sank die Frau auf den Stuhl zurück und schluchzte laut.

Henkel blieb volle Minuten lang mit unterschlagenen Armen und finster zusammengezogenen Brauen vor ihr stehn; zwei- oder dreimal öffnete er auch den Mund, aber kein Laut kam über seine Lippen, bis draußen in der Cajüte, durch die sie nur durch eine dünne Bretterwand geschieden waren, Stimmen laut wurden. Es war Frau von Kaulitz mit Herrn von Benkendroff und dem armen Hopfgarten als Nachtrab, da sich die Dame unter keiner Bedingung länger ihr Whist wollte entziehen lassen.

Henkel richtete sich gewaltsam auf, strich sich die Haare aus der Stirn und sagte mit unterdrückter, aber fester entschlossener Stimme:

»Du wirst wissen Clara, wie Du Dich hier an Bord zu benehmen hast — ich lasse Dich jetzt allein und hoffe Dich morgen früh wieder _vernünftig_ zu finden.«

Eine abwehrende Bewegung der ausgestreckten Hand war Alles was die Frau darauf erwiederte, die sonst regungslos in ihrer Stellung blieb, und Henkel verließ rasch den kleinen Raum und betrat die innere Cajüte, zugleich den Gesellschafts- und Speisesaal, wo Herr von Benkendroff eben den Spieltisch in Ordnung brachte, und Herr von Hopfgarten indessen als Opfer auf dem schon bereit gerückten Stuhle saß, und mit vor sich auf dem Tisch gefalteten Händen die Daumen umeinander jagte.

»Hallo Herr Henkel« rief er aber diesem sich rasch nach ihm umdrehend entgegen, als er ihn aus seiner Cajüte treten sah, »nun wie geht’s meiner verehrten Dame, Ihrer lieben Frau, noch nicht wieder munter?«

»Es geht besser« erwiederte Henkel ihm zunickend, mit vielleicht absichtlich lauter Stimme — »ich bin fest überzeugt daß sie morgen wieder wohl genug sein wird, am Frühstückstisch zu erscheinen.«

»Nun das freut mich herzlich« sagte der kleine gutmüthige Hopfgarten — »aber, apropos lieber Henkel« setzte er rasch und lauter hinzu, _dürfte_ ich Sie vielleicht bitten hier ein kleines halbes Stündchen meine Stelle einzunehmen? — ich möchte gern —«

»Es thut mir wirklich leid das heute Abend nicht im Stande zu sein — ich muß doch dann und wann nach meiner Frau sehn« erwiederte aber Henkel, die äußere Cajütsthüre öffnend, während Hopfgarten, mit einer gewissen Resignation auf seinem Stuhl, aus dem er sich schon in halber Hoffnung erhoben hatte, zurücksank, und die jetzt vor ihn hingelegten Karten an zu mischen fing.

 

 


Capitel 9.

LAND.

Der nächste Morgen dämmerte; weit im Osten drüben färbte sich der Horizont mit einem mattlichten Streif, der einen weiten dunklen Schatten auf das Wasser warf, und die Sterne im Westen schienen noch einmal so hell und lebendig zu funkeln, ehe der feindliche Tag sie vom Himmel trieb. Oede und kaum sich bewegend in kleinen rollenden, fahlgrauen Wogen lag das Meer — ein schlummernder Koloß, gewaltig selbst in seiner Ruhe, und furchtbar, entsetzlich in seinem Zorn, und mit eben geblähten Segeln, wie ein Schwan auf stiller Fluth, zog das Schiff langsam dahin auf seiner Bahn. Aber in seinem Innern regte und trieb geschäftiges Leben, der frühen Morgenstunde zum Trotz, denn heute war ihnen, was sie gestern nicht zu sehn bekommen, versprochen worden — _Land_ — und Jeder wollte der Erste sein der es entdeckte, den Reisegefährten die frohe, so heiß ersehnte Kunde zujauchzen zu können — »Land!«

Vorn auf der Back bis an den Clüverbaum(18) hinauf stand schon, noch bei völliger Dunkelheit, ein kleiner Trupp, in den Wanten des Fock- und Hauptmastes hingen sie, und die kecksten und gewandtesten der Schaar, unter ihnen Carl Berger und der junge polnische Bursche, waren sogar in die ersten Marsen, und der letztere bis auf die Vor-Marsraae hinaufgestiegen, von da aus den Horizont weiter zu erspähn.

Und mehr und mehr im Osten lichtete sich der Himmel, über dessen weiten Bogen zuckende weißliche Strahlen heraufschossen und den kleinen zerstreuten Wolken einen rosigen Schimmer gaben; breiter und lichtgelber wurde der Streifen, den das Meer jetzt schon in seinem Glanze wiederspiegelte, und dort — wie ein glühender Berg in blendender Majestät stieg sie empor des Tages Königin — und dort —

»Land! Land!« jubelte es von den Masten und Raaen, wo hinauf auch schon Matrosen gestiegen waren, mit weit geübteren Blicken den westlichen Horizont zu erspähen — »Land! Land!« jauchzte es vom Deck ein Echo dem Freudenruf, und nur mitten hinein in den Rausch der Glücklichen, denen das ersehnte Ziel vor Augen lag, stieg ein einzelner wilder Klageruf, wie ein Mißton dieser Harmonie, wild und gellend aus dem Zwischendeck heraus.

»_Todt — todt!_« jammerte eine Stimme in herzzerreißenden Tönen; und die Leute aus den Masten glitten schweigend nieder, und die vorn über das Schiff postirten Männer drängten lautlos oder mit leisen, scheuen Fragen zurück, der dunklen Luke zu, aus der der wilde Weheruf noch immer schallte.

»Was ist geschehn — wer ist todt? wer klagt da unten?« drängten und flüsterten die Leute durcheinander.

»Leupolds Frau ist eben gestorben« klang aber die Antwort zurück, und die Gruppen, von denen nur einige neugierig in das Zwischendeck hinabstiegen, während die Uebrigen sich mitleidig flüsternd an Deck über den traurigen Fall unterhielten, sammelten sich um die Luke und warfen nur manchmal scheu den Blick nach unten, wo Leupold neben der Leiche saß, ihre kalte Hand zwischen seinen Händen hielt, und sich selber laut anklagte der Mörder der Dahingeschiedenen zu sein, die er gegen ihren Willen aus dem Vaterland, und in Verhältnisse gerissen habe, denen das zarte Leben unterliegen mußte. Vergebens suchte ihn die Mutter, suchten ihn seine Freunde zu trösten daß Gott es so gewollt, und er ja nur ausgewandert sei, weil er gehofft habe für die Seinigen in dem neuen Vaterland besser sorgen zu können. »Nein, nein!« schrie er immer wieder — »es ist nicht wahr — es ist nicht wahr — reiner Uebermuth nur war es von mir — reiner toller Uebermuth daß ich, von habgierigen Menschen verlockt, mein sicheres Brod verließ und dem Versucher folgte. — Ich habe sie gemordet, mit kaltem Blut gemordet und Gott wird mich dafür strafen, Gott wird mich dafür strafen.«

»Was der Bursche da unten für ein Gewinsel macht daß ihm die Frau abgefahren ist« brummte der älteste von den drei an Bord geschafften Verbrechern halb mit sich selber redend, halb zu Meier gewandt, der nicht weit von ihm auf einem der Wasserfässer saß und ohne weder Notiz von dem in Sicht gekommenen Land, noch von dem Todesfall zu nehmen, ein Stück Holz in die Form eines Schiffes zu schnitzen suchte. Die beiden Männer hatten übrigens, seit dem vor Wochen kurz abgebrochenen Gespräch noch kein Wort wieder mit einander gewechselt.

»Die Hälfte von uns Menschen weiß nie wann’s ihr am wohlsten ist« sagte Meier ebenfalls ohne von seiner Beschäftigung aufzusehn.

»Mancher hielt’s für ein Glück« meinte der Erste wieder.

»Für Manchen wär’s eins« brummte Meier, und die Unterhaltung kam hier wieder für eine Weile in’s Stocken; dem sonst so schweigsamen Passagier schien aber heute daran gelegen mit dem Anderen das Gespräch fortzusetzen, und er sagte nach ein paar Minuten wieder, in denen Jeder still und mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt vor sich nieder gesehn:

»Kommen nun bald nach Amerika.«

»Ja« erwiederte Meier lakonisch — »wird ein Vergnügen werden.«

»Ihr versprecht Euch nicht viel davon?«

»Müßt’ es lügen.«

»Ein Geschäft?«

»Fleischer« —

»Hm« —

»Und Ihr?«

»Ich?«

»Ja« —

»Schlosser!« sagte der Alte und warf dabei einen flüchtigen Seitenblick nach dem Mitpassagier, ohne dessen nach ihm hinübersuchendem Auge zu begegnen.

»Gutes Geschäft und nährt seinen Mann« sagte Meier endlich nachdenklich — »muß aber recht betrieben werden — Kein Werkzeug?«

»Steht nicht zu erwarten« sagte der Mann.

»Hm, nein« —

»Schon eine Idee wohin Ihr geht drüben?« frug der Alte endlich wieder nach einer zweiten Pause.

»Drüben? — wo?«

»Nun dort« — und er deutete mit dem verkehrt gehaltenen Daumen über die Schulter hin der Richtung zu, in der das Land lag. Meier schüttelte aber den Kopf und knurrte:

»Zum Teufel wahrscheinlich, wenn’s mir nicht besser glückt wie in Deutschland.«

»Da können wir vielleicht zusammengehen« lachte der Alte.

»Oder treffen uns wenigstens da später« sagte Meier, ausweichend.

»Wahrscheinlich« brummte der Alte, mit dem Erfolg seiner Annäherung nicht recht zufrieden, blieb noch eine Weile auf dem Faß sitzen und stand dann langsam auf nach vorne zu gehn, wo er mit seinen beiden Kameraden wieder zusammentraf. Meier aber sah ihm, ohne seine Stellung zu verändern oder auch nur den Kopf auf die Seite zu drehn, so lange nach, wie er ihm mit den Augen folgen konnte, und pfiff dann leise und mit einem halb spöttischen Grinsen vor sich hin, als er in seiner Selbstbetrachtung plötzlich durch ein von oben niedertönendes heiseres Lachen gestört wurde. Rasch sah er empor, und erkannte den Scheerenschleifer, der oben in der Barkasse lag, über deren Rand er gerade mit dem halben Oberkörper herüberschaute, daß sich die Sonne an den blankgescheuerten Schultern des unverwüstlichen fahlgrünen Rockes spiegelte.

»Gratulire zum Compagniegeschäft« sagte er lachend, als er des Fleischers Blick begegnete — »Meier und Compagnie wird gar nicht so schlecht klingen in New-Orleans.«

»Danke« brummte Meier vor sich hin — »der Contrakt ist noch nicht unterzeichnet — Du scheinst Dir da oben aber Dein stetes Quartier genommen zu haben, Kamerad.«

»Schade daß ich so bald ausziehn muß« sagte der Scheerenschleifer, den Dampf aus seiner Pfeife dabei in weißen kurzen Wolken von sich stoßend.

»Schade? — ich danke Gott daß ich das verfluchte Schiffsleben bald hinter mir habe — die Hände wachsen Einem ja zusammen.«

»Bah« sagte der Scheerenschleifer — »was verlangt ein Mensch mehr auf der Welt, was kann er mehr verlangen, als drei Mal zu essen den Tag, und Nichts zu thun, ohne weitere Expensen. Ich wünschte mir mein Lebtag nichts Besseres als auf solche Art hin- und herzufahren, wenn ich nur irgend etwas wüßte wozu sie mich, ohne besondere Beschäftigung, an Bord gebrauchen könnten.«

»Zur Verzierung etwa« meinte Meier.

»Ja, für den Schafskopf vorn« sagte der Scheerenschleifer trocken, ohne die Anspielung übrigens übel zu nehmen — »gehst Du heute mit zur Leiche?«

»Ich habe meinen schwarzen Frack nicht draußen« sagte Meier.

»Ist schade« erwiederte der Scheerenschleifer — »geht mir aber auch so.«

»Wir werden uns überhaupt bald anziehn müssen an Land zu gehn« fuhr Meier fort — »wenn das Schiff einmal anlegt, wird uns der Capitain schnell genug hinaustreiben, und gewiß nicht daran denken uns länger zu füttern, als er unumgänglich nöthig hat.«

»Kann ich ihm auch gar nicht verdenken« sagte Maulbeere; »ich gehe aber vor allen Dingen erst einmal im Negligé hinüber, und werde mich vor der Hand beim Präsidenten entschuldigen lassen, daß ich ihm nicht gleich meine Visite machen kann. — Füttern werden wir uns übrigens jetzt wieder selber müssen.«

»Nun zum Teufel, man wird doch in dem Amerika wenigstens zu leben haben« — fluchte Meier.

»Amerika soll verdammt sein« brummte der Scheerenschleifer, und qualmte ärger als vorher.

»Warum bist Du denn da herübergekommen, wenn Du’s so gut leiden magst?« frug ihn Meier.

»Weil ich wenigstens die Condition einmal wechseln wollte; aber in dem Hundeleben selber wird verwünscht wenig Veränderung sein — Die Frage ist außerdem, ob sie hier überhaupt Scheeren zu schleifen haben — sollte mich gar nicht wundern wenn ich den alten vermaledeiten Drehkarren am Ende ganz zu meinem eigenen Vergnügen im Lande umherführe« —

»Und weiter kannst Du Nichts?«

»Hm, wer weiß« sagte Maulbeere — »es liegt noch vielleicht Manches bei mir verborgen, hat sich aber noch nicht entwickelt.«

»Nun in Deutschland drüben hätten wir auch auf der Landstraße verhungern können ohne daß sich Jemand anders als vielleicht ein Gendarme theilnehmend nach unserem Passe erkundigt hätte« sagte Meier — »die sind wir doch wenigstens los.«

»Haben mich noch nie genirt« meinte Maulbeere trocken — »wer sich nicht einmal einen guten Paß verschaffen kann ist selbst zum Stehlen zu dumm.«

»Mit _den_ Grundsätzen wirst Du hier im Lande wohl auch nicht verhungern« lachte Meier — »aber ich glaube da kommen sie aus dem Zwischendeck mit der Leiche herauf« unterbrach er sich da plötzlich, indem er von seinem Sitze aufstand; »ich gehe nach vorn — mag nicht gern Leichen sehn.«

»Habe auch keine Passion dafür« brummte Maulbeere, und verschwand gleich darauf hinter dem Rand der Barkasse, in der er sich der Länge nach behaglich ausstreckte, von dem unten Vorgehenden nichts weiter sehn zu müssen.

Meier war langsam nach vorn geschritten, seinen Lieblingsplatz auf einem der auf der Back liegenden Anker einzunehmen, als er dort dem jungen Donner begegnete, der eben von da niederstieg.

»Hört einmal Freund,« sagte dieser, als er ihn einen Augenblick scharf fixirt hatte, und dann bei ihm stehen blieb — »wir haben doch einander schon früher einmal gesehen, aber ich kann mich nicht gleich besinnen _wo_? — seid Ihr nicht aus Waldenhayn?«

»Waldenhayn?« wiederholte der Mann, kopfschüttelnd, »was für ein Waldenhayn?«

»An der Hart —«

»Kenn’ ich nicht« — sagte Meier, ohne sich auf weitere Auseinandersetzungen einzulassen, und drehte dem jungen Mann den Rücken zu, die Back hinaufzusteigen. Georg Donner sah ihm noch ein paar Momente wie zweifelnd und ungewiß nach, verzichtete jedoch auf weitere Fragen, da ihm das Resultat auch ziemlich gleichgültig sein konnte, und ging nach dem mittleren Theil des Decks zurück, wo sich indessen die meisten der Zwischendeckspassagiere an zu sammeln fingen.

Die Leiche der Frau wurde jetzt nämlich aus dem engen unteren Raum hinauf an Deck geschafft, und dort in Lee mit ihrer Matratze auf ein paar über die Wasserfässer gedeckte Breter gelegt. Doktor Hückler, der sich jetzt sehr geschäftig zeigte, öffnete ihr dann beide Adern, sich von dem wirklichen Hinleben der Kranken, da man die Leiche nicht an Bord behalten konnte, auch fest zu überzeugen. Als aber auch der letzte Zweifel beseitigt, und der Tod fest und unerbittlich constatirt worden, wurde der Segelmacher beordert, die Verschiedene in ein Stück Segeltuch, wie das auf Schiffen gebräuchlich ist, einzunähen. Nur das Gesicht sollte noch bis zum letzten Augenblick der Bestattung frei und offen bleiben.

Es ist ein häßlich unangenehmes Gefühl eine Leiche an Bord zu wissen, und selbst in der Cajüte, die doch in keine Berührung mit der Gestorbenen gekommen war, ja von deren Passagieren sich nur ein paar erinnerten sie überhaupt je an Deck bemerkt zu haben, hatte es die fröhliche Stimmung die das nahe Land hervorgebracht, wenn nicht ganz gestört, doch merklich gedämpft. Wesentlich zu dem Unbehagen trug aber auch der Doktor Hückler bei, der sich vor dem Frühstück, das die Passagiere heute außergewöhnlich zeitig in der Cajüte versammelt hatte, in seinem unglückseligem Geschäftsstolz nicht enthalten konnte, dem Professor Lobenstein genau den erfolglosen Aderlaß an der Todten, die Umständlichkeiten ihrer letzten Augenblicke und den wahrscheinlichen Zustand ihres Gehirns, das einer Entzündung erlegen wäre, zu beschreiben. Der Professor suchte dabei vergebens ihm zu entgehn, eben so beschwor ihn Herr von Benkendroff ihm nicht wieder das Frühstück mit seinen verzweifelten Beschreibungen zu verderben. Umsonst, der Fall interessirte ihn selber viel zu sehr, ihn ruhig und unausgesprochen bei sich tragen zu können, und er _mußte_ seinem Herzen Luft machen.

Indessen war Hedwig, die an dem Morgen schon zweimal vergebens an ihrer jungen Herrin Thür geklopft, durch den Cajütenwärter dorthin beschieden worden, und flog jetzt dem willkommenen Befehle Folge zu leisten. Die junge Frau hatte sich ihr stets so mild, so freundlich gezeigt, war besonders gestern Abend in ihrem Schmerz so herzlich mit ihr gewesen — und diese Güte that dem armen, verwaisten Kind so wohl — daß es sie trieb und drängte ihr Leiden zu erfahren. Konnte sie auch nicht helfen, mittragen konnte sie es doch, und Alles, Alles thun was in ihren Kräften stand, ja selbst was über ihren Kräften lag, es zu erleichtern.

Sie fand Clara heute schon auf, und vollständig angezogen in ihrer Cajüte, und als sie die Thüre öffnete streckte ihr die junge Frau die Hand entgegen. Hedwig erschrack aber über das todtenbleiche schmerzdurchzuckte Antlitz der geliebten Herrin, und wollte die gebotene Rechte in ängstlicher Hast an ihre Lippen führen, als sie sich von Clara emporgezogen, von ihren Armen umschlossen und einen heißen Kuß, heißere Thränen auf ihrer Stirne fühlte.

»Um Gottes Willen liebe — gnädige Frau« —

»Nenne mich Clara fortan und Schwester« — flüsterte aber die Frau unter gewaltsam zurückgedrängten Thränen — »denn ich will es Dir sein bis zum Tode, Du armes — liebes Kind. Aber ruhig jetzt — keine Frage weiter, kein Wort,« bat sie, als Hedwig sich halb erschreckt, halb schüchtern aus ihren Armen loszuwinden suchte — »in wenigen Tagen — Stunden vielleicht, betreten wir das Land, und die uns fremd hier sind brauchen nicht zu ahnen daß uns _ein_ Schmerz, _ein_ Leid gedrückt. Komm mein Kind« setzte sie dann ruhiger hinzu, während sie die Spuren der Thränen von ihren Wangen zu tilgen suchte, »komm Hedwig, wir wollen hinaus unter die Leute gehn, aber Du bleibst bei mir, nicht wahr mein liebes Kind, Du gehst jetzt nicht wieder von mir fort? — Schon gut — schon gut, ich weiß daß Du mich liebst, wenn ich es auch nicht verdiene, denn auch ich — aber das später — das später« flüsterte sie, ihr Herz mit beiden Händen deckend, als wenn sie es halten und bändigen wollte in der Brust — »Und nun die Maske vor zum _ersten_ Mal!«

Hedwig, nicht im Stande den, für sie räthselhaften Sinn der dunklen Worte zu verstehn, wagte auch nicht zu fragen und zu forschen, hätte ihr die Frau selbst Zeit dazu gelassen. Diese aber öffnete rasch die zur Cajüte führende Thür, und betrat den inneren Raum, wo sie sämmtliche Passagiere am Frühstückstisch bereits versammelt fand.«

»Heilige Mutter Gottes!« rief aber Marie, die auf sie zu lief, und sie umarmte und küßte, »wie bleich und angegriffen Du aussiehst Clara; Du bist _recht_ krank gewesen — bist es noch, und mußt Dich unendlich schonen und in Acht nehmen, daß Du Dich ja recht bald wieder erholst. Draußen ist ja schon das Land in Sicht — soll ich es Dir zeigen?« —

»Nachher, nachher meine liebe Marie,« lächelte Clara, ihren Kuß und den Morgengruß der Uebrigen erwiedernd.

Herr von Hopfgarten begnügte sich aber nicht mit der kalten Verbeugung, sondern ging auf sie zu, um den ganzen Tisch herum, schüttelte ihr die Hand, und sagte ihr daß es ihn unendlich freue sie wieder wohl und munter zu sehn, denn sie hätte ihm die ganze Zeit lang gefehlt, und er wäre selbst nicht einmal über das Land froh geworden.

Marie neckte ihn deshalb, aber des Capitains Ruf nöthigte die Passagiere sich zu setzen, und das Gespräch wurde jetzt allgemein.

Mit der Sonne wurde die Brise indessen etwas lebendiger, und das Land lag schon, ein deutlicher dunkler niederer, aber doch selbst dem bloßen Auge leicht erkennbarer Streifen am fernen westlichen Horizont, dem das Schiff jetzt mit vollgeblähten Segeln entgegenstrebte. Rechts und links kamen dabei noch andere Segel in Sicht, kleine Küstenfahrzeuge wie größere Schiffe, die theils gegen den Wind aufkreutzten, theils mit ihnen gleiche Bahn gingen der amerikanischen Küste zu, und die Passagiere hätten des Neuen und Fremdartigen zu sehen genug gehabt, wäre ihre Aufmerksamkeit nicht bald auf das Begräbniß der Frau gelenkt worden. Der Capitain trieb nämlich, die Leiche über Bord zu lassen, einer Masse Umständlichkeiten zu entgehen, die er sonst noch bei der Landung hätte haben können.

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Der Steuermann ging jetzt zu Leupold, machte ihn damit auf seine rauhe aber nichtsdestoweniger herzliche Weise bekannt, und forderte ihn auf sich zu sammeln und dem, was er nun doch einmal nicht ändern könne, männlich in’s Auge zu schaun. Leupold aber wollte im Anfang Nichts davon wissen, bat nur um — einen Tag, dann um wenige Stunden noch Aufschub — man könne die Gestorbene doch nicht, fast noch warm, schon begraben wollen. Seine Freunde aber redeten ihm zu sich dem Unvermeidlichen zu fügen, selbst Georg Donner, auf den er am meisten hielt, bat ihn es geschehen zu lassen; die Frau sei todt, und unter den nun einmal bestehenden Umständen jedenfalls das Beste, den leblosen Körper ohne Zeitverlust den Wellen — ihrem stillen Grab, zu übergeben.

Der Mann fügte sich endlich darein, küßte noch einmal die bleichen Lippen der Dahingeschiedenen, barg dann das Antlitz in den Händen und weinte laut. Der Steuermann winkte indeß dem Segelmacher, den Körper vollständig einzunähen. Er selber befestigte dabei einen Sack schon bereit gehaltener Steinkohlen zu ihren Füßen, und die Zwischendeckspassagiere wurden aufgefordert der Todten die letzte Ehre zu erweisen. Von allen Seiten drängten sie still und schweigend herbei, und umstanden den Platz mit entblößten Häupten, wo vier Matrosen die Planke auf der die Leiche lag, aufhoben und mit dem Fußende auf die Railing hinausschoben; zwei Mann hielten sie dort im Gleichgewicht.

Der Capitain war indessen auf den Gangweg herunter gekommen, und seine Mütze abnehmend trat er zu der Leiche hinan, und sagte mit lauter einfacher Stimme.

»Ich habe versprochen gehabt alle meine Passagiere sicher und wohlbehalten nach Amerika hinüberzuführen. Gott der Herr hat es anders gewollt, und diese eine Seele abgefordert zu Seiner himmlischen Herrlichkeit. Sein Name sei gelobt und gepriesen, Er führt Alles zum Guten aus, und des Menschen Kraft ist wie ein Hauch vor Seinem Willen. Aber Er hat uns auch Seine ganze weite Welt zum Trost dafür gegeben, in der jede schwellende Woge, jeder blinkende Sonnenstrahl ein Zeichen und Merkmal Seiner Macht und Gnade ist — Ihm wollen wir vertrauen. Des Herren Name sei gelobt!« Und dann das Haupt neigend begann er mit leiserer Stimme das »Vater unser« zu beten, in das die Passagiere lautlos mit einstimmten — mit den letzten Worten aber und auf ein leises Zeichen des Capitains, hoben die beiden Matrosen die die Planke hielten, diese langsam an dem inneren Ende in die Höh; die Leiche wurde dadurch mit dem Kopfende mehr aufgerichtet und glitt rasch, von dem Gewicht des Steinkohlensackes nach vorn gezogen, hinab.

»Louise — Louise!« rief der Mann mit einem herzzerreißenden Ton und streckte die Arme nach ihr aus, aber im nächsten Momente schlug die Fluth über ihr zusammen, und während das Schiff rasch über die Stelle glitt, sank der Körper tiefer und tiefer hinab, und verschwand in der bläulichen Nacht.

Vorbei — über der Leiche wogte die See so still und ruhig als vorher, und das gewaltige Grab von Millionen wälzte seine munter plätschernden Wellen rasch und lebendig dem näher und näher rückenden Lande entgegen.

 

 


ANMERKUNGEN

1 Das in neuerer Zeit in Bremerhafen errichtete _Auswanderungshaus_ existirte damals noch nicht

2 Es ist leicht einzusehen daß nicht Jeder sein ganzes Gepäck, was er aus dem alten Vaterland mitnimmt, auch bei sich im Zwischendeck behalten kann, bald in der, bald in jener Kiste herumzustöbern, je nachdem er gerade dies oder jenes braucht, oder zu brauchen glaubt. Wo der Raum für einen Jeden nach einer bestimmten Anzahl von Kubikfuß eingetheilt wird, darf der Eine nicht mehr beanspruchen als der Andere, und die Räumlichkeit eines Schiffes ist nicht die eines Hauses mit so und so viel Stuben, Kammern und Boden. Hat der Auswanderer also _viel_ Gepäck, so suche er sich vor allen Dingen das, was er _unterwegs notwendig_ bei sich führen _muß_ (und je weniger das ist desto angenehmer ist es für ihn und die Anderen) und packe das in eine kleine Kiste, die am bequemsten drei Fuß lang, zwei Fuß breit und anderthalb oder zwei Fuß hoch sein kann und mit einem verschließbaren Deckel (weniger zweckmäßig sind Vorlegeschlosser, die leicht unterwegs abgestoßen werden können) versehen ist. Die Coyen sind gewöhnlich nur sechs Fuß und vielleicht einige Zoll lang, und hat man nur drei Fuß lange Kisten, die aber, der unteren Coyen wegen, nicht zu hoch sein dürfen, bei sich, so können vor der eigenen Coye zwei neben einander stehn, dienen, wenn geschlossen, zum Sitz, und nehmen nicht viel Raum, in dem ohnedies engen Zwischendeck ein. Das andere Gepäck muß aber in den _unteren_ Raum und aus dem Weg »weggestaut«, und was oben bleibt durch Taue und vorgenagelte Holzkeile so befestigt werden, daß es bei noch so starkem Schaukeln des Schiffs nicht im Stande ist zu weichen oder überzuschlagen, und Gliedmaßen wie selbst das Leben der Passagiere zu bedrohen.

3 Logis wird der Aufenthalt der Matrosen, vorn im Vorcastle unter Deck genannt, und die Kappe (sogenannte Logiskappe) ist ein kleiner Unterbau über dem Eingang nach unten, der Regen oder Spritzwellen verhindert hineinzuschlagen.

4 Ist es dem Capitain gefällig daß gegessen wird?

5 obgleich schon oft wiederholt, will ich doch noch einmal zur Verständnis des mit nautischen Ausdrücken nicht bekannten Lesers hier bemerken, daß die Leeseite eines Schiffes immer die dem Wind entgegengesetzte ist. Starbord oder Stürbord ist, wenn man am Steuerruder steht und nach vorn sieht, die rechte Lar- oder Backbord, die linke Seite des Schiffes. Kommt also der Wind mehr von der Starbordseite, so ist Backbord zugleich in Lee oder die Leeseite. Wenn der Wind genau von hinten kommt, hat daher das Schiff keine Leeseite. Die Luvseite, oder die zu windwärts, ist der Leeseite entgegengesetzt.

6 Auf allen Schiffen befindet sich eine sogenannte Medicinkiste, der ein kleines »Receptbuch« beigegeben ist. Die Medicinen sind sämmtlich in numerirten Flaschen und Gläsern und das Buch enthält hinter der Nummer die Angabe des Inhalts wie noch außerdem einen, vielleicht aus dreißig bis vierzig Seiten bestehenden Anhang, in welchem die Behandlung der verschiedenen Krankheiten mit Angabe der Nummer der dabei zu verwendenden Medicinen gegeben ist. Auf Kauffartheischiffen, auf denen sich keine Passagiere befinden, hat der Capitain die Medicinen »nach bestem Wissen« auszutheilen, falls Einer von seinen Leuten krank werden sollte, ja selbst auf vielen Auswandererschiffen befand sich, bis in die neueste Zeit, kein angestellter Arzt. Am liebsten helfen sich dabei die Rheder damit, irgend einen jungen Arzt oder Chirurgen für »halbe Passsage« mitzunehmen, der, selbst auf den längsten Reisen, dann die Unglücklichen, die ihm unter die Hände fallen, »behandelt.« Eine Controlle darüber findet, so viel ich weiß, nicht statt, wenn aber, scheint sie vollkommen ungenügend zu sein.

7 Heinrich Schmidt hat eine reizende kleine Erzählung »_the man of war_« in seinen »Seemannssagen und Schiffermärchen« darüber geschrieben.

8 Das »laufende Tauwerk« im Gegensatz zu dem »stehenden« (Pardunen und Stagen) werden die Taue genannt, mit denen die Raaen und Segel gerichtet und gestellt, und aus- und eingezogen werden. Hängt man, und den Passagieren auf Auswandererschiffen kann da in der That nicht streng genug aufgepaßt werden, Wäsche an diesem »laufenden Tauwerk«, und kommt plötzlich einmal eine Bö auf, bei der es davon abhängt daß die Segel rasch geborgen werden, wenn sie nicht zerreißen, ja in einzelnen Fällen den Mast, oder doch wenigstens eine Stenge mit über Bord nehmen, so klemmen sich Hemden und Strümpfe in die Blöcke ein, die Taue können nicht arbeiten, und die gefährlichsten Folgen allerdings dadurch entstehn.

9 Wanten ist das, was der Landmann im gewöhnlichen Leben und sehr unrichtig _Strickleitern_ nennt, und sie bestehen aus den Pardunen welche die Maste fest und unbeweglich auf ihrer Stelle halten, daß sie nicht nach Starbord oder Larbord hinüberschwanken können, und sind durch dünne Seile »_Wevelien_« genannt, mit einander leiterartig verbunden. Jeder Mast hat seine Wanten zu Starbord und Larbord.

10 Raaen sind die Querbalken an den Masten an welchen die Segel befestigt werden.

11 Südwester heißen die aus Leinwand gemachten und steif getheerten Seemannskappen, deren breites und langes Schild im Nacken sitzt, diesen gegen den Regen zu schützen.

12 Die Schutzwand, die das Deck rings umgiebt.

13 Küche

14 Ueber Stag gehn, wenden, kreuzen.

15 Man sagt auf See, wenn der Wind günstiger wird, »er räumt auf«, im entgegengesetzten Falle aber »er schrahlt weg!«

16 Es läßt sich denken, daß auf See nicht immer ein günstiger Wind weht, den Schiffer gerade dahin zu treiben, wohin er eben will. Wenn die Schiffe also nicht ihren gewünschten Cours steuern, oder (auf dem Compaß) »anliegen« können, so müssen sie eben _laviren_ oder gegen den Wind aufkreuzen. Dies ist aber nur durch die verschiedene Stellung der Segel möglich und der Raaen, an denen die Segel festsitzen können deshalb nach den verschiedenen Seiten hin angeholt (gebraßt) werden. Das Princip des Segelns, unter diesen Verhältnissen, ist ungefähr das der schräggestellten Windmühlenflügel; die Windmühle steht aber fest, und das Schiff würde durch einen Seitenwind zu viel abgetrieben werden (Abdrift machen) wenn es eben nicht so tief im Wasser ginge, und der scharfe Kiel so stark wiederhielte. Das Steuer hilft dabei ebenfalls mit, das Schiff trotz ungünstigem Winde gegen diesen anzuhalten, und den Segeln Gelegenheit zu geben es vorwärts zu treiben, was selbst geschehen kann, wenn der Wind nicht einmal mehr blos von der Seite, sondern sogar mehr von vorn kommt. Der Compaß ist in 32 Striche getheilt, und es wird angenommen daß ein mit Querraaen versehenes Schiff mit _sechs_ Strichen in den Wind liegen kann d. h. wenn der Wind z. B. von Norden weht, im Stande ist nach West-Nord-West oder nach Ost-Nord-Ost zu liegen. Das, bald nach der einen bald nach der anderen Richtung hinüberhalten nennt man eben laviren oder aufkreuzen; das Schiff gewinnt dabei jedesmal etwas in seinem Fortgang nach Norden, und was es über den einen Bug zu viel nach Osten hinüberkommt, macht es, wenn es über den anderen Bug nach Westen liegt, wieder gut. Es ist klar daß ein Schiff, je dichter es im Stande ist am Wind zu liegen, auch desto leichter und erfolgreicher laviren und sich zu luv- oder windwärts hinaufarbeiten wird.

Das Wenden des Schiffes geschieht dadurch, daß man die, z. B. erst zu Backbord scharf angebraßten Segel löst, und nach Starbord oder auf die andere Seite hinüberbraßt, oder anzieht — und umgekehrt. Mit dem Steuer wird dann nachgeholfen, und die Segel, welche den Wind erst von der einen Seite faßten, fassen ihn nun von der anderen.

17 Ein Auswandererschiff erreichte vor einer Reihe von Jahren eines Abends den Hafen von New-York, aber die Nacht brach ein, es wurde dunkel und die Brise heftiger, so daß der Capitain lieber den Morgen abwarten wollte, einzulaufen. Die Nacht erhob sich ein Nord-Wester, das Schiff wurde wieder in See zurückgeworfen und brauchte nachher noch drei volle Wochen, ehe es im sicheren Hafen Anker werfen konnte.

18 Clüverbaum ist das was die Stenge auf den Masten ist, die Verlängerung des Bugspriets, an der die vorderen dreieckigen Segel (Clüver) befestigt sind.