Taranakis Liebe

© Willi Schnitzler    

Taranakis LiebeHoch über dem Zentralland der Nordinsel thronten in jenen Tagen mehrere Berge wie Gottheiten. Nahe Ngauruhoe, Ruapehu und Taranaki lebte der höchste und mächtigste unter den Göttern, Tongariro, während unweit von ihnen auch die liebliche Jungfrau Pihanga stand. Sie war von außerordentlicher Schönheit mit einem Mantel aus tiefgrünem Busch, den sie fest um ihre Schultern geschlungen hatte. So verwunderte es keineswegs, dass die Berggötter allesamt ein Auge auf das hübsche Bergfräulein geworfen hatten. Was sie dazu bewog, den heiligen, weißhaarigen Tongariro als ihren Liebhaber auszuwählen, sollte ihr Geheimnis bleiben. Die Berge lebten längere Zeit in friedvollem Miteinander, doch Taranaki wollte seine Gefühle für Pihanga im wahrsten Sinne des Wortes nicht länger verbergen. Als er sie bedrängte und Anträge machte, kam es zu einem heftigen Streit zwischen Tongariro und Taranaki, der die Erde erschütterte. Ärgerlich und ihrem Unmut und Zorn freien Lauf lassend, spien die Berge Feuer. Schwarze Wolken zogen auf, sodass sich der Himmel verdunkelte.

Nachdem der majestätische, etwas geschrumpfte Tongariro wieder an Pihangas Liebesseite zurückgekehrt war und Taranaki sich aus wilder Verzweiflung und grenzenloser Wut durch einen kräftigen Ruck von seinem angestammten Platz entfernt hatte und ungestüm in Richtung der untergehenden Sonne drängte, kehrte wieder Ruhe ein. Auf Taranakis blindwütigem Weg der Trauer, der ihn nach Norden führte, wo er ein eigenes Reich als Berggott gründete, hatte er tiefe Spuren in der Erde, ganz besonders an Tongariros Flanken, hinterlassen. Dort entsprang flugs ein breiter Strom mit klarem Wasser und heilte die Wunden. Der Gesang von Vögeln erfüllte die immergrünen Wälder, die an den Ufern des Flusses entstanden waren, der heute Wanganui River hieß.

E-Book: Land der langen weißen Wolke bei Amazon!