Stippvisite auf Oahu

© Willi Schnitzler    

Waikiki BeachDie Reise neigte sich langsam dem Ende entgegen, und am nächsten Tag saß ich, nach dem intensivsten Check-in auf der ganzen Reise (es gab ein ziemliches Theater mit dem Gepäck: »Nein, die mitgebrachten Maori-Schnitzwerke sind keine Schießeisen!«), im Flugzeug nach Honolulu, Hawaii. Für Captain Cook war Hawaii seine größte Entdeckung, und Mark Twain nannte die Inselgruppe »die schönste Inselflotte, die überhaupt je in irgendeinem Ozean vor Anker lag«. Aber es gab noch andere Schriftsteller, die von der alten Legende vom alten Hawaii verzaubert waren. Robert Louis Stevenson, Jack London, James Michener.

Doch lange bevor Cook 1778 Hawaii entdeckte waren andere da gewesen. Aufgrund der aus­gegrabenen Steinäxte nimmt man an, dass die Polynesier die Inselgruppe zweimal entdeckt haben; die Bewohner der Mar­quesas zwischen 500 und 700 n. Chr. und die Tahitianer zwi­schen 1100 und 1300 n. Chr.

    

Lono, wie die Insulaner Captain Cook nannten, gab seiner Entdeckung den Namen »Sandwich-Inseln«. Ein Matrose aus seiner Mannschaft schleppte die erste Geschlechtskrankheit ein; und am Valentinstag des Jahres 1779 wurde der große englische Entdeckungsreisende und Kapitän und Tagelöhner­sohn aus dem kleinen Dorf Marton-in-Cleveland von Hawaiia­nern getötet, nachdem es einen bewaffneten Konflikt wegen eines gestohlenen Beiboots der Discovery gegeben hatte. Er starb durch einen jener Dolche, die britische Waffenschmie­de an Bord der Entdeckungsschiffe für Terriobo und andere Häuptlinge als Geschenk angefertigt hatten.

Über Nacht lösten wir die Vergünstigungen der rückwärtigen Überquerung der Datums­grenze ein. Wir kamen aus Auckland und fanden uns völlig erschöpft in der Morgen­dämmerung auf der drittgrößten Insel, Oahu, wieder. Der Aloha-Staat erwartete Feuer und Flamme die malihinis, die Neuankömmlinge. Diejenigen, die ein Hotelzimmer gebucht hatten, wurden traditionsgemäß mit dem uralten Symbol der Verbindung zwischen Mensch und Natur, dem Lei, einem Blu­menkranz, empfangen. Kurz zuvor hatten wir die vielfältige Welt der gigantischen hawaiianischen Inselkette mit ihren Urwäldern und Lavafeldern überflogen, wo der höchste Berg der Erde, der Schildvulkan Mauna Kea, auf der Nordseite der größten Insel, Big Island, vom 5.500 Meter tiefen Meeresboden noch 4.205 Meter über das Wasser herausragt und damit den Mount Everest um nahezu 1.000 Meter deklassiert. Schuld an Hawaii ist nach der »Förderbandtheorie« ein hot spot im oberen Erdmantel, ein heißer Fleck, der seit 70 Mio. Jahren wie ein riesiger Schweißbrenner die darüber hinwegziehende Pazifikplatte perforiert und der in den letzten 20 Mio. Jahren bemerkenswerterweise parallel zu den magnetischen Polen der Erde 3.000 Ki­lometer nach Südosten gewandert ist. Die wulstige Schweiß­naht ergab eine 3.700 Kilometer lange Kette aus 132 Inseln und ungezählten seamounts, die von den Aleuten bis Hawaii reicht. Big Island ist mit 700.000 Jahren die jüngste Insel – aber die nächste ist schon im Südosten im Bau, der Unterwasservulkan Loihi.

Wir mieteten einem knallroten offenen Pontiac Sunbird, mit dem wir gegen den Uhrzeigersinn an die surfhungrige Nordkü­ste Oahus bis Waimea Bay fuhren, vorbei an Senator Fong‘s Plantation, Chinaman‘s Hat, dem Wanderpfad nach Sacred Falls und dem Polynesian Cultural Center. Kahuku ist der Eintritt zur Nordküste und die Welthauptstadt des Surfs, das von Hawaiis ali‘i, Häuptlingen, der königlichen Fami­lie, erfunden wurde und mithilfe des Duke Kahanamoku sich über den Rest der Welt verbreitete.

Das dunkelgebeizte Holzhaus, wo wir für zwei Tage wohnten, weil die preiswerten Unterkünfte ausgebucht waren, kostete ein kleines Vermögen. Doch der Blick von der blattgrünen lanai, der Veranda, auf den zum Greifen nahen Pazifischen Ozean, der die blütenweiße Gischt, gespornt von sonnenge­stiefelten eiligen Füßen, in den Nachmittagshimmel schleu­derte, war umsonst, na ja, zumindest im Preis inbegriffen. Der Schattenriss einer windgekrümmten Palme lag wie ein gigantischer Staubwedel auf der kurzgeschorenen Wiese zu unseren Füßen, während wir den Rest des Tages verfau­lenzten.

Zwischen Punaluu und Hauula liegen versteckt die Sacred Falls, etwa zwei Meilen landeinwärts. Es ging vorbei an weg­umspannenden, dem Wind abgewandten Büschen und Bäumen auf einem erdigen und wurzelreichen Trampelpfad entlang des Kaluanui-Flusses durch den Wald, der hin und wieder aus lauter versteckten Fußfallen bestand. Links und rechts san­ken verkrüppelte tote Bäume langsam zu Boden, während die hochstehende Sonne in dem struppigen Gewirr ihrer leblosen Äste nistete. Der Weg wurde zusehends steiniger. Wir klet­terten vereinzelt über holprige Bäche, die zu sprechen schienen, und mächtige Adlerfarne zeugten von einer ausrei­chenden Niederschlagsmenge. Es ging vorbei an Java-Pflau­men, Guavas und Kukuis. In der Ferne schien sich die mär­chenhafte Welt an den steilen moosigen Berghängen wie ein spitzer Hintern zu spalten. Bis zu diesem Zeitpunkt waren wir keiner Menschenseele begegnet. Das sollte sich bald ändern. Dort, wo der Berg mit seinem zungenlosen Mund aus vielleicht zehn Meter Höhe weißes Wasser in ein Becken spuckte, beobachtete mindestens ein Dutzend kamerabehängter, auf Steinriesen sitzender Menschen den heiligen Wasserfall, wie er sich bemühte, ein unschuldiges Gesicht zu machen. Schwimmen wollte niemand, denn das Wasser war einfach zu kalt. Sacred Falls heißt in Wahrheit Kaliuwaa Falls. Dem legendären Schweinegott Kamapuaa, der sich nach Belieben entweder in Menschen- oder in Schweinegestalt zeigen konnte, gehörte dereinst Kaliuwaa, was so viel bedeutet wie Leck im Kanu.

Wir drehten uns auf der Stelle um und gingen fort von die­sem lauten, unheiligen, klaustrophobischen Ort. Der unbere­chenbare Weg, so las ich wenig später, hatte schon manch einem hiker das Leben gekostet oder Hab und Gut, wie 1984, als 25 Wanderer oben an den Fällen beraubt und ausgeplündert wurden.

Wir durchquerten die Insel und kamen an Pearl Harbour vorbei, wo am 7.12.1941 ein Teil der Pazifikflotte der USA durch einen japanischen Luftangriff zerstört wurde. Der auf Euro­pa beschränkte Krieg war zum Zweiten Weltkrieg geworden. Die Stelle, an der das Schlachtschiff Arizona mit über 1.000 Seeleuten unterging, trägt heute eine Gedenkstätte.

Am Ostermontag schwappte Honolulu vor Menschen nur so über. Wir hatten in aller Herrgottsfrühe den Wagen abgegeben und wanderten die zehn Kilometer in die Höhle des touristischen Löwen, dem Sammelplatz des gehobenen Missgeschmacks und Tum­melplatz menschlicher Eitelkeiten. Waikiki Beach. Rot­braune, unnatürlich aussehende, sonnenverbrannte Weiße, den sonnenbrillenbeschirmten Blick geknickt gen Himmel geneigt und die prallen Schamzonen mit einem fingergroßen faden­scheinigen Badedress vor den voyeuristischen Blicken not­dürftig beschützt. Dicke Klunker an lang gezogenen Ohren, wässrigen Armen und faltigen Hälsen gaben Zeugnis ab vom Reichtum der weißen menschlichen Rasse und spazierten scheinbar menschlos die Strandpromenade hinunter. Dann und wann bemerkten wir einen Pudel, der teurer gekleidet war als manch ein Chinese, der keine 200 Meter entfernt im Schatten eines Parks das Osterfest beging. Man konnte den fernöstlichen Puls des Parks deutlich spüren. Überall hat­ten sich chinesische Großfamilien mitsamt ihren überdimen­sionalen Grills, fleischgespickten Kühltaschen und liter­weise Coca-Cola niedergelassen. Es ging lebhaft zu, trotz­dem hatten wir Angst, in ihre heilige familiengeprägte österliche Welt einzudringen.

In einem Fast-Food-Tempel trafen wir einen schreienden Mann, der behauptete, sechs Jahre unschuldig im Gefängnis gesessen zu haben. Ein junges Paar stritt sich unauffälliger. Draußen versuchte ein tätowierter Junkie, ein Rotz und Galle speiendes dürres Mädchen aus der geöffneten Seitenscheibe eines abfahrberei­ten Taxis herauszuzerren. Es setzte Prügel bei beiden, und wir waren maßlos bedient.

Am Flughafen angekommen bemerkten wir nicht zum ersten Mal die baumlangen Fahrzeugkarossen und waren uns sicher, dass darin auch ein Swimmingpool Platz finden würde. Am Abend begann der Heimflug nach Deutsch­land, ab San Francisco allerdings ohne unsere Rucksäcke, die kurzzeitig sich Los Angeles ansehen durften.